Herr Präsident!
sehr verehrte Autoritäten,
sehr verehrte Herren Kardinäle,
sehr geehrte Herren Bischöfe,
sehr geehrte Vertreter der religiösen
Gemeinschaften und der
verschiedenen Religionen,
sehr geehrte Vertreter der
Zivilgesellschaft,
Mitglieder des Diplomatischen Korps!
Ich danke Ihnen herzlich, Herr Präsident, für die willkommene Einladung, dieses Land zu besuchen, und für Ihre freundlichen Begrüßungsworte. Von Herzen wünsche ich dem künftigen Präsidenten alles Gute für eine fruchtbare Arbeit im Dienste Indonesiens, einem riesigen Archipel aus Abertausenden von Inseln, die von dem Meer umfangen sind, das Asien mit Ozeanien verbindet.
Wie der Ozean das natürliche Element ist, das alle indonesischen Inseln verbindet, so könnte man fast sagen, dass der gegenseitige Respekt für die spezifischen kulturellen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Eigenheiten aller Bevölkerungsgruppen, aus denen Indonesien besteht, das Bindegewebe ist, das das indonesische Volk eint und stolz macht.
Euer nationales Motto »Bhinneka tunggal ika« (»Einheit in Vielfalt«, wörtlich »Viele, aber eins«) bringt diese vielgestaltige Wirklichkeit der verschiedenen Völker, die fest in einer Nation vereint sind, gut zum Ausdruck. Und es zeigt außerdem, analog zur großen biologischen Vielfalt dieses Archipels, die eine Quelle des Reichtums und der Pracht ist, dass die jeweiligen Unterschiede dazu beitragen, ein großartiges Mosaik zu bilden, in dem jedes Steinchen ein unersetzliches Element ist, um ein großes, originelles und wertvolles Werk zu schaffen. Und dies ist euer Schatz, euer größter Reichtum.
Einklang im Respekt vor der Vielfalt wird erreicht, wenn eine jede partikulare Sichtweise den gemeinsamen Bedürfnissen Rechnung trägt und wenn jede ethnische Gruppe und religiöse Konfession im Geist der Geschwis-terlichkeit handelt und das edle Ziel verfolgt, dem Wohl aller zu dienen. Das Bewusstsein, an einer gemeinsamen Geschichte teilzuhaben, zu der ein jeder seinen eigenen Beitrag leistet und in der die Solidarität eines jeden Teils gegenüber dem Ganzen grundlegend ist, hilft dabei, die richtigen Lösungen zu finden, eine Verschärfung der Gegensätze zu vermeiden und das Gegeneinander in tatkräftige Zusammenarbeit zu verwandeln.
Dieses kluge und sensible Gleichgewicht zwischen der Vielfalt der Kulturen und unterschiedlichen Überzeugungen einerseits, und den Prinzipien, die die Einheit festigen, andererseits, muss beständig gegen jedes Ungleichgewicht verteidigt werden. Dies ist ein Handwerk, ich wiederhole, ein Handwerk, das allen aufgegeben ist, in besonderer Weise dem Handeln der Politik, wenn es auf Eintracht, Gerechtigkeit, Achtung der grundlegenden Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung, Solidarität und das Streben nach Frieden abzielt, sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch mit anderen Völkern und Nationen. Darin liegt die große Bedeutung der Politik. Ein weiser Mensch hat einmal gesagt, dass die Politik die höchste Form der Nächs-tenliebe ist. Das ist schön.
Um eine friedliche und konstruktive Eintracht zu fördern, die den Frieden sichert und die Kräfte bündelt, um die Ungleichgewichte und die Brennpunkte des Elends zu überwinden, die es in manchen Gegenden noch gibt, möchte die katholische Kirche den interreligiösen Dialog verstärken. Auf diese Weise können Vorurteile abgebaut werden und ein Klima des gegenseitigen Respekts und Vertrauens entstehen, das für die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen unabdingbar ist. Dazu gehört auch die Bekämpfung von Extremismus und Intoleranz, die – indem sie die Religion verfälschen – versuchen, sich mit Hilfe von Täuschung und Gewalt durchzusetzen. Die Nähe hingegen, das Hören auf die Meinung der anderen, das lässt in einer Nation Geschwisterlichkeit entstehen. Und das ist eine sehr, sehr schöne Sache.
Die katholische Kirche stellt sich in den Dienst des Gemeinwohls und möchte die Zusammenarbeit mit den öffentlichen Institutionen und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft verstärken, dabei aber keinen Proselytismus betreiben, niemals. Und damit fördert sie die Bildung eines ausgewogeneren Sozialgefüges und eine effizientere und fairere Verteilung der sozialen Unterstützung.
Lassen Sie mich an dieser Stelle Bezug nehmen auf die Präambel Ihrer Verfassung von 1945, die wertvolle Hinweise bezüglich der Wegrichtung gibt, die das demokratische und unabhängige Indonesien eingeschlagen hat. Und dies ist eine sehr schöne Geschichte; wenn einer sie liest, sieht er, dass sie eine Entscheidung aller war.
Gleich zweimal verweist die Präambel in wenigen Zeilen auf den allmächtigen Gott und auf die Notwendigkeit, dass sein Segen auf den im Entstehen begriffenen Staat Indonesien herabkommt. In ähnlicher Weise befasst sich auch der Eröffnungstext Ihres Grundgesetzes zweimal mit der sozialen Gerechtigkeit und wünscht die Schaffung einer auf dieser basierenden internationalen Ordnung, da sie als eines der wichtigsten Ziele angesehen wird, die es zum Wohle des gesamten indonesischen Volkes zu verwirklichen gilt.
