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Erste Fastenmeditation des Predigers des Päpstlichen Hauses, P. Roberto Pasolini OFMCap

Die Logik der Taufe: Empfangen lernen

 Die Logik der Taufe: Empfangen lernen  TED-013
04. April 2025

In diesem Jahr ist der Kapuziner Roberto Pasolini zum ersten Mal für die Fastenmeditationen im Vatikan verantwortlich, die er unter das Thema »Verankert in Christus. Verwurzelt und gegründet in der Hoffnung auf das neue Leben« gestellt hat. Im Folgenden der Wortlaut der in Schriftform verbreiteten ersten Meditation, die der Kapuziner am
21. März in der vatikanischen Audienzhalle gehalten hat.

Zu Beginn dieses Heiligen Jahres sind wir eingeladen worden, auf Christus zu blicken als »sicheren und festen Anker«, in dem unsere Hoffnung nicht enttäuscht wird, sondern der »uns ermutigt, weiterzugehen, ohne die Größe des Ziels aus den Augen zu verlieren, zu dem wir berufen sind: den Himmel« (Spes non confundit, 25). Es ist ein Bild voller Hoffnung, das der Heilige Vater der Kirche anvertraut hat, wobei er uns daran erinnert, dass wir durch die Taufe in Christus verankert sind, der unsere Menschennatur in das himmlische Heiligtum gebracht hat, vor das Angesicht des Vaters (vgl. Hebr 6,19), wo
er allezeit lebt, um für uns einzutreten (vgl. Hebr 7,25).

Dies ist eine sehr tröstliche Perspektive, aber uns ist auch bewusst: Damit wir nicht nur in Worten, sondern in Tat und Wahrheit eng mit ihm verbunden bleiben können, müssen wir uns die Dynamik der »Umkehr zum Evangelium« aneignen und zulassen, dass der Heilige Geist Umrisse und Grenzen unseres Menschseins neu gestaltet. Diese Verwurzelung in Christus, bei der wir fügsam den Anregungen des Heiligen Geistes folgen, ist ein Prozess, dessen Ergebnis alles andere als selbstverständlich ist. Im Neuen Testament finden wir zahlreiche Ermahnungen, nicht diese Fähigkeit zu verlieren, standhaft zu bleiben in der einzigen Hoffnung des Evangeliums.

»Jetzt aber hat er euch durch den Tod seines sterblichen Leibes versöhnt, um euch heilig, untadelig und schuldlos vor sich hintreten zu lassen. Doch müsst ihr im Glauben bleiben, fest und in ihm verwurzelt, und ihr dürft euch nicht von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, abbringen lassen. In der ganzen Schöpfung unter dem Himmel wurde es verkündet und ich, Paulus, bin sein Diener geworden« (Kol 1,22-23).

»Jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut. Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Chris-tus« (1 Kor 3,10-11).

»Ich bin erstaunt, dass ihr euch so schnell von dem abwendet, der euch durch die Gnade Christi berufen hat, und dass ihr euch einem anderen Evangelium zuwendet« (Gal 1,6).

Es gibt in der Kirche diese beständige Versuchung, einfachere und eingängigere Worte zu suchen als die des Evangeliums. Aber so entfernt man sich von dem einzigen Grund, der Christus ist. Aber sein Leben ist die au-ßerordentlichste Offenbarung dessen, was unsere menschliche Natur werden kann, wenn sie sich von Gottes Logik leiten lässt. Dazu gehört eine beständige Umkehr unseres Denkens, und zwar sowohl in Bezug auf das, was wir sind, als auch auf das, wozu uns die Gnade beruft und befähigt. Deshalb werden wir in den Meditationen dieser Fastenzeit versuchen, die Haltung von Jüngern Jesu anzunehmen, die von seiner Lebensweise lernen wollen, welche Haltungen wesentlich sind, um gemeinsam auf ein neues und ewiges Leben zuzugehen. Der erste Punkt des Lebens Christi, den wir betrachten wollen, ist seine Taufe, ein Ereignis, das den Beginn seiner Sendung markiert und deren tiefen Sinn offenbart.

