· Vatikanstadt ·

Audienz für Seine Heiligkeit Mar Awa III., Katholikos Patriarch der Assyrischen Kirche des Ostens, und die Gemischte Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und der Assyrischen Kirche des Ostens

Brennende Sehnsucht nach Einheit

 Brennende Sehnsucht nach Einheit   TED-046
15. November 2024

Heiligkeit, liebe Schwester,

liebe Brüder in Christus!

»Der Herr der Geschichte aber […] hat in jüngster Zeit begonnen, über die gespaltene Christenheit ernste Reue und Sehnsucht nach Einheit reichlicher auszugießen« (Dekret Unitatis redintegratio, 1). Ich muss daran denken, was der große Zizioulas, ein Mann Gottes, gesagt hat. Er sagte: »Ich kenne das Datum der Einheit, ich kenne es.« Und wann ist es? »Am Tag nach dem Jüngs-ten Gericht.« Vorher wird es keine Einheit geben, aber in der Zwischenzeit müssen wir gemeinsam vorangehen, gemeinsam beten und gemeinsam arbeiten. Und das tun wir jetzt gerade. Der heilige Johannes Paul II. hat Seine Heiligkeit Mar Dinkha IV. aus Anlass des ersten offiziellen Treffens zwischen einem Bischof von Rom und einem Katholikos Patriarch der Assyrischen Kirche des Ostens vor 40 Jahren empfangen, wie Sie, Ihre Heiligkeit, gerade gesagt haben. Jene Worte stammen aus dem Dekret über den Ökumenismus des Zweiten Vatikanischen Konzils Unitatis redintegratio, dessen 60. Jahrestag die katholische Kirche in diesem Monat begeht. Schritt für Schritt, langsam.

Es war diese »Sehnsucht nach Einheit«, auf die das Dekret mehrfach anspielt (vgl. Nr. 7), die unsere Vorgänger dazu drängte, einander zu begegnen. Dieses »desiderium unitatis«, nach dem schönen Wort des heiligen Johannes Cassianus (Collationes, 23,5), ist eine Gnade, die die ökumenische Bewegung von Anfang an inspiriert hat und die wir kontinuierlich pflegen müssen. Vom Heiligen Geist geweckt, ist sie nichts anderes als der brennende Wunsch Christi selbst, den er am Vorabend seines Leidens zum Ausdruck brachte: »Alle sollen eins sein« (Joh 17,21).

Heiligkeit, lieber Bruder, genau diese »Sehnsucht nach Einheit« ist es, die uns heute beseelt, während wir des 30. Jahrestags der Gemeinsamen Christologischen Erklärung zwischen unseren Kirchen gedenken, die den 1.500 Jahre anhaltenden Streit in Bezug auf die Lehre des Konzils von Ephesus beendet hat. Diese historische Erklärung hat die Legitimität und Richtigkeit der unterschiedlichen Ausdrucksweisen unseres gemeinsamen christologischen Glaubens anerkannt, so wie er von den Vätern im Konzil von Nicäa formuliert worden war. Dieser »hermeneutische« Ansatz war möglich geworden durch ein im Konzilsdekret bekräftigtes Grundprinzip, das heißt, dass derselbe von den Aposteln überlieferte Glaube in je nach Lebensverhältnissen unterschiedlichen Formen und Weisen zum Ausdruck gebracht und übernommen worden ist (vgl. Unitatis redintegratio, 14). Und das war ein wichtiges Prinzip.

Genau diese Gemeinsame Christologische Erklärung war es auch, die eine Gemischte Kommission für den Theologischen Dialog zwischen unseren Kirchen ankündigte, die auch auf pastoraler Ebene bemerkenswerte Resultate erreicht hat. Insbesondere möchte ich an die Erklärung von 2001 über die Anaphora der Apostel Addai und Mari erinnern, die den Gläubigen unter bestimmten Gegebenheiten eine gewisse »communicatio in sacris« gestattet, sowie an die »Gemeinsame Erklärung über das sakramentale Leben« von 2017. In jüngerer Zeit, vor zwei Jahren, hat das Dokument über »Kirchenbilder in der syrischen und der lateinischen Tradition« die Grundlagen für ein gemeinsames Verständnis der Verfassung der Kirche gelegt.

Heute habe ich daher die Gelegenheit, Ihnen allen, den Theologen und Mitgliedern der Gemischten Kommission, für Ihr Engagement zu danken. Denn ohne Ihre Arbeit wären diese lehrmäßigen und pastoralen Über-einkünfte nicht möglich gewesen. Ich freue mich, dass zum Gedenken ein Buch mit den verschiedenen Dokumenten, die die Etappen unseres gemeinsamen Weges zur vollen Gemeinschaft geprägt haben, erschienen ist, versehen mit einem von Ihrer Heiligkeit und mir gemeinsam verfassten Vorwort. In der Tat ist der theologische Dialog auf unserem Weg zur Einheit unerlässlich, da die Einheit, nach der wir uns sehnen, die Einheit im Glauben ist, vorausgesetzt, dass der Dialog der Wahrheit niemals getrennt wird vom Dialog der Nächstenliebe und vom Dialog des Lebens: ein menschlicher Dialog, allumfassend.

Diese Einheit des Glaubens wurde von den Heiligen unserer Kirchen bereits erreicht. Sie sind die besten Führer auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft. Mit Zustimmung Ihrer Heiligkeit und des Patriarchen der chaldäischen Kirche und ermutigt von der kürzlich abgehaltenen Synode der katholischen Kirche über die Synodalität – die daran erinnert hat, dass das Beispiel der Heiligen anderer Kirchen »ein Geschenk ist, das wir annehmen können, auch indem wir ihr Gedenken, insbesondere das der Märtyrer, in unseren liturgischen Kalender aufnehmen« (Schlussdokument, Nr. 122) –, freue ich mich daher zu verkünden, dass der große Isaak von Ninive, einer der am meisten verehrten Kirchenväter der syrisch-orientalischen Tradition und von allen Traditionen als Lehrmeister und Heiliger anerkannt, in das Römische Martyrologium Eingang finden wird.

Auf die Fürsprache des heiligen Isaak von Ninive, verbunden mit der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, Mutter Christi, unseres Erlösers, mögen die Christen des Nahen Ostens in jenen vom Krieg gemarterten Ländern stets Christus, den Auferstandenen, bezeugen. Und möge die Freundschaft zwischen unseren Kirchen weiterhin blühen, bis zu jenem gesegneten Tag, an dem wir gemeinsam auf demselben Altar zelebrieren und die Kommunion des Leibes und Blutes des Erlösers empfangen können, »damit die Welt glaubt« (Joh 17,21)!

Danke, Heiligkeit! Gehen wir den Weg gemeinsam weiter, beten wir weiter gemeinsam und arbeiten wir gemeinsam, und gehen wir voran auf diesem Weg zur vollen Einheit. Und danke Ihnen allen für diesen Besuch. Bleiben wir vereint im gegenseitigen Gebet.

Und nun lade ich Sie ein, gemeinsam das Gebet zu beten, dass uns Jesus, der Herr, gelehrt hat, das Vaterunser. Jeder möge es nach seiner Tradition und in seiner Sprache sprechen, mit leiser Stimme.

(Orig. ital. in O.R. 9.11.2024)