
Heiliger Vater, ich bin Dulce María, 23 Jahre alt und komme aus Mexiko. Ich wende mich an Sie als Sprecherin einer Wirklichkeit, die wir jungen Menschen in so vielen Teilen der Welt erleben. Wir sind Kinder unserer Zeit. Wir leben in einer Kultur, die zu uns gehört und die uns formt, ohne dass wir es merken; sie ist geprägt von der Technologie, insbesondere im Bereich der sozialen Netzwerke. Häufig haben wir die Illusion, viele Freunde zu haben und enge Beziehungen aufzubauen, während wir immer öfter verschiedene Formen von Einsamkeit erleben. Wir sind vielen Menschen nahe und mit ihnen verbunden, doch es handelt sich nicht um echte und dauerhafte Beziehungen, sondern um flüchtige und oft trügerische. Heiliger Vater, meine Frage lautet: Wie können wir aufrichtige Freundschaft und echte Liebe finden, die uns zur wahren Hoffnung führen? Wie kann uns der Glaube helfen, unsere Zukunft aufzubauen?
Papst Leo XIV.: Liebe junge Menschen, die menschlichen Beziehungen, unsere Beziehungen zu anderen Menschen sind für einen jeden von uns unverzichtbar, angefangen damit, dass alle Männer und Frauen auf der Welt als Kinder von jemandem geboren werden. Unser Leben beginnt mit einer Bindung, und es sind Bindungen, dank derer wir wachsen. In diesem Prozess spielt die Kultur eine grundlegende Rolle: Sie ist der Schlüssel, durch den wir uns selbst verstehen und die Welt interpretieren. Wie ein Wörterbuch enthält jede Kultur ebenso edle wie vulgäre Wörter, Werte und Irrtümer, die es zu erlernen und zu erkennen gilt. Wenn wir leidenschaftlich nach der Wahrheit suchen, erhalten wir nicht nur eine Kultur, sondern wir verändern sie durch unsere Lebensentscheidungen. Die Wahrheit ist nämlich eine Verbindung, die Worte mit Dingen, Namen mit Gesichtern in Beziehung setzt. Die Lüge hingegen trennt diese Aspekte voneinander und stiftet Verwirrung und Missverständnisse.
Unter den vielen kulturellen Verbindungen nun, die unser Leben prägen, sind das Internet und die sozialen Netzwerke »jedoch eine außerordentliche Chance für Gespräche, Begegnungen und den Austausch mit anderen Menschen und bieten überdies Zugang zu Informationen und Wissen« (Papst Franziskus, Christus vivit, 87). Allerdings sind diese Instrumente ambivalent, wenn sie von kommerziellen Logiken und Interessen beherrscht werden, die unsere Beziehungen in tausend Einzelteile zerreißen. In diesem Zusammenhang erinnerte Papst Franziskus daran, »dass diese Mechanismen der Kommunikation, der Werbung und der sozialen Netzwerke genutzt werden können, um uns einzuschläfern und abhängig zu machen vom Konsum« (Christus vivit, 105). Dann werden unsere Beziehungen verworren, angstbesetzt oder instabil. Darüber hinaus gibt es heutzutage, wie ihr wisst, Algorithmen, die uns sagen, was wir sehen sollen, was wir denken sollen und wer unsere Freunde sein sollten. Dadurch werden unsere Beziehungen verwirrend und manchmal auch beängstigend. Es ist so: Wenn das Instrument den Menschen beherrscht, dann wird der Mensch zum Instrument: ja, zu einem Instrument des Marktes und damit selbst zu einer Ware. Nur aufrichtige Beziehungen und stabile Bindungen lassen gute Lebensgeschichten gedeihen.