1. Den Vorrang lassen

Die langen Jahre des verborgenen Lebens Jesu in Nazaret, die dem Tag seiner Taufe vorausgingen und ihn vorbereitet haben, gehören zu den faszinierendsten und geheimnisvollsten Aspekten seines Lebens. Der Überlieferung zufolge hat er an der Seite Josefs den Beruf eines Zimmermanns ausgeübt, neuere Vermutungen legen auch eine mögliche Einbindung in ein religiöses Umfeld nahe, das vielleicht mit Johannes dem Täufer in Beziehung stand. Obwohl es dafür keine sicheren Beweise gibt, stellt sich eine grundlegende Frage: Welche Bedeutung hat diese lange Zeit des Schweigens im Hinblick auf die Sendung Jesu?

Die Evangelien scheinen darauf hinzuweisen, dass Christus sich von der historischen Realität, in der er lebte, formen lassen wollte, bevor er begann, im Namen Gottes zu sprechen und zu handeln. Er hat weder der Zeit vorgegriffen noch einen kürzeren Weg gesucht, um sich zu offenbaren. Diese seine Handlungsweise lädt uns ein, den Wert der »Zeit im Verborgenen« wiederzuentdecken, jener Zeit, in der die Wurzeln stärker werden und die Identität sich in der Stille des Alltags formt. Auch in unserem Leben reifen die wichtigsten Entscheidungen oft in einer Zeit der verborgenen Vorbereitung heran, in der die Sehnsucht sich entwickelt und die Freiheit sich formt durch die Treue in den kleinen, alltäglichen Dingen.

Die großartige Nachricht des Evangeliums ist genau dies: Bevor der Sohn Gottes außerordentliche Werke vollbringt, hat er begonnen die Welt zu retten, indem er ganz einfach bei uns war, unsere Erfahrungen teilte und sich von den Ereignissen der menschlichen Geschichte berühren ließ. Das Heil Gottes wird nicht aufgezwungen, indem es die Dinge sofort ändert, sondern es bietet sich an als eine Begegnung, die Hoffnung weckt, als ein geduldiger Weg, auf dem sich die Liebe in den einfachen und konkreten Gesten des alltäglichen Lebens offenbart.

Eine Bestätigung für diese Haltung des Anwesend-Seins, ohne sich aufzudrängen, finden wir in der Szene der Taufe Jesu, dem feierlichen Beginn seines öffentlichen Wirkens.

»Und es geschah in jenen Tagen, da kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen« (Mk 1,9).

In allen Evangelien geht der Taufe Jesu die eindrückliche, überzeugende Predigt Johannes des Täufers voraus. Er greift den Kern der in der jüdischen Tradition enthaltenen prophetischen Stimmen auf und verkündet die unmittelbar bevorstehende Ankunft Christi als das Kommen eines Feuers, das in der Lage ist, das Volk von seinen Sünden zu reinigen durch die lebenspendende Kraft des Geistes Gottes. Die Herabkunft dieses reinigenden Feuers hatte man sich oft als ein mit Furcht und Schrecken verbundenes Ereignis vorgestellt, wie es die Stimme des Johannes in den Evangelien bezeugt: »Schon hält er die Schaufel in der Hand; und er wird seine Tenne reinigen und den Weizen in seine Scheune sammeln; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen« (Mt 3,12; vgl. Lk 3,17).

Die Art und Weise, wie Jesus diese Prophezeiungen verkörpert, kann nur überraschen. Aus Nazaret an den Jordan gekommen, wo die Bußübung der Taufe im Gange war, besteht seine erste Geste darin, etwas zu tun, das mit einem Verb im Passiv beschrieben wird: »Er ließ sich taufen.« Das Matthäus-evangelium unterstreicht in den Worten des Täufers die Überraschung angesichts dieser seltsamen Haltung: »Ich müsste von dir getauft werden und du kommst zu mir?« (Mt 3,14). Uns erscheint es unangemessen und sogar nutzlos, dass Gott sich zunächst bestimmen lässt von etwas, das wir tun. Gott dagegen ist überzeugt, dass das Schönste und Notwendigste gerade dies ist, dass er eintaucht in unsere Wasserfluten, um uns daran zu erinnern, dass unsere Wirklichkeit mit all ihren Licht- und Schattenseiten ein Ort des Heils werden kann: »Lass es nur zu! Denn so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen« (Mt 3,15).

