Matteo Bruni: Es ist soweit. Guten Tag, Eure Heiligkeit. Danke für diese Tage – viele Tage – des Reisens. Danke auch dafür, dass Sie uns die Freude der Menschen mehr haben spüren lassen als unsere Müdigkeit. Und nun gibt es einige Fragen von den Journalisten, die mit Ihnen gereist sind. Die ers-ten, wie es Tradition ist…
Papst Franziskus: Zunächst einmal möchte ich euch allen für diese Arbeit danken, für diese Gesellschaft auf der Reise, die für mich sehr wichtig ist. Als nächstes möchte ich der »Doyenne« gratulieren, denn Valentina Alazraki unternimmt mit dieser ihre 160ste Reise! Ich werde ihr nicht sagen, dass sie in den Ruhestand gehen soll, sondern dass sie so weitermachen soll!
Gut, dann stellt jetzt eure Fragen. Und vielen Dank!
Matteo Bruni: Gut. Die erste Frage kommt von einer Journalistin aus Singapur, Eure Heiligkeit: Pei Ting Wong, The Streits Times. Sie wird die Frage auf Englisch stellen und ich werde sie für Sie übersetzen.
Pei Ting Wong, The Streits Times: Papst Franziskus, ich freue mich, dass es Ihnen gut geht und Sie nach Rom zurückkehren. Ich hoffe, Sie haben Ihren Besuch in Singapur und auch das lokale Essen genossen. Wir haben unsere Singapur-Erfahrung gerade hinter uns und können von dort ausgehen. Was haben Sie an Singapur im Allgemeinen am meisten geschätzt: die Kultur, die Menschen? Waren Sie von dem, was Sie gesehen haben, überrascht? Und was kann Singapur von den anderen drei Ländern, die wir besucht haben, lernen? Ich beziehe mich dabei insbesondere auf Ihre Botschaft über eine faire Entlohnung für einkommensschwache Wanderarbeiter: Was hat diese Botschaft inspiriert, welche Überlegungen standen dahinter? Und die andere Frage – entschuldigen Sie, ich habe noch eine –: Sie haben gesagt, dass Singapur auf der internationalen Bühne eine ganz besondere Rolle zu spielen hat. Was kann Singapur in dieser Welt der Konflikte tun und wie kann der Vatikan als diplomatischer Verbündeter dazu beitragen? Danke.
Papst Franziskus: Ich danke Ihnen. Zunächst einmal hatte ich nicht erwartet, Singapur in dieser Weise vorzufinden. Es heißt, dass es das New York des Orients genannt wird: ein entwickeltes, sauberes Land, höfliche Menschen, eine Stadt mit großen Wolkenkratzern und auch mit einer großen interreligiösen Kultur. Das interreligiöse Treffen, das wir am Ende hatten, war ein Vorzeige-modell, ein Vorbild an Geschwisterlichkeit. Dann habe ich auch – wir sprechen jetzt schon über die Migranten – Wolkenkratzer für die Arbeiter gesehen. Die luxuriösen Wolkenkratzer und die anderen sind gut konstruiert und sauber, und das hat mir
sehr gefallen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es Diskriminierung gibt, das habe ich
nicht wahrgenommen. Ich war von der Kultur beeindruckt. Mit den Studenten beispielsweise, am letzten Tag: Ich war von der
Kultur beeindruckt. Zur internationalen Rolle: Ich habe gesehen, dass nächste Woche ein »Formel Eins«-Rennen stattfindet, meine ich … Die internationale Rolle ist die einer Hauptstadt, die Kulturen anzieht und das ist wichtig. Es ist eine bedeutende Hauptstadt. Ich hatte nicht erwartet, etwas Derartiges anzutreffen.
Pei Ting Wong: Da ist noch die andere
Frage: Kann Singapur von den drei Ländern – Papua-Neuguinea, Indonesien und Osttimor – lernen?
