Von Andrea Monda,
Direktor unserer Zeitung
Er hat sich vollkommen hingegeben, ohne Einschränkung, bis zum letzten Tag. Bis zum Ende. Er ging auf die Menschen zu, umarmte sie. Und wenn die Umstände dies nicht zuließen, rief er viele Menschen an, von denen er wusste, dass es ihnen gut tun würde, seine Stimme zu hören. Unter diesen vielen war auch Pater Gabriele Romanelli, der Pfarrer der katholischen Gemeinde in Gaza, bei dem er sich nachmittags oft per Videoanruf meldete. So war es nicht nur möglich, die Stimme zu hören, sondern man konnte sich auch gegenseitig in die Augen sehen. Dieses »von Angesicht zu Angesicht« war für Bergoglio von grundlegender Bedeutung, denn der Blick in die Augen des anderen macht Lügen un-möglich und ermöglicht eine echte Kommunikation, die in erster Linie Beziehung und Gemeinschaft ist. Das Telefon: ein Mittel, um die Distanz zu verringern und nahe zu sein, dem »Stil Gottes« entsprechend, der »Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit« ist. Diese Aufhebung der Distanzen ist ein Merkmal seines Pontifikats, in dem die »Rollen« bestehen bleiben, ohne jedoch die Beziehung zu ersticken, denn die Menschen sind mehr als ihre Qualifikation oder Leistung. Und daher ist es notwendig, von der »Kultur des Adjektivs zur Theologie des Substantivs« überzugehen.
Gaza, »wo der schreckliche Konflikt weiterhin Tod und Zerstörung bringt und eine dramatische und unwürdige humanitäre Situation verursacht«, so hatte er in der Botschaft zum Segen »Urbi et orbi« geschrieben. Gaza, das verwundete Heilige Land, aber auch die Ukraine, die »gepeinigte Ukraine«, für die er seit jenem 24. Februar vor drei Jahren jeden Tag gebetet hat: »Möge der auferstandene Christus der gepeinigten Ukraine das österliche Geschenk des Friedens zuteilwerden lassen und alle Beteiligten ermutigen, ihre Bemühungen um einen gerechten und dauerhaften Frieden fortzusetzen«, heißt es in der genannten Botschaft.
Und noch länger ist – im Herzen und in den Worten des Papstes – die Liste der von Konflikten zerrissenen Länder in diesem »dritten Weltkrieg in Stücken«, den er gleich zu Beginn seines Pontifikats anprangerte, missverstanden wie alle Propheten. Neben der Arbeit der Diplomatie des Heiligen Stuhls hat es der Papst nicht fehlen lassen an seiner prophetischen Stimme, die nicht nur aus Worten, sondern auch aus Gesten, Schweigen und Gebet bestand. Am Tag nach dem Überfall auf die Ukraine, am Morgen des
25. Februar 2022, begab sich der Papst mit dem Auto persönlich in das nahe beim Vatikan gelegene Botschaftsgebäude der Russischen Föderation. Beeindruckend war die Eile dieser Geste, denn der Einmarsch war erst wenige Stunden her, und dies war seine Art, seine Verbundenheit, Anteilnahme und Sorge über das Drama, das gerade begonnen hatte, zum Ausdruck zu bringen.
Am 15. August desselben Jahres lautete der Titel der Botschaft zum Weltjugendtag »Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg« (Lk 1,39). Darin betonte er: »In diesen so schwierigen Zeiten, in denen die Menschheit, die bereits durch das Trauma der Pandemie geplagt ist, auch vom Drama des Krieges gepeinigt wird, eröffnet Maria allen und besonders euch, die ihr jung seid wie sie, den Weg der Nähe und der Begegnung.«
Zwei aufschlussreiche Worte: Nähe und Begegnung. Das Vorbild ist immer das des barmherzigen Samariters, der von Angst verursachte Trägheit, Benommenheit, Lähmung überwindet und Mitgefühl empfindet. So wird er zum Nächsten des schwächsten und bedürftigsten Bruders. Wie Maria, die das »Erdbeben« der Verkündigung erlebt, ohne sich in wehmütige Selbstbezogenheit zu verschließen, sondern die aus sich herausgeht, zu den anderen eilt und sich »nicht lähmen [lässt], denn in ihr ist Jesus, die Kraft der Auferstehung«. Nähe und Begegnung als Gegenmittel gegen den Krieg und als Voraussetzung für einen »präventiven Frieden«.