Das erste Bild Gottes, auf das wir in der Taufe Jesu unseren Blick konzentrieren können, ist entwaffnend. Statt etwas zu tun – oder schlimmer noch: uns etwas anzutun – zieht Gott es vor, zuzulassen, dass es unsere Hände sind, die etwas mit ihm tun. Es ist ein großer Vertrauensbeweis uns gegenüber, nicht frei von dramatischen Folgen, die im Augenblick der Passion offenbar werden, wenn Christus sich uns ausliefert im Schweigen, in einer vollkommenen Bereitschaft, aus Liebe zu leiden bis zum Tod am Kreuz.

Doch gerade in diesem grauenvollen Ereignis ungerechten, unschuldigen Leidens wird der Grund klar erkennbar, warum der Sohn Gottes unser Handeln an ihm zulassen will – mit einer ebenso absoluten wie für uns unverständlichen Demut. Wie die Sünde unsere Menschlichkeit in den Abgrund der Dunkelheit des Individualismus gezogen hat, der uns zur Isolation in der Angst führt und uns der Gemeinschaft mit Gott und mit den anderen beraubt, so kann das Heil nur kommen durch einen, der ganz ohne Angst auf uns zugeht. Unser erstes Bedürfnis – was wir im religiösen Sprachgebrauch als Heil bezeichnen – besteht nicht darin, dass wir verwandelt werden, sondern dass wir erreicht, be-rührt werden.

In dieser scheinbaren Passivität Christi bei seiner Taufe muss man allerdings auch ein gewisses Tätigsein Gottes wahrzunehmen wissen, denn in diesem offenbart sich ein einzigartiges Merkmal seiner Liebe. Normalerweise denken wir, dass jemanden zu lieben bedeutet, ihn gern zu haben, ihm wohlgesonnen zu sein und dieses Gefühl durch symbolische Gesten unter Beweis zu stellen. Aber lieben bedeutet auch – vielleicht noch tiefer – das Wohl des anderen zu wollen. Aus dieser Sicht sind die Taten, durch die der andere sich wohler fühlen kann, nicht die, die unsere Großherzigkeit unterstreichen, sondern die, die ihm helfen, sich nicht länger unzulänglich und ausgegrenzt zu fühlen. So können wir diese Haltung Gottes verstehen, dessen erster Impuls es ist, »unser Handeln an ihm zuzulassen«, als Ausdruck eines konkreten Willens, unser Wohl im Auge zu haben, indem er nicht seiner Stärke, sondern unserer Schwäche den Vorrang gibt.

Das gesamte Leben Jesu wird von dieser Logik der Aufmerksamkeit für den Nächsten geprägt sein, durchdrungen von einem Stil, bei dem das Antlitz des anderen vor jeglichen Normen oder abstrakten Prinzipien kommt, so sehr, dass dafür am Ende ein unendlich hoher Preis zu bezahlen sein wird. Auch wenn Jesus dafür dem jüdischen Kult – der wie jedes religiöse System der Gefahr ausgesetzt ist, die Aufmerksamkeit für das Leben der Praxis des Gesetzes unterzuordnen – zuwiderhandeln muss, wird er immer den Schwachen, Leidenden und Sündern den Vorrang geben.

Dadurch dass Jesus seine Sendung der Heilung und Rettung von unten her beginnt, in den Wassern unseres schwachen Menschseins, wollte er das Mitleid als Dreh- und Angelpunkt einer radikal neuen Menschlichkeit einführen. In einer von allen Synoptikern berichteten Begebenheit erweist sich ganz klar das Mitleid Jesu, das immer den anderen in den Mittelpunkt zu stellen weiß. Als die Zwölf – die ausgesandt worden waren, um jeweils zu zweit das Reich Gottes zu verkünden – sich wieder um den Meister versammeln, um ihm von all dem, was sie getan und gelehrt haben, zu berichten, ahnt der Herr, dass die Jünger nicht nur das Bedürfnis haben, von sich selbst zu erzählen, sondern auch die Notwendigkeit besteht, dass sie sich nicht zu sehr mit den eben vollbrachten Werken identifizieren.

»Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus! Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. Als er ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange« (Mk 6,31-34).