Papst Franziskus: Weißt du, man kann immer etwas lernen, denn jeder Mensch und jedes Land hat einen anderen Reichtum. Deshalb ist Geschwisterlichkeit in der Kommunikation so wichtig. Wenn ich beispielsweise an Osttimor denke, dann ist ein Punkt, dass ich dort viele Kinder gesehen habe, während ich in Singapur nicht viele gesehen habe. Das ist vielleicht eine Sache, die zu lernen ist …
Pei Ting Wong: Ja, wir haben eine niedrige Geburtenrate.
Papst Franziskus: Haben die Leute Angst? Wie hoch ist eure Geburtenrate?
Pei Ting Wong: Unter 1,2%, niedriger als diejenige in Japan, soweit ich weiß.
Papst Franziskus: Die Zukunft sind die Kinder! Denkt daran. Danke. Ach, noch etwas: Ihr, die Einwohner von Singapur, seid sehr sympathisch. You smile, smile…
Matteo Bruni: Die zweite Frage, Eure Heiligkeit, stammt von Delfim De Oliveira, einem Journalisten von GMN TV in Ost-timor. Er wird die Frage auf Portugiesisch stellen, aber wir haben die Übersetzung seiner Frage.
Delfim De Oliveira, GMN TV (Grupo Média Nacional) aus Osttimor: Heiliger Vater, ich danke Ihnen für diese Gelegenheit. Ihre Schlussbotschaft in der Messe in Taci Tolu, ist derzeit die am meisten verbreitete Nachricht in Timor. Sie haben den Ausdruck »Krokodile« verwendet, um die Aufmerksamkeit der Bewohner von Timor auf die Existenz von Krokodilen in Osttimor zu lenken. Was wollten Sie damit sagen?
Papst Franziskus: Ich habe das Bild der Krokodile aufgegriffen, die an den Strand kommen. Osttimor hat eine einfache, familiäre, fröhliche Kultur, eine Kultur des Lebens, es hat viele Kinder, viele, und als ich von Krokodilen sprach, sprach ich von den Ideen, die von außen kommen können, um diese Harmonie, die es bei euch gibt, zu zerstören. Ich sage dir eines: Ich habe mich in Osttimor verliebt! Und noch etwas? …
Delfim De Oliveira: Die Bevölkerung von Timor ist mehrheitlich katholisch. In Ost-timor gibt es derzeit eine starke Präsenz von Sekten: Könnte sich der Ausdruck »Krokodile« auch auf die Sekten in Timor bezogen haben?
Papst Franziskus: Vielleicht. Darüber spreche ich nicht, das darf ich nicht, aber es könnte sein. Denn alle Religionen sind zu respektieren, aber es ist zwischen Religion und Sekte zu unterscheiden. Die Religion ist universal, eine jede Religion; die Sekte ist restriktiv, es ist eine kleine Gruppe, die immer noch eine andere Absicht hat. Danke, und ein Lob für dein Land.
Matteo Bruni: Die dritte Frage stellt Francisca Christy Rosana, Tempo Media Group, eine Journalistin aus Indonesien, die – wie Sie wissen – vor ein paar Tagen Geburtstag hatte.
Francisca Christy Rosana, Tempo Media Group: Danke, Papst Franziskus: Ich bin Francisca vom Tempo Magazine. Ich hoffe, Sie hatten unvergessliche Momente in Indonesien, denn die Menschen in Indonesien, nicht nur die Katholiken, haben schon lange auf Sie gewartet. Meine Fragen lauten: Wir haben festgestellt, dass Indonesien immer noch mit seiner Demokratie zu kämpfen hat. Wie sehen Sie das und was ist Ihre Botschaft an uns? Und die letzte Frage: Papua und Indonesien haben manchmal dasselbe Problem mit Papua-Neuguinea: Investitionen im Bergbausektor kommen nur den Oligarchen zugute, während die lokale und indigene Bevölkerung überhaupt nicht davon profitiert. Was halten Sie davon und was kann man dagegen tun? Danke, Papst Franziskus.
