
Liebe Brüder und Schwestern,
heute wird uns die Freude und Gnade zuteil, am liturgischen Gedenktag Marias, der Mutter der Kirche, die Jubiläumsfeier des Heiligen Stuhls zu begehen. Dieses glückliche Zusammentreffen ist eine Quelle des Lichts und der inneren Inspiration im Heiligen Geist, der gestern, am Pfingstfest, in Fülle auf das Volk Gottes herabkam. Und in diesem geistlichen Klima begehen wir heute einen besonderen Tag, zuerst mit der Meditation, die wir gehört haben, und jetzt hier am Tisch des Wortes und der Eucharistie.
Das Wort Gottes in dieser Messe lässt uns das Geheimnis der Kirche – und in ihr des Heiligen Stuhls – im Licht der beiden biblischen Bilder verstehen, die der Heilige Geist in der Apostelgeschichte (1,12-14) und im Johannesevangelium (19,25-34) beschrieben hat.
Beginnen wir mit dem grundlegenden Bild, dem Bericht über Jesu Tod. Johannes, der als einziger der Zwölf auf dem Kalvarienberg zugegen war, sah und bezeugte, dass unter dem Kreuz, zusammen mit den anderen Frauen, die Mutter Jesu stand (V. 25). Und er hörte mit eigenen Ohren die letzten Worte des Herrn, darunter diese: »Frau, siehe, dein Sohn!«, und dann, an ihn gerichtet: »Siehe, deine Mutter!« (V. 26-27).
Mutterschaft Marias
Die Mutterschaft Marias hat durch das Geheimnis des Kreuzes einen unvorstellbaren Sprung gemacht: Die Mutter Jesu wurde zur neuen Eva, weil der Sohn diese Verbindung zwischen ihr und seinem Erlösungstod herstellte, der Quelle neuen und ewigen Lebens für jeden Menschen, der in diese Welt kommt. Das Thema der Fruchtbarkeit ist in dieser Liturgie sehr präsent. Das Tagesgebet hat es sofort hervorgehoben, indem es uns den Vater bitten lässt, dass die Kirche, getragen von der Liebe Christi, »immer fruchtbarer werde im Geist«1.
Die Fruchtbarkeit der Kirche ist dieselbe wie die Fruchtbarkeit Marias, und sie verwirklicht sich im Leben ihrer Glieder in dem Maße, in dem sie »im Kleinen« nachempfinden, was die Mutter gelebt hat, das heißt, sie lieben gemäß der Liebe Jesu. Die gesamte Fruchtbarkeit der Kirche und des Heiligen Stuhls hängt vom Kreuz Christi ab. Andernfalls ist es nur Schein, wenn nicht Schlimmeres. Ein großer zeitgenössischer Theologe schrieb: »Ist sie [die Kirche] der Baum, der aus dem kleinen Senfkorn des Kreuzes hervorwuchs, so ist dieser Baum bestimmt, selber wieder Senfkörner zu tragen, Früchte also, die die Gestalt des Kreuzes wiederholen, weil sie sich ihm verdanken« (H.U. von Bal-thasar, Cordula oder der Ernstfall, S. 38).
Gleichförmigkeit mit Christus
Im Tagesgebet haben wir auch darum gebetet, dass sich die Kirche »an der Heiligkeit ihrer Kinder erfreut«. Tatsächlich ist diese Fruchtbarkeit Marias und der Kirche untrennbar mit ihrer Heiligkeit verbunden, das heißt mit ihrer Gleichförmigkeit mit Christus. Der Heilige Stuhl ist heilig wie die Kirche in ihrem ursprünglichen Kern, in der Faser, aus der sie gewoben ist. So hütet der Apostolische Stuhl die Heiligkeit ihrer Wurzeln, während er selbst von ihnen behütet wird. Aber es ist nicht weniger wahr, dass er auch in der Heiligkeit eines jeden seiner Mitglieder lebt. Der bes-te Weg, dem Heiligen Stuhl zu dienen, besteht also in dem Bemühen, heilig zu sein – jeder von uns gemäß seinem jeweiligen Lebensstand und der ihm anvertrauten Aufgabe.
Ein Priester zum Beispiel, der wegen seines Dienstes persönlich ein schweres Kreuz zu tragen hat und dennoch jeden Tag ins Büro geht und versucht, seine Arbeit nach bes-ten Kräften mit Liebe und Glauben zu tun. Dieser Priester hat Anteil an der Fruchtbarkeit der Kirche und trägt zu ihr bei. Und so ist es auch bei einem Familienvater oder einer Familienmutter, die zu Hause eine schwierige Situation erleben, wie etwa ein Kind, das Sorgen bereitet, oder ein kranker Elternteil: Wenn diese Eltern ihre Arbeit mit Engagement ausüben, dann sind dieser Mann und diese Frau fruchtbar durch die Fruchtbarkeit Marias und der Kirche.
Kommen wir nun zum zweiten Bild, das der heilige Lukas zu Beginn der Apostel-geschichte beschreibt und das die Mutter Jesu zusammen mit den Aposteln und Jüngern im Abendmahlssaal darstellt (1,12-14). Es zeigt uns die Mutterschaft Marias in Bezug auf die entstehende Kirche, jene »archetypische« Mutterschaft, die in jeder Zeit und an jedem Ort von Bedeutung bleibt. Vor allem ist sie immer die Frucht des Ostergeheimnisses, der Gabe des gekreuzigten und auferstandenen Herrn.
Der Heilige Geist, der machtvoll auf die ers-te Gemeinde herabkommt, ist derselbe Geist, den Jesus mit seinem letzten Atemzug übergab (vgl. Joh 19,30). Dieses biblische Bild ist untrennbar mit dem ersten verbunden: Die Fruchtbarkeit der Kirche ist immer an die Gnade gebunden, die zusammen mit dem Blut und dem Wasser, den Symbolen der Sakramente, aus dem durchbohrten Herzen Jesu strömt (vgl. Joh 19,34).
Maria steht im Abendmahlssaal dank der mütterlichen Sendung, die sie am Fuße des Kreuzes erhalten hat, im Dienst der entstehenden Gemeinde: Sie ist die lebendige Erinnerung an Jesus und als solche sozusagen der Anziehungspol, der die Unterschiede harmonisiert und bewirkt, dass das Gebet der Jünger einmütig ist.
Die Apostel werden auch in diesem Text namentlich aufgeführt, und wie immer ist der erste Petrus (vgl. V. 13). Aber auch er, ja gerade er, wird von Maria in seinem Amt unterstützt. In analoger Weise unterstützt die Mutter Kirche den Dienst der Nachfolger Petri mit dem marianischen Charisma. Der Heilige Stuhl lebt in ganz besonderer Weise die Kopräsenz der beiden Prinzipien, des marianischen und des petrinischen Prinzips. Und es ist das marianische Prinzip, das die Fruchtbarkeit und Heiligkeit des petrinischen Prinzips mit seiner Mutterschaft, einem Geschenk Christi und des Heiligen Geistes, gewährleistet.
Meine Lieben, preisen wir Gott für sein Wort, das Licht, das unsere Wege erhellt, auch unser tägliches Leben im Dienst des Heiligen Stuhls. Und von diesem Wort erleuchtet, wiederholen wir unser Gebet: »Vater […], schau hin auf [Christi] große Liebe, lass die Kirche zur Mutter vieler Kinder werden, an deren Heiligkeit sie sich freuen kann, und führe alle Völker in ihre Gemeinschaft« (Tagesgebet). Amen.
Fußnote
1Nach der italienischen Version des Tagesgebetes.