· Vatikanstadt ·

Audienz für die Teilnehmer an der Heilig-Jahr-Feier der Orientalischen Kirchen

Ein Erbe von unschätzbarem Wert

 Ein Erbe von unschätzbarem Wert  TED-020
23. Mai 2025

Im Namen des Vaters, des Sohnes und

des Heiligen Geistes, Friede sei mit euch!

Eure Seligkeiten, Eminenz, Exzellenzen,

liebe Priester, Ordensleute und

Gottgeweihte, Brüder und Schwestern!

Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaft auferstanden! Ich grüße euch mit diesen Worten, mit denen in vielen Regionen der Welt die Christen des Ostens in der Osterzeit unermüdlich das Herzstück unseres Glaubens und unserer Hoffnung bekennen. Es ist schön, euch im Heiligen Jahr der Hoffnung hier zu treffen: einer Hoffnung, deren unzerstörbares Fundament die Auferstehung Jesu ist. Willkommen in Rom! Ich freue mich, euch zu begegnen und eine der ersten Audienzen meines Pontifikats den Gläubigen der Orientalischen Kirchen widmen zu können.

Ihr seid kostbar. Wenn ich euch ansehe, denke ich an die Vielfalt eurer Herkunft, an eure ruhmreiche Geschichte und die bitteren Leiden, die viele eurer Gemeinschaften erdulden mussten oder immer noch erdulden. Und ich möchte an ein Wort von Papst Franziskus erinnern, der in Bezug auf die Orientalischen Kirchen gesagt hat: »Es sind Kirchen, die geliebt werden müssen: Sie bewahren einzigartige geistliche und weisheitliche Traditionen und haben uns so viel zu sagen über das christliche Leben, über Synodalität, über Liturgie. Denken wir an die antiken Kirchenväter, an die Konzilien, an das Mönchtum: das sind unermessliche Schätze für die Kirche« (Ansprache an die Versammlung der Union der Hilfswerke für die Orientalischen Kirchen [ROACO], 27. Juni 2024).

Ich möchte auch Papst Leo XIII. zitieren, den ersten Papst, der der Würde eurer Kirchen ein eigenes Dokument gewidmet hat, inspiriert vor allem durch die Tatsache, dass »das Werk der Erlösung der Menschheit im Osten begonnen hat« (vgl. Apostolisches Schreiben Orientalium dignitas, 30. November 1894). Ja, euch fällt »als ursprünglichem Rahmen für die entstehende Kirche eine einzigartige und privilegierte Rolle« zu (Hl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Orientale lumen, 5). Es ist bezeichnend, dass einige eurer Liturgien – die ihr in diesen Tagen in Rom euren verschiedenen Traditionen entsprechend feiert – nach wie vor die Sprache Jesu, des Herrn, verwenden. Und so hat Papst Leo XIII. eindringlich dazu aufgerufen, dass »die legitime Vielfalt der östlichen Liturgie und Disziplin […] zu großer Zierde und Nutzen der Kirche […] überreich vorhanden sein möge« (Orientalium dignitas). Seine damalige Sorge ist nach wie vor aktuell, denn auch in unserer Zeit sind viele unserer Brüder und Schwestern aus den katholischen Ostkirchen, darunter auch einige von euch, gezwungen, aufgrund von Krieg und Verfolgung, Instabilität und Armut ihre Heimat zu verlassen. Und wenn sie im Westen ankommen besteht das Risiko, dass sie nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihre religiöse Identität verlieren. Und so geht im Lauf der Generationen auch das unschätzbare Erbe der Ostkirchen verloren.