Papst Franziskus: Das ist ein Problem, so möchte ich sagen, das den Entwicklungsländern gemein ist. Deshalb ist wichtig, was die Soziallehre der Kirche sagt: dass es einen Austausch zwischen den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft geben muss. Sie haben gesagt, dass Indonesien ein Entwicklungsland ist, und vielleicht ist genau dies eines der Dinge, die entwickelt werden müssen: die sozialen Beziehungen. Aber ich war erfreut über den Besuch in Ihrem Land. Sehr gut, sehr schön!
Matteo Bruni: Eure Heiligkeit, die Presse in Papua-Neuguinea hat Ihre Reise mit großem Interesse verfolgt, aber leider war es ihr nicht möglich, einen Journalisten bei diesem Flug dabei zu haben. Daher möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um Sie zu fragen, ob Sie uns etwas über Papua-Neuguinea erzählen möchten, insbesondere auch über Vanimo, einen Ort, von dem ich meine, dass Sie persönlich ihn besuchen wollten.
Papst Franziskus: Das Land hat mir gefallen, und ich habe ein Land gesehen, das sich stark entwickelt. Dann wollte ich nach Vanimo gehen, um eine Gruppe argentinischer Priester und Ordensschwestern zu besuchen, die dort wirken, und ich habe eine sehr schöne Organisation vorgefunden, eine sehr schöne! In allen Ländern ist die Kunst sehr weit entwickelt: Tänze, andere poetische Ausdrucksformen … Aber in Papua-Neuguinea ist sie beeindruckend, und in Vanimo ist die Entwicklung der Kunst erstaunlich. Das hat mich sehr beeindruckt. Die Missionare, die ich besucht habe, sind im Urwald, sie gehen in den Urwald, um zu arbeiten. Vanimo hat mir gefallen, und das Land ebenso. Danke.
Matteo Bruni: Vielen Dank, Eure Heiligkeit. Die nächste Frage kommt von Stefania Falasca, sie schreibt auch für eine Website in China, Tianou Zhiku.
Stefania Falasca, Tianou Zhiku: Guten Abend, Heiliger Vater. Leider spreche ich kein Chinesisch! Wir kommen aus Singapur, einem Land mit mehrheitlich chinesischer Bevölkerung, und es ist ein Vorbild an harmonischem und friedlichem Zusammenleben. Gerade zum Thema Frieden: Ich würde gern wissen, was Sie eingedenk der Nähe zum chinesischen Festland von den Bemühungen Chinas halten, einen Waffenstillstand in den Konfliktregionen wie dem Gazastreifen zu erreichen. Im Juli wurde in Peking die »Erklärung von Peking« unterzeichnet, um die Spaltung unter den Palästinensern zu beenden. Und dann, ob es Raum für eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Friedens zwischen China und dem Heiligen Stuhl gibt. Ein letzter Punkt: Wir stehen kurz vor der Erneuerung des Abkommens zwischen China und dem Heiligen Stuhl bezüglich der Bischofsernennung. Sind Sie mit den bisher erreichten Ergebnissen des Dialogs zufrieden oder nicht?
Papst Franziskus: Ich greife den letzten Punkt auf: Ich bin mit dem Dialog mit China zufrieden, das Ergebnis ist gut, auch hinsichtlich der Bischofsernennung wird guten Willens gearbeitet. Hierzu habe ich das Staatssekretariat befragt, wie die Dinge laufen: Ich bin zufrieden. Eine andere Frage ist China: China ist für mich eine ilusión [eine Sehnsucht], und zwar in dem Sinne, dass ich China gern besuchen würde, weil es ein großartiges Land ist; ich bewundere China, ich respektiere China. Es ist ein Land mit einer jahrtausendealten Kultur, mit einer Fähigkeit zum Dialog und zum gegenseitigen Verständnis, die die verschiedenen Regierungssysteme überschreitet, die es gehabt hat. Ich glaube, dass China eine Verheißung und eine Hoffnung für die Kirche ist. Man kann zusammenarbeiten, und gewiss im Hinblick auf Konflikte. Im Moment betätigt sich Kardinal Zuppi in diesem Sinne und unterhält auch Beziehungen zu China.
