
Liebe Brüder und Schwestern!
Heute ist ein Tag großer Freude für die Kirche und für einen jeden von euch, die Weihekandidaten, gemeinsam mit den Familienangehörigen, Freunden und Weggefährten aus den Jahren der Ausbildung. Wie der Weiheritus an mehreren Stellen hervorhebt, besteht eine grundlegende Beziehung zwischen dem, was wir heute feiern, und dem Volk Gottes. Die Tiefe, der Umfang und sogar die Dauer der göttlichen Freude, die wir jetzt teilen, steht in direktem Verhältnis zu den Bindungen, die zwischen euch und dem Volk bestehen und wachsen werden, dem Volk, aus dem ihr kommt, dessen Teil ihr bleibt und zu dem ihr gesandt seid. Ich möchte diesen Aspekt eingehender betrachten und dabei immer im Auge behalten, dass die Identität des Priesters von der Einheit mit Chris-tus, dem ewigen Hohenpriester, abhängt.
Wir sind Volk Gottes. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dieses Bewusstsein verlebendigt, gleichsam eine Zeit vorwegnehmend, in der das Zugehörigkeitsgefühl schwächer und der Sinn für Gott seltener wird. Ihr seid Zeugen für die Tatsache, dass Gott nicht müde geworden ist, seine Kinder in ihrer Verschiedenheit zu versammeln und aus ihnen eine dynamische Einheit zu bilden. Das ist kein ungestümes Vorgehen, sondern es handelt sich um jenes sanfte, leise Säuseln, das
dem Propheten Elija in der Stunde der Mutlosigkeit neue Hoffnung schenkte (vgl.
1 Kön 19,12). Die Freude Gottes ist nicht laut, aber sie verändert wirklich die Geschichte und bringt uns einander näher. Das Geheimnis der Heimsuchung Marias, das die Kirche am letzten Tag des Maimonats feiert, ist ein Bild dafür. Wir sehen, wie aus der Begegnung zwischen der Jungfrau Maria und ihrer Cousine Elisabet das Magnifikat entsteht, das Lied eines von der Gnade besuchten Volkes.
Die eben vorgetragenen Lesungen helfen uns bei der Deutung dessen, was jetzt auch unter uns geschieht. Vor allem erscheint Jesus im Evangelium nicht als jemand, der von seinem bevorstehenden Tod oder von der Enttäuschung über zerrissene oder unvollendet gebliebene Beziehungen erdrückt wird. Im Gegenteil, der Heilige Geist intensiviert diese bedrohten Beziehungen. Im Gebet werden sie stärker als der Tod. Jesus denkt nicht an sein persönliches Schicksal, sondern legt vielmehr die hier auf der Erde aufgebauten Beziehungen in die Hände des Vaters. Und wir sind ein Teil davon! Denn das Evangelium ist bis zu uns gekommen durch Beziehungen, die die Welt zwar zermürben, aber nicht zerstören kann.
Liebe Weihekandidaten, versteht euch selbst nach der Art und Weise Jesu! Gott zu gehören als Diener Gottes, Volk Gottes, das erdet uns: es verbindet uns nicht mit einer idealen, sondern mit der realen Welt. Wie Jesus sind es Menschen aus Fleisch und Blut, die der Vater auf euren Weg stellt. Ihnen weiht ihr euch, ohne euch von ihnen zu trennen, ohne euch zu isolieren, ohne aus der empfangenen Gabe eine Art Privileg zu machen. Papst Franziskus hat uns so oft davor gewarnt, weil die Selbstbezogenheit das Feuer des missionarischen Geistes auslöscht.
Die Kirche ist von ihrem Wesen her extrovertiert, wie das Leben, das Leiden, der Tod und die Auferstehung Jesu extrovertiert sind. In jeder Eucharistiefeier werdet ihr euch seine Worte zu eigen machen: »für euch und für alle«. Niemand hat je Gott gesehen. Er hat sich uns zugewandt, ist aus sich herausgegangen. Der Sohn ist Exegese, lebendige Erzählung dieser Tatsache geworden. Und er hat uns die Macht gegeben, Kinder Gottes zu werden. Sucht, suchen wir keine andere Macht!
