
Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Wir nehmen heute die Katechesen der Reihe zum Heiligen Jahr über »Jesus, unsere Hoffnung« wieder auf.
Am Anfang seines Evangeliums zeigt Lukas die Auswirkungen der verwandelnden Macht des Wortes Gottes auf, das nicht nur in den Höfen des Tempels ankommt, sondern auch in der armseligen Wohnung einer jungen Frau, Maria, die als Verlobte Josefs noch in ihrer Familie lebt.
Nach Jerusalem wird der Bote der großen göttlichen Verkündigungen, Gabriel, der in seinem Namen die Kraft Gottes preist, in ein Dorf gesandt, das in der hebräischen Bibel nie erwähnt wird: Nazaret. Damals war es ein kleiner Ort in Galiläa, am Randgebiet von Israel, einer Grenzregion zu den Heiden und ihren Verunreinigungen.
Gerade dorthin bringt der Engel eine Botschaft, deren Form und Inhalt so ungewöhnlich ist, dass Marias Herz davon erschüttert, erschrocken war. Anstelle des üblichen Grußes »Friede sei mit dir«, wendet Gabriel sich an die Jungfrau Maria mit der Einladung: »Freue dich!« »Frohlocke!«, ein Aufruf, der der Heilsgeschichte lieb ist, weil die Propheten ihn gebrauchen, wenn sie das Kommen des Messias ankündigen (vgl. Zeph 3,14;
Joël 2,21-23; Sach 9,9). Es ist die Einladung zur Freude, die Gott an sein Volk richtet, als das Exil endet und der Herr seine lebendige und tätige Gegenwart spüren lässt.
Außerdem spricht Gott Maria mit einem liebevollen Beinamen an, der in der biblischen Geschichte unbekannt ist: »kecharitoméne«, was »erfüllt mit göttlicher Gnade« bedeutet. Maria ist voll von göttlicher Gnade. Dieser Name sagt, dass die Liebe Gottes schon lange in Marias Herz gewohnt hat und dort weiterhin wohnt. Er sagt, wie »begnadet« sie ist und vor allem, wie sehr die Gnade Gottes in ihr eine innere Verfeinerung vorgenommen und sie zu ihrem Meisterwerk gemacht hat: voll der Gnade.
Dieser liebevolle Beiname, den Gott nur Maria gibt, wird sofort von einer Beruhigung begleitet: »Fürchte dich nicht!«, »Fürchte dich nicht!« Immer gibt die Gegenwart des Herrn uns diese Gnade, sich nicht zu fürchten, und so sagt er es zu Maria: »Fürchte dich nicht!« »Fürchte dich nicht«, sagt Gott zu Abraham, zu Isaak, zu Moses, in der Geschichte: »Fürchte dich nicht!« (vgl. Gen 15,1; 26,24; Dt 31,8). Und er sagt es auch zu uns: »Fürchte dich nicht, geh voran. Fürchte dich nicht!« »Vater ich habe Angst davor«; »Und was machst du, wenn…«; »Verzeihen Sie mir Vater, ich sage Ihnen die Wahrheit: Ich gehe zur Wahrsagerin…« »Du gehst zu Wahrsagerin?« »Naja, ich lasse mir die Hand lesen…« Bitte: Fürchte dich nicht! Fürchte dich nicht! Fürchte dich nicht! Das ist schön. »Ich bin dein Weggefährte«: Und das sagt Gott zu Maria. Der »Allmächtige«, der Gott des »Unmöglichen« (vgl. Lk 1,37) ist »mit« Maria, er ist zusammen mit ihr und bei ihr, er ist ihr Gefährte, ihr wichtigster Verbündeter, der ewige »Ich-mit-dir« (vgl. Gen 28,15; Ex 3,12; Ri 6,12).
Dann verkündigt Gabriel der Jungfrau Maria ihre Sendung, indem er in ihrem Herzen zahlreiche Schriftstellen widerhallen lässt, die sich auf das Königtum und den messianischen Charakter des Kindes, das aus ihr geboren werden soll, beziehen. Gabriel verkündigt auch, dass das Kind als Erfüllung der alten Prophezeiungen gesehen werden wird. Das Wort, das aus der Höhe kommt, beruft Maria, die Mutter des Messias zu sein, jenes so sehr erwarteten davidischen Messias. Sie ist die Mutter des Messias. Er wird nicht auf menschliche und fleischliche Weise König sein, sondern in göttlicher, geistlicher Weise. Sein Name wird »Jesus« sein, was bedeutet: »Gott rettet« (vgl. Lk 1,31; Mt 1,21). Das erinnert alle und für immer daran, dass nicht der Mensch rettet, sondern nur Gott. Jesus ist es, der diese Worte des Propheten Jesaja zur Erfüllung bringt: »In all ihrer Bedrängnis war auch er bedrängt, und der Engel seines Angesichts hat sie gerettet. In seiner Liebe und seinem Mitleid, hat er selbst sie erlöst« (Jes 63,9).
Diese Mutterschaft erschüttert Maria von Grund auf. Und als intelligente Frau, die sie ist, also fähig, in den Ereignissen zu lesen (vgl. Lk 2,19,51), versucht sie zu verstehen, zu erkennen, was ihr geschieht. Maria sucht nicht draußen, sondern drinnen, denn, wie der heilige Augustinus lehrt, »in interiore
homine habitat veritas« (De vera religione 39,72). Und dort, tief in ihrem offenen, empfindsamen Herzen hört sie die Einladung, Gott zu vertrauen, der für sie ein besonderes »Pfingsten« bereitet hat. Genau wie am Anfang der Schöpfung (vgl. Gen 1,2) will Gott Maria »umhegen« mit seinem Geist, der Macht, die in der Lage ist, das Verschlossene zu öffnen, ohne es zu verletzen, ohne die menschliche Freiheit zu beschädigen; er will sie in die »Wolke« seiner Gegenwart hüllen (vgl. 1 Kor 10,1-2), damit der Sohn in ihr lebt und sie in ihm.
Und in Maria wird das Vertrauen entzündet: Sie ist »eine Lampe mit vielen Lichtern«, wie Theophanes in seinem Kanon der Verkündigung sagt. Sie gibt sich hin, gehorcht, macht Raum: Sie ist »ein von Gott bereitetes Brautgemach« (ebd.). Maria nimmt das Wort in ihrem eigenen Fleisch auf und beginnt so die größte Sendung, die jemals einer Frau, einem menschlichen Geschöpf anvertraut war. Sie stellt sich in den Dienst: Sie ist voll von allem, nicht als Sklavin, sondern als Mitarbeiterin Gottes, des Vaters, voller Würde und Autorität, um, wie sie es in Kana tut, die Gaben des göttlichen Schatzes zu verwalten, damit viele mit vollen Händen daraus schöpfen können.
Schwestern, Brüder, lernen wir von Maria, der Mutter des Retters und unserer Mutter, unser Ohr vom göttlichen Wort öffnen zu lassen und es anzunehmen und zu bewahren, damit es unsere Herzen in Tabernakel seiner Gegenwart verwandeln möge, in gastfreundliche Häuser, wo die Hoffnung gedeihen kann. Danke!
(Orig. ital. in O.R. 22.1.2025)