· Vatikanstadt ·

Bisher unveröffentlichtes Interview des Fernsehsenders ESNE mit Papst Franziskus

Petrus ist nicht Chef, sondern Hirte

 Petrus ist nicht  Chef, sondern  Hirte  TED-018
09. Mai 2025

Im Jahr 2021 führte Noel Díaz im Gästehaus Santa Marta ein Interview mit Papst Franziskus. Díaz ist der Gründer der Laienvereinigung »El Sembrador – Nueva Evangelización« (ESNE), die einen gleichnamigen Sender betreibt, der das Wort Gottes über Fernsehen und Radio verbreitet. Im auf Spanisch geführten Gespräch, das im Hinblick auf einen Dokumentarfilm aufgezeichnet wurde, denkt Franziskus über die in den Evangelien überlieferten Dialoge zwischen Jesus und Petrus nach.

Noel Díaz: Sie sind heute der Nachfolger dieses Mannes namens Simon. Woran denken sie bei diesem Abschnitt aus der Heiligen Schrift (Lk 5,1-8)?

Papst Franziskus: An so vieles! Dass Jesus den Simon mitten aus dem Volk ruft, ihn nicht vom Volk trennt. Da sind viele Menschen, und Jesus predigt, und die Menschen kommen, um Jesus zu hören, weil sie nach dem Wort Gottes dürsten. Und Jesus spricht mit Vollmacht.

Erstens: Jesus beruft seine Priester immer aus dem Volk, mitten im Volk. Hätte Petrus seine Herkunft vergessen, hätte er den Plan Jesu verraten, hätte er eine Elite begründet. Nein! Der Hirte muss bei den Schafen bleiben. Dafür ist er der Hirte.

Zweitens: die Zeichen, die Jesus vollbringt, nicht nur die Vollmacht seines Wortes. Damit sie Vertrauen in ihn haben, vollbringt er jenes wunderschöne Wunder, und niemand hatte dies erwartet. Wo Jesus ist, da spürt man seine Macht. Und Petrus, wenn er zweifelt, wenn er keine Kraft hat, dann wird er sich daran erinnern, an das Wunder, daran, dass der Herr die Dinge verändern kann.

Was tut Petrus, als er sieht, dass Jesus dies tut? Er kniet vor ihm nieder, er spürt, dass er nichts ist, demütig, er erkennt seine Grenzen, dass er ein Sünder ist. »Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein Sünder.« Und das ist es, wo Jesus ihn haben will. Der Weg des Petrus besteht darin, beim Volk zu sein, um auf den Herrn zu hören. Dem Befehl des Herrn folgend zum Fischen hinauszufahren und dieses Wunder zu vollbringen.

Drittens, seine Kleinheit anerkennen, seine Nichtigkeit, und zum Herrn sagen: »Geh weg, denn ich bin ein Sünder.« »Weil du das bist, Sünder, weil du mir gefolgt bist, werde ich dich zum Menschenfischer machen.« Das ist der vierte Schritt.

Wenn Jesus ihn salbt, zum Bischof, zum Priester, dann salbt er ihn, weil er Hirte ist. Er salbt ihn nicht, um ihn zu befördern, damit er der Chef eines Büros wird. Er salbt ihn nicht, damit er das Land in politischer Hinsicht organisiert. Nein. Er salbt ihn, damit er Hirte ist… und [Petrus] lässt alles zurück.

Noel Díaz: Und wie fühlen Sie sich, wenn Sie den Platz des Petrus einnehmen?

Papst Franziskus: Ich fühle, dass der Herr begleitet, dass er es ist, der wählt, dass er es ist, der diese Geschichte begonnen hat. Er hat es mit mir begonnen, er hat mich gesandt, er hat mich begleitet. Und trotz meiner Treulosigkeiten, denn ich bin ein Sünder wie Petrus, hat er mich nicht verlassen. Da spüre ich, dass er für mich sorgt.

Noel Díaz spricht die Stelle im Evangelium (Mt 16,18) an, wo Jesus die Apostel fragt, für wen die Menschen ihn halten, und Petrus dann öffentlich bekennt, dass Jesus der Messias ist.

Papst Franziskus: Dort beginnt Jesus mit einer Umfrage, er will zuhören. Er fragt: »Was sagen die Menschen über mich?« »Sie sagen, dass du ein Prophet bist, dass du der auferstandene Johannes der Täufer bist.« Nachdem Jesus gefragt hat, was die Menschen sagen, fragt er sie: »Und ihr?« Das heißt, er fordert sie heraus. Jesus richtet sich an uns und stellt uns die Frage: »Was sagst du von dir selbst? Was sagst du über mich?« Das ist der Dialog mit Jesus. Er ruft uns beim Namen.

