Rückblick auf ein Pontifikat der Nähe und Menschlichkeit

Franziskus – der Papst, der zu lieben verstand

 Franziskus – der Papst, der zu lieben verstand  TED-018
09. Mai 2025

Wir veröffentlichen im Folgenden einen Beitrag aus der italienischen Tagesausgabe der Vatikanzeitung, der das Pontifikat von Papst Franziskus unter dem Leitgedanken von Liebe und Barmherzigkeit betrachtet:

Kurt Appel, Universität Wien

Man merkt in diesen Tagen, wie viele Menschen zutiefst betroffen sind vom Tod von Franziskus, auch solche, die nicht Mitglieder der Kirche und oft nicht einmal Chris-ten sind. Franziskus empfängt über seinen Tod hinaus viel Liebe von den Menschen, nicht zuletzt deshalb, weil er selbst viel Liebe gegeben hat. Vielleicht ist die Liebe das Geheimnis der weltweiten unglaublichen Popularität von Franziskus, die alle Grenzen gesprengt hat.

Bereits jetzt in den ersten Tagen nach seinem Tod deutet viel darauf hin, dass Papst Franziskus als ein großer Liebender in die Geschichte der Kirche und der Menschheit eingehen wird, genauso wie sein Vorbild, der Heilige Franz von Assisi. Der Papst aus Argentinien hat in vielen Jahrzehnten als Christ, Priester und Bischof gelernt, zu lieben. Er selbst hat immer wieder darauf verwiesen, dass er in jüngeren Jahren oft noch recht hart war zu seiner Umgebung. Bereits als Bischof von Buenos Aires eilte ihm jedoch der Ruf voraus, ein Herz für die Menschen seiner Diözese zu haben. Als er Papst wurde, hat seine Liebesfähigkeit die höchste Reife und Blüte erlangt.

Als Christ heute von der Liebe zu sprechen, ist nicht immer leicht, denn zu oft und zu selbstverständlich wird dieses Wort in den Kirchen gebraucht, wobei allzu oft hinter der verlangten Praxis der Liebe auch Größenwahn und Selbstgerechtigkeit stecken. Es wird erwartet, dass der Christ Gott und die Welt liebt und oft wird Liebe fingiert, um diesen Erwartungen gerecht zu werden. Daher schlägt christliche Liebe oft in Hartherzigkeit um: Wenn der Christ an der Liebe scheitert, in Beziehungen, im Beruf, in der Gemeinschaft, dann kann er kein Christ und kein guter Mensch sein. Er muss in einer Gemeinschaft der Reinen, die sich das Banner der Liebe anheftet, verurteilt werden. Oftmals stellt daher das sogenannte Gebot der Liebe, wie es in der Kirche und in den christlich geprägten Kulturen vermittelt wird, eine unendliche Überforderung für den Menschen im Allgemeinen und Christen im Besonderen dar. Ganz besonders gilt dies für viele Bischöfe, Priester, Ordensleute und Theologen, die sich für Spezialisten und Profis der Liebe halten. Sie versuchen oft, einem Scheitern an der Liebe dadurch zu begegnen, dass sie den Anschein erwecken, im Besitz dieser Liebe zu sein, diese verwalten zu können und oft entrücken sie die Liebe so weit von dem Menschen und seiner Welt, dass sie unzugänglich wird. Wenn dann die einfachen, sündigen Menschen fragen, wo denn die konkrete Liebe in der Kirche und bei ihren Repräsentanten bleibt, dann wird schon allein die Frage als Ignoranz, Hochmut und Beschränktheit zurückgewiesen, weil sie nicht in die unendlichen Dimensionen der Dienstbarkeit, Liebeskunst und Reinheit der Auserwählten vorzudringen vermag.

Das Christentum und die Kirche hat der Welt viel an Hingabe und Liebe gegeben, aber Institutionen stehen in der Versuchung, die Liebe zum Gesetz zu machen. Das Resultat davon ist, dass das Gesetz an die Stelle der Liebe tritt. Wer sich brav an alle Gebote hält, ist ein guter Christ und Mensch, wer das nicht tut, gehört nicht mehr dazu. Diesem hohen und strengen Ideal der Liebe wird in der heutigen Welt oft dadurch begegnet, dass die Liebe banalisiert wird. Jede sentimentale Rührung wird als Liebe deklariert. Oft wird die Liebe auch zur bloß rhetorischen Figur, hinter der sich Machtwille und Eigeninteresse verstecken. Denn wer die Liebe verwaltet, hat Anspruch auf Herrschaft.

