Vorwort von Papst Franziskus für ein Buch von Kardinal Angelo Scola

Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein Neubeginn

 Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein Neubeginn  TED-017
02. Mai 2025

Wir veröffentlichen im Folgenden einen der letzten Texte des Papstes: das auf den 7. Februar datierte Vorwort für ein Buch von Kardinal Angelo Scola, emeritierter Erzbischof von Mailand. Das in der Vatikanischen Verlagsbuchhandlung (Libreria Editrice Vaticana) erschienene Buch ist seit 24. April in italienischer Sprache erhältlich. Unter dem Titel »Warten auf einen Neubeginn. Gedanken über das Alter« behandelt der 83-jährige Kardinal den letzten Lebensabschnitt und das ewige Leben. Papst Franziskus schreibt:

Es hat mich sehr berührt, diesen Text zu lesen, der dem Denken und der Zuneigung von Angelo Scola entsprungen ist, einem lieben Mitbruder im Bischofsamt, der in der Kirche wichtige Dienste übernommen hat, zum Beispiel als Rektor der Päpstlichen Lateranuniversität und dann als Patriarch von Venedig und Erzbischof von Mailand. Vor allem möchte ich ihm meinen tief empfundenen Dank aussprechen für diese Reflexion, die persönliche Erfahrung und kulturelle Sensibilität auf eine Art und Weise verbindet, wie ich dies selten gelesen habe. Das eine – die Erfahrung – wirft Licht auf das andere – die Kultur; letztere verleiht der ersteren Substanz. In dieser geglückten Verknüpfung erblühen Leben und Kultur in Schönheit.

Die Kürze des Buches sollte nicht täuschen, denn es ist sehr tiefgehend, inhaltsreich und ist es wert, immer wieder gelesen zu werden. Den Reflexionen von Angelo Scola entnehme ich einige Anregungen, die dem besonders nahe sind, was ich aus meiner eigenen Erfahrung verstanden habe.

Angelo Scola spricht über das Alter, über sein Alter, das ihm – wie er mit entwaffnender Offenheit schreibt – »mit einer plötzlichen und in vielerlei Hinsicht unerwarteten Schnelligkeit auf den Leib gerückt ist«.

Bereits in der Wortwahl der Selbstbezeichnung als »alt« fühle ich mich im Einklang mit dem Verfasser. Ja, wir dürfen keine Angst haben vor dem Alter. Wir sollten uns nicht fürchten, das Altwerden anzunehmen, denn so ist das Leben, und die Wirklichkeit zu beschönigen, ist Verrat an der Wahrheit der Dinge, so wie sie sind. Einem Wort, das allzu häufig als »unheilvoll« betrachtet wird, Stolz und Würde zurückzugeben, dafür sollten wir Kardinal Scola dankbar sein. Denn die Bezeichnung »alt« ist nicht gleichbedeutend mit »kann weggeworfen werden«, wie dies eine verfallende Kultur des Aussortierens zuweilen nahelegt. »Alt« bedeutet vielmehr, von Erfahrung, Weisheit, Unterscheidungsvermögen, Besonnenheit, Zuhören, Langsamkeit… zu sprechen, und das sind Werte, die wir äußerst dringend brauchen!

Es ist wahr, dass wir alt werden, aber das ist nicht das Problem. Das Problem besteht darin, wie wir alt werden. Ob wir diesen Lebensabschnitt als Gnade leben und nicht voll Bitterkeit; ob wir diese Zeit (die auch länger sein kann), in der die Kräfte nachlassen, die Beschwerden des Leibes zunehmen, das Reaktionsvermögen nicht mehr dasselbe ist wie in unserer Jugend, mit einem Gefühl der Dankbarkeit akzeptieren, denn dann wird auch das Alter zu einer wirklich fruchtbaren Lebenszeit, die das Gute ausstrahlen kann, wie es uns Romano Guardini gezeigt hat.

Angelo Scola unterstreicht den menschlichen und gesellschaftlichen Wert der Großeltern. Mehrfach habe ich betont, dass die Rolle der Großeltern von grundlegender Bedeutung ist für eine ausgeglichene Entwicklung der jungen Menschen, und letztlich für eine friedlichere Gesellschaft. Denn ihr Vorbild, ihre Worte und ihre Weisheit können den Jüngeren Weitsicht, das Gedächtnis der Vergangenheit und die Verankerung in bleibenden Werten vermitteln.

Inmitten der Hektik unserer Gesellschaften, die sich oft dem Flüchtigen und der ungesunden Vorliebe für den äußeren Schein verschrieben haben, wird die Weisheit der Großeltern zu einem Licht, das die Ungewissheit erhellt und den Enkelkindern Orientierung gibt, die aus ihrer Erfahrung ein »Mehr« im Vergleich zu ihrem eigenen alltäglichen Leben schöpfen können.

Die Worte, die Angelo Scola dem Thema des Leidens, das sich beim Altwerden oft einstellt, und dann dem Tod widmet, sind Juwelen des Glaubens und der Hoffnung. In der Argumentation dieses bischöflichen Mitbruders höre ich ein Echo der Theologie von Hans Urs von Balthasar und Joseph Ratzinger, eine Theologie »auf Knien«, durchdrungen von Gebet und Dialog mit dem Herrn. Aus diesem Grund habe ich zu Beginn gesagt, dass dieser Text dem »Denken und der Zuneigung« von Kardinal Scola entsprungen ist: nicht nur dem Denken, sondern auch der affektiven Dimension, auf die der christliche Glaube verweist, weil Chris-tentum nicht so sehr intellektuelle Tätigkeit oder moralische Entscheidung ist, sondern die Zuneigung zu einer Person, zu Christus, der zu uns gekommen ist und beschlossen hat, uns Freunde zu nennen.

Gerade der Schluss dieses Buches von Angelo Scola, wo er mit offenem Herzen bekennt, wie er selbst sich auf die endgültige Begegnung mit Jesus vorbereitet, vermittelt uns neu eine tröstliche Gewissheit: Der Tod ist nicht das Ende von allem, sondern der Anfang von etwas. Es ist ein Neubeginn, wie der Titel weise hervorhebt, denn das ewige Leben – das der Liebende bereits auf der Erde erfahren kann – bedeutet, etwas zu beginnen, was nicht enden wird. Und genau aus diesem Grund ist es ein Neubeginn, denn wir werden etwas leben, was wir nie zuvor in Fülle gelebt haben: die Ewigkeit.

Mit diesem Buch in den Händen möchte ich im Geiste erneut dasselbe tun, was ich in der Sixtinischen Kapelle kurz nach dem Anlegen des weißen Papstgewandes getan habe: mit großer Wertschätzung und Zuneigung Bruder Angelo umarmen, die wir jetzt beide älter sind als an jenem Tag im März 2013. Aber stets verbunden in der Dankbarkeit gegenüber diesem liebevollen Gott, der uns Leben und Hoffnung schenkt – in jedem Alter unseres Lebens.

Vatikanstadt, 7. Februar 2025