Auszuruhen war für die Jünger und Jesus ein notwendiges, ja sakrosanktes Bedürfnis. Niemand sollte je diese erste und grundlegende Aufmerksamkeit für sich selbst vernachlässigen. Wenn wir uns zu sehr von unserer Verantwortung und unseren Rollen in Beschlag nehmen lassen, laufen wir Gefahr, unsere Menschlichkeit zu verausgaben, weil wir den Wunsch, den anderen wirklich Gutes zu tun, verwechseln mit dem Anspruch, gute Arbeit zu leisten. Jedoch kann diese grundlegende Notwendigkeit des Ausruhens in den Hintergrund rücken, wenn wir jemanden vor uns haben, angesichts dessen unser Inneres spontan von Mitleid erfüllt wird. Wenn wir entdecken, dass wir über die Kraft verfügen, uns selbst zurückzunehmen, und das nicht aufgrund des Bedürfnisses, uns nützlich zu fühlen, sondern aus dem spontanen und freien Wunsch heraus, ein wenig von dem zu teilen, was wir sind und haben, dann können wir ein großes Glück empfinden. Es geht nicht darum, dass wir das Gefühl haben, gut – oder gar besser als die anderen – zu sein, sondern um die Freude zu entdecken, dass Gottvater wirklich für alle sorgen kann, wenn seine Kinder den Weg der Solidarität und der Logik des Mitleids wählen.

2. Durch die Prüfung gehen

Um zu entdecken, dass wir in der Lage sind, dem anderen den Vorrang zu geben, müssen wir uns etwas klar vor Augen führen und aneignen, nämlich eine Liebe, die in der Lage ist, unsere Wirklichkeit als etwas Schönes und Gutes zu sehen. Das ist es, was Jesus widerfährt, sobald sich sein Leib von Johannes in die Wasser des Jordan eintauchen
lässt.

»Und sogleich, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel aufriss und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam« (Mk 1,10).

Sogleich, denn kaum haben wir uns entschieden, einen Schritt echten Teilens auf der Erde zu tun, auf der unsere Brüder und Schwestern in der menschlichen Natur wandeln, haben wir auch einen Schritt zu Gottes Himmel hin getan. Ja, wir können sogar, wie es das Evangelium bezeugt, die außerordentliche Entdeckung machen, dass der Himmel – Ursprung und die Bestimmung unserer menschlichen Natur – nicht oben liegt, sondern unten. Die Geste der Taufe Jesu offenbart, dass nur eine Bewegung des Sich-Niederbeugens in die Schwäche und Zerbrechlichkeit der menschlichen Natur uns den Zugang zur Stimme und Größe Gottes eröffnet.

Angesichts der Geste Jesu – der in der Taufe die Entscheidung zum Ausdruck bringt, sich uns auszuliefern, indem er unserer Menschennatur den Vorrang gibt – öffnet sich buchstäblich der Himmel wie ein Tuch, das in der Nähe einer lodernden Flamme nicht unversehrt bleiben kann. Das Aufreißen des Himmels – dieses Ortes, der in der Sprache der Bibel der Sitz Gottes ist – bezeugt, dass der Himmel nicht anders kann, als eine Bewegung der Annäherung an eine tief ersehnte und schließlich wiedergefundene Ähnlichkeit mit uns zu vollziehen, wenn unsere Menschennatur ihre Fähigkeit zum Mitleiden entdeckt.

Das Schauspiel ist Jesus allein vorbehalten und nicht für die Anwesenden bestimmt, denn es handelt sich nicht um eine öffentliche Lobrede, sondern um eine innere, unvergessliche Erfahrung, die dem vorbehalten ist, der sich von der Liebe formen lässt. Das Herabkommen des Heiligen Geistes in sichtbarer, fassbarer Weise, als wäre er eine Taube, bedeutet, dass Jesus sich nach seiner Taufe wahrnimmt als jemand, der fähig ist, ein Leben zu haben und hervorzubringen, das größer ist als er selbst: das Leben des Vaters und seiner unendlichen Liebe zur Menschheit. Sich geliebt zu fühlen, ist nicht nur eine Emotion, sondern das Bewusstsein, für jemanden wirklich wichtig zu sein, fruchtbar zu sein. Diese affektive Reife, die wir alle brauchen, erreichen wir nicht, wenn wir uns auf einem Sockel isolieren, sondern indem wir es akzeptieren, uns auf das Leben der andern einzulassen.

»Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden« (Mk 1,11).

Die Stimme aus dem Himmel offenbart das Geheimnis unseres menschlichen Lebens: Immer dann, wenn wir so leben, als wären wir alle Brüder und Schwestern – »fratelli tutti« –, dann muss auch unsere Identität als geliebte Kinder des Vaters zum Vorschein kommen. Das ganze Geheimnis Gottes ist in dieser Szene gegenwärtig: Der Vater, der seine Liebe auf die Erde herabkommen lässt; der Heilige Geist, der in unserem Mensch-Sein sein Zelt aufschlägt; und natürlich der Sohn, der in allem – mit Ausnahme der Sünde – unser sterbliches Fleisch teilen wollte.