Liebe junge Menschen, jeder Mensch sehnt sich natürlicherweise nach diesem gu-ten Leben, so wie sich die Lungen nach Luft sehnen, aber wie schwer ist es, es zu finden! Wie schwer ist es, eine echte Freundschaft zu finden. Vor Jahrhunderten hat der heilige Augustinus die tiefe Sehnsucht unseres Herzens erfasst, es ist die Sehnsucht jedes menschlichen Herzens, auch ohne die technologische Entwicklung von heute zu kennen. Auch er durchlebte eine stürmische Jugend, aber er begnügte sich nicht damit, er erstickte den Schrei seines Herzens nicht. Augustinus suchte die Wahrheit, die Wahrheit, die nicht enttäuscht, die Schönheit, die nicht vergeht. Und wie hat er sie gefunden? Wie hat er eine aufrichtige Freundschaft gefunden, eine Liebe, die in der Lage ist, Hoffnung zu schenken? Indem er denjenigen fand, der ihn bereits suchte: indem er Jesus Christus begegnete. Wie hat er seine Zukunft aufgebaut? Indem er ihm folgte, seinem Freund von jeher. Mit seinen eigenen Worten: »Keine Freundschaft ist treu außer in Christus.« Der heilige Augustinus sagt uns: »Es gibt keine echte Freundschaft, wenn diese nicht in Christus ist. Und die wahre Freundschaft ist immer in Jesus Chris-tus mit Wahrheit, Liebe und Respekt. Und nur in ihm kann sie ewig und glücklich sein« (vgl. Contra duas Epistolas Pelagianorum libri quatuor I, I,1). »Derjenige liebt seinen Freund aufrichtig, der in seinem Freund Gott liebt« (vgl. Sermo 336,2), sagt uns Augustinus Die Freundschaft mit Christus, die am Anfang des Glaubens steht, ist nicht nur eine Hilfe unter vielen, um die Zukunft aufzubauen, sie ist unser Leitstern. Wie der selige Pier Giorgio Frassati schrieb: »Ein Leben ohne Glauben, ohne ein Erbe, das es zu verteidigen gilt, ohne den ständigen Kampf für die Wahrheit, ist kein Leben, sondern bloßes Dahinvegetieren« (vgl. Briefe, 27. Februar 1925). Wenn unsere Freundschaften diese intensive Verbindung zu Jesus widerspiegeln, werden sie mit Sicherheit aufrichtig, großherzig und wahrhaftig.
Liebe junge Menschen, liebt einander! Liebt euch in Christus! Seht Jesus in den anderen. Die Freundschaft kann die Welt wirklich verändern. Die Freundschaft ist ein Weg zum Frieden.
Heiliger Vater, mein Name ist Gaia, ich bin 19 Jahre alt und komme aus Italien. Heute Abend möchten wir jungen Menschen Ihnen von unseren Träumen, Hoffnungen und Zweifeln erzählen. Unsere Jahre sind geprägt von wichtigen Entscheidungen, die wir treffen müssen, um unser zukünftiges Leben zu gestalten. Aufgrund der Unsicherheit, die uns umgibt, sind wir jedoch versucht, diese Entscheidungen aufzuschieben, und die Angst vor einer unbekannten Zukunft lähmt uns. Wir wissen, dass eine Entscheidung bedeutet, auf etwas anderes zu verzichten, und das blockiert uns. Dennoch spüren wir, dass die Hoffnung auf erreichbare Ziele verweist, auch wenn sie durch die Unsicherheit der Gegenwart geprägt sind. Heiliger Vater, wir fragen Sie: Wo finden wir den Mut, um zu entscheiden? Wie können wir mutig sein und das Abenteuer der lebendigen Freiheit leben, indem wir tiefgreifende und bedeutsame Entscheidungen treffen?
Papst Leo XIV.: Danke für diese Frage. Die Frage lautet: Wie finden wir den Mut, uns zu entscheiden? Wo finden wir den Mut, Entscheidungen zu treffen und kluge Entscheidungen zu treffen? Das Entscheiden ist eine grundlegende menschliche Handlung. Wenn wir sie genau betrachten, verstehen wir, dass es nicht bloß darum geht, etwas zu wählen, sondern jemanden zu wählen. Wenn wir uns entscheiden, entscheiden wir im wahrsten Sinne des Wortes, wer wir werden wollen. Die Entscheidung schlechthin ist nämlich unsere Lebensentscheidung: Was für ein Mann willst du sein? Was für eine Frau willst du sein? Liebe junge Menschen, das Entscheiden lernen wir durch die Prüfungen des Lebens und vor allem, indem wir uns daran erinnern, dass wir erwählt wurden. Die Erinnerung daran muss vertieft und geschult werden. Wir haben das Leben geschenkt bekommen, ohne es gewählt zu haben! Am Anfang unseres Daseins stand nicht eine Entscheidung von uns, sondern eine Liebe, die uns gewollt hat. Im Laufe unseres Lebens erweist sich als wahrer Freund, wer uns hilft, diese Gnade in den Entscheidungen, die wir treffen müssen, zu erkennen und zu erneuern.
Liebe junge Menschen, ihr habt richtig gesagt: »Entscheiden bedeutet auch, auf etwas anderes zu verzichten, und das blockiert uns manchmal.« Um frei zu sein, muss man von dem festen Fundament ausgehen, von dem Felsen, der unsere Schritte stützt. Dieser Felsen ist eine Liebe, die uns vorausgeht, uns überrascht und uns unendlich übersteigt: die Liebe Gottes. Vor ihm wird die Entscheidung deshalb zu einer Einsicht, die nichts Gutes entreißt, sondern immer zum Besseren führt.
