· Vatikanstadt ·

Generalaudienz auf dem Petersplatz am 27. November

Wahre Freude wirkt ansteckend

 Wahre Freude wirkt ansteckend  TED-050
13. Dezember 2024

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag!

Nachdem ich über die heiligmachende Gnade und die Charismen gesprochen habe, möchte ich heute bei einer dritten Wirklichkeit verweilen, die mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbunden ist: die »Früchte des Geistes«. Was ist die Frucht des Geistes? Der heilige Paulus zählt sie im Brief an die Galater auf. Er schreibt: »Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit« (5,22-23). Neun Früchte des Geistes. Was aber ist diese »Frucht des Geis-tes«?

Zusammenwirken
zwischen Gnade und Freiheit

Im Gegensatz zu den Charismen, die der Geist gibt, wem er will und wann er es will, zum Wohl der Kirche, sind die Früchte des Geistes – ich wiederhole: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit – das Ergebnis eines Zusammenwirkens zwischen der Gnade und unserer Freiheit. Diese Früchte bringen immer die Kreativität des Menschen zum Ausdruck, in dem »der Glaube […] durch die Liebe wirkt« (Gal 5,6), manchmal auf über-raschende und freudige Weise. Nicht alle in der Kirche können Apostel, Propheten, Evangelisten sein; aber alle ohne Unterschied können und müssen liebevoll, geduldig, demütig, Friedensstifter und so weiter sein. Wir alle, ja, müssen liebevoll sein, müssen geduldig sein, müssen demütig sein, müssen Frieden und nicht Krieg stiften. Unter den vom Apos-tel aufgezählten Früchten des Geistes möchte ich eine hervorheben, indem ich die
Anfangsworte des Apostolischen Schreibens Evangelii gaudium in Erinnerung rufe: »Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude« (Nr. 1). Manchmal wird es traurige Augenblicke geben, aber immer herrscht Friede. Mit Jesus herrschen Freude und Frieden.

Die Freude als Frucht des Geistes hat mit jeder anderen menschlichen Freude ein gewisses Gefühl der Erfüllung und der Zufriedenheit gemeinsam, das wünschen lässt, dass sie immer andauern mögen. Wir wissen jedoch aus Erfahrung, dass das nicht geschieht, denn alles hier unten geht schnell vorbei. Alles geht schnell vorbei. Denken wir gemeinsam darüber nach. Die Jugend: geht schnell vorbei, die Gesundheit, die Kräfte, das Wohl-ergehen, die Freunde, die Liebschaften… Dauern sie hundert Jahre? Dann aber nicht länger. Im Übrigen würden diese Dinge, auch wenn sie nicht schnell vorbeigingen, nach einiger Zeit nicht mehr genügen, oder man wird ihrer sogar überdrüssig, denn wie der heilige Augustinus zu Gott gesagt hat: »Geschaffen hast du uns im Hinblick auf dich, und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir«1. Es gibt die Unruhe des Herzens, um die Schönheit, den Frieden, die Liebe, die Freude zu suchen.

Die Freude des Evangeliums, die Freude, die dem Evangelium entspricht, kann im Unterschied zu jeder anderen Freude erneuert werden und ansteckend wirken. »Allein dank dieser Begegnung – oder Wiederbegegnung – mit der Liebe Gottes, die zu einer glücklichen Freundschaft wird, werden wir von unserer abgeschotteten Geisteshaltung und aus unserer Selbstbezogenheit erlöst. […] Dort liegt die Quelle der Evangelisierung. Wenn nämlich jemand diese Liebe angenommen hat, die ihm den Sinn des Lebens zurückgibt, wie kann er dann den Wunsch zurückhalten, sie den anderen mitzuteilen?« (Evangelii gaudium, 8). Das ist das zweifache Merkmal der Freude, die Frucht des Geistes ist: Sie ist nicht nur nicht der unvermeidlichen Abnutzung durch die Zeit unterworfen, sondern sie vervielfacht sich, indem man sie mit den anderen teilt! Eine wahre Freude teilt man mit den anderen, und sie wirkt »ansteckend«.

Vor fünf Jahrhunderten lebte hier in Rom ein Heiliger, der Philipp Neri hieß. Er ist als der Heilige der Freude in die Geschichte eingegangen. Zu den armen und verlassenen Kindern seines Oratoriums sagte er: »Kinder, seid fröhlich; ich will keine Skrupel und keinen Trübsinn; es genügt mir, wenn ihr nicht sündigt.« Er sagte auch: »Seid brav, wenn ihr könnt!« Weniger bekannt ist jedoch die Quelle, aus der seine Freude kam. Der heilige Philipp Neri hatte eine solche Liebe zu Gott, dass ihm manchmal das Herz in der Brust zu zerspringen schien. Seine Freude war im wahrsten Sinne des Wortes eine Frucht des Geistes. Der Heilige nahm am Heiligen Jahr 1575 teil, das er mit der im Folgenden beibehaltenen Praxis des Besuchs der Sieben Kirchen bereichert hat. Er war seinerzeit ein wahrer Evangelisierer durch die Freude. Und er hatte diesen Zug, der Jesus zu eigen war: Er vergab immer, er vergab alles. Vielleicht mag jemand von uns denken: »Aber ich habe diese Sünde begangen, und das wird keine Vergebung finden…« Hört gut zu: Gott vergibt alles. Gott vergibt immer. Und das ist die Freude: Dass Gott uns vergibt. Und zu den Priestern und den Beicht-vätern sage ich immer: Vergebt alles, fragt nicht zu viel, sondern vergebt alles, alles und immer.

Jesu Freude
im Herzen

Das Wort »Evangelium« bedeutet frohe Botschaft. Daher kann man es nicht mit langen Gesichtern und finsterer Miene verkündigen, sondern nur mit der Freude dessen, der den verborgenen Schatz und die kostbare Perle gefunden hat. Denken wir an die Mahnung, die der heilige Paulus an den Gläubigen der Kirche von Philippi gerichtet hat und die er jetzt an uns alle richtet: »Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt« (Phil 4,4-5).

Liebe Brüder und Schwestern, seid froh mit der Freude Jesu im Herzen. Danke.

Fußnote

1 Bekenntnisse, I,1.

(Orig. ital. in O.R. 27.11.2024)