
Der Kapuziner Roberto Pasolini, seit November 2024 Prediger des Päpstlichen Hauses, hielt am Freitag, 11. April, in der »Aula Paolo VI« die vierte Meditation in der Fastenzeit. Diese bildete den Abschluss der Reihe, die wir in den vergangenen Ausgaben veröffentlicht haben. Sie standen unter dem Gesamtthema: »Verankert in Christus. Verwurzelt und gegründet in der Hoffnung auf das neue Leben«.
Die in diesem Heiligen Jahr in der Fastenzeit gehaltenen Meditationen sollten uns helfen, uns am Anker unseres Lebens festzuhalten: an Christus. Er ist für uns eine Pforte, durch die wir voller Vertrauen gehen können, um zu Gott in Beziehung zu treten. Aber er ist auch ein Leben voller Nuancen und Dynamiken, und wir sind aufgerufen, unser Herz mit viel Geduld zu diesem Leben zu bekehren.
Wir haben die Taufe, das öffentliche Wirken und schließlich die Auferstehung Jesu betrachtet und versucht, so die wesentlichen Züge einer vom Evangelium verwandelten Menschlichkeit zu erkennen: vor allem die Fähigkeit, alles als Geschenk anzunehmen; dann die Freiheit, über die Ebene von Erfolgen und Misserfolgen hinauszugehen; und schließlich die Demut, nach jeder Niederlage wieder aufstehen zu können, in der Freude über das, was wir in Freiheit und Frieden leben durften.
Es gibt aber noch eine weitere, häufig verborgene Eigenschaft, die wir in unserem Leben erlernen sollen: Abschied nehmen können, wenn alles getan ist, was in unserer Macht stand und notwendig war. Das hat der Herr bei seiner Himmelfahrt getan. Mit dieser Abschiedsgeste hat er uns ein kostbares Erbe hinterlassen: Er hat uns gezeigt, dass es möglich ist, von der Bildfläche zu verschwinden, indem man der Geschichte ihre Freiheit zurückgibt und die Grenzen der Hoffnung erweitert, hin zu einer immer universaleren und inklusiveren Hoffnung.
1. Die letzte Bekehrung
Bevor Jesus seine letzte Reise aus dieser Welt zum Vater antritt, trifft er seine Jünger und gibt ihnen einige Hinweise, damit sie nicht dem Verlassenheitssyndrom zum Opfer fallen. Er zeigt ihnen, »durch viele Beweise, dass er lebt; vierzig Tage hindurch ist er ihnen erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen« (Apg 1,3). Unter diesen »Beweisen«, die Jesus braucht, um sich von seinen Jüngern verabschieden zu können, gibt es im Johannesevangelium einen, der eine eingehendere Betrachtung verdient. Es ist die berühmte Begegnung zwischen Jesus und Maria Magdalena im Garten der Auferstehung, ein bei Predigern und Malern zu allen Zeiten sehr beliebtes Thema.
»Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. Diese sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen« (Joh 20,11-15).
Durch die befreienden Worte und liebvollen Gesten Christi hatte Maria eine tiefe und vollständige innere Heilung erfahren, wie der Evangelist Lukas bemerkt, der sagt, dass aus ihr »sieben Dämonen ausgefahren waren« (Lk 8,2). Deshalb folgte sie ihm gemeinsam mit anderen Frauen und den Jüngern und diente ihm mit ihrem Vermögen. Jetzt vor dem leeren Grab ohne den Leib ihres geliebten Herrn kann Maria nur weinen über die große Leere, die sie in ihrem Inneren spürt.