Der Mut zur Entscheidung kommt aus der Liebe, die Gott uns in Christus offenbart. Er ist es, der uns mit seinem ganzen Sein geliebt hat, indem er die Welt gerettet und uns so gezeigt hat, dass das Geschenk des Lebens der Weg ist, um uns selbst zu verwirklichen. Deshalb entspricht die Begegnung mit Jesus den tiefsten Erwartungen unseres Herzens, denn Jesus ist die menschgewordene Liebe Gottes.
Diesbezüglich sagte der heilige Johannes Paul II. vor fünfundzwanzig Jahren genau hier, wo wir uns befinden: »Es ist Jesus, den ihr sucht, wenn ihr vom Glück träumt; Er ist es, der auf euch wartet, wenn euch nichts von dem zufriedenstellt, was ihr vorfindet; Er ist die Schönheit, die euch so anzieht; Er ist es, der euch provoziert mit jenem Durst nach Radikalität, der euch keine Anpassung an den Kompromiss erlaubt; Er ist es, der euch dazu drängt, die Masken abzulegen, die das Leben verfälschen; Er ist es, der in euren Herzen die wahreren Entscheidungen herausliest, die andere am liebsten ersticken würden« (Gebetsvigil am 15. Weltjugendtag, 19. August 2000). Dann weicht die Angst der Hoffnung, weil wir sicher sind, dass Gott vollendet, was er begonnen hat.
Wir erkennen seine Treue in den Worten derer, die wirklich lieben, weil sie wirklich geliebt worden sind. »Du bist mein Leben, Herr«: Das ist es, was ein Priester und eine Ordensfrau voller Freude und Freiheit sagen: »Du bist mein Leben, Herr.« »Ich nehme dich als meine Braut und als meinen Bräutigam an«: Das ist der Satz, der in der Ehe die Liebe von Mann und Frau in ein wirksames Zeichen der Liebe Gottes verwandelt. Das sind tiefgreifende Entscheidungen, bedeutsame Entscheidungen: Die Ehe, das Weihesakrament und das gottgeweihte Leben drücken die freie und befreiende Selbsthingabe aus, die uns wirklich glücklich macht. Diese Entscheidungen geben unserem Leben Sinn und verwandeln es in das Abbild der vollkommenen Liebe, die es erschaffen und von allem Übel erlöst hat. Und da finden wir das Glück, wenn wir lernen, uns selbst zu geben. Das Leben für die anderen geben.
Diese Entscheidungen geben unserem Leben einen Sinn und verwandeln es in das Abbild der vollkommenen Liebe, die es geschaffen und von allem Bösen, selbst vom Tod, erlöst hat. Ich sage dies heute Abend in Gedanken an zwei junge Frauen, María, eine 20-jährige Spanie-rin, und Pascale, eine 18-jährige Ägypterin. Beide hatten sich entschieden, zur Heilig-Jahr-Feier der jungen Menschen nach Rom zu kommen, und der Tod hat sie in diesen Tagen ereilt. Beten wir gemeinsam für sie; beten wir auch für ihre Familien, ihre Freunde und ihre Gemeinschaften. Der auferstandene Jesus nehme sie in den Frieden und die Freude seines Reiches auf. Und ich möchte euch auch um euer Gebet für einen weiteren Freund, einen spanischen jungen Mann, Ignacio Gonzalvez, bitten, der in das Krankenhaus »Bambino Gesù« gebracht wurde: Beten wir für ihn, für seine Gesundheit.
Den Mut finden, Entscheidungen zu treffen und Jesus zu sagen: »Du bist mein Leben, Herr.« »Herr, du bist mein Leben.« Danke.
Heiliger Vater, mein Name ist Will. Ich bin 20 Jahre alt und komme aus den Vereinigten Staaten. Ich möchte Ihnen im Namen vieler junger Menschen, die sich in ihrem Herzen nach etwas Tieferem sehnen, eine Frage stellen. Wir fühlen uns zum inneren Leben hingezogen, auch wenn wir auf den ersten Blick als oberflächliche und gedankenlose Generation beurteilt werden. Tief in unserem Inneren fühlen wir uns zum Schönen und Guten als Quellen der Wahrheit hingezogen. Der Wert der Stille wie in dieser Vigil fasziniert uns, auch wenn sie uns manchmal wegen eines Gefühls der Leere Angst einflößt. Heiliger Vater, ich möchte Sie fragen: Wie können wir dem auferstandenen Herrn in unserem Leben wirklich begegnen und seiner Gegenwart auch inmitten von Prüfungen und Unsicherheiten sicher sein?