Papst Franziskus dagegen, der selbst sehr oft von der Liebe in Form der Barmherzigkeit sprach, hat vor den Augen der Welt wahrhafte Liebe verkörpert. Für viele Menschen, die sich von der Kirche abgewendet haben, weil sie in ihr nur mehr eine Institution der rigiden Vorschriften und der Macht erkennen konnten, hat der verstorbene Papst die Liebe in die Kirche zurückgebracht. Papst Franziskus war ein großer Liebender. Seine erste große Liebe waren Gott und Christus, denen er in den Armen und Ausgegrenzten begegnet ist. Er war in ganz besonderer Weise auch Maria zugetan, der Mutter Gottes, die darüber jubiliert hat, dass Gott die Mächtigen vom Thron gestoßen hat und die zum Symbol mütterlicher Zärtlichkeit wurde, einer Zärtlichkeit, die Franziskus glaubwürdig gelebt hat.

Die Gottesliebe des Papstes hat sich nahtlos auf seine Liebe zu den Menschen übertragen: Papst Franziskus war einer der großen Menschenfreunde unserer Tage, der dem Menschen auch zugetraut hat, liebesfähig zu sein. Er hat immer wieder versucht, ganz besonders den jungen Menschen, aber nicht nur diesen, den einen Gedanken mit auf den Weg zu geben, dass unsere Welt trotz all ihrer Versehrtheit schön ist. Aus diesen Worten hat niemals Naivität gesprochen, sondern die Seele eines Menschen, der die Welt auch und gerade in ihren Unvollkommenheiten zu lieben vermochte. Darüber hinaus kam in Papst Franziskus auch die Liebe zur ganzen unendlichen Vielfältigkeit der Schöpfung zum Ausdruck, zur Natur genauso wie zu den Menschen anderer Kulturen und Religionen. Die Kirche wurde Zeugin eines Herzens, welches niemanden ausschließen wollte, weder die Sünder noch diejenigen, die andere Überzeugungen mitbrachten. Für Papst Franziskus war für die Kirche entscheidend, ob sie bereit war, Freundschaften auch über ihre Grenzen hinaus einzugehen und ob sie ihrer Berufung nachkam, Verletzungen zu heilen. Das Gericht trat seinem Verständnis nach nicht an die Stelle der Liebe, sondern die Liebe wurde zum Gericht über Hart-herzigkeit und Ausgrenzung. Papst Franziskus konnte hart mit seiner Umgebung sein, manchmal sogar cholerisch: Es war dies aber eine Härte, die sich gegen eingefahrene Gewohnheiten und Machtstrukturen richtete, die die Berufung zur Freundschaft und Liebe pervertierten.

Papst Franziskus war sich zutiefst bewusst, dass christliche Liebe eine politische Dimension hat: Die Kirche kann nicht von Liebe sprechen und gleichzeitig die Armen ausgrenzen und gesellschaftlich verursachtes Elend tolerieren; ohne Gerechtigkeit auch und besonders für die Schwachen der Gesellschaft wird die Liebe unglaubwürdig. In einer Kirche, der es ernst mit der Liebe ist, sind auch Formen des Umgangs gefordert, die auf Gleichberechtigung und Verhinderung von Machtmissbrauch zielen. Die Synodalität ist nicht nur eine kirchenpolitische Notwendigkeit in einer immer komplexer werdenden Welt, in der nicht alle Probleme zentral gelöst werden können, sondern sie ergibt sich vor allem aus einer Haltung des Respekts gegenüber dem Anderen und der Verbundenheit untereinander, die alle starren Hierarchien ausschließt. Papst Franziskus sah die Liebe ganz besonders durch einen Klerikalismus bedroht, der die Katholiken in Mitglieder erster und zweiter Klasse einteilt. Liebe braucht Strukturen und Institutionen, aber auch einen verantwortungsbewussten Umgang mit Macht, der nach Möglichkeit alle in Entscheidungsprozesse einbezieht.

Liebe ist dann eine Überforderung, wenn sich der Mensch zum Urheber der Liebe macht. Papst Franziskus’ letzter Weg führte ihn auch deshalb ins Gefängnis, weil er sich bewusst war, dass der Mensch scheitern kann, dass jeder von uns schwere Fehler macht, dass wir in der Lage sind, Verräter der Liebe und sogar Straftäter zu werden. Letztlich wollte Franziskus seiner Kirche den Auftrag mitgeben, eine Kultur des Umgangs mit dem Scheitern zu entwickeln. Jesus ist derjenige, der die Gebote der Nächstenliebe und der Gottesliebe erfüllt und er lädt den Menschen ein, ihm darin zu folgen. Gelingt dies manchmal ein bisschen, darf sich die Kirche mit Jesus freuen und kaum etwas ist ein tieferes Zeichen der Liebe als die Freude, die wir empfinden, wenn ein kleines Stück Welt heil wird. Dazu gehört auch, dass es manchmal Menschen in dieser Welt gibt, die nicht an ihrer Unvollkommenheit zerbrechen, sondern ihr Herz zunehmend weiten und für alle öffnen. Franziskus war einer dieser Menschen und er wird der Kirche als Papst der Liebe und der Barmherzigkeit in Erinnerung bleiben.