Wenn man den Dialogen zuhört, die Maria zuerst mit den Engeln im Grab und dann mit dem hinter ihr stehenden Jesus führt, kann man erkennen, dass ihre Suche immer noch von der Angst vor dem Tod bestimmt wird. Maria möchte den Leichnam finden, um so berechtigt zu sein, in der Erinnerung an das, was sie mit Jesus erfahren hat, weiterleben zu können. Für sie ist es nicht so wichtig, ob Jesus lebt oder tot ist. Was sie am meisten interessiert, ist, dass sie seinen Leib zurückerhält, um die Erinnerung an die Liebe einbalsamieren zu können.
Wenn wir trauern und verzweifelt sind, dann reicht auch die bloße »Leiche der Liebe«, um in unserem untröstlichen Schmerz verschlossen zu bleiben. Auch wir verhalten uns so bei der Trauer, die wir auf unserem Lebensweg zu verarbeiten haben. Wir häufen Erinnerungen an, errichten Altäre und denken uns Rituale aus, in dem Versuch, die Gegenwart der nicht mehr unter uns weilenden geliebten Person – wenigstens im Herzen – nicht zu verlieren. In gewissen Grenzen hat all dies seine Berechtigung und Notwendigkeit, denn es ist ein Ausdruck für die Bedeutung, die das Leben des anderen für uns hat, auch wenn er unserem Blick entschwunden ist. Aber diese Tendenz, den Abwesenden einzubalsamieren, kann auch pathologisch werden und unser Herz schwer erkranken lassen, weil es die neue einerseits sehr schmerzliche, aber andererseits auch sehr notwendige Öffnung verhindert, zu der wir nach jeder Trennung aufgerufen sind. Auch weil wir das Leben oft bereits vor unseren Augen haben, wir aber nicht in der Lage sind, es zu sehen, bis etwas unser Inneres erschüttert.
»Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister« (Joh 20,16).
Jesus reicht ein einziges Wort, damit Maria aus ihrem inneren Grab, in dem sie sich noch befindet, herauszukommt. Sehr scharfsinnig bemerkt der Evangelist Johannes, dass Maria sich ein letztes Mal umwenden muss, bevor sie den Herrn erkennen kann, der bereits vor ihr steht. Das Geheimnis dieser letzten Umkehr – die ganz im Herzen geschieht –, die Maria vollziehen muss, ist verbunden mit der eindrucksvollen gegenseitigen Namensnennung zwischen ihr und dem Herrn: »Maria!« – »Rabbuni!« Maria erkennt Jesus, nicht weil sie sein Gesicht sieht oder seine Stimme hört, sondern weil sie sich – erneut – von Gott zu einer Hoffnung auf Leben gerufen weiß. Das ist die definitive Umkehr, zu der uns die Auferstehung führen will: zum »Auf-Stand« eines Herzens, das sich nicht damit abfindet, in der Traurigkeit verschlossen zu bleiben, sondern sich vom Herzen eines anderen neu definieren lässt. Das war und bleibt die einzige Art und Weise einer persönlichen Begegnung mit dem fleischgewordenen Wort Gottes, vor und nach seinem Pascha der Auferstehung: beim Namen gerufen zu werden und auf sein Antlitz zu blicken.
Das Evangelium berichtet nicht, mit welchen Gesten Maria Magdalena den freudigen Ausruf über das Erkennen des Auferstandenen begleitet hat. Aber in allen Epochen wussten die Leser dieses Textes die erzählerische Lücke zu füllen, indem sie die Worte, mit denen Jesus ihr antwortet und sie fortschickt, aufmerksam betrachteten.
»Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte« (Joh 20,17-18).
Das berühmte Noli me tangere, eine unerschöpfliche Inspirationsquelle für die Kunstgeschichte, ist die letzte Versuchung, der uns die Auferstehung entreißen muss. Nachdem Maria Magdalena mitten in der Nacht hinausgegangen ist, um den Leichnam Jesu zu holen, will sie nun an ihrem Vorhaben festhalten, indem sie das auferstandene Leben zurückhält und in Beschlag nimmt. Aber warum? Was ist ihre geheime Absicht? Ein Text aus dem Hohelied, den die Liturgie für das Fest der Maria Magdalena ausgewählt hat, gibt uns einen möglichen Schlüssel zur Interpretation.
»Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn, / den meine Seele liebt. / Ich suchte ihn und fand ihn nicht. Aufstehen will ich, die Stadt durchstreifen, / die Gassen und Plätze, ihn suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht. Mich fanden die Wächter / bei ihrer Runde durch die Stadt. Habt ihr ihn gesehen, / den meine Seele liebt? Kaum war ich an ihnen vorüber, / fand ich ihn, den meine Seele liebt. Ich packte ihn, ließ ihn nicht mehr los, / bis ich ihn ins Haus meiner Mutter brachte, / in die Kammer derer, die mich geboren hat« (Hld 3,1-4).
Die Sehnsucht Marias ähnelt der der Braut aus dem Hohelied: zum Geliebten gehen, ihn packen und in das Haus ihrer Mutter bringen. Aber was bedeutet dies alles, nicht nur als Metapher? Es bedeutet, dass es für Maria ausreichen würde, die schönen Erfahrungen, die sie bereits mit Jesus erlebt hat, erneut zu erleben. Sie ahnt noch nichts von der Neuheit des Lebens, das mit der Auferstehung begonnen hat. Ihr scheint, dass es ausreichen würde, ihr vorheriges Leben anzupassen, statt sich in ein radikal neues Leben führen zu lassen. Und das ist die letzte, große Versuchung, der wir angesichts des Pascha-Mysteriums Christi ausgesetzt sein können: die Versuchung, die Kraft seines Geistes daran zu hindern, uns in neue Geschöpfe zu verwandeln.
Aber Jesus ist klar und entschieden: Nach der Auferstehung gibt es kein Zurück mehr, kein Zurück zur Logik der Kindheit, zum Haus der Mutter. Der Weg führt voran, zum Haus des Vaters, der Logik der Seligpreisungen folgend.
»Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte«« (Joh 20,17-18).
Wenn Jesus die liebevolle Geste Marias auch zurückweist, so verachtet er ihre Zuneigung doch nicht: Er nimmt sie an, korrigiert aber ihre Richtung. Nachdem die Menschwerdung in der Auferstehung ihre Erfüllung gefunden hat, besteht die zu überwindende Versuchung darin, Gott auf eine Zeit oder einen Ort zu beschränken, anstatt die durch das Blut Christi bewirkte, endgültige Aufhebung der Trennung zwischen heilig und profan zu akzeptieren.
Maria darf den Auferstandenen nicht zurückhalten, sondern muss auf ihre Brüder und Schwestern zugehen. Nur so kann sie das Risiko vermeiden, Ostern in eine Form religiösen Götzendienstes zu verwandeln, bei dem die Lebenskraft der österlichen Liebe auf ein Verhaltensmuster oder ein rituelles Schema reduziert wird. Vor der Menschwerdung des Wortes konnten wir Gott in der Wirklichkeit nur als Symbol wahrnehmen. Nach der Auferstehung sind wir aufgerufen, ihn überall als lebendige Wirklichkeit zu suchen, vor allem im Geheimnis unseres Menschseins: jenem Teil der Schöpfung, den er ohne Angst und Vorbehalt annehmen wollte.
Der auferstandene Christus ist nicht ein Leib unter anderen Leibern, sondern das Haupt eines geheimnisvollen, aber realen Leibes, nämlich der neuen Menschheit: »Derselbe, der herabstieg, ist auch hinaufgestiegen über alle Himmel, um das All zu erfüllen« (Eph 4,10).
