Vorbereitete Katechese von Papst Franziskus für die Generalaudienz vom 9. April

Der Blick Jesu und der Ruf zur Freiheit

 Der Blick Jesu und der Ruf zur Freiheit  TED-015
19. April 2025

Im Folgenden veröffentlichen wir die Katechese des Papstes zur Generalaudienz vom 9. April. Da sich der Heilige Vater derzeit in seiner Residenz Domus Sanctae Marthae auskuriert und keine öffentlichen Audienzen stattfinden, wurde der Text in schriftlicher Form verbreitet. Die Betrachtung gehört zur Katechesereihe zum Thema »Jesus Christus, unsere Hoffnung« und ist der Begegnung zwischen Jesus und dem reichen jungen Mann gewidmet:

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute sprechen wir über eine weitere der Begegnungen Jesu, von denen die Evangelien berichten. Diesmal hat die Person, der er begegnet, jedoch keinen Namen. Der Evangelist Markus stellt sie einfach als »ein Mann« vor (10,17). Es handelt sich um einen Mann, der von Jugend an die Gebote befolgt, aber trotzdem noch nicht den Sinn seines Lebens gefunden hat. Er sucht ihn. Vielleicht ist es jemand, der sich nicht bis ins Letzte entschieden hat, trotz seines scheinbaren Einsatzes. Denn was wirklich zählt, um glücklich zu sein – über das, was wir tun, die Opfer oder die Erfolge hinaus –, ist das, was wir im Herzen tragen. Wenn ein Schiff in See stechen und den Hafen verlassen soll, um auf das offene Meer hinauszufahren, mag es zwar ein wunderbares Schiff sein, mit einer außergewöhnlichen Mannschaft, aber wenn es nicht seine Lasten und die Anker, die es festhalten, hochzieht, dann wird es nie aufbrechen können. Dieser Mann hat sich ein Luxusschiff gebaut, aber er ist im Hafen geblieben!

Vokabular der Unentgeltlichkeit

Während Jesus auf dem Weg ist, läuft dieser Mann auf ihn zu, fällt vor ihm auf die Knie und fragt ihn: »Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?«
(V. 17). Beachten wir die Verben: »Was ›muss ich tun‹, um das ewige Leben zu ›erben‹«. Da die Befolgung des Gesetzes ihm nicht die Glückseligkeit und die Sicherheit gegeben hat, gerettet zu sein, wendet er sich an Jesus, den Meister. Beeindruckend ist, dass dieser Mann nicht das Vokabular der Unentgeltlichkeit kennt! Alles scheint geschuldet zu sein. Alles ist eine Pflicht. Das ewige Leben ist für ihn ein Erbe, etwas, auf das man einen Anspruch hat, durch eine gewissenhafte Einhaltung der Verpflichtungen. Welchen Platz kann die Liebe in einem solchen Leben haben, auch wenn es sicher gut gemeint ist?

Wie immer geht Jesus über den Anschein hinaus. Wenn dieser Mann Jesus seinen
schönen Lebenslauf präsentiert, so geht Jesus darüber hinaus und schaut ins Innere. Das Verb, das der Meister gebraucht, ist sehr bedeutsam: Er »sah ihn an« (V. 21). Gerade weil Jesus uns ansieht, in das Innere eines jeden von uns sieht, liebt er uns, wie wir wirklich sind. Denn was wird er in diesem Menschen gesehen haben? Was sieht Jesus, wenn er in uns hineinsieht und uns liebt, trotz unseren Zerstreuungen und unseren Sünden? Er sieht unsere Schwäche, aber auch unseren Wunsch, so geliebt zu werden, wie wir sind.

Beziehung zu Gott

Er sah ihn an – heißt es im Evangelium – und »gewann ihn lieb« (V. 21). Er liebt ihn so, wie er ist. Die Liebe Jesu ist unentgeltlich: genau das Gegenteil der Logik des Verdiens-tes, die diesen Menschen umtrieb. Wir sind wirklich glücklich, wenn wir merken, dass wir so geliebt werden, unentgeltlich, aus Gnade. Und das gilt auch in den Beziehungen unter uns: Solange wir versuchen, Liebe zu kaufen oder um Zuneigung zu betteln, werden uns jene Beziehungen nie glücklich machen.

Der Vorschlag, den Jesus diesem Mann macht, besteht darin, seine Art zu leben und sich zu Gott in Beziehung zu setzen, zu ändern. Denn Jesus erkennt, dass in ihm, wie in uns allen, ein Mangel ist. Es ist der Wunsch, den wir im Herzen tragen, geliebt zu werden. Es gibt eine Wunde, die zu uns als Menschen gehört, die Wunde, durch die die Liebe eintreten kann.

Um diesen Mangel zu beheben, muss man nicht Anerkennungen, Liebe, Beachtung »kaufen«; vielmehr muss man alles »verkaufen«, was uns belastet, um unser Herz freier zu machen. Es nützt nichts, immer weiter etwas für uns selbst zu nehmen, sondern man muss vielmehr den Armen geben, zur Ver-fügung stellen, teilen.

Schließlich lädt Jesus diesen Mann ein, nicht allein zu bleiben. Er lädt ihn ein, ihm nachzufolgen, in einer Bindung zu stehen, eine Beziehung zu leben. Denn nur so wird es möglich sein, aus der Anonymität herauszukommen. Wir können unseren Namen nur innerhalb einer Beziehung hören, in der jemand uns beim Namen nennt. Wenn wir allein bleiben, werden wir nie unseren Namen gesprochen hören und werden weiterhin »irgendjemand« sein, namenlos. Vielleicht entdecken wir heute, gerade weil wir in einer Kultur der Selbstgenügsamkeit und des Individualismus leben, dass wir unglücklicher sind, weil wir unseren Namen nicht gesprochen hören von jemandem, der uns unentgeltlich liebt.

Dieser Mann nimmt die Einladung Jesu nicht an und bleibt allein, denn die Lasten seines Lebens halten ihn im Hafen fest. Die Traurigkeit ist das Zeichen dafür, dass es ihm nicht gelungen ist aufzubrechen. Manchmal meinen wir, dass es Reichtümer seien, und stattdessen sind es nur Lasten, die uns blockieren. Die Hoffnung ist, dass dieser Mensch, wie ein jeder von uns, sich früher oder später verändern und beschließen möge aufzubrechen.

Schwestern und Brüder, vertrauen wir dem Herzen Jesu alle traurigen und unentschlossenen Menschen an, auf dass sie den liebevollen Blick des Herrn spüren mögen, der Mitleid hat, wenn er mit Zärtlichkeit in unser Inneres blickt.

(Orig. ital. in O.R. 9.4.2025)