Nach dem Vollzug seiner Taufe bleibt Jesus keineswegs bei der gerade erlebten Tröstung stehen, denn er steigt aus dem Wasser und lässt sich sehr fügsam zu einer anderen, unvorhersehbaren Erfahrung führen.

»Und sogleich trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt« (Mk 1,12-13a).

Während Lukas und Matthäus sich bemühen, den Moment der Prüfung in der Wüste ausführlich zu schildern, gibt Markus dem Leser eine knappe, wesentliche Zusammenfassung der Versuchungen Jesu. Was Markus aber mit einer gewissen Originalität hervorhebt, ist die fast gewaltsame Art und Weise, mit der Jesus durch den Geist in diesen Raum der Prüfung seines Willens eingetaucht wird. Das verwendete griechische Verb (»ekballō«), das mit »hinauswerfen« oder »vertreiben« übersetzt werden kann, ist dasselbe Verb, das der Evangelist verwenden wird, um die Austreibung von Dämonen und unreinen Geistern durch Jesus (vgl. Mk 1,34.39; 6,13; 7,26; 9,18) oder durch die Jünger (vgl. Mk 3,15; 6,13; 9,18.28) zu beschreiben.

Da der Geist eine unsichtbare Kraft ist, der unseren Entscheidungen und Taten aus dem tiefen Inneren eine Richtung gibt, könnten wir sagen, dass Christus nach der Taufe das Bedürfnis spürt, sich selbst auf die Probe zu stellen, um sich die empfangene Gabe anzueignen und so die gewählte Geste der Taufe zu einer tief verwurzelten Haltung werden zu lassen, die über den Impuls eines Augenblicks hinausgeht. Mit anderen Worten: Er akzeptiert das harte, aber notwendige Gesetz der Initiation, ohne die jeder Impuls unserer Freiheit nur eine Illusion zu bleiben droht. Leider neigen wir dazu, diese Erprobung zu meiden, die für jede echte Entscheidung notwendig ist. Wir meinen, dass wir uns mit der Kraft der guten Gefühle auf die großen Wege des Lebens wagen können, und vertrauen dabei auf unsere Fähigkeit, uns anzupassen und zurechtzukommen. Wir überspringen die mühsame Erfahrung der Lehrzeit, in der unsere Mentalität aufgedeckt werden und lernen soll, sich zu reinigen von der Illusion müheloser Erfolge und der Täuschung billiger Abkürzungen. Unsere Welt ist reich an Tutorials, um alles Mögliche zu erlernen und zu vollbringen, aber sehr arm an Menschen, die bereit sind, sich auf die Probe stellen zu lassen, um die Authentizität ihrer Wünsche zu verifizieren.

Matthäus und Lukas berichten von drei Arten der Versuchung, denen Jesus in der Wüste entgegentritt. In ihrer Unterschiedlichkeit haben die Prüfungen doch einen gemeinsamen Nenner in der Verabsolutierung der eigenen Bedürfnisse und des eigenen Empfindens: Nahrung, Reichtum, Macht. Markus legt nicht weiter dar, welchen Versuchungen Jesus sich zu stellen hatte, es sei denn später, etwa in der Mitte des Evangeliums, wo Petrus als »Satan« apostrophiert wird, weil er versucht, dem Meister das Leiden am Kreuz zu ersparen. Betrachtet man dies im Zusammenhang, so könnte man folgern, dass Jesus nach der Taufe in eine Zeit der Prüfung eingetreten ist, die seine gesamte Existenz andauerte, um eine Menschheit anzunehmen, die bereit war, sich niemals abbringen zu lassen vom Kriterium des Mitleids und des Vorrangs der anderen.