Indem der Sohn Gottes einer von uns wurde, hat er uns nichts genommen, sondern hat uns den Platz zurückgegeben, den wir nicht mehr einzunehmen wussten. Deshalb darf sein Antlitz nicht in einem Bild gesucht werden, das wir uns selbst von ihm gemacht haben, sondern muss im weiten Terrain des Menschseins gesucht werden: unseres eigenen und dem der anderen. Der wahre Prüfstein des Glaubens an seine Auferstehung ist genau dieses Antlitz der Brüder und Schwestern, vor allem derer, die es uns aufgrund ihrer Nähe zu unseren Grenzen schwer, wenn nicht unmöglich machen, die Gegenwart Gottes in der Wirklichkeit zu erkennen. Christus taucht in den Himmel Gottes ein, damit in der Geschichte das geheimnisvolle und wunderbare Zeichen seines Leibes auftauchen kann: und der sind wir, in den Beziehungen, die wir zu knüpfen und zu bewahren wissen.
2. Die Umkehr von
unten und oben
Die Einsicht, die Maria von Magdala zuteilwurde, steht im Augenblick der Himmelfahrt Jesu allen Jüngern offen. Um diesen endgültigen Abschied von der Welt zu vollziehen, wollte Christus vierzig Tage warten: ein symbolischer Zeitraum der Prüfung. Da die große und letzte Versuchung darin bestehen könnte, den Auferstandenen in Beschlag zu nehmen und ihn in ein betörendes, hypnotisches Bild einzusperren, zog es Christus vor, mit seinen Jüngern wohlwollend-freundlich zusammen zu sein, um ihnen eine letzte, notwendige Lehre zu hinterlassen.
»Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. Während sie unverwandt ihm nach zum Himmel emporschauten, siehe, da standen zwei Männer in weißen Gewändern bei ihnen und sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch fort in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen« (Apg 1,9-11).
Den Blick auf den Himmel zu richten, ist eine wunderschöne Bewegung, zu der unsere Menschlichkeit fähig ist und die unsere geistliche Natur bezeugt. Auf den christlichen Ikonen zeichnen sich menschliche Gestalten häufig durch ein blaues Gewand aus, weil die nach Gottes Bild geschaffenen und ihm ähnlichen Männer und Frauen die einzigen Geschöpfe sind, die den Blick in den Himmel richten, auf der Suche nach einem Antlitz.
Aber das Erheben des Blicks kann auch eine unredliche, gefährliche Geste sein, durch die wir versuchen, uns zu einem – auch religiösen – Ideal zu erheben, das in der Lage sein soll, uns aus den Fängen des Todes zu befreien. Die Boten der Himmelfahrt Christi versuchen, die Apostel dieser religiösen Faszination zu entreißen, und zwar mit einer unverfrorenen Frage, die ihr Verständnis des Pascha-Mysteriums prüfen will. Christus steigt nicht in den Himmel auf, um uns zu einem idealen und abstrakten Leben zu verpflichten, sondern um es uns zu ermöglichen, an jedem Ort und in jeder Situation seine Gegenwart zu finden und das dem Evangelium entsprechende Leben zu erfahren. Es geht nicht mehr darum, Gott in der Höhe zu suchen, sondern die Herrlichkeit seiner Liebe in den kleinen, alltäglichen Dingen zu erkennen und vor allem im Paradox des Kreuzes, wo unser Menschsein sich erfüllt in seiner Bestimmung zur Liebe. Die Himmelfahrt dient dazu, für immer die Ordnung der Dinge umzukehren: Erde und Himmel vertauschen die Rollen, der Heilige Geist bewohnt die sichtbare Wirklichkeit, während das Fleisch des Menschen endgültig in die unsichtbare Wirklichkeit eintritt, »damit Gott alles in allem sei« (1 Kor 15,28).
Der zweite Teil der Botschaft an die Jünger müsste uns erschauern lassen: Wir müssen den Blick auf die Erde richten, damit Jesus ebenso wiederkommt, wie die Menschheit ihn zum Himmel hat aufsteigen sehen. Aber was bedeutet das genau? Auf welche Weise?
