Die franziskanischen Stätten im Heiligen Land tragen unverkennbar die Handschrift des architektonischen Genies von Antonio Barluzzi. Barluzzi stammte aus einer Architektenfamilie und kam zusammen mit seinem Bruder Giulio, der während des britischen Mandats über Palästina nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches mit der Planung und dem Bau eines Krankenhauses beauftragt worden war, ins Heilige Land. Fasziniert davon, den Spuren Jesu in diesem Land zu folgen, blieb er etwa vierzig Jahre lang in Palästina und kehrte erst 1958, zwei Jahre vor seinem Tod, nach Rom zurück. Kurz nach Barluzzis Ankunft in Jerusalem beauftragte ihn der damalige Kustos des Heiligen Landes, Pater Ferdinando Diotallevi, mit dem Bau von zwei neuen Kirchen: der Basilika der Verklärung auf dem Berg Tabor und der Basilika der Nationen in Getsemani, die beide 1924 fertiggestellt wurden. In diesem Jahr jährt sich die Einweihung der beiden Kirchen also zum hundertsten Mal. Das Jubiläum wurde in den vergangenen Tagen mit einer von der Kustodie des Heiligen Landes veranstalteten Konferenz gefeiert.
Die Kontextabhängigkeit der beiden Basiliken erklärt die Unterschiede der beiden Bauwerke: der Triumph des Lichts auf dem Tabor und die Düsternis der Finsternis in Getsemani. Auf Tabor gelingt Barluzzi eine außergewöhnliche Operation, nämlich die Überlagerung zweier Presbyterien: das der ursprünglichen halbdunklen, offenen Krypta (verziert mit dem christologischen Opfersymbol des Pelikans) und das darüber liegende, hoch über dem Kirchenschiff gelegene und von Osten her lichtdurchflutete Presbyterium. Es ist die architektonische Umsetzung der Verklärung: von den Schatten des irdischen Lebens zum blendenden Weiß des Reiches Gottes. Die Basilika steht fast 600 Meter hoch auf dem einsamen Berg inmitten der Esdrelon-Ebene und ist weithin sichtbar, im Osten in Richtung See Genezareth und im Westen in Richtung Nazareth. Mit dieser originellen architektonischen Lösung ist es Barluzzi gelungen, die Herrlichkeit Gottes, die sich in seinem Sohn geoffenbart hat, treu darzustellen, seine Auferstehung vorwegzunehmen und die Erkenntnis des Petrus »Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Got-tes« zu unterstreichen.
Weit entfernt vom Licht befindet sich die Basilika aller Völker in Getsemani, die so genannt wird, weil sie mit Mitteln der aus dem Ersten Weltkrieg siegreich hervorgegangenen Nationen gebaut wurde. Die Dunkelheit der Agonie ergibt sich in erster Linie aus dem Fehlen von Fenstern und Lichtpunkten, aber noch mehr aus dem nächtlichen Sternenhimmel, der die gesamte Decke des Hauptschiffs bedeckt und tief beeindruckt. Eines der charakteristischen Merkmale von Barluzzis Architektur ist sein Versuch, historische oder archäologische Elemente, auf die sich das Heiligtum gründete, in die gestalterische Lösung einzubeziehen: eine Schicht aus lebendigem Stein, die aus dem Boden herausragt und die die Tradition als den Ort bezeichnet, an dem Christus in den letzten Stunden seines irdischen Lebens zum Vater betete. Dieser Stein wurde von Barluzzi in der Mitte des Presbyteriums freigelegt und steht somit im Zentrum der Andacht derjenigen, die die Kirche auf den Spuren des Heilsopfers Jesu besuchen.
»Aus der Dokumentation, die wir aufbewahren, aus den Protokollen des Architekten«, so erklärt Pater Patton, »konnten wir die Akribie nachweisen, mit der Barluzzi jedes Detail seiner Arbeit verfolgte, sogar die Details der Innendekoration, die eigens für diesen heiligen Ort angefertigt wurden: man denke zum Beispiel an die großen Kronleuchter in Form einer Dornenkrone. Aber er kümmerte sich auch um die Vorhänge, die Gewänder und ersetzte die Leuchter, die seiner Meinung nach nicht in den Kontext passten«.
Diese kontextuelle Gegenüberstellung zwischen dem Licht von Tabor und der Dunkelheit von Getsemani, die im selben Jahr realisiert wurden, »war nicht zufällig«, sagt der Architekt Vincenzo Zuppardo, der das Komitee für die Hundertjahrfeier leitet, »und deshalb haben wir diesen Studientag Lux-tenebra betitelt«.
(Orig. ital. in O.R. 16.07.24)
Roberto Cetera – aus Jerusalem