Es geschieht oft, dass wir Entscheidungen treffen, für die wir dann nicht geradestehen wollen. Wir versuchen Positionen zu vertreten, die wir dann nicht aufrechterhalten können. Dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Wir glauben, dass wir ohne Training zum Wettkampf antreten können. Wir wollen die Früchte kosten und dabei den langsamen Prozess der Reifung vermeiden. Wir sind nicht bereit, das Kreuz zu akzeptieren, als Beglaubigung unseres Wunsches , eine große Liebe anzunehmen. Im »Vaterunser« lehrt Jesus die Jünger aller Zeiten, am Ende jedes authentischen Gebetes, Gott mutig zu bitten, nicht dass er uns vor den Momenten der Prüfung – die notwendig sind, um uns zu Treue und Tiefe zu befähigen [ital. »Lass uns nicht allein in der Versuchung»] – bewahren möge, sondern dass er uns die Möglichkeit geben möge, uns selbst nicht zu verlieren (»Erlöse uns von dem Bösen«). Denn wir sind nicht verloren, wenn wir leiden, sondern wenn wir es aufgeben, die Folgen unserer Entscheidungen zu akzeptieren.

3. Beharrliches Vertrauen

Was geschieht Jesus nach vierzig Tagen in der Wüste? Was ist die Frucht dieser Zeit der Läuterung und Stärkung seines Willens zur Rettung der Welt? Die Erzählung des Evangelisten Markus ist in diesem Punkt besonders knapp und doch sehr interessant.

»Er lebte bei den wilden Tieren« (Mk 1,13b).

Am Ende der vierzigtägigen Versuchung sehen wir die größere Fähigkeit Jesu, in der Wirklichkeit zu bleiben, auch wenn diese von bedrohlichen und beunruhigenden Erscheinungen bevölkert ist. Die wilden Tiere, zu denen Jesus in furchtloser Beziehung zu stehen vermag – fast im Rahmen einer wiederentdeckten kosmischen Harmonie –, sind ein ambivalentes Bild. Einerseits kann man sie einfach als Tiere verstehen, als den Teil der Natur, dem wir uns überlegen fühlen, vor dem wir aber eine gewisse Angst haben. Andererseits können sie auch als Symbol für all die Kräfte verstanden werden, von denen wir uns in der Wirklichkeit potenziell angegriffen fühlen: Spannungen, Feinde, das Böse.

Wie auch immer wir den Text verstehen mögen, wir entdecken, dass die Prüfung in der Wüste dazu dient, um in Jesus die nötige innere Stärke heranreifen zu lassen, damit er seine Sendung ohne Angst vor dem Tod annehmen kann. Das Evangelium verwendet dabei ein Verb im Imperfekt (»lebte«), um darauf hinzuweisen, dass das, was Jesus erreicht hat, als Aneignung eines Stils verstanden werden muss und nicht als dauerhafte Befreiung von einer Schwierigkeit. Die – offensichtlich – symbolische Zeitspanne von vierzig Tagen soll ausdrücken, dass Jesus sein Herz trainieren musste, das Gute zu wählen und das Böse zurückzuweisen, und zwar jeden Tag seines Lebens. Die Evangelien berichten, dass Jesus frühmorgens das Haus zu verlassen pflegte, um sich trotz der Nöte und des Drängens der Menschenmassen, die ihn suchten, zurückzuziehen und in ein stilles Gebet zu vertiefen. Die Gewohnheit, eine »innere Wüste« zu pflegen und zu bewahren, machte Jesus zu einem Menschen, der in der Lage war, in jeder Situation mit tiefem Frieden zu leben, ohne Furcht und ohne jemals angesichts einer Situation oder eines Menschen in Verlegenheit zu geraten.

Wenn Jesus dann seine Jünger aussendet, um das Reich Gottes zu verkünden, gibt er ihnen Anweisungen, wie sie diese nüchterne und vertrauensvolle Art, in der Welt zu sein, verwirklichen können.

»[Jesus] gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen. Und er sagte zu ihnen: Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst! Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, dann geht weiter und schüttelt den Staub von euren Füßen, ihnen zum Zeugnis« (Mk 6,8-11).

Diese Hinweise Jesu für das Apostolat sollen den Jüngern helfen, nicht allzu leicht in die Falle des Paternalismus oder der assistenzialistischen Fürsorge zu geraten. In der Wüs-te hat Jesus allen Versuchungen zu Autonomie und Selbstbehauptung widerstanden, um sich für ein Leben zu entscheiden, in dem das Heil nur als Frucht einer frei gewählten Gemeinschaft der Liebe verkündet und erfahren werden kann. Die Jünger sollen nicht mit der Überlegenheit eines Menschen in die Welt hinausgehen, der die anderen nur (und immer) etwas zu lehren hat, sondern mit der Demut dessen, der auch viel zuhören muss und viel zu empfangen hat. Das Ziel der Verkündigung besteht darin, anderen die Möglichkeit zu geben, den Schatz zu offenbaren, der in unserer Menschlichkeit verborgen ist: Mitgefühl, Großherzigkeit und Annahme.