Wir sind aufgefordert anzuerkennen, dass diese geheimnisvolle Weise der Wiederkehr Christi sein gesamtes Pascha-Mysterium umfassen muss: Leiden, Tod und Auferstehung. Denn genau dieses Pascha ist der Weg, auf dem die Glieder seines Leibes – die Kirche – in der Welt sichtbar sein sollen.
Mit anderen Worten: Die Wiederkehr Christi in Herrlichkeit am Ende der Zeiten ist in der Geschichte vorweggenommen durch das lebendige Zeugnis der Kinder Gottes: Frauen und Männer, die berufen sind, für sein Antlitz transparent zu sein, seine Liebe zu verkörpern und das Geheimnis seines Kommens in dieser Welt zu vergegenwärtigen.
Damit offenbart sich der tiefe Sinn dieses geheimnisvollen Wortes: Die Wiederkehr Christi aus dem Himmel vollzieht sich zusammen mit dem Vorangehen seines Leibes – der wir sind – zum Himmel hin: Christen, die jeden Tag ihr Kreuz tragen und so Zeugnis geben von der Wahrheit der größten Liebe.
Die von der Himmelfahrt bewirkte Umkehr von oben und unten ist definitiv, nicht nur auf kosmologischer, sondern auch auf existentieller Ebene. Christus verlässt die Bühne der Geschichte, um Raum zu lassen für uns kleine, schwache Männer und Frauen, damit wir lebendige Gegenwart Gottes in Zeit und Raum werden. Der Meister entfernt sich, um seine Jünger über sich selbst hinauszuführen, hinaus aus dem erdrückenden Käfig der Illusionen und Enttäuschungen, dorthin, wo es möglich ist, in Harmonie mit sich selbst und in Solidarität mit den Brüdern und Schwestern geduldig zu wachsen. Dort können wir endlich der Berufung entsprechen, ganz Mensch zu werden, wie es der Brief an die Epheser sagt: »bis wir alle zur Einheit im Glauben und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zum vollkommenen Menschen, zur vollen Größe, die der Fülle Christi entspricht« (Eph 4,13).
Das Abenteuer des Evangeliums geht auf der Erde weiter. Zwischen Staub und Himmel. Im Zwielicht einer Geschichte, die nunmehr erlöst ist, weil sie von der unendlichen Liebe Gottes umfangen wird, und die doch noch ganz unserer Freiheit anvertraut ist.
3. Synergie
Die Himmelfahrt des Herrn hebt alles Klagen auf, das aufgrund des vorgeblichen Machtvakuums, das Gott in der Geschichte der Menschen verursacht zu haben scheint, möglich wäre. In der Rückkehr zum Vater hat die christliche Gemeinschaft die unerlässliche Bedingung für eine vertrautere, tiefere Gemeinschaft mit ihm durch den Heiligen Geist erkannt, dazu bestimmt im Zeugnis und im Dienst an den Brüdern und Schwes-tern zum Ausdruck zu kommen. Es hat lange Zeit gebraucht, um diese enorme Verantwortung zu verstehen, weil unser Herz auch nach den allergrößten Liebesbeweisen hart und taub bleibt.
»Später erschien Jesus den Elf selbst, als sie bei Tisch waren; er tadelte ihren Unglauben und ihre Verstocktheit, weil sie denen nicht glaubten, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen hatten. Dann sagte er zu ihnen: Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!« (Mk 16,14-15).
Jesus, der Herr, hielt es für angebracht, Angst und Sorge angesichts der immensen Aufgabe, sein Evangelium zu verkünden, abzumildern, indem er einen genau bemessenen Auftrag gab. Die Apostel sind aufgerufen, überall hin zu gehen, um die frohe Botschaft Christi nicht nur allen Menschen, sondern allen Geschöpfen zu verkünden. Diese im Vergleich zur Kategorie der nach Gottes Bild und ihm ähnlich geschaffenen Wesen erweiterte Zuhörerschaft könnte mehr sein als eine bloß sprachliche Variante.
