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Begegnung mit der katholischen Gemeinschaft in der Kathedrale Notre-Dame

Das vielstimmige Instrument der Mission

 Das  vielstimmige Instrument der Mission  TED-040
04. Oktober 2024

Zu Beginn der Begegnung mit der Ortskirche begrüßte der Luxemburger Erzbischof, Kardinal Jean-Claude Hollerich, den Papst und unterstrich, dass die Kirche in Luxemburg sich in einer stark säkularisierten Gesellschaft entwickele, »mit ihren Leiden und Schwierigkeiten, aber auch mit ihren Wegen der Hoffnung«. Dabei gebe es den Willen, den »Weg der Erneuerung« einzuschlagen. Anschließend erzählten drei Gläubige dem Papst etwas vom kirchlichen Leben in Luxemburg. Ein junger Mann, Diogo Gomes Costa, begrüßte den Papst im Namen aller Jugendlichen und sprach von seinen Erfahrungen bei den Weltjugendtagen und den daraus hervorgegangenen Früchten. Die Vizepräsidentin des Diözesanpastoralrats von Luxemburg, Christine Bußhardt, dankte dem Papst für seine Anstöße für eine Erneuerung der Kirche. Zugleich betonte sie: »Es wäre unredlich, die Enttäuschung zu verbergen, die Teil unseres kirchlichen Alltags ist. Viele fühlen sich nicht gleichberechtigt behandelt und haben die Talente, die ihnen anvertraut wurden, vergraben.« Sr. Maria Perpétua Coelho Dos Santos berichtete von der Aufnahme der Migranten. Knapp 50 Prozent der Einwohner seien nicht-luxemburgischer Herkunft. Es gebe über 15 Sprachgemeinschaften. »Auch wenn es stimmt, dass unsere Vielfalt eine tägliche Herausforderung darstellt, erleben wir sie vor allem als Reichtum«, bemerkte sie.

Papst Franziskus bezog sich zu Beginn auf die Worte der Ordensschwester und sagte:

Ich möchte das aufgreifen, was sie über das Drama der Migration gesagt hat. Vergessen wir nicht einen Spruch, der in der Bibel, im Alten Testament, immer wieder auftaucht: die Witwe, die Waise und der Fremde. Habt Mitleid – sagt der Herr schon im Alten Testament – mit den Verlassenen. Damals waren die Witwen verlassen, die Waisen auch, und ebenso die Fremden, die Migranten. Die Migranten kommen in der Offenbarung vor. Vielen Dank an die Menschen und die Regierung von Luxemburg für das, was sie für die Migranten tun, danke!

Es folgte die offizielle Ansprache:

Königliche Hoheit,

Herr Kardinal und liebe Brüder im

Bischofsamt,

liebe Schwestern, liebe Brüder!

Ich freue mich sehr, hier mit euch in dieser großartigen Kathedrale zu sein. Ich danke dem Großherzog und seiner Familie für ihre Anwesenheit; und ich danke Kardinal Jean-Claude Hollerich für seine freundlichen Worte, genauso wie Diogo, Christine und Schwester Maria Perpetua für die Glaubenszeugnisse.

Unser Treffen fällt mit einem bedeutenden marianischen Jubiläum zusammen, mit dem die Kirche in Luxemburg vier Jahrhunderte der Verehrung Marias, Trösterin der Betrübten, der Patronin des Landes, feiert. Das Thema, das ihr für diesen Besuch gewählt habt, passt gut zu diesem Titel: »Um zu dienen«. Trösten und Dienen sind in der Tat zwei grundlegende Aspekte der Liebe, die Jesus uns geschenkt hat, die er uns als Auftrag anvertraut hat (vgl. Joh 13,13-17) und die er uns als einzigen Weg zur vollen Freude gezeigt hat (vgl. Apg 20,35). Aus diesem Grund werden wir in Kürze im Eröffnungsgebet des Marianischen Jahrs die Mutter Gottes bitten, sie möge uns helfen, »Missionare zu sein, die bereit sind, die Freude des Evangeliums zu bezeugen«, indem wir unser Herz dem ihren gleichförmig machen, »um uns in den Dienst unserer Brüder und Schwestern zu stellen«. Wir können also innehalten und über diese drei Worte nachdenken: Dienst, Mission und Freude.

