Leitartikel des Chefredakteurs der Vatikanmedien

Die Sehnsucht nach Gott neu entfachen

 Die Sehnsucht nach Gott neu entfachen  TED-019
16. Mai 2025

Von Andrea Tornielli

Es gibt Worte, die dazu bestimmt sind, den Kurs anzugeben. In der ers-ten Predigt Leos XIV. fällt zunächst das Incipit mit dem wiederholten Glaubensbekenntnis des Petrus auf, jene Worte, die auch Johannes Paul I. am Ende seiner Predigt in der heiligen Messe zum Amtsantritt wiederholt hat: »Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Got-tes.« Aber die Predigt enthält in den ab-schließenden Sätzen auch einen Blick auf die Kirche und die Art und Weise, wie jeder Dienst in der Kirche ausgeübt wird. Es handelt sich um ein Zitat des heiligen Ignatius von Antiochien, der auf dem Weg zum Martyrium ist: »Dann werde ich wirklich ein Jünger Jesu Christi sein, wenn die Welt meinen Leib nicht mehr sieht.« Der große Kirchenvater bezog sich darauf, dass er von wilden Tieren verschlungen werden sollte, und doch sind diese Worte für jeden Moment und jede Situation des christlichen Lebens aufschluss-reich. »Seine Worte«, so der neue Bischof von Rom, »verweisen in einem allgemeineren Sinn auf eine unverzichtbare Anforderung für alle, die in der Kirche ein Leitungsamt ausüben: zu verschwinden, damit Christus bleibt, sich klein zu machen, damit er erkannt und verherrlicht wird, sich ganz und gar dafür einzusetzen, dass niemandem die Möglichkeit fehlt, ihn zu erkennen und zu lieben«. Verschwinden, sich klein machen, damit er erkannt wird. Jeglichen Protagonismus ebenso aufgeben wie alles weltliche Vertrauen auf Macht, Strukturen, Geld, religiöse Marketingprojekte, um sich demjenigen zu überlassen, der die Kirche führt, und ohne den wir – wie er selbst gesagt hat – nichts tun können. Uns dem Wirken seiner Gnade zu überlassen, die uns immer vorausgeht.

Auch in dieser Sichtweise des neuen Paps-tes zeigt sich eine deutliche Kontinuität zu seinem Vorgänger Franziskus, der wiederholt auf das »mysterium lunae« hingewiesen hat, das »Geheimnis des Mondes«, ein von den Kirchenvätern verwendetes Bild für die Kirche, die nur das Licht eines Anderen reflektieren kann. Und die sich täuscht, wenn sie glaubt, mit ihrem eigenen Licht leuchten zu können.

Der neue Papst – ein in den Vereinigten Staaten geborener Missionar, der in der Peripherie der Welt als Hirte gelebt und den »Geruch der Schafe« angenommen hat – scheint zu Beginn seines Weges die Worte Johannes des Täufers über Jesus anklingen zu lassen: Er muss wachsen, ich aber geringer werden. Alles in der Kirche ist für die Mission da, das heißt, damit Er wächst. Jeder in der Kirche – vom Papst bis zum letzten Getauften – muss sich klein machen, damit Jesus bekannt wird, damit er der Protagonist ist. Darin liegt die augustinische Unruhe der Suche nach der Wahrheit, der Suche nach Gott, die zur Unruhe wird, ihn immer besser kennenzulernen und aus sich herauszugehen, um ihn den anderen bekannt zu machen, damit die Sehnsucht nach Gott in allen neu entfacht wird.

Die Wahl des Namens Leo ist bemerkenswert, da er direkt an die große und hochaktuelle Tradition der Soziallehre der Kirche, an den Schutz der Arbeitnehmer und die Forderung nach einem gerechteren Wirtschafts- und Finanzsystem anknüpft. Die Einfachheit seines ersten Grußes ist bezeichnend, der Hinweis auf den österlichen Frieden, jenen Frieden, der dringend notwendig ist, und die Offenheit für alle, die an das »todos, todos, todos« von Franziskus erinnert. Bemerkenswert ist die Bereitschaft, den Weg der Synode weiterzugehen. Bemerkenswert ist auch das Ave Maria, das er am Tag des Bittgebetes an die Muttergottes von Pompei gemeinsam mit dem Volk Gottes gesprochen hat, sowie die abschließende Anrufung seiner ersten Predigt, in der er eine Gnade erbittet »mit der Hilfe der liebevollen Fürsprache Marias, der Mutter der Kirche«.

Einmal mehr wurde bestätigt: Im Augenblick des »Extra omnes« geschah in der Sixtinischen Kapelle etwas, das sich mit menschlicher Logik und menschlichen Schemata nicht vollständig erklären lässt. Die Tatsache, dass 133 Kardinäle aus allen Teilen der Welt, viele von ihnen ohne sich jemals zuvor gesehen zu haben, zusammenkamen, um innerhalb von 24 Stunden den Bischof von Rom und Hirten der Weltkirche zu wählen, ist ein sehr schönes Zeichen der Einheit. Der Staffelstab des Nachfolgers Petri, der noch vor wenigen Tagen in der Schwachheit von Franziskus und in seinem letzten Ostersegen an das Volk erstrahlte, ist nun an einen sanftmütigen Missionsbischof und Sohn des heiligen Augustinus übergegangen. Die Kirche ist lebendig, weil Jesus lebt und gegenwärtig ist, der sie führt, indem er sehr schwache Jünger in Dienst nimmt, die bereit sind, zu verschwinden, damit er – und nur er – bleiben kann.

(Orig. ital. in O.R. 9.5.2025)