Und Petrus war bereits als Oberhaupt in Erscheinung getreten, weil Jesus am ersten Tag, als er ihn kennenlernte, zu ihm gesprochen und seinen Namen geändert hatte: »Du bist Simon, aber du wirst Petrus heißen.« Er hatte ihn zum stützenden Felsen für die Gruppe gemacht. Und Petrus legt dieses Glaubensbekenntnis für ihn ab, er setzt sich selbst ganz aufs Spiel. Stellen wir uns die Szene vor, zu einem Menschen zu sagen: »Du bist weder Hinz noch Kunz. Du bist Gott, der Sohn Gottes.« Wenn Sie das heute zu jemandem sagen, dann bringt man Sie in die psychiatrische Anstalt. Man wird sagen, dass Sie den Verstand verloren haben. Er hat sich selbst aufs Spiel gesetzt, und Jesus erklärt, warum er den Mut hatte, sich aufs Spiel zu setzen: »Weil keine Wissenschaft dir das offenbart hat, was du gesagt hast, sondern der Vater durch seinen Geist.« Und als er Petrus sieht, der sich so aufs Spiel setzt, bestätigt er ihn in seinem Namen: »Du Simon, Sohn des Johannes, du bist der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.« Auf die Schwachheit eines Mannes, der in dem Maße, in dem er sich auf das Wort Jesu stützt, die Festigkeit eines Felsens hat. Wenn er sich vom Wort Jesu entfernt, dann ist er wie jeder andere Mensch, dann hat er nicht die Festigkeit eines Felsens. Daher wählt er ihn, damit er felsenfest ist.

Petrus wundert sich über das, was Jesus ihm sagt: »Das hat dir mein Vater offenbart.« Und dann sagt Jesus: »Nun gut, ihr sollt wissen, dass ich jetzt nach Jerusalem gehen werde, und dort erwarten mich schlimme Dinge. Sie werden mich verurteilen, mich töten, mich kreuzigen, aber ich werde auferstehen.« Da nimmt ihn Petrus, der sich schon ein wenig als der Anführer der Gruppe fühlt, zur Seite. Im Evangelium steht dann: »Herr, bitte, nur das nicht.« Und Jesus, der Petrus gegenüber sein Lob ausgesprochen hatte, der ihm gesagt hatte: »Du bist der Empfänger der Offenbarung meines Vaters«, weist ihn jetzt zurecht. Er sagt: »Weiche von mir, Satan!« Die schlimmste Beleidigung. Warum? Weil er ihn von seinem Kreuzweg abbringen will. Und das ist die große Korrektur des ersten Papstes, Petrus.

Auch zu uns Päpsten sagt Jesus, wenn wir uns zuweilen von seinem Heilsplan entfernen: »Das ist nicht mein Weg, das ist der Weg Satans.« Warum? Weil wir Sünder sind und uns entfernen können. Die Geschichte zeigt uns einige Päpste, die einen anderen Weg vorgezogen haben, auch wenn sie niemals, niemals im Glauben geirrt haben. Das ist wahr, niemals, auch wenn sie ein verweltlichtes Leben geführt haben. Und als [Petrus] im Glauben irrt, sagt er: »Nein, das ist vom Satan. Mein Weg ist das Kreuz.« Das heißt, mein Vertrauen liegt im Wort Jesu, der mir Festigkeit gibt, wenn er mich erwählt, und der mir eine Ohrfeige gibt, wenn ich falsch liege.

Noel Díaz: Es ist manchmal sehr schwierig, sich den Herausforderungen und Angriffen der säkularen Welt zu stellen, aber ich bin sicher, dass es noch schmerzhafter ist, Angriffe, die von innen kommen, zu bewältigen. Und das bedeutet: »Du bist Petrus«. Sie sind jetzt der Nachfolger Petri und auch wenn es all diese Angriffe geben sollte, werden die Mächte sie nicht überwältigen, sagt das Wort Gottes.

Papst Franziskus: Von welchen Mächten sagt er, dass sie nicht stärker sein werden? Was sagt Jesus?

Noel Díaz: Die Mächte des Bösen.

Papst Franziskus: Des Bösen, der Hölle! Das heißt, wenn man die Hoffnung weder auf die Offenbarung des Vaters noch auf die Erwählung durch Jesus setzt, sondern auf andere Mittel, auf das Geld zum Beispiel. »Uns geht es gut, weil wir Geld haben.« Stellen wir uns einen Priester, einen Bischof vor, der sagt: »Unserer Kirche geht es gut, wir haben Laien, die uns Geld geben, und es geht weiter.« Darauf darf man seine Hoffnung nicht setzen, denn sonst wirst du zusammenbrechen. Es sind die Mächte der Hölle, es ist nicht die Macht der Offenbarung des Vaters.

Sie haben Jesus verspottet, sie haben ihn gekreuzigt, und wenn sie dies mit ihm getan haben, wer bin ich dann, dass sie das nicht auch mir antun? Wenn sie den Meister so behandelt haben, dann verlangt jeder Jünger, jeder von euch – es ist nicht notwendig, dass er Papst ist – nichts anderes. Die vielen Märtyrer in der Kirche lehren uns dies.

