Sehr geehrte Minister und Ministerinnen,
sehr geehrte delegierte Vertreter und
Vertreterinnen!
Entschuldigen Sie die Verspätung, aber heute gab es viele Dinge zu tun. Ich begrüße Sie, verbunden mit Dankbarkeit und Wertschätzung für Ihren Einsatz zugunsten der Würde und der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Einmal habe ich mit Menschen mit Behinderungen gesprochen und jemand hat mir gesagt: »Passen Sie auf, wir alle haben irgendeine Behinderung, nicht wahr?« Wir alle. Das ist wahr. Dieses Treffen aus Anlass des G7-Gipfels ist ein konkretes Zeichen für den Willen, eine gerechtere Welt zu schaffen, eine inklusivere Welt, in der jeder Mensch mit seinen Fähigkeiten ein erfülltes Leben führen und zum Wachstum der Gesellschaft beitragen kann. Statt von »Un-Fähigkeit« zu sprechen, sollten wir von »anderen Fähigkeiten« sprechen. Aber alle haben Fähigkeiten. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Gruppe, die hierhergekommen ist, aus einer Firma, einem Restaurant. Sowohl die Köche als auch diejenigen, die an den Tischen bedienten, alle waren junge Männer und Frauen mit Behinderungen. Aber sie taten dies sehr gut. Sehr gut. Ich danke der Ministerin Alessandra Locatelli, die gekommen ist, Ministerin für Menschen mit Behinderungen, dass sie diese wichtige Initiative unterstützt hat. Danke.
Gestern haben Sie die »Charta von Solfagnano« unterzeichnet, Ergebnis Ihrer Arbeit über grundlegende Themen wie Inklusion, barrierefreier Zugang, selbständiges Leben und Wertschätzung der Menschen. Diese Themen stimmen mit der Sicht überein, die die Kirche von der Menschenwürde hat. Denn jeder Mensch ist wesentlicher Teil der universalen Menschheitsfamilie und niemand darf der Kultur der Ausgrenzung zum Opfer fallen, niemand. Diese Kultur verursacht Vorurteile und schadet der Gesellschaft.
Zuallererst ist es notwendig, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen von allen Ländern als Priorität anerkannt wird. Mit gefällt dieses Wort »Behinderung« nicht. Ich bevorzuge das andere Wort: »andere Begabungen«. Leider tut man sich in einigen Ländern auch heute noch schwer, diese Personen als Menschen gleicher Würde anzuerkennen (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 98). Eine inklusive Welt bedeutet, nicht nur die Strukturen anzupassen, sondern die Mentalität zu verändern, damit Menschen mit Behinderungen voll und ganz am gesellschaftlichen Leben beteiligt sein können. Es gibt keinen echten menschlichen Fortschritt ohne den Beitrag der Schutzlosesten. In dieser Hinsicht ist die universale Barrierefreiheit ein großes Ziel, das verfolgt werden muss, damit alle physischen, sozialen, kulturellen und religiösen Barrieren entfernt werden und es so jedem ermöglicht wird, die eigenen Talente einzusetzen und zum Gemeinwohl beizutragen. Und das in allen Phasen des Lebens, von der Kindheit bis ins Alter. Es schmerzt mich, wenn man in dieser Kultur der Aussonderung dies gegenüber den alten Menschen erlebt. Die alten Menschen sind die Weisheit, und sie werden ausgesondert, als wären sie abgetragene Schuhe.
Angemessene Dienste für Menschen mit Behinderung zu gewährleisten ist nicht nur eine Frage von Assistenz – diese passive Wohlfahrtspolitik, nein, das ist es nicht –, sondern von Gerechtigkeit und Achtung ihrer Würde. Alle Länder haben daher die Pflicht, die Bedingungen zu schaffen, damit jeder Mensch sich in inklusiven Gemeinschaften ganzheitlich entwickeln kann (vgl. Fratelli tutti, 107).
Daher ist es wichtig, gemeinsam tätig zu werden, damit Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, ihren eigenen Lebensweg zu wählen, und sie von den Fesseln des Vorurteils zu befreien.