Unermüdlich setzte Franziskus sich für den Frieden ein, der ein zerbrechliches Gut ist und handwerkliche Pflege braucht, bestehend aus dem täglichen Knüpfen von Beziehungen und dem Heilen der verwundeten Geschwisterlichkeit. Der Tod Gottes hat im »kurzen Jahrhundert« zum Tod des Nächsten geführt; nachdem der Mensch den Vater getötet hatte, ist er automatisch zur Tötung des Bruders übergegangen.
Bei seiner Rückkehr aus Malta am 3. April 2022 räumte Franziskus traurig ein: »Wir sind als Menschheit starrsinnig. Wir sind in Kriege verliebt, in die Gesinnung Kains.« Und in Bezug auf die Logik des Krieges: »Wir sind nicht in der Lage, wir schaffen es nicht, uns eine andere Logik auszudenken, weil wir nicht mehr gewohnt sind, nach der Logik des Friedens zu denken.« Den Blick weiten, die Phantasie schärfen, der Kreativität freien Lauf lassen, um zur gelebten Geschwisterlichkeit zurückzukehren und den Brudermord zu vermeiden, das war die Aufforderung des Papstes in all den Jahren, der uns einlud, wie es Jesus im Evangelium sagt, wirklich zum Nächsten zu werden, Bruder und Schwester für jeden, für alle.
Die Enzyklika Fratelli tutti vom 4. Oktober 2020 bleibt mit den Apostolischen Reisen die sprechendste Tatsache. Papst Franziskus, unser Bruder, ist durch die ganze Welt gereist, um die Menschen zu ermutigen, den Traum vom Frieden zu leben und zu verwirklichen. Die Reisen zeigen die Verflechtung dieses Knüpfens des Friedens entlang der am meisten zerrissenen Grenzen der Welt: Myanmar, Afrika, Irak, und in Abu Dhabi unterzeichnete er am 4. Februar 2019 gemeinsam mit dem Großimam Al-
Tayyib das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen. Auf dem Rückflug nach Rom am folgenden Tag bezeichnete der damalige Direktor des Pressebüros des Heiligen Stuhls, Alessandro Gisotti, das Ereignis als »groß« und »historisch«. Franziskus präzisierte: »Keine Geschichte ist klein, keine. Jede Geschichte ist groß und erzählenswert, und auch wenn sie unschön ist, wenn ihr Wert verborgen ist, kann er doch immer zum Vorschein kommen.« Wert und Würde des Menschen gehen nie verloren, weil sie in der schöpferischen Liebe Gottes begründet sind. Ein Thema, das auch in den Texten des letzten Kreuzweges am vergangenen Karfreitag anklang, in dem Franziskus schrieb: »Unmenschlich ist eine Wirtschaft, in der
neunundneunzig mehr wert sind als einer. Und doch haben wir eine Welt errichtet, die so funktioniert: eine Welt der Berechnungen und Algorithmen, kalter Logik und unerbittlicher Interessen.«
Franziskus hat seine Stimme erhoben, um uns an all dies zu erinnern, und das hat er bis zum Schluss getan, als er mit seinem Papamobil auf dem Platz zu den Gläubigen »eilte« im Licht des Ostermorgens, nachdem er sie von der Loggia des Petersdoms aus gesegnet hatte. Dort hatte vor zwölf Jahren alles angefangen, als er die Gläubigen bat, für ihn zu beten und den Weg mit ihm gemeinsam zu gehen, in Synodalität, das Volk mit seinem Bischof. Sein Weg, sein irdischer Lauf endete am Tag des auferstandenen Herrn. Jetzt ist unser Bruder Franziskus uns vorausgegangen – »primerear«, wie er mit einer eigenen Wortschöpfung sagen würde – und erwartet uns zur letzten, endgültigen Umarmung.
(Orig. ital. in O.R. 21.4.2025)