· Vatikanstadt ·

Generalaudienz auf dem Petersplatz am 21. Mai

Die Dynamik des Wortes Gottes

 Die  Dynamik des Wortes Gottes  TED-021
30. Mai 2025

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, euch zu meiner ersten Generalaudienz zu empfangen. Ich greife heute die Katechesereihe zum Heiligen Jahr wieder auf über das Thema »Christus unsere Hoffnung«, die von Papst Franziskus begonnen wurde.

Wir denken heute weiter über die Gleichnisse Jesu nach, die uns helfen, die Hoffnung wiederzufinden, weil sie uns zeigen, dass Gott in der Geschichte wirkt. Heute möchte ich über ein etwas besonderes Gleichnis sprechen, denn es handelt sich um eine Art Einführung in alle Gleichnisse. Ich meine das Gleichnis vom Sämann (vgl. Mt 13,1-17). In diesem Bericht können wir gewissermaßen die Weise erkennen, in der Jesus kommuniziert, und die uns für die Verkündigung des Evangeliums heute viel lehren kann.

Nicht an der
Oberfläche verweilen

Jedes Gleichnis erzählt eine Geschichte, die dem täglichen Leben entnommen ist und uns dennoch etwas mehr sagen will, uns auf eine tiefere Bedeutung verweist. Das Gleichnis lässt in uns Fragen aufkommen, es lädt uns ein, nicht an der Oberfläche zu verweilen. Angesichts der Geschichte, die erzählt wird oder des Bildes, das mir vermittelt wird, kann ich mich fragen: Wo bin ich in dieser Geschichte? Was sagt dieses Bild meinem Leben? Denn der Begriff »Gleichnis« oder »Parabel« kommt vom griechischen Verb »paraballein«, was »hinwerfen« bedeutet. Das Gleichnis wirft mir ein Wort hin, das mich herausfordert und mich anspornt, mich zu hinterfragen.

Das Gleichnis vom Sämann spricht von der Dynamik des Wortes Gottes und den Auswirkungen, das es hervorbringt. Denn jedes Wort des Evangeliums ist gleichsam ein Samenkorn, das in das Erdreich unseres Lebens geworfen wird. Oft benutzt Jesus das Bild vom Samenkorn, mit verschiedenen Bedeutungen. Im 13. Kapitel des Matthäus-evangeliums führt das Gleichnis vom Sämann eine Reihe weiterer kleiner Gleichnisse ein, von denen einige darüber sprechen, was im Boden geschieht: das Unkraut unter dem Weizen, das Senfkorn, der Schatz, der in einem Acker verborgen ist. Was also ist dieser Boden? Er ist unser Herz, aber er ist auch die Welt, die Gemeinschaft, die Kirche. Denn das Wort Gottes ist fruchtbar und fordert jede Wirklichkeit heraus.

Am Anfang sehen wir Jesus, der das Haus verlässt, und um ihn herum versammelt sich eine große Menschenmenge (vgl. Mt 13,1). Sein Wort zieht an und macht neugierig. Unter den Menschen gibt es natürlich viele verschiedene Situationen. Das Wort Gottes ist für alle, aber es wirkt in jedem auf verschiedene Weise. Dieser Kontext gestattet es uns, den Sinn des Gleichnisses besser zu verstehen.

Ein recht eigentümlicher Sämann geht hinaus, um zu säen, aber er kümmert sich nicht darum, wohin der Samen fällt. Er wirft die Samenkörner auch dorthin, wo es unwahrscheinlich ist, dass sie Frucht tragen werden: auf den Weg, auf den felsigen Boden, mitten unter die Dornen. Diese Haltung erstaunt die Zuhörer und lässt sie sich fragen: Wieso?

Wir sind es gewohnt, die Dinge zu kalkulieren – und manchmal ist das notwendig –, aber das gilt nicht in der Liebe! Die Weise, in der dieser »verschwenderische« Sämann den Samen aussät, ist ein Bild dafür, wie Gott uns liebt. Denn es ist wahr, dass das Schicksal des Samens auch davon abhängt, wie der Boden ihn aufnimmt, und von der Situation, in der er sich befindet, vor allem aber sagt dieses Gleichnis Jesu uns, dass Gott den Samen seines Wortes auf jede Art von Boden wirft, also in alle Situationen, in denen wir uns befinden: Manchmal sind wir oberflächlicher und zerstreuter, manchmal lassen wir uns von der Begeisterung mitreißen, manchmal sind wir bedrückt von den Sorgen des Lebens, aber es gibt auch Augenblicke, in denen wir annahmebereit sind.

Zum besten
Boden werden

Gott ist vertrauensvoll und hofft, dass das Samenkorn früher oder später gedeihen wird. Er liebt uns so: Er erwartet nicht, dass wir zum besten Boden werden, er schenkt uns immer großherzig sein Wort. Vielleicht wird gerade, wenn wir sehen, dass er uns vertraut, bei uns der Wunsch entstehen, ein besserer Boden zu sein. Das ist die Hoffnung, gegründet auf dem Fels der Großherzigkeit und der Barmherzigkeit Gottes.

Indem er erzählt, wie das Samenkorn Frucht bringt, spricht Jesus auch über sein Leben. Jesus ist das Wort, er ist das Samenkorn. Und um Frucht zu bringen, muss das Samenkorn sterben. Dieses Gleichnis sagt uns also, dass Gott bereit ist, für uns »verschwenderisch« zu sein, und dass Jesus bereit ist zu sterben, um unser Leben zu verwandeln.

Ich habe jenes wunderschöne Gemälde von Van Gogh vor Augen: »Sämann bei untergehender Sonne«. Jenes Bild vom Sämann unter der glühenden Sonne erzählt mir auch von der Mühe des Bauern. Und es beeindruckt mich, dass Van Gogh hinter dem Rücken des Sämanns das bereits reife Korn dargestellt hat. Es kommt mir wirklich wie ein Bild der Hoffnung vor: Auf die eine oder andere Weise hat der Same Frucht getragen. Wir wissen nicht gut wie, aber es ist so. Im Mittelpunkt der Szene steht jedoch nicht der Sämann, der an der Seite steht, sondern das ganze Gemälde wird vom Bild der Sonne beherrscht, vielleicht um uns daran zu erinnern, dass Gott es ist, der die Geschichte bewegt, auch wenn er uns manchmal abwesend oder fern erscheint. Es ist die Sonne, die die Schollen des Erdreichs erwärmt und den Samen heranreifen lässt.

Liebe Brüder und Schwestern, in welcher Lebenssituation erreicht uns Gottes Wort heute? Bitten wir den Herrn um die Gnade, dieses Samenkorn, das sein Wort ist, immer anzunehmen. Und wenn wir bemerken sollten, dass wir kein fruchtbarer Boden sind, dann verlieren wir nicht den Mut, sondern bitten ihn, uns weiter zu bearbeiten, um uns zu einem besseren Boden werden zu lassen.

(Orig. ital. in O.R. 21.5.2025)