Vor über einem Jahrhundert hat Leo XIII. darauf hingewiesen, dass »die Bewahrung der östlichen Riten wichtiger ist, als allgemein angenommen wird«. Und um dies zu unterstützen, bestimmte er sogar, dass »jeder Missionar des lateinischen Ritus, ob er nun zum Welt- oder Ordensklerus gehört, der durch seinen Rat oder seine Unterstützung einen Katholiken des östlichen Ritus zum lateinischen Ritus hinzieht […] seines Amtes enthoben und davon ausgeschlossen« werden soll (ebd.). Wir bekräftigen seinen Aufruf zur Bewahrung und Förderung des christlichen Ostens, vor allem in der Diaspora. Dort muss, neben der Errichtung von ostkirchlichen Jurisdiktionsgebieten, wo immer dies möglich und opportun ist, auch das Bewusstsein der lateinischen Christen geschärft werden. In diesem Sinne bitte ich das Dikas-terium für die Orientalischen Kirchen – dem ich für seine Arbeit danke –, mir dabei zu helfen, Grundsätze, Normen und Leitlinien festzulegen, anhand derer lateinische Bischöfe die Katholiken ostkirchlicher Tradition in der Diaspora konkret in ihren Bemühungen unterstützen können, ihre lebendigen Traditionen zu bewahren und das Umfeld, in dem sie leben, auf diese Weise durch ihr besonderes Zeugnis zu bereichern.

Die Kirche braucht euch. Der Beitrag, den uns der christliche Osten heute schenken kann, ist immens! Wie dringend notwendig ist es doch, dass wir den Sinn für das Mysterium wiedergewinnen, der in euren Liturgien so lebendig ist: Liturgien, die den Menschen in seiner Ganzheit einbeziehen, die die Schönheit des Heils besingen und Staunen über die Größe Gottes wecken, der menschliche Kleinheit annimmt!

Ebenso wichtig ist es, insbesondere im christlichen Westen, das Bewusstsein für den Primat Gottes und die Bedeutung der Mystagogik, der unaufhörlichen Fürbitte, der Buße, des Fastens und der Klage über die eigenen Sünden und die der ganzen Menschheit (penthos) wiederzuentdecken, die für die östliche Spiritualität so charakteristisch sind. Es ist daher von großer Bedeutung, dass ihr eure Traditionen bewahrt, ohne sie aus Gründen der Praktikabilität oder Bequemlichkeit zu verwässern, damit sie nicht durch die Mentalität des Konsumismus und Utilitarismus verfälscht werden.

Eure spirituellen Traditionen, so alt und doch stets neu, sind eine heilsame Medizin. In ihnen verbindet sich das Drama des menschlichen Elends mit dem Staunen über die Barmherzigkeit Gottes, so dass unsere Sündhaftigkeit nicht zur Verzweiflung führt, sondern uns einlädt, die Gnade anzunehmen, geheilte, vergöttlichte und zu himmlischen Höhen erhobene Geschöpfe zu sein. Dafür wollen wir dem Herrn unseren nie endenden Lobpreis und Dank darbringen. Gemeinsam mit euch können wir das Gebet des heiligen Ephräm des Syrers sprechen und zu Jesus sagen: »Ehre sei dir, der du aus deinem Kreuz eine Brücke über den Tod gemacht hast. […] Gepriesen seist du, der du dich mit dem Leib des sterblichen Menschen bekleidet und ihn in eine Quelle des Lebens für alle Sterblichen verwandelt hast« (Homilie über den Herrn, 9). Wir müssen also um die Gnade bitten, in jeder Prüfung des Lebens die Gewissheit von Ostern sehen zu können und nicht den Mut zu verlieren, sondern uns an das zu erinnern, was ein anderer großer Kirchenvater des Ostens geschrieben hat: »Die größte Sünde besteht darin, nicht an die Kräfte der Auferstehung zu glauben« (Hl. Isaak von Ninive, Sermones ascetici, I, 5).

Wer könnte besser als ihr ein Lied der Hoffnung singen, sogar inmitten des Abgrunds der Gewalt? Wer besser als ihr, die ihr das Grauen des Krieges am eigenen Leib erfahren habt, so sehr, dass Papst Franziskus eure Kirchen »Märtyrerkirchen« genannt hat (Ansprache an ROACO, ebd.)? Es ist wahr: Vom Heiligen Land bis zur Ukraine, vom Libanon bis nach Syrien, vom Nahen Osten bis nach Tigray und in den Kaukasus, wie viel Gewalt! Aus all diesem Schrecken, dem Massaker so vieler junger Menschenleben – das Empörung hervorrufen sollte, weil hier im Namen militärischer Eroberung Menschenleben geopfert werden –, erhebt sich ein Ruf: nicht so sehr der Ruf des Papstes, sondern der Ruf Christi selbst, der wiederholt: »Friede sei mit euch!« (Joh 20,19.21.26). Und weiter: »Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch« (Joh 14,27). Der Friede Christi ist nicht die Grabesstille, die nach einem Krieg herrscht; er ist nicht das Ergebnis von Unterdrückung, sondern er ist ein Geschenk, das die Menschen in den Blick nimmt und neues Leben bringt. Beten wir um diesen Frieden, der Versöhnung ist, Vergebung und Mut, ein neues Kapitel aufzuschlagen und neu anzufangen.

