Liturgie vom Leiden und Sterben Christi am Karfreitag im Petersdom

Die Intelligenz des Kreuzes

 Die Intelligenz des Kreuzes  TED-017
02. Mai 2025

Vatikanstadt. Am Nachmittag des Karfreitag, 18. April, fand im Petersdom die Liturgie vom Leiden und Sterben Christi statt. Die Predigt hat traditionsgemäß der Prediger des Päpstlichen Hauses verfasst, in diesem Jahr erstmals P. Roberto Pasolini. Am Karfreitag, so der Kapuziner, betrachte die Kirche nicht Gottes »Scheitern«, sondern seinen »geheimnisvollen Triumph« in der »widersprüchlichen Form des Kreuzes«.

Der Liturgie vom Leiden und Sterben Chris-ti stand in diesem Jahr im Auftrag des Papstes Kardinal Claudio Gugerotti, Präfekt des Dikasteriums für die Orientalischen Kirchen, vor – ein besonderes Zeichen in dem Jahr, in dem Christen aller Konfessionen erstmals seit 2014 am selben Tag Ostern feierten. Rund 4.500 Gläubige hatten sich im Petersdom versammelt, um die Liturgie mitzufeiern. Unter ihnen war auch der amerikanische Vizepräsident James David Vance mit seiner Familie.

Im Herzen des Triduums

Der Karfreitag, so Kapuzinerpater Roberto Pasolini in seiner Predigt, stehe im Herzen des österlichen Triduums – ein Tag, der sich auch farblich und inhaltlich von den anderen unterscheide: Statt in weißem Licht erscheine er in »dramatischem Rot«.

»Heute lädt uns die Liturgie zu Stille und Besinnung ein, denn es ist der Tag, an dem der Bräutigam von uns genommen wird. Am Karfreitag hält die Kirche in Anbetung inne und betrachtet nicht Gottes ›Scheitern‹, sondern seinen geheimnisvollen Triumph in der widersprüchlichen Form des Kreuzes«, führte der Prediger die Gläubigen in seine Überlegungen ein.

Eine andere Art von Intelligenz

In einer Zeit, in der künstliche Intelligenz unser Denken und Leben präge, schlage das Kreuz hingegen eine Intelligenz der Liebe vor – eine, die nicht berechne oder optimiere, sondern sich verschenke, so Pasolini weiter: »Eine Intelligenz, die nicht künstlich ist, sondern zutiefst beziehungsorientiert, weil sie ganz offen ist für Gott und für die anderen.«

In einer Welt, in der uns die Algorithmen vorzuschreiben schienen, was wir wünschen oder denken sollten, ja, sogar wer wir sein sollten, gebe uns das Kreuz hingegen die »Freiheit einer echten Wahl« zurück, die »nicht auf Leistungsfähigkeit, sondern auf der Liebe beruht, die sich selbst schenkt«: »Deshalb begann die Liturgie in einer Atmosphäre tiefer Stille und trauriger Feierlichkeit: die Amtsträger werfen sich zu Boden und die ganze Gemeinde ist im Gebet versammelt. Diese Haltungen sind notwendig, um im Leiden Christi jene Intelligenz der Liebe zu erkennen, in der sich das Heil der Welt verdichtet«, so P. Pasolini weiter.

Denn dadurch gelinge es, die Leiden Chris-ti als Akt göttlicher Liebe zu verstehen – nicht als passives Erleiden, sondern als freies Annehmen und Durchleben. Dies werde auch im Hebräerbrief verdeutlicht, wenn es heißt, dass Jesus »mit lautem Schreien und Tränen« betete und »wegen seiner Hingabe erhört« wurde (5,7-9).

»Aber was bedeutet ›erhört werden‹? Wie erhört Gott die schmerzvollen und verzweifelten Gebete?«, so die rhetorische Frage des Kapuzinerpaters. Denn wir wüssten sehr wohl, wie Gott reagiert habe. Er habe seinem Sohn das Leiden nicht erspart, doch er habe »sein Herz gestärkt und ihm die Kraft gegeben, sich der Herausforderung der größten Liebe hinzugeben, die auch vor den Feinden nicht Halt« mache. Letztlich gehe es also nicht darum, dem Leid auszuweichen, sondern darum, dass Gott seinem Sohn die Kraft gegeben habe, dieses im Vertrauen durch-zustehen und so in einen »Weg des Heils« zu verwandeln.

Freie Annahme des Leidens

Insbesondere in drei Momenten der Passion werde mit Aussagen Jesu selbst aufgezeigt, wie man ein so tiefes Gottvertrauen leben könne, »ohne aufzuhören, der Haupt-akteur der eigenen Geschichte zu sein«, fuhr der Prediger fort. So trete Jesus im Garten Getsemani seinen Verfolgern entgegen und offenbare seine Identität mit den Worten: »Ich bin es« (Joh 18,6), woraufhin die Soldaten zurückwichen und zu Boden stürzten, erst bei der zweiten, gleichlautenden Antwort werde er dann verhaftet. Jesus werde also nicht überwältigt, sondern gebe sich bewusst und »aus freien Stücken« hin. Dies könne auch für uns selbst eine Mahnung sein, um uns in Zeiten, in denen in unserem Leben etwas schieflaufe, Gott mit demselben Vertrauen zu überlassen: »Aber wie geht das? Indem wir einen Schritt nach vorne machen. Indem wir uns zuerst der Wirklichkeit stellen. Diese Haltung ändert kaum etwas am Lauf der Dinge – Jesus wird sogar gleich darauf verhaftet –, aber wenn man im Glauben an Gott und im Vertrauen auf die von Ihm geführte Geschichte lebt, erlaubt das uns, innerlich frei
und standhaft zu bleiben. Nur so wird die Last des Lebens leichter, und das Leiden, das zwar real bleibt, hört auf, sinn- und nutzlos zu sein; und es bringt neues Leben hervor.«

