· Vatikanstadt ·

Audienz für die Teilnehmer an der internationalen Konferenz der Stiftung »Centesimus Annus Pro Pontifice«

Technologische Innovation muss dem Menschen dienen

  Technologische Innovation muss dem Menschen dienen  TED-029
19. Juli 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

Eminenz,

Exzellenzen,

liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag!

Mein Gruß und Dank geht an die Präsidentin, Frau Anna Maria Tarantola, und ich begrüße alle, die an der jährlichen internationalen Konferenz der Stiftung »Centesimus Annus Pro Pontifice« teilnehmen. Das diesjährige Thema lautet: »Künstliche Intelligenz und technokratisches Paradigma: Wie können menschliches Wohlergehen, Naturschutz und eine Welt des Friedens gefördert werden?«

Dieses Thema verdient besondere Aufmerksamkeit, da die künstliche Intelligenz einen gravierenden Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft hat und negative Auswirkungen auf die Lebensqualität, die Beziehungen zwischen den Menschen und zwischen den Ländern, die internationale Stabilität und das gemeinsame Haus haben kann.

Chancen und Risiken

Wie ihr wisst, habe ich mich in der Enzyklika Laudato si’ und im Apostolischen Schreiben Laudate Deum mit der technologischen Entwicklung befasst und in der diesjährigen Botschaft zum Weltfriedenstag und vor einigen Tagen in meiner Ansprache an die G7 mit der KI.

Ich begrüße es, dass »Centesimus Annus« diesem Thema breiten Raum gegeben hat, indem es Wissenschaftler und Experten aus verschiedenen Ländern und Disziplinen einbezog, um die Chancen und Risiken zu analysieren, die mit der Entwicklung und dem Einsatz von KI verbunden sind. Und all dies mit einem transversalen Ansatz und vor allem mit einer anthropozentrischen Sichtweise, unter Berücksichtigung der Gefahr einer Verstärkung des technokratischen Paradigmen.

Eine multidisziplinäre Analyse ist unerlässlich, um alle gegenwärtigen und zukünftigen Aspekte der KI zu erfassen, mit ihren Vorteilen in Bezug auf Produktivität und Wachstum, und ihren Risiken, um dann die richtigen ethischen Wege für ihre Entwicklung, ihren Einsatz und ihr Management zu finden.

In meiner Botschaft zum letzten Friedenstag habe ich von Algor-Ethik gesprochen, um auf die absolute Notwendigkeit einer ethischen Entwicklung von Algorithmen hinzuweisen, bei der die Werte den Weg für neue Technologien weisen.

In meiner Rede auf dem G7-Gipfel habe ich die problematischen Aspekte der künstlichen Intelligenz hervorgehoben und betont, dass sie ein Werkzeug in den Händen des Menschen ist und bleiben muss. Wie andere Schlüsselinstrumente im Laufe der Jahrtausende zeugt sie von der Fähigkeit des Menschen, über sich selbst hinauszuwachsen, von seinem »Darüberhinausgehen«, und kann große Veränderungen bewirken, positive wie negative. In diesem zweiten Sinne könnte die KI das technokratische Paradigma und die Kultur der Aussonderung, die Ungleichheit zwischen den fortgeschrittenen Ländern und den Entwicklungsländern, die Auslagerung von Entscheidungen, die für das menschliche Leben wesentlich sind, an Maschinen verstärken. Ich bekräftigte daher die absolute Notwendigkeit einer ethischen Entwicklung und Nutzung der KI und forderte die Politik auf, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um den laufenden technologischen Prozess im Sinne der universellen Geschwis-terlichkeit und des Friedens zu steuern.

In diesem Zusammenhang trägt eure Konferenz dazu bei, die positiven Aspekte der KI zu begreifen und die Risiken zu erkennen, zu verringern und zu beherrschen, und das in einen Dialog mit der Wissenschaftswelt, um gemeinsam die Grenzen zu bestimmen, die der Innovation gesetzt werden müssen, wenn sie für die Menschheit schädlich ist.

Stephen Hawking, der renommierte Kosmologe, Physiker und Mathematiker, sagte: »Die Entwicklung einer vollständigen KI könnte das Ende der Menschheit bedeu-
-ten … sie würde sich selbständig machen und sich immer schneller wieder selbst neu programmieren. Der Mensch, der durch die langsame biologische Evolution begrenzt ist, könnte da nicht mithalten und würde überholt werden« (BBC-Interview). Ist es das, was wir wollen?