Papst Leo XIV.: Um dieses Heilige Jahr zu verkündigen, veröffentlichte Papst Franziskus das Dokument mit dem Titel Spes non confundit, was so viel bedeutet wie: »Die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen.« In diesem Dokument schrieb er: »Im Herzen eines jeden Menschen lebt die Hoffnung als Wunsch und Erwartung des Guten« (Spes non confundit, 1). In der Bibel bezieht sich das Wort »Herz« gewöhnlich auf das Inners-te eines Menschen, was auch unser Gewissen umfasst. Unser Verständnis davon, was gut ist, spiegelt also wider, wie unser Gewissen von den Menschen in unserem Leben geprägt worden ist: von denen, die gut zu uns gewesen sind, die uns liebevoll zugehört und die uns geholfen haben. Diese Menschen haben dazu beigetragen, euch zum Guten zu erziehen und somit euer Gewissen zu formen, damit ihr in euren täglichen Entscheidungen das Gute sucht.
Liebe junge Menschen, Jesus ist der Freund, der uns immer bei der Bildung unseres Gewissens begleitet. Wenn ihr dem auferstandenen Herrn wirklich begegnen wollt, dann hört auf sein Wort, das das Evangelium des Heils ist. Denkt über eure Lebensweise nach und sucht nach Gerechtigkeit, um eine menschlichere Welt aufzubauen. Dient den Armen und bezeugt so das Gute, das wir immer auch von unseren Nächsten empfangen möchten. Seid mit Jesus in der Eucharistie vereint. Betet Christus im Allerheiligsten Sakrament an, der Quelle des ewigen Lebens. Lernt, arbeitet und liebt nach dem Vorbild Jesu, des guten Meisters, der immer an unserer Seite geht.
Bitten wir ihn bei jedem Schritt auf der Suche nach dem Guten: Bleibe bei uns, Herr (vgl. Lk 24,29). Bleibe bei uns, Herr. Bleibe bei uns, denn ohne dich können wir nicht das Gute vollbringen, das wir tun möchten. Du willst unser Bestes, ja, Herr, du bist unser Bestes. Diejenigen, die dir begegnen, möchten auch, dass andere dir begegnen, weil dein Wort ein Licht ist, das heller leuchtet als jeder Stern und selbst die dunkels-te Nacht erhellt. Papst Benedikt XVI. sagte gern, dass diejenigen, die glauben, niemals allein sind. Mit anderen Worten: Wir begegnen Christus in der Kirche, das heißt in der Gemeinschaft derer, die ihn aufrichtig suchen. Der Herr selbst führt uns zusammen, um eine Gemeinschaft zu bilden, nicht irgendeine Gemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft von Gläubigen, die sich gegenseitig unterstützen. Wie sehr braucht die Welt Missionare des Evangeliums, die Zeugen der Gerechtigkeit und des Friedens sind! Wie sehr braucht die Zukunft Männer und Frauen, die Zeugen der Hoffnung sind! Liebe Jugendliche, dies ist die Aufgabe, die der auferstandene Herr einem jeden von uns anvertraut!
Der heilige Augustinus schrieb: »Du selber reizest an, dass dich zu preisen Freude ist, denn du hast uns auf dich hin geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir. … Ich will dich suchen, Herr, […], und ich will dich rufen, indem ich an dich glaube« (Bekenntnisse, I, 1). In Anlehnung an diese Worte des Augustinus und als Antwort auf eure Fragen möchte ich jeden von euch einladen, zum Herrn zu sagen: »Danke, Jesus, dass du mich gerufen hast. Mein Wunsch ist es, einer deiner Freunde zu bleiben, damit ich, indem ich dich ganz in meinem Leben annehme, auch ein Wegbegleiter für alle sein kann, denen ich begegne. Gib, o Herr, dass diejenigen, die mir begegnen, dir begegnen, auch durch meine Grenzen und Schwächen hindurch.« Jedes Mal, wenn wir diese Worte beten und auf den gekreuzigten Herrn schauen, setzen wir unsern Dialog fort, weil unsere Herzen in ihm vereint sein werden. Jedes Mal, wenn wir Christus in der Eucharistie anbeten, werden unsere Herzen mit ihm vereint werden. Mein abschließender Gebetswunsch für euch ist, dass ihr im Glauben standhaft bleibt, mit Freude und Mut! Und wir können sagen: »Danke Jesus, dass du uns liebst.« Danke Jesus, dass du uns geliebt hast. Danke Jesus, dass du uns gerufen hast. Bleib bei uns, Herr.
Am Schluss der Vigil wandte sich der Papst noch einmal kurz in freier Rede an die Anwesenden:
Ich möchte dem Chor und den Musikern danken: Danke, dass ihr uns begleitet habt! Danke euch allen! Danke! Und bitte: Ruht euch ein wenig aus. Wir sehen uns morgen früh hier zur heiligen Messe. Ich wünsche euch alles Gute. Gute Nacht!