Matteo Bruni: Allen einen guten Abend. Ich danke Ihnen, Eure Heiligkeit, für die Zeit, die Sie uns am Ende dieser kurzen, aber sehr intensiven Reise widmen möchten. Vielleicht möchten Sie ein paar Worte an uns richten, bevor wir mit den Fragen der Journalisten beginnen. Ich übergebe Ihnen das Mikrofon.
Papst Franziskus: Guten Morgen! Ich stehe für Fragen zur Verfügung.
Michael Merten, Luxemburger Wort: Heiliger Vater, ich bin Michael von der luxemburgischen Zeitung »Luxemburger Wort«. Luxemburg war Ihr erstes Land, und viele Menschen erinnern sich an Ihren Aufenthalt dort und sicherlich auch die Leute in der Espressobar, die Sie dort überrascht haben. Ich wollte Sie nur fragen, was Ihre Eindrücke von diesem Tag in Luxemburg sind, was Sie nach Rom mitnehmen und ob Sie dort vielleicht etwas überrascht hat?
Papst Franziskus: Danke, das mit dem Café ist ein Jungenstreich, der nächste wird eine Pizzeria sein! Luxemburg hat mich wirklich beeindruckt, als eine wohlaus-geglichene Gesellschaft mit gut erwogenen Gesetzen und auch mit einer hohen Kultur. Das hat mich sehr beeindruckt, weil ich es nicht kannte. Belgien kannte ich hingegen, weil ich schon mehrmals dort war. Aber Luxemburg war eine Überraschung, wegen der Ausgeglichenheit, des Willkommens, das ist etwas, was mich überrascht hat. Ich denke, dass eben dies vielleicht die Botschaft ist, die Luxemburg Europa geben kann… Danke.
Matteo Bruni: Danke, Eure Heiligkeit, und danke an Herrn Merten. Die zweite Frage kommt von Valérie Dupont, von der französischsprachigen Presse Belgiens.
Valérie Dupont, Radio-télévision belge de la Communauté française RTBF: Richtig, vom Fernsehen. Eure Heiligkeit, ich danke Ihnen, dass Sie uns zur Verfügung stehen. Entschuldigen Sie bitte meine Stimme, aber der Regen hat mir ein wenig zugesetzt. Ihre Worte am Grab von König Baudouin haben in Belgien für etwas Erstaunen gesorgt.
Papst Franziskus: Aber du weißt, dass das Staunen der Anfang der Philosophie ist, und das ist gut so!
Valérie Dupont: Schön wär’s! Mancher sah darin auch eine politische Einmischung in das demokratische Leben Belgiens. Meine Frage ist folgende. Ist der Seligsprechungsprozess des Königs mit seinen Ansichten verknüpft? Und wie können wir das Recht auf Leben, die Verteidigung des Lebens, mit dem Recht der Frauen auf ein Leben ohne Leiden in Einklang bringen?
Papst Franziskus: Es handelt sich bei allen um Leben. Der König war mutig, denn angesichts eines Gesetzes zugunsten des Todes unterschrieb er nicht und trat zurück. Das erfordert Mut! Es braucht einen Politiker »mit Mumm«, um dies zu tun, es braucht Mut. Dies ist eine besondere Situation und er hat damit auch eine Botschaft vermittelt. Und er hat es auch getan, weil er ein Heiliger war. Dieser Mann ist ein Heiliger und der Prozess der Seligsprechung wird weitergehen, weil er mir den Beweis dafür geliefert hat.
Die Frauen. Frauen haben ein Recht auf Leben: auf ihr eigenes Leben, auf das Leben der Kinder. Vergessen wir nicht, dies zu sagen: Eine Abtreibung ist eine vorsätzliche Tötung. Die Wissenschaft sagt, dass bereits einen Monat nach der Empfängnis alle Organe vorhanden sind. Man bringt ein menschliches Wesen um, man tötet ein menschliches Wesen. Und Ärzte, die sich dazu hergeben, sind – erlauben Sie mir das Wort – Auftragskiller. Sie sind Auftragskiller. Und da gibt es nichts zu diskutieren. Man tötet ein menschliches Leben. Und die Frauen haben das Recht, das Leben zu schützen. Eine andere Sache sind Verhütungsmethoden, dies ist eine andere Angelegenheit. Das darf man nicht verwechseln. Ich spreche jetzt nur von der Abtreibung. Und da gibt es nichts zu diskutieren. Entschuldige, aber das ist die Wahrheit! Danke.
Matteo Bruni: Danke, Eure Heiligkeit, und danke an Valérie Dupont. Die dritte Frage stammt von einer flämischsprachigen, vielmehr niederländischsprachigen Journalistin aus Belgien.