Koordinierter Prozess

Die grundlegende Frage, die ihr euch gestellt habt, ist folgende: Wozu dient die KI? Dient sie dazu, die Bedürfnisse der Menschheit zu befriedigen, das Wohlergehen und die ganzheitliche Entwicklung der Menschen zu verbessern, oder dient sie dazu, die ohnehin schon große Macht einiger weniger Technologieriesen trotz der Gefahren für die Menschheit zu bereichern und zu vergrößern? Und das ist die grundlegende Frage.

Die Antwort hängt von vielen Faktoren ab, und es gibt viele Aspekte, die es zu erforschen gilt. Ich möchte einige davon in Erinnerung rufen, als Anregung für eure weiteren Überlegungen.

* Die heikle und strategische Frage der Verantwortung für Entscheidungen, die unter Einsatz von KI getroffen werden, muss eingehend untersucht werden; dieser Aspekt betrifft verschiedene Bereiche der Philosophie und des Rechts sowie spezifischere Disziplinen.

* Es müssen geeignete Anreize und wirksame Regelungen gefunden werden, um ethische Innovationen zu fördern, die für den Fortschritt der Menschheit nützlich sind, und unerwünschte Auswirkungen zu verhindern oder zu begrenzen.

* Die gesamte Welt der Bildung, Ausbildung und Kommunikation sollte einen koordinierten Prozess einleiten, um das Wissen und das Bewusstsein für den richtigen Einsatz von KI zu erhöhen und den neuen Generationen von Kindesbeinen an die kritische Fähigkeit gegenüber diesem Instrument zu vermitteln.

* Die Auswirkungen der KI auf die Arbeitswelt sollten bewertet werden. Ich bitte die Mitglieder der Stiftung »Centesimus Annus« und alle an ihren Initiativen Beteiligten, sich in ihren jeweiligen Bereichen aktiv für einen Umschulungsprozess und die Einführung von Formen einzusetzen, die die Wiedereingliederung von entlassenen Personen in andere Tätigkeiten erleichtern.

* Die positiven und negativen Auswirkungen der KI im Bereich der Sicherheit und der Privatsphäre müssen sorgfältig geprüft werden.

* Die Auswirkungen auf die relationalen und kognitiven Fähigkeiten der Menschen und ihr Verhalten müssen bedacht und eingehend untersucht werden. Wir können nicht akzeptieren, dass diese Fähigkeiten durch ein technologisches Hilfsmittel, das heißt durch diejenigen, die es besitzen und benutzen, eingeschränkt oder konditioniert werden.

* Und schließlich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – müssen wir an den enormen Energieverbrauch denken, der für die Entwicklung der KI erforderlich ist, während die Menschheit vor einer heiklen Energiewende steht.

Liebe Freunde, die Zukunft der Wirtschaft, der Zivilisation und der Menschheit selbst wird sich an der Front der technologischen Innovation abspielen. Wir dürfen die Chance nicht verpassen, neu zu denken und zu handeln, mit Verstand, Herz und Hand, um die Innovation in eine Richtung zu lenken, die auf dem Vorrang der Menschenwürde beruht. Dies sollte nicht zur Diskussion stehen. Eine Innovation, die die Entwicklung, das Wohlergehen und das friedliche Zusammenleben fördert und die am meisten Benachteiligten schützt. Und dies erfordert ein normatives, wirtschaftliches und finanzielles Umfeld, das die Monopolmacht einiger weniger begrenzt und eine Entwicklung ermöglicht, die der gesamten Menschheit zugutekommt.

Deshalb hoffe ich, dass »Centesimus Annus« sich weiterhin mit diesem Thema befassen wird. Ich begrüße den Start des zweiten gemeinsamen Forschungsprojekts zwischen der Stiftung und der Strategischen Allianz
der Katholischen Forschungsuniversitäten (SACRU) zum Thema »Künstliche Intelligenz und Sorge um das gemeinsame Haus: Ein Blick auf Wirtschaft, Finanzen und Kommunikation«, das von Frau Tarantola koordiniert wird. Bitte haltet mich darüber auf dem Laufenden!

Und ich schließe mit einer Provokation: Sind wir sicher, dass wir weiterhin »Intelligenz« nennen wollen, was keine ist? Das ist eine Provokation. Denken wir darüber nach und fragen wir uns, ob die Fehlverwendung dieses so wichtigen, so menschlichen Wortes nicht bereits eine Kapitulation vor der technokratischen Macht ist.

Ich segne euch und wünsche euch alles Gute bei eurer Arbeit. Macht weiter mit Mut, geht Risiken ein! Und ich bitte euch, für mich zu beten. Danke!

(Orig. ital. in O.R. 22.6.2024)