Matteo Bruni: Vielen Dank, Eure Heiligkeit. Die nächste Frage stammt von Anna Matranga, CBS News, die Sie kennen.
Anna Matranga, CBS News: Guten Abend, Eure Heiligkeit. Sie haben sich immer für die Würde des Lebens eingesetzt. In Osttimor, einem Land mit einer sehr hohen Geburtenrate, haben Sie gesagt, dass man das Leben pulsieren und explodieren spürt, wegen der vielen Kinder. In Singapur haben Sie sich für die Wanderarbeiter eingesetzt. Angesichts der bevorstehenden Wahlen in den Vereinigten Staaten möchte ich Sie fragen: Welchen Rat können Sie einem katholischen Wähler geben, der sich entscheiden muss zwischen einem Kandidat, der für Schwangerschaftsabbrüche ist, und einem Kandidaten, der elf Millionen Migranten abschieben möchte?
Papst Franziskus: Beide sind gegen das Leben, sowohl derjenige, der Migranten entsorgt, als auch der, der Kinder tötet. Beide sind gegen das Leben. Man kann das nicht entscheiden, ich kann mich nicht äußern, ich bin kein US-Amerikaner, ich werde dort nicht wählen, aber es muss klar sein: Migranten wegzuschicken, Migranten nicht die Möglichkeit zu geben, zu arbeiten, Migranten nicht aufzunehmen, ist eine Sünde, es ist schwerwiegend. Im Alten Testament gibt es eine wiederkehrende Aussage: die Waise, die Witwe und der Fremde, das heißt der Migrant. Das sind die drei, die das Volk Israel beschützen muss. Wer den Migranten nicht beschützt, begeht eine Verfehlung, es ist eine Sünde, eine Sünde auch gegen das Leben dieser Leute. Ich habe an der Grenze eine Messe gefeiert, in der Nähe der Diözese El Paso, und dort gab es viele Schuhe von Migranten, die ein schlimmes Ende genommen hatten, dort. Heute gibt es einen Migrantenstrom in Mittelamerika, die oft wie Sklaven behandelt werden, weil sie ausgenutzt werden. Migration ist ein Recht, ein Recht, das es bereits in der Heiligen Schrift, im Alten Tes-tament, gab. Der Fremde, die Waise und die Witwe: Vergessen wir das nicht. Das ist es, was ich über Migranten denke. Dann zur Abtreibung. Die Wissenschaft sagt, dass einen Monat nach der Empfängnis alle Organe eines menschlichen Wesens vorhanden sind, alle. Eine Abtreibung durchzuführen bedeutet, ein menschliches Wesen zu töten. Ob man das Wort nun mag oder nicht, aber es ist eine vorsätzliche Tötung. Das ist es. Die Kirche ist nicht engstirnig, weil sie die Abtreibung nicht erlaubt: Die Kirche erlaubt die Abtreibung nicht, weil es töten bedeutet, es ist eine vorsätzliche Tötung. Und darüber müssen wir uns im Klaren sein. Migranten wegzuschicken, sie sich nicht entwickeln zu lassen, nicht zuzulassen, dass sie ihr Leben führen, ist eine schlechte Sache, es ist Bosheit. Ein Baby aus dem Schoß seiner Mutter wegzunehmen ist Mord, denn es gibt da ein Leben. Und über diese Dinge müssen wir klar sprechen. »Nein, jedoch, aber …« Kein »aber«. Beide Dinge sind klar. Die Waise, der Fremde und die Witwe: Vergessen wir dies nicht.
Anna Matranga: Kann es Umstände geben, unter denen es für einen Katholiken moralisch zulässig ist, für einen Kandidaten zu stimmen, der dem Schwangerschaftsabbruch positiv gegenübersteht?
Papst Franziskus: In der politischen Ethik gilt im Allgemeinen, dass es schlecht ist, nicht zu wählen, es ist nicht gut: Man muss wählen. Und es ist das geringere Übel zu wählen. Wer ist das geringere Übel, jene Dame oder jener Herr? Ich weiß es nicht, jeder soll gewissenhaft nachdenken und so handeln.