»Und die Engel dienten ihm« (Mk 1,13b).

Bevor Jesus seine Sendung der Heilung und des Heils uns gegenüber antritt, lernt er in der Wüste, das, was er braucht, nicht durch die Ausnutzung seiner göttlichen Natur zu erlangen. Der Logik der Taufe treu bleibend, zieht er es vor, auf die Bedürfnisse unserer Menschlichkeit zu hören, um zu lernen, sie ohne Tricks und Täuschung zu erfüllen. Auch aus diesem Grund ist das Wort Gottes Fleisch geworden: um uns zu zeigen, wie viel Würde darin liegen kann, die Dinge, die wir brauchen, zu empfangen, und auf die titanenhafte Illusion zu verzichten, sie aus eigener Kraft erlangen oder hervorbringen zu müssen.

Nachdem Jesus die Herausforderung eines Lebens angenommen hat, in dem das Element der Prüfung nicht nebensächlich, sondern konstitutiv ist, ist er bereit, die ganze Hoffnung freizusetzen, von der sein Herz überquillt. Er tut dies, indem er in Worte fasst, wie er die Zeit und den Raum des menschlichen Lebens versteht.

»Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!« (Mk 1,14-15).

In allen Evangelien beginnt die Verkündigung des Gottesreiches durch Jesus genau zu der Zeit, als Johannes aufgrund seiner prophetischen Sendung verhaftet wird. Jesus übernimmt den Stab aus den – mittlerweile gefesselten – Händen des größten Propheten, den es je in Israel gegeben hat. Gezeichnet von diesem Schmerz, aber in der Wüste trainiert, auf die Vorsehung des Vaters zu vertrauen, beginnt der Sohn Gottes zu verdeutlichen, in welcher Weise er auf uns, auf die Geschichte und auf die Welt blickt.

Im Matthäusevangelium sehen wir Jesus, der die Seligpreisungen verkündet, das heißt die lichtvollste und befreiendste Interpretation unserer Menschlichkeit, die durch die Menschwerdung neu mit der Göttlichkeit verknüpft ist: Wie sind selig in dem Maße, in dem wir akzeptieren, was wir sind und wo wir stehen.

Bei Lukas wird die frohe Botschaft in der Synagoge von Nazaret erläutert, wo Christus den Beginn eines »Heute« verkündet, in dem alle in der Heiligen Schrift enthaltenen Hoffnungen Wirklichkeit werden: Wenn wir unsere radikale Armut akzeptieren, können wir bereits spüren, dass wir reich sind in Bezug auf Gottes Reich und frei von aller Sklaverei.

Im Johannesevangelium wird die frohe Botschaft dagegen durch eine Tatsache verkündet, nämlich das Neu-Vorhandensein des Weins bei einem vom Mangel belasteten Hochzeitsfest, wodurch bestätigt wird, was die Propheten bereits angedeutet hatten: Unser Land wird nicht mehr »verlassen« sein, sondern für immer »vermählt« (vgl. Jes 62,4).

Im Markusevangelium besteht die Verkündigung der frohen Botschaft aus ganz wenigen, bedeutsamen Worten. Durch sie lässt Jesus ein so intensives und helles Licht aufleuchten, mit dem man jede Finsternis in die Flucht schlagen kann: Die Zeit ist erfüllt, es gibt keinen Grund, auf eine günstigere zu Zeit warten, denn das Reich Gottes ist ganz nahe. Dies ist die erste und radikale Interpretation der Wirklichkeit, zu der Jesus Christus durch die Taufe und die Prüfung in der Wüs-te gelangt. Der Geschichte der Welt fehlt es an nichts, sonst könnte Gott nicht als Vater anerkannt werden. Im Gegenteil, er ist es und will es für alle sein. Die ersten Worte des göttlichen Logos in dieser Welt erheben den Anspruch, das Recht aufzuheben, angesichts der Wirklichkeit ratlos oder enttäuscht zu sein.

Es geht keineswegs darum, all das, was in der Geschichte fehlt, nicht glatt läuft oder durch das Böse und die Ungerechtigkeit ganz offen negiert wird, im Wert herabzusetzen oder zu banalisieren. Jesus sieht, dass das Glas der Wirklichkeit vor Leben überfließt, weil er weiß, wie sehr Gott sich mit der menschlichen Geschichte verbinden will. Der Sohn kennt die Unermesslichkeit der Liebe des Vaters und erklärt die Zeit für erfüllt – ohne dass sie abgeschlossen wäre –, denn von nun an wird niemand mehr so verwaist sein, dass er nicht die Annahme als Kind Gottes erlangen kann.

Aber wir müssen uns bekehren, das heißt, wir müssen eine bestimmte Denkweise und Bewertung der Dinge hinter uns lassen, die noch zu sehr auf unsere Sinne, unsere Erwartungen und unsere Gewohnheiten ausgerichtet ist. Wir müssen uns von Traurigkeit und Resignation lösen und erkennen, dass Gott, während es immer noch passiert, dass wir leiden, weinen und im Dunkeln umherirren, etwas getan hat, was wir uns nicht vorstellen konnten: Er ist gekommen, um unter uns zu wohnen. Die Nachricht ist wunderbar, aber schwer zu glauben. Sie ist wie ein weites, einladendes Meer, in das man ruhig eintauchen und in dem man bleiben muss, während man vertrauensvoll lernt, es zu durchqueren.

Schluss

In der Fastenzeit dieses Heiligen Jahres sind wir aufgerufen, in Christus verankert zu bleiben, weil wir wissen, dass wir in ihm einen festen und sicheren Bezugspunkt für unser Leben finden. Das konkrete Zeichen für unsere Zustimmung zu dieser Hoffnung ist das Durchschreiten der Heiligen Pforte, eine Geste, die uns auffordert, immer tiefer in das Geheimnis des Lebens Christi einzudringen.

Die Taufe Jesu ist nicht nur ein Ereignis seines Lebens, sondern ein Zeichen, das den Weg jedes Gläubigen erhellt, indem es einige existentielle Bewegungen aufzeigt, zu denen auch wir aufgerufen sind.

Die erste Bewegung ist die Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen, das heißt aus dem Zentrum unseres Selbst hinauszutreten, um dem anderen Raum zu geben. Als Jesus in die Wasser des Jordan eintritt, taucht er in die Situation des Menschen ein und teilt ganz und gar die Zerbrechlichkeit und die Geschichte jedes Menschen. Diese Geste lehrt uns, dass man die wahre Gemeinschaft mit den anderen nicht nur dann aufbaut, wenn uns deren Entscheidungen zusagen oder wir sie verstehen, sondern auch dann, wenn sie uns auf die Probe stellen und uns herausfordern.

Die zweite Bewegung ist die der Umkehr, verstanden als beständige Übung innerer Überprüfung. Die Taufe ist ein Übergang: Für Jesus bezeichnet sie den Beginn seines öffentlichen Wirkens, für uns ist sie die Aufforderung, uns die Frage zu stellen, ob unser Herz sich wirklich die Logik des Evangeliums zu eigen gemacht hat. Umkehr ist nicht nur moralische Veränderung, sondern eine tiefe Verwandlung unserer Art und Weise zu sehen, zu urteilen und zu lieben.

Schließlich die dritte Bewegung, die vielleicht die schwierigste und entscheidenste ist: in der Wirklichkeit bleiben, ohne vor ihr zu fliehen oder sie zu beschönigen. Die Taufe taucht Christus in den Strom des Lebens ein, ohne ihm die Spannungen, Prüfungen und Widersprüche der Welt zu ersparen. Auch wir sind aufgerufen, fest in unserer Zeit mit ihrer Komplexität und ihren Herausforderungen zu stehen, ohne zu fliehen oder künstliche Zufluchtsorte zu suchen. Nur so können wir auch inmitten der Schwierigkeiten erkennen, dass unser Weg von einer Gegenwart bewohnt ist, derer wir sicher sein können: der Gegenwart Gottes, der uns nicht verlässt, sondern immer bei uns bleibt.

Gott Vater, der du in der Taufe deines geliebten Sohnes den Menschen deine Güte offenbart hast, gib, dass diejenigen, die aus Wasser und Geist neu geboren wurden, fromm und gerecht in dieser Welt leben, um das Erbe des ewigen Lebens zu empfangen. Darum bitten wir durch unseren Herrn Jesus Christus.