Die Geste der Handauflegung, mit der Jesus die Kinder empfangen und Kranke geheilt hat, erneuere in euch die befreiende Macht seines messianischen Wirkens. In der Apos-telgeschichte bedeutet diese Geste, die wir gleich wiederholen werden, die Weitergabe des Schöpfergeistes. So bringt das Reich Got-tes nun eure persönlichen und mit der Bereitschaft, aus sich selbst herauszugehen, verbundenen Freiheiten in Beziehung zur Gemeinschaft, indem eure Intelligenz und eure jungen Kräfte in die Sendung des Gnadenjahrs des Herrn eingefügt werden, die Jesus seiner Kirche übertragen hat.
In seinem Gruß an die Ältesten der Gemeinde von Ephesus, von dem wir in der ers-ten Lesung einige Ausschnitte gehört haben, gibt Paulus ihnen das Geheimnis jeder Sendung weiter: »Der Heilige Geist hat euch zu Hütern [nach der ital. Übersetzung] bestellt« (Apg 20,28). Nicht Herren, sondern Hüter. Es ist die Sendung Jesu. Er ist der Auferstandene, also ist er lebendig und geht uns voraus. Niemand von uns ist berufen, ihn zu ersetzen. Am Tag der Himmelfahrt erzieht er uns zu seiner unsichtbaren Gegenwart. Er vertraut uns, lässt uns Raum. Und er ging sogar so weit zu sagen: »Es ist gut für euch, dass ich fortgehe« (Joh 16,7). Auch wir Bischöfe, liebe Weihekandidaten, lassen euch Raum, während wir euch heute in diese Sendung einbeziehen. Und ihr gebt den Gläubigen und allen Geschöpfen Raum, denen der Auferstandene nahe ist und in denen er uns gerne besucht und zum Staunen bringt. Das Volk Gottes ist zahlreicher, als wir es sehen. Legen wir keine Grenzen fest.
Ich möchte ein weiteres Wort hervorheben, ein Wort des heiligen Paulus aus seiner bewegenden Abschiedsrede. In Wirklichkeit geht dieses Wort allen anderen voraus. Er kann sagen: »Ihr wisst, wie ich mich die ganze Zeit euch gegenüber verhalten habe [nach der ital. Übersetzung]« (Apg 20,18). Prägen wir uns dieses Wort gut in Herz und Gedächtnis ein! »Ihr wisst, wie ich mich verhalten habe«: die Transparenz des Lebens. Leben, das man kennt, Leben, das man verstehen kann, Leben, das glaubhaft ist! Wir sind im Volk, damit wir vor ihm sein können mit einem glaubwürdigen Zeugnis.
Dann werden wir gemeinsam die Glaubwürdigkeit einer verwundeten Kirche wiederherstellen, die zu einer verwundeten Menschheit in einer verwundeten Schöpfung gesandt ist. Wir sind noch nicht vollkommen, aber es ist notwendig, glaubwürdig zu sein.
Der auferstandene Jesus zeigt uns seine Wunden, und er vergibt uns und sendet uns aus, obwohl diese Wunden Zeichen der Zurückweisung von Seiten der Menschheit sind. Vergessen wir das nicht! Er haucht auch uns heute an (vgl. Joh 20,22) und macht uns zu Dienern der Hoffnung. »Also kennen wir von jetzt an niemanden mehr dem Fleische nach« (2 Kor 5,16), nach rein menschlicher Weise: Was in unseren Augen zerbrochen und verloren wirkt, erscheint uns nun im Zeichen der Versöhnung.
»Denn die Liebe Christ hat von uns Besitz ergriffen«, liebe Brüder und Schwestern! Es ist ein Besitz, der befreit und uns dazu befähigt, niemanden zu besitzen. Befreien, nicht besitzen. Wir gehören Gott: Es gibt keinen größeren Reichtum, der geschätzt und geteilt werden soll. Es ist der einzige Reichtum, der sich vervielfacht, wenn man ihn teilt. Wir wollen ihn gemeinsam in die Welt bringen, die Gott so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn hingab (vgl. Joh 3,16).
So ist das Leben, das diese Brüder, die gleich zu Priestern geweiht werden, hingeschenkt haben, ein ganz und gar sinnerfülltes Leben. Wir danken ihnen und wir danken Gott, der sie zum Dienst an einem ganz pries-terlichen Volk berufen hat. Denn gemeinsam vereinen wir Himmel und Erde. In Maria, Mutter der Kirche, erstrahlt dieses allgemeine Priestertum, das die Niedrigen erhöht, die Generationen verbindet, das uns seliggepriesen sein lässt (vgl. Lk 1,48.52). Sie, die Muttergottes vom Vertrauen und Mutter der Hoffnung, möge für uns Fürsprache halten.
(Orig. ital. in O.R. 31.5.2025)