Matteo Bruni: Danke, Eure Heiligkeit. Die nächste Frage stellt Mimmo Muolo, von Avvenire.
Mimmo Muolo, Avvenire: Guten Abend, Eure Heiligkeit, und vielen Dank für diese Tage. Im Namen der italienischen Journa-listen möchte ich Sie fragen: Es besteht die Gefahr, dass der Konflikt im Gazastreifen auch auf das Westjordanland übergeht. Vor ein paar Stunden gab es eine Explosion, bei der 18 Menschen getötet wurden, darunter einige UN-Mitarbeiter. Was empfinden Sie in diesem Moment? Und was möchten Sie den Kriegsparteien gern sagen? Gibt es vielleicht auch die Möglichkeit einer Vermittlung durch den Heiligen Stuhl, um zu einem Waffenstillstand und zum erhofften Frieden zu kommen? Danke.
Papst Franziskus: Der Heilige Stuhl setzt sich dafür ein. Ich sage euch eines: Jeden Tag rufe ich die Pfarrgemeinde in Gaza an, jeden Tag. Dort, in der Pfarrei und im Kolleg, leben 600 Menschen: Christen und Muslime, aber sie leben wie Geschwister. Sie erzählen mir schlimme Dinge, schwierige Ereignisse. Ich kann nicht beurteilen, ob dieser Krieg zu blutig ist oder nicht, aber bitte, wenn man die Körper getöteter Kinder sieht, wenn man sieht, dass eine Schule bombardiert wird, wenn man davon ausgeht, dass dort einige der Guerillakämpfer sind: Dies ist schlimm, es ist schlimm! Manchmal spricht man darüber, ob es sich um einen Verteidigungskrieg handelt oder nicht, aber manchmal denke ich, es ist ein zu heftiger, zu heftiger Krieg … Und – es tut mir leid, dies zu sagen – ich finde nicht, dass die Schritte unternommen werden, um Frieden zu erreichen. In Verona hatte ich zum Beispiel ein sehr schönes Erlebnis: Ein Jude, dessen Frau bei einem Raketenangriff ums Leben gekommen war, und jemand aus Gaza, dessen Tochter gestorben war, beide haben über den Frieden gesprochen, haben sich umarmt und ein Zeugnis der Geschwisterlichkeit abgelegt. Ich sage folgendes: Die Geschwisterlichkeit ist wichtiger als die Tötung eines Bruders. Geschwisterlichkeit, sich die Hände reichen. Am Ende wird derjenige, der den Krieg gewinnt, eine große Niederlage erleiden. Der Krieg ist immer eine Niederlage, immer, ausnahmslos. Dies dürfen wir nicht vergessen. Deshalb ist alles, was wir für den Frieden tun, wichtig. Und noch etwas möchte ich sagen – damit mische ich mich zwar ein wenig in die Politik ein, aber ich möchte es sagen –: Ich bin sehr, sehr dankbar für das, was der König von Jordanien tut. Er ist ein Mann des Friedens und er versucht, Frieden zu erreichen. König Abdallah ist ein redlicher, guter Mann.
Matteo Bruni: Die nächste Frage kommt von Lisa Weiß vom deutschen Fernsehsender ARD.
Lisa Weiß, ARD: Heiliger Vater, danke für diese Tage. Während dieser Reise haben Sie sehr offen und sehr direkt über die Probleme eines jeden Landes gesprochen, nicht nur über seine Schönheiten. Und genau aus diesem Grund haben wir uns gefragt, warum Sie nicht über das Problem gesprochen haben, dass es in Singapur immer noch die Todesstrafe gibt.
Papst Franziskus: Das stimmt, ja, das ist mir nicht in den Sinn gekommen. Aber die Todesstrafe wirkt nicht: Wir müssen versuchen, sie allmählich abzuschaffen, langsam. In vielen Ländern gibt es ein entsprechendes Gesetz, aber die Strafe wird nicht vollstreckt. In den Vereinigten Staaten ist es in einigen Bundesstaaten genauso. Aber die Todesstrafe muss abgeschafft werden. Sie funktioniert nicht, sie geht nicht.