Zuallererst der Dienst. Es wurde vorhin gesagt, dass die Kirche in Luxemburg »die Kirche Jesu Christi sein will, der nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen« (vgl. Mt 20,28; Mk 10,45). Und es wurde auch an das Bild des heiligen Franziskus erinnert, der den Aussätzigen umarmt und seine Wunden heilt. Bezüglich des Dienstes möchte ich euch einen heute sehr dringenden Aspekt ans Herz legen: den des Annehmens. Ich tue dies hier, unter euch, in besonderer Weise, weil euer Land in diesem Bereich eine jahrhundertealte Tradition besitzt und lebendig hält, wie uns Schwester Maria Perpetua in Erinnerung gerufen hat – und wie es auch in den anderen Zeugnissen mehrfach in dem Ruf »todos, todos, todos!«, »alle, alle, alle!«, deutlich wurde, der bei mehreren Gelegenheiten wiederholt wurde. Ja, der Geist des Evangeliums ist ein Geist des Annehmens, der Offenheit für alle, und er lässt keine Form der Ausgrenzung zu (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 47). Ich ermutige euch daher, diesem euren Erbe, diesem Reichtum, den ihr habt, treu zu bleiben und euer Land weiterhin zu einem offenen Haus für jeden zu machen, der an eure Tür klopft und um Hilfe und Gastfreundschaft bittet.

Es handelt sich dabei um eine Pflicht der Gerechtigkeit, mehr noch als um eine Pflicht der Nächstenliebe, wie schon Johannes Paul II. sagte, als er an die christlichen Wurzeln der europäischen Kultur erinnerte. Er ermutigte gerade die jungen Menschen in Luxemburg, die Weichen für ein Europa nicht nur der Waren und Güter, sondern der Werte, der Menschen und der Herzen zu stellen, in dem das Evangelium »im Wort der Verkündigung und in den Zeichen der Liebe« weitergegeben wird (Ansprache an die Jugendlichen des Großherzogtums Luxemburg, 16. Mai 1985, 4), beides. Ich betone das, weil es wichtig ist: ein Europa und eine Welt, in der das Evangelium durch das Wort der Verkündigung in Verbindung mit Zeichen der Liebe weitergegeben wird.

Und das bringt uns zum zweiten Thema: Mission. Vorhin hat der Kardinal-Erzbischof von einer »Entwicklung der Kirche von Luxemburg in einer säkularisierten Gesellschaft« gesprochen. Mir hat diese Formulierung gefallen: Die Kirche entwickelt sich, sie reift und wächst in einer säkularisierten Gesellschaft. Sie zieht sich nicht traurig und resigniert auf sich selbst zurück, nein, sondern sie nimmt vielmehr die Herausforderung an, in Treue zu den Werten aller Zeiten die Möglichkeiten der Evangelisierung neu zu entdecken und zu erschließen, indem sie mehr und mehr von einem einfachen Ansatz der Seelsorge zu einem Ansatz der missionarischen Verkündigung übergeht – und es braucht Mut. Und um dies zu tun, ist sie bereit, sich weiterzuentwickeln: zum Beispiel – wie Christine uns erinnert hat – durch das Teilen von Verantwortlichkeiten und Diens-ten, indem man miteinander unterwegs ist als eine Gemeinschaft, die verkündet, und indem man die Synodalität zu einer »dauerhaften Form gegenseitiger Beziehung« unter ihren Mitgliedern macht.

Und den Wert dieses Wachstums haben uns die jungen Freunde, die soeben einige Szenen aus dem Musical Laudato si’ aufgeführt haben, wunderschön vor Augen geführt. Bravo, gut haben sie es gemacht! Danke für das Geschenk, das ihr uns gemacht habt! Euer Werk, das das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Anstrengung ist, an der viele in der Erzdiözese beteiligt waren, ist für uns alle ein doppeltes prophetisches Zeichen! Es erinnert uns an erster Stelle an unsere Verantwortung gegenüber dem »gemeinsamen Haus«, dessen Hüter, nicht Beherrscher, wir sind. Dann aber lässt es uns auch darüber nachdenken, wie diese Mission, wenn sie gemeinsam unternommen wird, in sich ein wunderbares vielstimmiges Instrument darstellt, um allen die Schönheit des Evangeliums zu verkünden. Und das ist wichtig, es ist wichtig für uns alle: Was uns zur Mission antreibt, ist nämlich nicht das Bedürfnis, »die Zahl zu erhöhen«, »Proselytismus« zu betreiben, sondern der Wunsch, möglichst vielen Brüdern und Schwestern die Freude der Begegnung mit Christus zu vermitteln. Und hier möchte ich an einen schönen Ausdruck von Benedikt XVI. erinnern: »Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus, sondern durch Anziehung.«