Menschliche Unzulänglichkeit

Jesus offenbare mit den Worten »Mich dürs-tet« (Joh 19,28) am Kreuz hingegen seine zutiefst menschliche Seele, indem er um etwas bitte, das er selbst sich nicht geben könne, erläuterte P. Pasolini weiter. Sein Durst stehe letztlich auch sinnbildlich für das menschliche Verlangen nach Liebe, Zuwendung und Annahme: »Um das zu bitten, was wir brauchen, und zuzulassen, dass andere es uns anbieten, ist vielleicht eine der höchs-ten und demütigsten Formen der Liebe. Dazu müssen wir allen Stolz, aber auch jegliche Täuschungen aufgeben, dass wir uns selbst retten könnten. Die Not nicht als eine Schwäche akzeptieren, die man verstecken muss, sondern als eine Wahrheit, die man durchleben soll. Und erkennen, dass wir allein nicht leben können – und nicht leben wollen.«

Selbsthingabe aus Liebe

Als Jesus dann von dem Essig genommen hatte, den die spöttelnden Wachen ihm anstelle des erbetenen Wassers gereicht hatte, verstarb er, nachdem er die Worte gesprochen hatte: »Es ist vollbracht« (Joh 19,30).

»Jesus bezeugt die Vollendung seines und unseres Menschseins, wenn er, von allem beraubt, beschließt, uns sein Leben und seinen Geist ganz zu geben«, unterstrich P. Pasolini mit Blick auf die Todesstunde Jesu. Dies sei also »keine passive Hingabe«, sondern ein »Akt höchster Freiheit«, der die »Schwäche als den Ort annimmt, an dem die Liebe sich vollendet«: »Nicht Selbstbestimmung oder große Leistungen geben dem Leben einen Sinn, sondern die Fähigkeit, die Begrenztheit in eine Gelegenheit zum Geschenk zu verwandeln. Mit dieser Geste offenbart uns Jesus, dass nicht die Stärke die Welt rettet, sondern die Schwäche einer Liebe, die nichts zurückhält.«

In einer leistungsorientierten Gesellschaft wie der heutigen werde Schwäche allerdings oft verdrängt, so dass es schwerfalle, »Momente der Niederlage oder der Passivität als mögliche Orte der Erfüllung zu erkennen«. Vielmehr werde es uns unbehaglich, wenn wir mit derartigen Momenten konfrontiert würden, und wir versuchten, aus der miss-lichen Lage zu entkommen, die wir als Gefängnis empfinden. Allerdings liege vor allem in Momenten der Ohnmacht eine tiefe Wahrheit, zeige sich die Liebe doch gerade in den Situationen, in denen es »nichts mehr zu tun« gebe: »Aber das Schönste, was es zu tun gibt ist: uns endlich hinzugeben.«

Vertrauen trotz Angst und Leid

Das Jubiläumsjahr lade uns ein, Christus als Anker der Hoffnung zu sehen, ging P. Pasolini abschließend auch auf das aktuelle Heilige Jahr ein, das Papst Franziskus unter das Motto der Hoffnung gestellt habe. Doch Glauben falle nicht leicht – vor allem nicht, wenn Leid oder Einsamkeit uns träfen, räumte er ein. Deshalb rufe der Hebräerbrief dazu auf, mit Zuversicht zum »Thron der Gnade« zu treten, um Hilfe zu empfangen. Die Kreuzverehrung an Karfreitag werde so zu einem Akt tiefen Vertrauens: »In diesem Moment der Anbetung werden wir die Gelegenheit haben, unser volles Vertrauen in die Art und Weise zu erneuern, in der Gott die Welt retten will, und wir werden auch in der Lage sein, uns mit dem Schicksal von Leiden, Tod und Auferstehung zu versöhnen, auf das unser Leben unausweichlich zusteuert.«

Dies bedeute allerdings nicht, dass die »Angst verschwinden« oder der »Weg plötzlich sicher« werde: »Es bedeutet nur, dass wir Christen heute, mitten im Jubiläum, den Kreuzweg als die einzig mögliche Richtung unseres Lebens wählen.«

Liebe und Geschwisterlichkeit

Zwar seien wir uns bewusst, dass unsere eigenen Kräfte nicht ausreichten, um diesen Weg zu gehen, doch im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes könnten wir uns an das Wesentliche erinnern: »So wie wir geliebt wurden, werden wir fähig sein zu lieben, unsere Freunde und sogar unsere Feinde. Dann werden wir Zeugen und Zeuginnen für die eine Wahrheit sein, die die Welt rettet: Gott ist unser Vater. Und wir alle sind Schwestern und Brüder in Christus Jesus, unserem Herrn«, schloss der Päpstliche Haus-prediger die Karfreitagspredigt.

Anschließend folgten die in lateinischer Sprache vorgetragenen Großen Fürbitten für die Anliegen der Kirche und der Welt, bevor nach dem Wortgottesdienst in einem zweiten Teil der Liturgie die Erhebung und Verehrung des Kreuzes folgte, bevor die Anwesenden im dritten Teil dieser besonderen Liturgie – am Karfreitag werden keine heiligen Messen gefeiert – die Kommunion empfingen. Nach dem abschließenden Gebet des Zelebranten, Kardinal Claudio Gugerotti, verließen die Gläubigen gemessen und in Stille – wie
auch bereits beim Einzug vorgesehen – den Petersdom. 

(Vatican News, Christine Seuss und
P. Martin Wolf OMI/Osservatore Romano)