Matteo Bruni: Die nächste Frage stammt von Simon Leplâtre, Le Monde.
Simon Leplâtre, Le Monde: Eure Heiligkeit, zunächst vielen Dank für diese faszinierende Reise. In Timor-Leste erwähnten Sie junge Opfer sexuellen Missbrauchs. Wir dachten natürlich an Bischof Belo. In Frankreich haben wir einen ähnlichen Fall, den Abbé Pierre, Gründer der Wohltätigkeitsorganisation Emmaus, der mehrere Jahre lang zur beliebtesten Persönlichkeit der Franzosen gewählt wurde. In beiden Fällen erschwerte es ihr Charisma, dies zu glauben. Ich möchte fragen: Was wusste der Vatikan über Abbé Pierre, und was können Sie den Opfern und der allgemeinen Bevölkerung sagen, die es schwer finden zu glauben, dass Menschen, die so viele gute Taten vollbracht haben, auch Verbrechen begehen können? Da wir gerade von Frankreich sprechen, würden wir auch gern wissen: Werden Sie im Dezember bei der Wiedereröffnung von Notre-Dame in Paris sein? Vielen Dank.
Papst Franziskus: Ich beantworte die letzte Frage zuerst: Ich werde nicht nach Paris reisen. Dann die erste Frage. Du hast einen sehr wunden Punkt berührt, einen sehr heiklen Punkt. Gute Menschen, Menschen, die Gutes tun – du hast Abbé Pierre erwähnt – und dann, obwohl sie so viel Gutes getan haben, sieht man, dass diese Person ein schlimmer - Sünder ist. Und dies ist unsere menschliche Beschaffenheit. Wir dürfen nicht sagen: »Verdecken wir es, verdecken wir es, damit man es nicht sieht.« Öffentliche Sünden sind öffentlich und sind zu verurteilen. Abbé Pierre ist beispielsweise ein Mann, der viel Gutes getan hat, aber er ist auch ein Sünder. Und wir müssen diese Dinge klar ansprechen und dürfen sie nicht verbergen. Der Einsatz gegen Missbrauch ist etwas, was wir alle leisten müssen. Aber nicht nur gegen sexuellen Missbrauch, sondern gegen alle Arten von Missbrauch: sozialen Miss-brauch, erzieherischen Miss-brauch, die Mentalität der Menschen zu ver-ändern, die Freiheit zu nehmen … Der Missbrauch ist meiner Meinung nach eine dämonische Angelegenheit, denn jede Art von Missbrauch zerstört die Würde des Menschen, jede Art von Missbrauch versucht, das zu zerstören, was wir alle sind: ein Abbild Gottes. Ich bin froh, wenn diese Fälle bekannt werden. Und ich sage euch noch etwas, was ich vielleicht schon ein anderes Mal gesagt habe: Vor fünf Jahren haben wir ein Treffen mit den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen über Fälle von sexuellem und anderem Missbrauch veranstaltet, und wir hatten eine sehr gut aufbereitete Statistik, ich glaube von den Vereinten Nationen. Zwischen 42 und 46 Prozent der Missbrauchsfälle finden in der Familie oder in der Nachbarschaft statt … [Unterbrechung] Um zum Schluss zu kommen: Sexueller Missbrauch von Kindern, von Minderjährigen ist ein Verbrechen, es ist eine Schande.
Matteo Bruni: Vielleicht müssen wir uns wegen der Anweisungen des Flugkapitäns einen Moment hinsetzen. Wenn Sie weitermachen wollen, können wir uns hier hinbegeben. Vielleicht können wir in der Zwischenzeit mit einer weiteren Frage von Eli-sabetta Piqué von der Zeitung La Nación fortfahren, die Sie gut kennen.