In der Kirchengeschichte gab es nicht wenige Erfahrungen von Heiligen, die sich in der Situation befanden, das Reich Gottes den Tieren zu verkünden oder besondere, von der Vorsehung geführte Beziehungen zu ihnen aufzubauen. Man denke nur an die Vogelpredigt des heiligen Franziskus oder die Fischpredigt des heiligen Antonius oder an Heilige, die traditionell mit einem Tier dargestellt werden: der heilige Abt Antonius und das Schwein, der heilige Romedius mit dem Bären, der heilige Franziskus mit dem Wolf, der heilige Eustachius und der Hirsch, der heilige Benedikt von Nursia mit dem Raben, der heilige Rochus und der Hund.
Warum gab es dieses Phänomen in der Geschichte? Was bedeutet der Auftrag Christi? Inwiefern ist es wichtig, die Verkündigung des Evangeliums an die Geschöpfe und nicht nur an die Menschen zu richten? Weil nach der Himmelfahrt Christi im Kosmos die neue und endgültige Schöpfung begonnen hat. In dieser erneuerten Ordnung der Dinge können wir uns den Luxus erlauben, uns so zu verhalten, wie es der Schöpfer bei der Ur-Schöpfung getan hat, als er beim Blick auf das Geschaffene immer wieder ausrief: »Wie schön!«
Wenn wir uns der Herausforderung stellen, uns an die anderen zu wenden, vor allem insofern sie Geschöpfe sind, dann sind wir gezwungen, deren Schönheit und Gutsein anzuerkennen, genauso wie wir dies gewöhnlich tun, wenn wir eine Blume bewundern oder uns im Schatten eines Baumes ausruhen. Wenn wir die anderen als menschliche Wesen betrachten und dabei ihren ursprünglichen Status als Geschöpfe vergessen, dann besteht leicht die Gefahr, dass wir ihnen gegenüber eine Haltung des Urteilens und der Anmaßung einnehmen. Der Auftrag, das Evangelium in jeden Winkel der neuen Schöpfung zu bringen, ist gottlob sehr viel beruhigender. Wir dürfen nicht verlangen, dass die Wirklichkeit sofort und notwendigerweise unseren eigenen Wünschen und Erwartungen entspricht. Der erste Schritt, den wir tun müssen, besteht darin, den anderen jene primäre Anerkennung aus Annahme und Wohlwollen zu schenken, die wir alle brauchen wie die Luft zum Atmen.
Ja, wir könnten noch weiter gehen und sagen, dass der Auftrag, das Reich Gottes zu verkünden, bereits erfüllt ist, wenn es uns gelingt, dass wir im Nächsten vor allem ein Geschöpf sehen, unförmig, zerbrechlich, unstet und mehrdeutig wie wir selbst. Das erste, das jeder zu erhalten erwartet – von Gott und von dem, der versucht, im Namen Gottes zu sprechen –, ist niemals die Aufforderung, etwas Gutes oder etwas anderes zu tun, sondern anerkannt zu werden für das, was wir sind, mit all unseren Licht- und Schattenseiten. Der Stil der Verkündigung, den Jesus seinen Freunden nahelegt, klärt endgültig, was Gott am Herzen liegt: das Leben des anderen anerkennen und ehren, noch bevor man eine Änderung dieses Lebens erhofft oder hervorrufen will. Mit dieser Sanftmut hat Jesus in der Welt den Wohlgeruch eines Gottes hinterlassen, der es niemals als Priorität betrachtet, dem anderen Gutes zu tun, sondern vor allem zu erklären, dass bereits die bloße Tatsache an sich, dass der andere existiert, ein immenses Gut ist.