Dann also, jenseits der Schwierigkeiten, gibt es die lebendige Dynamik des Heiligen Geis-tes, der in uns wirkt! Die Liebe treibt uns an, das Evangelium zu verkünden, indem sie uns offen macht für die Anderen, und die Herausforderung der Verkündigung lässt uns als Gemeinschaft wachsen und hilft uns, die Angst zu überwinden, neue Wege zu beschreiten, und veranlasst uns, den Beitrag aller dankbar anzunehmen. Es ist eine schöne, gesunde und freudige Dynamik, die wir in uns und um uns herum pflegen sollten.

Und damit kommen wir zum dritten Wort: Freude. Diogo hat über die Erfahrung des Weltjugendtags gesprochen und an das Glück erinnert, das er bei der Vigil dieses festlichen Ereignisses empfunden hat, als er zusammen mit Gleichaltrigen verschiedenster Herkunft und Nationalität auf den Moment unseres Treffens wartete, sowie an das Gefühl, am nächsten Morgen von so vielen Freunden umgeben aufzuwachen; und ebenso an die Begeisterung, die er während der gemeinsamen Vorbereitung in Portugal empfunden hat, und die Freude, sich ein Jahr später mit den anderen hier in Luxemburg wiederzutreffen. Seht ihr? So ist unser Glaube: er ist fröhlich, »tanzend«, weil er uns sagt, dass wir Kinder eines Gottes sind, der ein Freund der Menschen ist, der will, dass wir glücklich und vereint sind, und der sich über nichts mehr freut als über unser Heil (vgl. Lk 15,4-32; Gregor der Große, Homilien zu den Evangelien, 34,3). Und diesbezüglich, bitte: Der Kirche tun jene traurigen, langweiligen Christen mit einem langen Gesicht nicht gut. Nein, das sind keine Christen. Bitte, habt die Freude des Evangeliums: das stärkt uns im Glauben und lässt uns sehr wachsen.

In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend an eine weitere schöne Tradition eures Landes erinnern, von der mir berichtet wurde: die Springprozession, die zu Pfingsten in Echternach stattfindet, in Erinnerung an die unermüdliche Missionstätigkeit des heiligen Willibrord, der in dieser Gegend das Evangelium verkündet hat. Die ganze Stadt tanzt auf den Straßen und Plätzen, zusammen mit den vielen Pilgern und Besuchern, die dorthin strömen, und die Prozession wird zu einem großen, einzigartigen Tanz. Erinnern wir uns daran, dass König David vor dem Herrn tanzte und dies ist ein Ausdruck der Treue. Jung und Alt tanzen gemeinsam zur Kathedrale – dieses Jahr sogar im Regen, wie ich gehört habe – und bezeugen mit Begeisterung, wie schön es ist, im Gedenken an den heiligen Hirten gemeinsam auf dem Weg zu sein und sich am Tisch unseres Herrn als Brüder und Schwes-tern wieder zusammenzufinden. Und an dieser Stelle, nur ein kurzes Wort: bitte nicht die Fähigkeit zum Vergeben verlieren. Wisst ihr, dass wir alle vergeben müssen, aber wisst ihr warum? Weil uns allen vergeben worden ist und wir alle der Vergebung bedürfen.

Liebe Schwestern und Brüder, die uns vom Herrn anvertraute Mission, nach dem Beispiel und mit der Hilfe Marias zu trösten und zu dienen, ist schön. Danke euch, gottgeweihte Männer und Frauen, für die Arbeit, die ihr tut, Seminaristen, Priester, alle; und auch für die großzügige Hilfe, die ihr den Bedürftigen zukommen lassen wolltet. Wo ein Bedürftiger ist, ist Christus. Ich segne euch und bete für euch. Und bitte, betet auch ihr für mich. Danke.

[Erzbischof Jean-Claude Hollerich wollte dem Papst 100.000 Euro einer Kollekte für die karitative Arbeit des Papstes überreichen. Franziskus dankte für die Gabe, reichte sie aber gleich zurück an den Kardinal und sagte, die Kirche in Luxemburg solle sie für ihre Arbeit zugunsten der Armen und der Migranten im eigenen Land einsetzen.]