Die menschliche Person – denken wir daran! – darf niemals Mittel sein, sondern muss immer das Ziel sein. Das bedeutet zum Beispiel, die Fähigkeiten eines jeden wertzuschätzen, indem man Möglichkeiten für eine menschenwürdige Arbeit anbietet. Eine gravierende Form der Diskriminierung ist es, jemanden von der Möglichkeit zu arbeiten auszuschließen (vgl. Fratelli tutti, 162). Arbeit ist Würde; sie ist Salbung der Würde. Wenn du die Möglichkeit ausschließt, dann nimmst du ihnen das weg. Dasselbe kann man von der Teilnahme an Kultur und Sport sagen: es ist eine Beleidigung der Menschenwürde.
Auch die neuen Technologien können wirksame Mittel der Inklusion und Teilhabe sein, wenn sie allen zugänglich sind. Sie müssen gemeinwohlorientiert sein, im Dienst einer Kultur der Begegnung und der Solidarität stehen. Die Technik muss klug genutzt werden, damit sie nicht noch mehr Ungleichheiten verursacht, sondern ein Mittel zu deren Abschaffung wird.
Schließlich muss das Thema der Inklusion auch die dringenden Fragen unseres gemeinsamen Hauses berücksichtigen. Wir dürfen die mit Klimakrisen und Kriegen in Verbindung stehenden humanitären Notstände nicht ignorieren, die in überproportional hohem Maße die schutzlosesten Menschen treffen, einschließlich der Menschen mit Behinderung (vgl. Enzyklika Laudato si’, 25). Es ist unsere Pflicht sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderung in diesen Situationen nicht im Stich gelassen werden, dass sie geschützt werden, dass ihnen in angemessener Weise geholfen wird. Man muss ein System der Prävention und der Antwort auf Notstände schaffen, das ihre besonderen Bedürfnisse berücksichtigt und sicherstellt, dass niemand von Schutz und Hilfe ausgeschlossen wird.
Meine Damen und Herren, ich sehe Ihre Arbeit als Zeichen der Hoffnung für eine Welt, die all zu oft die Menschen mit Behinderung übersieht oder sie leider sogar bevor sie geboren werden »wegschickt«: man sieht den Ultraschall und … zurück an den Absender. Ich ermahne Sie, in Ihrer Arbeit auf dem eingeschlagenen Weg voranzugehen, inspiriert vom Glauben und von der Überzeugung, dass jeder Mensch ein Geschenk ist. Jeder Mensch ist ein kostbares Geschenk für die Gesellschaft. Der heilige Franz von Assisi, Zeuge einer grenzenlosen Liebe zu den Schwächsten, erinnert uns daran, dass der wahre Reichtum in der Begegnung mit den anderen zu finden ist – diese Kultur der Begegnung, die entwickelt werden muss –, besonders mit denen, die eine falsche Wohlstandskultur tendenziell ausgrenzt.
Zu diesen Opfern der Ausgrenzung gehören die Großeltern: die Großeltern, die Alten ins Altenheim. Das ist schlimm. Es gibt da eine schöne Geschichte. Man erzählt, dass in einer Familie ein Opa lebte. Aber der Großvater wurde alt und beim Essen am Tisch machte er sich schmutzig… Eines Tages lässt der Vater in der Küche einen Tisch aufstellen und sagt: »Opa wird in der Küche essen, dann können wir Leute einladen.« Einige Zeit später kommt der Vater von der Arbeit nach Hause und sieht, dass sein fünfjähriger Sohn mit Brettern spielt. »Was machst du da?« [fragt der Vater]. »Ich baue ein Tischchen.« – »Einen Tisch? Warum?« »Für dich, Papa. Wenn du einmal alt bist…« Was wir mit den alten Menschen machen, das werden die Kinder mit uns tun. Vergessen wir das nicht. Gemeinsam können wir eine Welt schaffen, in der die Würde jedes Menschen in vollem Umfang anerkannt und geachtet wird.
Gott segne Sie, und er möge Sie immer begleiten, Sie alle. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 17.10.2024)