In der heutigen Zeit hat die Kirche vielleicht eine neue Chance, nämlich auf die anderen zuzugehen, ohne in ihren Lebenswegen etwas zu sehen, dass unmittelbar und vorschnell in eine moralische Bewertung einzuschließen wäre. Die in den Jahrhunderten herangereifte vertiefte Kenntnis des Menschlichen verlangt von uns, dass wir mit Demut und Achtung auf die Geschichte jedes Menschen blicken. Wenn das Licht des Evangeliums es uns erlaubt hat, in jedem Aspekt der Wirklichkeit tiefe Bedeutungsebenen wahrzunehmen, müssen aber wir auch anerkennen, dass viele Aspekte noch komplex, dunkel und schwer zu verstehen sind.
Wenn wir voller Freude – aber auch diskret – bis an die Grenzen der Erde vordringen wollen, dann brauchen wir Mut, damit eine neue und faszinierende Zeit der Evangelisierung beginnen kann.
»Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1,8).
Die Sendung, die Jesus den Zeugen seines Pascha anvertraut hat, hat nicht nur geographische, sondern auch anthropologische Bedeutung. Das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu bringen, ist nicht nur in zeitlich-räumlichem Sinn zu verstehen. Das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu bringen, bedeutet nicht nur, in Zeit und Raum weit entfernte Orte zu erreichen, sondern mit Aufmerksamkeit und Respekt in das Herz jeder Situation vorzudringen und deren Komplexität zu akzeptieren. Auch – und vielleicht vor allem – dort, wo unsere Kategorien nur schwer verstehen und klassifizieren können. Es bedeutet, mit der Weisheit des Evangeliums und pastoraler Liebe jene Grenzen des Menschseins zu bewohnen, wo sich das Geheimnis der Einzigartigkeit jedes einzelnen erschließt und man dem stillen Handeln Gottes Raum gibt.
Das erfordert einen hohen Einsatz an Zuhören, Annahme und Unterscheidungsgabe. Eine Haltung, die nichts zu tun hat mit moralischem Relativismus oder einer allgemeinen theologischen Verflachung. Es geht vielmehr darum, dem Herzen des Evangeliums treu zu bleiben, das heißt das Gesicht, die Geschichte und die Würde jedes Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, des Menschen, der, auch ohne es zu wissen, darauf wartet, dem Antlitz Gottes zu begegnen. Und dann zu entdecken, auf welchen Wegen es möglich ist, gemeinsam auf das Himmelreich zuzugehen, indem wir uns bemühen, all das zu entfernen, was diesen Weg zu einem neuen Menschsein verhindert oder zumindest behindert.
Der Gehorsam gegenüber dieser sehr umsichtigen, demütigen Weise, das Evangelium überall hin zu bringen, führt den Leib Christi dazu, Synergie zu erfahren, das heißt: die Gemeinschaft der Sehnsucht und des Lebens zwischen der Erde und dem Himmel.
»Nachdem Jesus, der Herr, dies zu ihnen gesagt hatte, wurde er in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes. Sie aber zogen aus und verkündeten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte das Wort durch die Zeichen, die es begleiteten« (Mk 16,19-20).
Als die Jünger sich von demjenigen entfernten, der sich von uns entfernt hat, aber nur um noch mehr in uns zu sein, haben sie entdeckt, dass die Nachfolge des Meisters sich nunmehr verwandelt hat in die Möglichkeit, in der Kraft des Heiligen Geistes mit ihm gemeinsam zu leben und zu handeln. So hat sich der Albtraum unserer Einsamkeit, der im Garten Eden aufgrund einer Täuschung begann, für immer aufgelöst. Im Wort Gottes, das Mensch geworden und gestorben ist, begraben wurde und in das Reich des Todes hinabgestiegen ist, auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist, hat sich das menschliche Leben in eine Art Tanz verwandelt, einen geheimnisvollen »Pas de deux«, einen Tanz zu zweit, der jedem Mann und jeder Frau unter dem Himmel offensteht.