Elisabetta Piqué, La Nación: Zunächst einmal danke ich Ihnen für diese wunderbare Reise an die Ränder der Welt: Es war die längste des Pontifikats. Und da wir gerade von langen Reisen sprechen: Alle auf dieser Reise und viele Kollegen haben mich gefragt: »Geht’s denn nach Argentinien?« Sie haben oft gesagt, vielleicht am Ende des Jahres … Das ist die erste Frage: Ob wir nach Argentinien reisen oder nicht. Und die
zweite betrifft Venezuela: Wie Sie wissen, herrscht dort eine dramatische Situation. Während der Tage als Sie auf Reisen waren, musste der theoretisch gewählte Präsident nach Spanien ins Exil gehen. Welche Botschaft würden Sie der Bevölkerung in Venezuela mit auf den Weg geben? Danke.
Papst Franziskus: Ich habe die Situation in Venezuela nicht verfolgt, aber die Botschaft, die ich den Machthabern mit auf den Weg geben würde, ist das Gespräch zu suchen und Frieden zu schließen. Wir brauchen keine Diktaturen, und früher oder später nehmen sie ein böses Ende. Lest die Kirchengeschichte. Ich würde sagen, dass die Regierung und das Volk alles tun sollen, um für Venezuela einen Weg des Friedens zu finden. Ich kann keine politische Einschätzung abgeben, weil ich die Details nicht kenne. Ich weiß, dass die Bischöfe sich geäußert haben, und die Stellungnahme der Bischöfe wird sicher besser sein. Und ob ich nach Argentinien reisen werde, ist noch nicht entschieden. Ich würde gern dorthin fahren, es ist mein Volk, ich würde gern dorthin gehen; aber es ist noch nicht entschieden, weil zuerst noch verschiedene Dinge geklärt werden müssen. Ist das alles?
Elisabetta Piqué, La Nación: Aus der spanischen Gruppe: Falls wir dorthin gingen, könnte es einen Zwischenstopp auf den Kanaren geben?
Papst Franziskus: Du hast meine Gedanken gelesen. Ich denke ein wenig darüber nach, auf die Kanarischen Inseln zu gehen, denn dort gibt es die Situation der Migranten, die vom Meer kommen, und ich würde gern den Regierenden und den Menschen auf den Kanaren nahe sein. So ist das.
Matteo Bruni: Eure Heiligkeit, vielleicht können wir vor dem Mittagessen noch eine letzte Frage stellen, von Seiten eines indonesischen Journalisten, Bonifasius Josie Susilo Hardianto, von »Kompas.Id«?
Bonifasius Josie Susilo Hardianto, Kompas.Id: Vielen Dank, Heiliger Vater. Einige Länder beginnen, sich aus wirtschaftlichen Gründen, insbesondere nach der Pandemie, von ihrem Engagement für das Pariser Abkommen zu verabschieden. Viele Länder zögern bei der Transformation zu sauberer Energie und weniger Kohle. Was hält Seine Heiligkeit von diesen Vorgängen?
Papst Franziskus: Ich denke, dass das Klimaproblem ernst ist, es ist sehr ernst. Seit Paris, dem Höhepunkt, geht es mit den Klimatreffen immer weiter bergab. Es wird geredet und geredet, aber nicht gehandelt. Das ist mein Eindruck. Ich habe darüber in meinen beiden Texten Laudato si’ und Laudate Deum gesprochen.
Matteo Bruni: Jetzt danken wir Eurer Heiligkeit …
Papst Franziskus: Ich danke euch. Danke. Vorwärts, habt Mut. Hoffen wir, dass sie uns jetzt etwas zu essen geben! …
Nein, eine Sache, auf die ich nicht geantwortet hatte …
Matteo Bruni: Um die Antwort auf Simon Leplâtre zu vervollständigen:
Papst Franziskus: Was der Vatikan über Abbé Pierre wusste. Ich weiß nicht, wann der Vatikan davon erfahren hat, das weiß ich nicht. Ich weiß es nicht, weil ich nicht hier war und nie auf die Idee gekommen bin, eine Nachforschung dazu zu unternehmen. Aber gewiss nach seinem Tod, das ist sicher; davor, dass weiß ich nicht.
Matteo Bruni: Nochmals vielen Dank, Eure Heiligkeit, für diese Klarstellung. Einen guten Abschluss der Reise.