Andrea Vreede, Belgisch-flämisches und niederländisches Fernsehen: Eure Heiligkeit, auch während dieser Reise nach Belgien hatten Sie ein langes Treffen mit einer Gruppe von Opfern sexuellen Miss-brauchs. Oft finden sich in ihren Erzählungen Verzweiflungsschreie angesichts mangelnder Transparenz in den Verfahren, verschlossener Türen, des Schweigens ihnen gegenüber, der Langsamkeit von Disziplinarmaßnahmen, der Vertuschungen, über die Sie heute gesprochen haben, der Probleme hinsichtlich finanzieller Entschädigungen für die erlittenen Schäden. Die Dinge scheinen sich letztlich erst dann zu ändern, wenn sie mit Ihnen persönlich sprechen können, wie Sie es auf dieser Reise getan haben. In Brüssel haben die Opfer auch eine Reihe von Forderungen an Sie gestellt. Ich möchte Sie fragen, wie Sie mit diesen Forderungen umgehen wollen? Und wäre es nicht vielleicht besser, eine eigene Abteilung im Vatikan einzurichten, eine unabhängige Einrichtung vielleicht, wie es einige Bischöfe fordern, um dieses Übel in der Kirche besser in den Griff zu bekommen und das Vertrauen der Gläubigen zurückzugewinnen?
Papst Franziskus: Danke. Zur letzten Sache. Die Abteilung gibt es im Vatikan. Es gibt eine Einrichtung, deren Präsident jetzt ein kolumbianischer Bischof ist, die sich mit Missbrauch, mit den Missbrauchsfällen be-fasst. Es gibt eine Kommission, und Kardinal O’Malley hat sie ins Leben gerufen. Dies funktioniert. Und es kommt alles in den Vatikan und es wird besprochen. Auch im Vatikan habe ich die Missbrauchsopfer empfangen und ich bestärke dazu weiterzumachen. Dies ist das Erste.
Zweitens. Ich habe den Missbrauchsopfern zugehört. Ich denke, dass das eine Pflicht ist. Manche sagen: Die Statistiken besagen, dass 40-42-46% der Missbrauchsopfer in der Familie und in der Nachbarschaft zu finden sind, nur 3% in der Kirche. Dies ist mir egal, ich kümmere mich um jene in der Kirche. Wir haben die Verantwortung, den Miss-brauchsopfern zu helfen und uns um sie zu kümmern. Einige brauchen eine psychologische Behandlung, wir müssen ihnen dabei helfen. Es ist auch von Entschädigung die Rede diesbezüglich, im Zivilrecht ist sie nämlich vorgesehen. Im Zivilrecht liegt die Entschädigung meines Erachtens bei 50.000 Euro in Belgien: das ist zu niedrig, das nützt nicht. Ich glaube, das ist die Summe, aber ich bin mir nicht sicher. Wir müssen uns um die Personen, die missbraucht worden sind, kümmern und die Täter bestrafen, sie bestrafen, denn Missbrauch ist keine Sünde von heute, die es morgen vielleicht nicht mehr gibt; es ist eine Neigung, es ist eine psychiatrische Krankheit und deshalb müssen wir sie in Behandlung schicken und sie auf diese Weise kontrollieren. Man darf einen Missbrauchs-täter nicht einfach so im normalen Leben frei herumlaufen lassen, mit Verantwortung in Pfarreien und Schulen. Einige Bischöfe haben Priestern, die so etwas getan haben, nach dem Prozess und der Verurteilung beispielsweise Stellen in der Bibliothek gegeben, aber ohne Kontakt zu Kindern in Schulen, in Pfarreien. Und damit müssen wir weitermachen. Ich habe den belgischen Bischöfen gesagt, dass sie keine Angst haben und weitergehen sollen, weiter. Die Schande ist, so etwas zu vertuschen, zu vertuschen, ja, das ist die Schande. Ihnen vielen Dank.
Matteo Bruni: Die nächste Frage stellt Courtney Walsh von »Fox TV«.
Courtney Walsh, Fox Tv: Herzlichen Dank für Ihre Zeit. Wir haben heute Morgen gelesen, dass 900 Kilogramm schwere Bomben für die gezielte Tötung von Nasrallah eingesetzt wurden. Es gibt mehr als tausend vertriebene Menschen, viele Tote. Meine Frage lautet: Glauben Sie, dass Israel im Libanon und in Gaza vielleicht zu weit gegangen ist? Und wie kann man dies lösen? Gibt es eine Botschaft für diese Menschen dort?