So war es wirklich: Gott hat es gefallen, uns von Sünde und Tod zu befreien, indem er uns durch die Gabe seines Geistes in ein neues Leben einführte. Anstatt den Stoff unseres zerrissenen Menschseins zu flicken, schien es Gott, dass es schön sei, zu enthüllen, dass in diesem Stoff von Anfang an die Bestimmung zu einem göttlichen Leben verborgen ist, das es zu erkennen, anzunehmen und schließlich mit freier und freudiger Zustimmung sich anzueignen gilt.
Schluss
Das Geschenk der Himmelfahrt hat der Kirche und der Welt ein einzigartiges Erbe hinterlassen. In einer Zeit, in der es uns schwerfällt, von der Bildfläche zu verschwinden, weil wir überzeugt sind, dass unsere Anwesenheit immer weiter ausgedehnt werden muss, zeigt uns Jesus, der Herr, wie wertvoll es ist, Abschied nehmen und sich entfernen zu können, um in einer tieferen, authentischeren Gemeinschaft zu bleiben.
In der Tat besteht unsere größte Versuchung darin, das Leben in die Grenzen dessen einschließen zu wollen, was wir erkannt und erfahren haben. Aber das auferstandene Leben – das ewig ist – lässt sich nicht ein-schließen: Es ist eine unberechenbare Erschütterung, ein Wehen, das wir nicht kontrollieren, sondern dem wir uns nur ausliefern können, um unsere heilige Pilgerreise aus dieser Welt zum Vater anzutreten.
Damit dieser Weg nicht nur Illusion bleibt, ist es notwendig, die Verantwortung ernst zu nehmen, vom Evangelium Zeugnis zu geben, auch wenn es von uns verlangt, dass wir uns selbst sterben, um uns in Freiheit den anderen hinzuschenken. Die Wiederkehr Jesu am Ende der Zeiten wird auf geheimnisvolle Weise vorweggenommen von jeder Geste, in der unsere Menschlichkeit es akzeptiert zu lieben, und dabei das Kreuz als das Siegel unserer Taufe annimmt. Auch und insbesondere dann, wenn dies in Stille oder Gleichgültigkeit geschieht, im Bewusstsein, dass unser Leben nunmehr mit Christus in Gott verborgen ist.
Die scheinbare Abwesenheit Gottes auf der Bühne der Geschichte ist in Wirklichkeit eine an uns gerichtete eindringliche Aufforderung. Wenn der Herr auch in den Himmel aufgefahren ist, so bleiben doch die Glieder seines Leibes auf der Erde: Und das sind wir, die wir berufen sind, die Wahrheit des Evangeliums zu verkörpern und zu bezeugen, ohne Formen von Protagonismus oder Monopolisierung nachzugeben. Himmel und Erde sind weder weit voneinander entfernt noch getrennt, sondern miteinander verknüpft in einer geheimnisvollen Synergie von Taten und Worten, die in der Lage sind, der Welt die Fülle der Zeiten zu offenbaren.
Das könnte die größte aller Hoffnungen sein, die wir in diesem Heiligen Jahr haben: dass die Welt, während die Kirche die Gesten und ihres Glaubens und ihrer Tradition wiederholt, in uns etwas Schönes und Neues sehen kann, das in der Lage ist, bei allen einen hellen Hoffnungsschimmer zu wecken. Und wir Christen wieder das sein können, zu dem wir seit jeher berufen sind: Männer und Frauen, die durch die enge Pforte der Liebe Chris-ti gehen und so zu Zeugen und treibenden Kräften einer neuen Menschheit werden.
Allmächtiger, ewiger Gott, erfülle deine Kirche mit heiliger Freude, denn in der Himmelfahrt deines Sohnes hast du den Menschen erhöht. Schenke uns das feste Vertrauen, dass auch wir, die Glieder seines Leibes, zu der Herrlichkeit gerufen sind, in die Christus, unser Haupt, uns vorausgegangen ist, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit.