
Von Ulrich Nersinger
Pontifikatsmedaillen der Päpste, kostbare Kupferstiche und imposante Gemälde geben noch heute Zeugnis von den Fronleichnamsprozessionen in der Ewigen Stadt, jenem machtvollen Bekenntnis der katholischen Kirche zur Real-präsenz des Herrn im Allerheiligsten Altar-sakrament.
Das Fest Fronleichnam (lat. Corpus Domini – »Herrenleib«) geht auf Visionen der Au-gustinernonne Juliana von Lüttich (1209)
zurück. Die fromme Ordensfrau hatte beim Beten den Mond betrachtet und auf ihm einen kleinen schwarzen Flecken entdeckt. Christus ließ sie die Bedeutung dieser Vision verstehen-, dass nämlich der Mond für die Kirche stehe, der dunkle Fleck aber für das Fehlen eines Festes zur Verehrung des Altarsakramentes. Mit der Bulle Transiturus vom
11. August 1264 schrieb Papst Urban IV. (Jacques Pantaléon, 1261-1264) – als vormaliger Erzdiakon von Lüttich mit der Untersuchung der Visionen der Ordensfrau betraut – das Fest für die Weltkirche vor. Sein Tod verhinderte jedoch die Durchführung dieser Anordnung. Papst Johannes XXII. (Jacques Duèse, 1316-1334) verschaffte ihr dann allgemeine Geltung, indem er sie im Jahre 1317 in den Klementinen, einer Sammlung von Dekreten, veröffentlichte.
Beeindruckendes Zeremoniell
Eine der ersten Prozessionen zum Fest »Corpus Domini« dürfte um das Jahr 1278 in Köln stattgefunden haben. Der Ablauf der Fronleichnamsprozession wurde jedoch erst im Caeremoniale Episcoporum von 1600 und im Rituale Romanum von 1614 geregelt; im Gegensatz zu der diesseits der Alpen gebräuchlichen Form bestand er aus einem mit Gesängen begleiteten ununterbrochenen Umgang, an dessen Schluss der Segen mit dem Sanctissimum erteilt wurde.
Aber schon Johannes Burkhard, der berühmte Zeremonienmeister Alexanders VI., hatte auf ausdrücklichem Wunsch des Borgia-Papstes ein beeindruckendes Zeremoniell für die Sakramentsprozessionen in Rom geschaffen. Alexander VI. (Rodrigo Borgia, 1492-1503) war – trotz seiner moralischen Verfehlungen – ein Papst, der sich aufrichtig bemühte, seine religiösen Pflichten aufs Bes-te zu erfüllen. Er legte Wert auf eine würdige Liturgie, von der er sich und seine Umgebung nicht dispensierte. So ist aus zeitgenössischen Quellen zu erfahren, dass er die Fronleichnamsprozession nicht einmal bei strömendem Regen ausfallen ließ. Die Teilnahme an den Liturgien des Päpstlichen Hofs wurde gebieterisch gefordert, jede Entschuldigung für ein Fernbleiben höchst kritisch überprüft« (Susanne Schüller-Piroli). Zum Fronleichnamsfest 1496 verhängte der Papst über Kleriker der Apostolischen Kammer, die nicht an der Prozession teilgenommen hatten, die für damals recht hohe Strafe von 12 Dukaten pro Kopf.
Eine entscheidende Neuerung bei den Sakramentsprozessionen wurde mehr als hundertfünfzig Jahre später, im ersten Pontifikatsjahr Alexanders VII. (Fabio Chigi, 1655-1667), eingeführt. Der Diario (Tagebuchaufzeichnungen) des Päpstlichen Zeremoniars Giacinto Gigli berichtet: »Am 27. Mai war das Fronleichnamsfest und man veranstaltete die außerordentlich feierliche Prozession, bei der der Papst gewöhnlich in der Sedia, ma-jestätisch erhöht, auf den Schultern der Kammerdiener getragen wird, in der Hand das Allerheiligste Sakrament. Papst Alexander ließ sich nicht sitzend in der Sedia tragen, sondern kniend und entblößten Hauptes, in der Hand das Allerheiligste, barfuß und in tiefste Andacht versunken, ohne die Augen oder irgend ein Glied zu bewegen, sodass er eher einer unbeweglichen Figur als einem Menschen glich, was alle anderen ebenfalls zu größter Andacht und Zerknirschung hinriss, da es ihnen schien, als sähen sie eine himmlische Vision.«
Sforza Pallavicino geht in seinem Leben Alexanders VII. näher auf einen der Gründe für diese Neuerung ein: »Die Art, auf welche sich der Papst beim Fronleichnamsfeste dem Volk zeigte, berührte dieses ganz einzigartig: da er infolge des bösen Leidens, das ihm nach einer Operation geblieben war, die lange Funktion nicht zu Fuß mitmachen konnte, wollte er die Hostie nicht sitzend tragen und nicht bedeckten Hauptes, wie es die Gepflogenheit seiner Vorgänger war, sondern er ließ sich kniend tragen und entblößten Hauptes; man sah, wie von seiner Stirn der Schweiß perlte, wozu er wegen der Dünne seiner Haut sehr starke Anlage hatte, und den er nun, da er seine Hände nicht frei hatte, nicht abtrocknen konnte.« Die Art und Weise, wie der Papst an der Fronleichnams-prozession teilnahm, muss auf die Römer großen Eindruck gemacht haben; die Nachfolger des Chigi-
Papstes behielten daher diese Neuerung bei. Gaetano Moroni, der gelehrte Kammer-adjunkt Papst Gregors XVI. (Bartolomeo Alberto Cappellari, 1831-1846), gibt eine genaue Beschreibung jener Vorrichtung, auf welcher der Papst und das Sanctissimum getragen wurden: »Das Traggestell war von der Art eines Betstuhles, ganz vergoldet, mit anmutigen Holzschnitzereien und Seraphs-köpfen verziert und wurde mittels zweier mit rotem Samt überzogenen Stangen von den päpstlichen Palafrenieren (Sänftenträgern) getragen. Zu Füßen war ein Schemel in der Art eines Faldistoriums,
mit goldgesticktem, mit goldenen Quas-ten und Fransen versehenen Kissen, auf welches der Papst die Arme stützte. In der Mitte des Gestells war ein Zapfen mit vergoldetem Holzfuß für die durchlochte Kugel zur Aufnahme der Monstranz, die der kniende Papst in Händen halten musste. Um seine Füße herum war eine Stütze aus Ross-haar, mit rotem Samt überzogen, um die Füße am Rutschen zu hindern und um dem Körper Halt zu gewähren, ein Zingulum, eine Binde, damit nicht die ganze Last auf den Knien ruhte.«
Jesus im Mittelpunkt
Der so beschriebene Talamo blieb über hundertfünfzig Jahre in Gebrauch, bis zur Erneuerung dieser Tragevorrichtung durch Papst Pius VII. (Luigi Barnaba Chiaramonti, 1800-1823) im Jahre 1816. Von da an saß der Papst in einem kleinen Lehnstuhl vor einem Tisch; aber rückwärts auf dem Talamo, erhöht, fast so, als wären es die Füße des knienden Papstes, hob eine Stütze leicht den Mantel des Papstes.
Seit dem Jahre 1870 gab es dann keine Papstprozessionen zu Fronleichnam mehr; das Ende des Kirchenstaates verhinderte ein öffentliches Auftreten des Papstes in seiner Bischofsstadt. Im Vatikan selber geriet die Benutzung des Talamo jedoch nicht gänzlich außer Gebrauch; am 9. Juni 1904, beim Internationalen Eucharistischen Kongress, bediente sich Papst Pius X. (Giuseppe Sarto, 1903-1914) seiner innerhalb der Petersbasilika.
Am 25. Juli 1929 durften die Bewohner der Ewigen Stadt wieder eine päpstliche Sakramentsprozession erleben, ein Ereignis, auf das sie mehr als ein halbes Jahrhundert hatten verzichten müssen. Das erste große öffentliche Erscheinen des Papstes nach den Lateranverträgen und der Gründung des Vatikanstaates sollte kein Triumphzug für ihn selbst sein, sondern in der Form einer Eucharistischen Prozession über den Petersplatz geschehen. Unser Herr Jesus Christus sollte im Mittelpunkt des geschichtlichen Ereignisses stehen.
Der seit 1655 geübte Brauch, dass der Papst auf dem Talamo das Fest Corpus Domini feiert, machte jedoch oft auch die Teilnahme des Papstes unmöglich, denn bei Gebrechlichkeit oder Krankheit des Pontifex Maximus stellte dessen Verweilen auf dieser Tragevorrichtung eine zu große Zumutung und Gefahr für ihn dar. Schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil war die prachtvolle Fronleichnamsprozession des Papstes außer Gebrauch gekommen. Papst Pius XII. (Eugenio Pacelli, 1939-1958) musste in seinen letzten Jahren aus Gesundheitsgründen auf sie verzichten; Johannes XXIII. (Angelo Giuseppe Roncalli, 1958-1963) nahm sie dann wieder auf.
Unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. (Karol Wojtyla, 1978-2005) wurde es üblich, dass der Papst am Fronleichnamstag die Heilige Messe auf dem Vorplatz der Lateranbasilika feierte und dann zu Fuß, mit dem Sanctissimum in der Hand, die Via Merulana hinauf nach Santa Maria Maggiore zog, wo er den Gläubigen den feierlichen Schlusssegen erteilte. Von Alter und Krankheit geschwächt, verzichtete der Heilige Vater später auf den beschwerlichen Fußweg. Er wurde nun auf einem offenen Wagen, vor dem Allerheiligsten Altarssakrament kniend, von seiner Bischofskirche zu der römischen Marienbasilika gefahren (ein Einsatz des Talamo wäre auf dieser langen Strecke nicht möglich gewesen; das hohe Gewicht der Tragevorrichtung und ihr äußerst schwieriges Manövrieren schlossen dies aus).
Papst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger, 2005-2013) übernahm zum Fronleichnamsfest des Jahres 2005 diesen Usus.