Einheit in der Vielfalt, soziale Gerechtigkeit und göttlicher Segen sind also die Grundprinzipien, die die spezifischen Programme inspirieren und leiten sollen, sie sind wie die tragende Struktur, das solide Fundament, auf dem das Haus gebaut werden soll. Und wie könnte man übersehen, dass diese Prinzipien sehr gut zum Motto meines Besuchs in Indonesien passen: »Glaube, Geschwisterlichkeit, Mitgefühl«?
Leider gibt es in der heutigen Welt jedoch einige Tendenzen, die die Entwicklung der universalen Geschwisterlichkeit behindern (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 9). In verschiedenen Regionen sehen wir das Aufkommen gewaltsamer Konflikte, die oft das Ergebnis eines Mangels an gegenseitigem Respekt sind, des intoleranten Wunsches, die eigenen Interessen, die eigene Position oder die eigene partielle Geschichtsdarstellung um jeden Preis durchzusetzen, auch wenn dies zu endlosem Leid für ganze Gesellschaften führt und in echte blutige Kriege mündet.
Manchmal entwickeln sich auch innerhalb von Staaten gewalttätige Spannungen, weil die Machthaber alles vereinheitlichen wollen und ihre Vorstellungen auch in Angelegenheiten durchsetzen, die der Autonomie der Einzelnen oder der Gruppen überlassen werden sollten.
Andererseits gibt es trotz wohlklingender programmatischer Erklärungen viele Situationen, in denen es an einem wirksamen und weitsichtigen Engagement für den Aufbau sozialer Gerechtigkeit mangelt. Daraus folgt, dass ein beträchtlicher Teil der Menschheit an den Rändern zurückgelassen wird, ohne die Mittel für ein würdevolles Leben und ohne Schutz, um dem gravierenden und zunehmenden sozialen Ungleichgewicht die Stirn bieten zu können, welches zu akuten Konflikten führt. Und wie wird das gelöst? Mit einem Gesetz des Todes, das heißt der Begrenzung der Geburten, der Begrenzung des größten Reichtums, den ein Land hat, nämlich der Geburten. In eurem Land gibt es dagegen Familien mit drei, vier, fünf Kindern. Und das kann man am Altersniveau des Landes sehen. Macht weiter so. Das ist ein Beispiel für alle Länder. Vielleicht ist das komisch; vielleicht haben manche Familien lieber eine Katze, einen kleinen Hund und kein Kind. Das ist aber nicht richtig.
In anderen Zusammenhängen glaubt man hingegen, davon absehen zu können oder zu müssen, nach dem Gottes Segen zu streben, weil man ihn für den Menschen und die Zivilgesellschaft als überflüssig erachtet, welche aus eigener Kraft vorankommen sollen, auf diese Weise jedoch oft Frustration und Scheitern erfahren. Umgekehrt gibt es Fälle, in denen der Glaube an Gott ständig in den Vordergrund gestellt wird, wobei dies bedauerlicherweise jedoch oft geschieht, um ihn zu manipulieren sowie Spaltungen und Hass zu verstärken, und nicht um der Schaffung von Frieden, Gemeinschaft, Dialog, Respekt, Zusammenarbeit, Geschwisterlichkeit und dem Aufbau des Landes zu dienen.
Brüder und Schwestern, angesichts dieser Schatten ist es erfreulich zu beobachten, wie die Philosophie, die die Organisation des indonesischen Staates inspiriert, Weisheit und Ausgewogenheit zum Ausdruck bringt. Ich mache mir in diesem Zusammenhang die Worte des heiligen Johannes Paul II. zu eigen, die er 1989 bei seinem Besuch in eben diesem Palast sprach. Er sagte unter anderem: »Durch die Anerkennung der berechtigten Vielfalt, die Achtung der politischen und menschlichen Rechte aller Bürger und die Förderung einer auf Toleranz und Achtung für die anderen beruhenden nationalen Einheit legen sie den Grundstein für jene gerechte und friedliche Gesellschaft, die sich alle Indonesier für sich selbst wünschen und ihren Kindern hinterlassen möchten« (Ansprache an den Präsidenten der Indonesischen Republik und die Autoritäten, Jakarta, 9. Oktober 1989).
Auch wenn die oben genannten Leitprinzipien im Laufe der Geschichte nicht immer die Kraft hatten, sich unter allen Umständen durchzusetzen, so bleiben sie doch gültig und verlässlich, wie ein Leuchtfeuer, das die einzuschlagende Richtung anzeigt und vor den gefährlichsten zu vermeidenden Fehlern warnt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich hoffe, dass sich alle in ihrem täglichen Handeln von diesen Grundsätzen inspirieren lasse n und sie bei der alltäglichen Erfüllung Ihrer jeweiligen Aufgaben wirksam werden lassen, denn opus justitiae pax, der Frieden ist die Frucht der Gerechtigkeit. Die Eintracht wird nämlich erreicht, wenn sich ein jeder nicht nur für die eigenen Interessen und Vorstellungen einsetzt, sondern sich mit Blick auf das Wohl aller bemüht, Brücken zu bauen, Übereinstimmung und Synergien zu fördern, Kräfte zu bündeln, um alle Formen moralischen, wirtschaftlichen und sozialen Elends zu besiegen und Frieden und Eintracht zu fördern.
Liebe Brüder und Schwestern, geht weiter euren Weg, der so schön und so richtig ist. Und so segne ich das ganze Volk: Gott segne Indonesien mit Frieden für eine hoffnungsvolle Zukunft. Gott segne Sie alle!