Papst Franziskus: Jeden Tag rufe ich die Gemeinde in Gaza an. Dort, in Gemeinde und Schule, leben mehr als 600 Menschen, und sie berichten mir von den Dingen, die dort geschehen, auch von den Grausamkeiten, die dort geschehen. Hinsichtlich dessen, was Sie mir sagen, habe ich nicht so recht verstanden, wie die Dinge gelaufen sind. Aber die Verteidigung muss immer in einem angemessenen Verhältnis zum Angriff stehen. Wenn etwas unverhältnismäßig ist, zeigt es eine Neigung zur Dominanz, die jenseits der Sittlichkeit liegt. Wenn ein Land mit seinen Kräften solche Dinge tut – ich spreche von einem jeden Land –, solche Dinge in einer derart »superlativen« Weise tut, handelt es sich um unmoralische Handlungen. Auch im Krieg gibt es eine Sittlichkeit, die es zu wahren gilt. Der Krieg ist unmoralisch, aber die Regeln des Krieges verweisen auf eine gewisse Sittlichkeit. Aber wenn man nicht dementsprechend handelt, sieht man – so sagen wir in Argentinien – das »böse Blut« in diesen Dingen.
Matteo Bruni: Danke, Eure Heiligkeit, danke an Courtney. Vielleicht können wir noch eine letzte Frage stellen, da dieser Flug etwas kürzer ist als der letzte: Das ist Annachiara Valle von »Famiglia Cristiana«.
Annachiara Valle, Famiglia Cristiana: Danke, Eure Heiligkeit. Gestern wurde nach dem Treffen an der Katholischen Universität in Levay-la-Neuve ein Kommuniqué herausgegeben, in dem steht, ich lese: »Die Universität bedauert die konservativen Positionen, die Papst Franziskus zur Rolle der Frau in der Gesellschaft vertreten hat.« Es wird gesagt, dass es ein wenig einschränkend ist, von der Frau nur bezüglich Mutterschaft, Fruchtbarkeit, Fürsorge zu sprechen, was sogar etwas diskriminierend ist, da dies eine Rolle ist, die auch Männern zukommt. Und in diesem Zusammenhang haben beide Universitäten die Frage nach den Weiheämtern in der Kirche aufgeworfen.
Papst Franziskus: Zunächst einmal: Dieses Kommuniqué wurde veröffentlicht, während ich sprach. Es war vorgefertigt und das ist nicht moralisch. Sittlichkeit. Was die Frau betrifft: Ich spreche immer von der Würde der Frau und habe dort etwas gesagt, was ich über Männer nicht sagen kann: Die Kirche ist Frau, sie ist die Braut Jesu. Die Kirche zu vermännlichen, die Frauen zu vermännlichen, das ist nicht menschlich, ist nicht christlich. Das Weibliche hat seine eigene Kraft. Die Frau – das sage ich immer, und dies ist es, was ich gesagt habe – ist sogar wichtiger als der Mann, denn die Kirche ist Frau, die Kirche ist die Braut Jesu. Wenn dies jenen Damen konservativ erscheint, dann bin ich Carlo Gardell [ein bekannter argentinischer Tangosänger]. Warum versteht man es nicht… Ich sehe, dass es eine verbohrte Denkweise gibt, die nicht hören will, dass darüber gesprochen wird. Die Frau steht dem Mann gleich, sie steht ihm gleich, im Leben der Kirche ist die Frau sogar überlegen, weil die Kirche Frau ist. Was das Amt angeht, so ist die Mystik der Frau größer als das Amt. Es gibt einen großen Theologen [Hans Urs von Balthasar], der Studien zu dieser Frage unternommen hat: Was ist größer, der Petrusdienst oder der marianische Dienst? Der marianische Dienst ist größer, weil es ein Dienst der Einheit ist, der einbezieht, das andere ist ein Dienst der Leitung, der Führung. Die Mutterschaft der Kirche ist eine weibliche Mutterschaft. Das Amt ist ein viel geringerer Dienst, der zur Begleitung der Gläubigen gegeben ist, aber stets innerhalb der Mutterschaft. Und darüber haben verschiedene Theologen nachgedacht, und dies zu sagen, ist etwas Reelles, ich sage nicht »Modernes«, sondern »Reelles«. Es ist nicht antiquiert. Ein übertriebener Feminismus, der besagt, dass Frauen »Machos« sein sollen, das funktioniert nicht. Der Chauvinismus ist eine Sache, die nicht geht, der Feminismus ist eine andere Sache, die nicht geht. Man kann sagen, dass die Kirche als Frau größer ist als das priesterliche Amt. Und das wird manchmal nicht bedacht. Danke für die Frage.
Und ich danke euch allen für diese Reise, für die Arbeit, die ihr geleistet habt. Es tut mir leid, dass die Zeit hier so knapp ist. Aber danke, vielen Dank! Ich bete für euch, betet ihr auch für mich. Betet zu meinen Gunsten! Danke.
(Der Papst wird an die Tragödie der fünf-zig Menschen erinnert, die vor den Kanarischen Inseln im Meer verschollen sind.)
Papst Franziskus: Das schmerzt mich, diese vor den Kanaren verschollenen Menschen. Heute gehen viele, viele Migranten, die auf der Suche nach Freiheit sind, auf dem Meer oder nahe des Meeres verloren. Denken wir an Crotone: 100 Meter vom Land entfernt… Denken wir daran. Dies ist zum Weinen, zum Weinen. Danke.