· Vatikanstadt ·

Generalaudienz auf dem Petersplatz am 4. Juni

Dem Leben Sinn geben

 Dem Leben Sinn geben  TED-023
13. Juni 2025

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich möchte über ein weiteres Gleichnis Jesu sprechen. Auch in diesem Fall handelt es sich um einen Bericht, der unsere Hoffnung stärkt. Denn manchmal haben wir den Eindruck, dass es uns nicht gelingt, einen Sinn für unser Leben zu finden: Wir fühlen uns nutzlos, unzulänglich, genau wie Arbeiter, die auf dem Marktplatz warten, dass jemand ihnen Arbeit gibt. Aber manchmal verrinnt die Zeit, das Leben vergeht, und wir fühlen uns nicht anerkannt oder wertgeschätzt. Vielleicht sind wir nicht rechtzeitig gekommen, andere waren vor uns da, oder die Sorgen haben uns anderswo aufgehalten.

Würde und Wertschätzung

Das Bild vom Marktplatz ist auch für unsere Zeiten sehr passend, denn der Markt ist der Ort der Geschäfte, wo leider auch Zuneigung und Würde gekauft und verkauft werden, indem man versucht, daraus Gewinn zu ziehen. Und wenn man sich nicht wert-geschätzt, anerkannt fühlt, läuft man sogar Gefahr, sich an den ersten Anbieter zu verschleudern. Der Herr dagegen erinnert uns daran, dass unser Leben etwas wert ist, und sein Wunsch ist es, uns zu helfen, es zu entdecken.

Auch in dem Gleichnis, das wir heute kommentieren, gibt es Arbeiter, die darauf warten, dass jemand sie als Tagelöhner anwirbt. Wir sind in Kapitel 20 des Evangeliums nach Matthäus, und auch hier begegnen wir einer Person, die ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag legt, das uns erstaunt und vor Fragen stellt. Es ist der Besitzer eines Weinbergs, der persönlich hinausgeht, um seine Arbeiter zu suchen. Offensichtlich will er zu ihnen eine persönliche Beziehung herstellen.

Wie gesagt handelt es sich um ein Gleichnis, das Hoffnung gibt, weil es uns sagt, dass dieser Gutsbesitzer mehrmals hinausgeht, um jene zu suchen, die darauf warten, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Der Gutsbesitzer geht gleich am frühen Morgen hinaus und kehrt dann alle drei Stunden zurück, um Arbeiter zu suchen und sie in seinen Weinberg zu schicken. Diesem Rhythmus folgend gäbe es, nachdem er um drei Uhr nachmittags hinausgegangen ist, keinen Grund mehr, noch einmal hinauszugehen, denn der Arbeitstag endete um sechs.

Dieser unermüdliche Gutsbesitzer, der um jeden Preis dem Leben eines jeden von uns Sinn geben will, geht aber auch um fünf hinaus. Die Arbeiter, die auf dem Marktplatz geblieben waren, hatten wahrscheinlich jede Hoffnung verloren. An jenem Tag waren sie leer ausgegangen. Aber jemand hat noch an sie geglaubt. Welchen Sinn hat es, Arbeiter anzuwerben nur für die letzte Stunde des Arbeitstages? Welchen Sinn hat es, nur für eine Stunde arbeiten zu gehen? Auch wenn uns scheint, dass wir im Leben wenig tun können, lohnt es sich jedoch immer. Es gibt immer die Möglichkeit, einen Sinn zu finden, denn Gott liebt unser Leben.

Und die Eigentümlichkeit dieses Gutsbesitzers sieht man auch am Ende des Tages, im Augenblick der Entlohnung. Mit den ersten Arbeitern, die am frühen Morgen in den Weinberg gehen, hatte der Gutsbesitzer einen Denar vereinbart, den üblichen Tageslohn. Zu den anderen sagt er, dass er ihnen geben wird, was recht ist. Und gerade hier fordert uns das Gleichnis wieder heraus: Was ist recht? Für den Besitzer des Weinbergs, also für Gott, ist es recht, dass jeder das zum Leben Notwendige hat. Er hat die Arbeiter persönlich berufen, er kennt ihre Würde und will sie auf dieser Grundlage bezahlen. Und er gibt allen einen Denar.

Der Bericht sagt, dass die Arbeiter der ers-ten Stunde enttäuscht sind. Sie können die Schönheit der Geste des Gutsbesitzers nicht sehen, der nicht ungerecht, sondern einfach großherzig war, nicht nur auf den Verdienst, sondern auch auf den Bedarf geschaut hat. Gott will allen sein Reich geben, also das Leben in Fülle, ewig und glückselig. Und so macht Jesus es mit uns: Er nimmt keine Abstufungen vor, sondern schenkt dem, der ihm das Herz öffnet, sich selbst ganz hin.

Gottes Großherzigkeit

Im Licht dieses Gleichnisses könnte der Christ von heute versucht sein zu denken: »Warum soll ich sofort anfangen zu arbeiten? Wenn der Lohn der gleiche ist, warum soll ich dann mehr arbeiten?« Auf diese Zweifel antwortete der heilige Augustinus: »Warum also zögerst du, dem nachzufolgen, der dich ruft, wenn du den Lohn sicher kennst, aber über den Tag im Ungewissen bist? Gib acht, dass du wegen deines Hinauszögerns dir selbst nicht das nimmst, was er dir aufgrund seiner Verheißung geben wird.«1

Ich möchte besonders den jungen Menschen sagen, nicht zu warten, sondern dem Herrn, der uns beruft, in seinem Weinberg zu arbeiten, mit Begeisterung zu antworten. Schiebe es nicht auf, kremple deine Ärmel hoch, denn der Herr ist großherzig, und du wirst nicht enttäuscht werden! Wenn du in seinem Weinberg arbeitest, wirst du eine Antwort auf jene tiefe Frage finden, die du in dir trägst: Welchen Sinn hat mein Leben?

Liebe Brüder und Schwestern, verlieren wir nicht den Mut! Auch in den dunklen Augenblicken des Lebens, wenn die Zeit vergeht, ohne uns die Antworten zu geben, die wir suchen, bitten wir den Herrn, dass er wieder hinausgehen und dort zu uns kommen möge, wo wir auf ihn warten. Der Herr ist großherzig und wird bald kommen!

Fußnote

1 Sermo 87,6,8.

(Orig. ital. in O.R. 4.6.2025)