Ich für meinen Teil werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit sich dieser Frieden ausbreitet. Der Heilige Stuhl ist stets bereit, dazu beizutragen, dass sich Feinde begegnen und einander in die Augen sehen können, damit die Völker wieder Hoffnung schöpfen können und ihre Würde zurückerlangen: die Würde, die ihnen zusteht, die Würde des Friedens. Die Völker sehnen sich nach Frieden, und an die Verantwortlichen der Völker richte ich meinen inständigen Appell: Lasst uns zusammenkommen, lasst uns miteinander sprechen, lasst uns verhandeln! Krieg ist niemals unvermeidlich. Die Waffen können und müssen zum Schweigen gebracht werden, denn sie lösen keine Probleme, sondern verschärfen sie nur. Geschichte schreiben die Friedensstifter, nicht die, die Leid säen. Die Anderen sind nicht zuerst unsere Feinde, sondern unsere Mitmenschen; sie sind keine Verbrecher, die man hassen muss, sondern Männer und Frauen, mit denen wir sprechen können. Erteilen wir den manichäischen Vorstellungen eine Absage, die so typisch sind für diese Narrative der Gewalt, die die Welt in Gute und Böse teilen!

Die Kirche wird nie müde werden, zu wiederholen: »Lasst die Waffen schweigen!« Und ich möchte Gott für all jene danken, die in der Stille, im Gebet und im Opfer Netze des Friedens knüpfen. Ich danke Gott für jene – orientalischen und lateinischen – Chris-ten, die vor allem im Nahen Osten ausharren, in ihrer Heimat bleiben und der Versuchung widerstehen, sie zu verlassen. Den Christen muss die Möglichkeit gegeben werden, mit allen Rechten, die ihnen ein sicheres Leben garantieren, in ihrer Heimat zu bleiben, und das nicht nur mit Worten. Ich bitte euch: setzen wir uns dafür ein!

Und danke, danke, liebe Brüder und Schwestern des Orients, aus dem Jesus, die Sonne der Gerechtigkeit, hervorgegangen ist, dass ihr »Lichter der Welt« seid (vgl. Mt 5,14). Erstrahlt weiterhin durch euren Glauben, eure Hoffnung und Liebe, und durch nichts anderes. Mögen eure Kirchen vorbildlich sein und mögen eure Hirten aufrichtig die Gemeinschaft fördern, vor allem in den Bischofssynoden, damit sie Orte der Brüderlichkeit und authentischer Mitverantwortung sein können. Sorgt für Transparenz in der Verwaltung der Güter, gebt Zeugnis von der demütigen und vollständigen Hingabe an das heilige Volk Gottes, ohne an Ehren, weltlicher Macht oder Selbstdarstellung zu hängen. Der heilige Symeon der Neue Theologe hat diesbezüglich folgendes treffendes Bild verwendet: »Wie man Staub auf die Flamme eines brennenden Ofens wirft, um sie zu löschen, so zerstören die Sorgen dieses Lebens und jede Art von Anhänglichkeit an unbedeutende Dinge, die keinen Wert haben, die Wärme des Herzens, die am Anfang entfacht wurde« (Praktische und theologische Kapitel, 63). Der Glanz des christlichen Ostens verlangt heute mehr denn je das Freisein von allen weltlichen Abhängigkeiten und von allen Tendenzen, die der Gemeinschaft zuwiderlaufen, um im Gehorsam und Zeugnis dem Evangelium treu zu sein.

Ich danke euch und segne euch von Herzen. Ich bitte euch, für die Kirche zu beten und euer machtvolles Fürbittgebet für meinen Dienst zu erheben. Danke!

(Orig. ital. in O.R. 14.5.2025)