Noel Díaz fragt den Papst nach seiner Reaktion auf den Abschnitt aus dem 21. Kapitel des Johannesevangeliums, wo Jesus Petrus fragt, ob er ihn liebt, um ihn dann in seiner Sendung zu bestätigen, aber auch, um ihm zu sagen, dass der Weg nicht leicht sein wird.

Papst Franziskus: Eine Bestätigung und eine Verheißung. Als Petrus es bekannte, hatte Jesus ihm verheißen, dass die Pforten der Unterwelt [die Kirche] nicht überwältigen würden, dass sie feststehen würde, solange sie auf dem Felsen bleibt. Hier bestätigt er ihn dreimal. Aber Petrus wird traurig, weil er sich an die drei Male erinnert, wo er ihn verleugnet hat, und so wird er traurig, und am Ende bestätigt der Herr ihn zum dritten Mal. Sagt er ihm vielleicht: »Von jetzt an wird dir nichts Böses mehr passieren, jetzt wirst du die volle Macht haben, jetzt wirst du alles Geld haben, jetzt werden dir die Leute folgen?« Sagt er vielleicht das zu ihm? Nein! Er sagt zu ihm: »Geh voran, denn wenn du alt bist, wirst du hingehen, wo du nicht hingehen willst. Sie werden dich hinbringen, wo du nicht hinwillst. Man wird dich entkleiden und du wirst so enden wie ich, gekreuzigt.« Der Herr verheißt Petrus seinen Weg, den Weg des Kreuzes, den Weg der vollkommenen Hingabe, den Weg, sein Vertrauen auf ihn allein zu setzen.

Das ist interessant: Als Petrus bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist – die Kraft des Heiligen Geistes lässt ihn dies bekennen –, verliert er anschließend die Orientierung. Und als Jesus vom Kreuz spricht, versucht er, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Petrus verfällt einem weltlichen Denken, und hier geschieht dasselbe. Jesus sagt ihm dies, er nimmt es an, [Petrus] wendet sich dann Johannes zu und fragt: »Herr, dieser da, was wird denn mit ihm sein?« Das ist Petrus, das Klatschmaul, Petrus, der in diesem Augenblick vergisst, was der Herr ihm gesagt hat, um über jemand anderen zu tratschen.

So sind wir, aber der Herr kümmert sich um uns mit seiner Macht. Auch wenn man sich dem Martyrium stellen muss, begleitet er uns mit seiner Hand. Und in Bezug auf das Martyrium möchte ich abschließend etwas über die Märtyrer von heute sagen. Heute gibt es mehr Märtyrer als zu Beginn der Kirche. Christliche Märtyrer, Märtyrer, die allein aufgrund der Tatsache, dass sie Christen sind, enthauptet werden, und die Jesus bekennen. Märtyrer, die im Gefängnis sind, weil sie Jesus bekannt haben. Sie sind unsere Brüder! Es ist die Kirche der Märtyrer. Und das ist die Kirche, die triumphiert, nicht die Kirche mit dem Geld auf der Bank. Sie triumphiert, die Kirche der Märtyrer, des Zeugnisses. Denn Martyrium bedeutet Zeugnis. Ich habe die erwähnt, die ihr Leben hingeben, aber auch ein Mann, eine Frau, die Tag für Tag arbeiten, um ihre Kinder im christlichen Leben zu erziehen und ihnen ein Zeugnis zu geben, sind Märtyrer. »Nein, Pater, wie kann er ein Märtyrer sein, wenn man ihn nicht getötet hat?« Doch, Märtyrer bedeutet Zeuge. Martyrium ist Zeugnis, das ist die Übersetzung des griechischen Wortes. Jeder Zeuge Jesu ist Märtyrer, das heißt er gibt Zeugnis. Und auch er bringt die Kirche voran. Gott segne euch alle, und bitte betet für mich.

Noel Díaz bittet um einen Segen für alle.

Papst Franziskus: Und euch allen, die ihr dieses Gespräch anseht oder anhört, wünsche ich, dass der Herr euer Herz öffnen und sein Wort dort eintreten lassen möge. Dafür segne ich euch von Herzen. Ich segne euch. Ich gebe euch meinen Segen als Vater, als älterer Bruder, als Diener von euch allen. Es segne euch Gott, der Allmächtige, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Und bitte betet für mich. Danke.

Noel Díaz bittet um einen zweiten Segen für alle Migranten: »Ich habe ihnen gesagt, dass ich ihren Segen erbitten würde.«

Papst Franziskus: Ich denke an alle Migranten, an diejenigen, die ihre Heimat verlassen mussten, die von vielen guten Menschen oder von gleichgültigen Menschen aufgenommen werden, die sich auf dem Weg des Exils befinden, fern von der Heimat, die Heimweh haben nach ihren Freunden, der Familie, der Schönheit ihres Heimatlandes: ihnen allen gebe ich meinen Segen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

(Orig. span.; ital. in O.R. 2.5.2025)