Liebe Freunde!
Ich heiße euch willkommen und freue mich, euch am Ende eurer Vollversammlung zu begegnen. Ich begrüße Kardinal Gugerotti, die weiteren Leiter des Dikasteriums, die Mitarbeiter und die Mitglieder der Einrichtungen, aus denen eure Versammlung sich zusammensetzt.
Ich blicke euch an und sehe mit dem Herzen die Orientalischen Kirchen. Es sind Kirchen, die geliebt werden müssen: Sie bewahren einzigartige geistliche und weisheitliche Traditionen und haben uns so viel zu sagen über das christliche Leben, über Synodalität, über Liturgie. Denken wir an die antiken Kirchenväter, an die Konzilien, an das Mönchtum: das sind unermessliche Schätze für die Kirche. Unter den Orientalischen Kirchen gibt es jene, die in voller Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Apostels Petrus stehen. Sie bereichern die katholische Gemeinschaft mit der Größe ihrer Geschichte und mit ihrer Besonderheit.
Verwundete Schönheit
Diese Schönheit ist jedoch verwundet. Viele Orientalische Kirchen sind von einem schweren Kreuz niedergedrückt und zu »Märtyrerkirchen« geworden: Sie tragen die Wundmale Christi in sich. Ja, wie das Fleisch des Herrn von den Nägeln und von der Lanze durchbohrt wurde, so sind viele Gemeinschaften des Ostens verwundet und bluten aufgrund der Konflikte und der Gewalt, unter der sie leiden. Denken wir an einige Orte, wo sie sich befinden: an das Heilige Land, an die Ukraine, an Syrien, an den Libanon, an den ganzen Nahen Osten, an den Kaukasus und an Tigray. Gerade dort, wo ein Großteil der orientalischen Katholiken lebt, wütet grausam die Barbarei des Krieges.
Und wir, Brüder und Schwestern, können nicht gleichgültig bleiben. Der Apostel Paulus hat uns schwarz auf weiß die von den anderen Aposteln empfangene Mahnung, an die Armen unter den Christen zu denken,
hinterlassen (vgl. Gal 2,10); und er selbst
hat zur Solidarität mit ihnen aufgerufen (vgl.
2 Kor 8-9). Das ist von Gott inspiriertes Wort, und ihr von der ROACO seid die Hände, die dieses Wort Fleisch werden lassen: Hände, die Hilfe bringen und die Leidende wieder aufrichten. Darum versammelt ihr euch: nicht um Reden zu halten und Theorien aufzustellen, nicht um geopolitische Analysen zu entwickeln, sondern um die besten Wege zu finden, unseren orientalischen Brüdern und Schwestern nahe zu sein und ihr Leid zu lindern.
Ich bitte euch aus tiefstem Herzen, die katholischen Orientalischen Kirchen auch weiterhin zu unterstützen und ihnen in diesen dramatischen Zeiten zu helfen, fest im Evangelium verankert zu bleiben. Mögen sie mit eurer Unterstützung dazu beitragen, für das zu sorgen, was die Zivilkräfte den Schwachen, den Elenden garantieren müsste, aber nicht kann oder nicht will. Ermutig den Klerus und die Ordensleute dazu, immer auf den Schrei ihrer Völker – die einen bewundernswerten Glauben haben – zu hören und dabei das Evangelium den Meinungsverschiedenheiten und persönlichen Interessen voranzustellen, um gemeinsam das Gute zu fördern, weil wir alle in der Kirche Christus gehören und Chris-tus gehört Gott (vgl. 1 Kor 3,23).
Liebe Vertreter der Einrichtungen, danke für das, was ihr tut: Ihr seid Evangelisierer, ihr habt teil an der Sendung der Kirche, ihr seid Boten der Liebe Jesu. Wie viele Menschen haben im Laufe der Jahre die Frucht eurer Großherzigkeit empfangen! Ihr seid Sämänner der Hoffnung, Zeugen, die im Stil des Evangeliums berufen sind, mit Milde und ohne Aufsehen zu wirken. Fast alles, was ihr tut, fällt der Welt nicht ins Auge, ist aber Gott wohlgefällig. Danke, dass ihr auf Zerstörung mit Wiederaufbau antwortet; dass ihr denen, die andere der Würde berauben, antwortet, indem ihr Hoffnung zurückschenkt; dass ihr auf die Tränen der Kinder mit dem Lächeln der Liebe antwortet; auf die bösartige Logik der Macht mit der christlichen Logik des Dienens. Die Samenkörner, die ihr in die von Hass und Krieg besudelten Böden pflanzt, werden aufkeimen, dessen bin ich mir sicher. Und sie werden Prophezeiung einer anderen Welt sein, die nicht an das Gesetz des Stärkeren glaubt, sondern an die Kraft eines waffenlosen Friedens.
Dramatische Situation
Ich weiß, dass ihr in diesen Tagen über die dramatische Situation im Heiligen Land gesprochen habt: Die Gläubigen in aller Welt sind heute aufgerufen, dort, wo alles begonnen hat, wo die Apostel den Auftrag erhalten haben, in die Welt hinauszugehen, um das Evangelium zu verkünden, ihre Nähe spüren zu lassen; und die Christen dort und im ganzen Nahen Osten zu ermutigen, der Versuchung zu widerstehen, ihre von den Konflikten zerrissene Heimat zu verlassen. Ich denke an eine schlimme Situation: dass jenes Gebiet von Christen entvölkert wird. Wie viel Schmerz erzeugt der Krieg, noch widersprüchlicher und absurder an den Orten, wo das Evangelium des Friedens verkündigt wurde! Denen, die die Spirale der Konflikte nähren und daraus Gewinne und Vorteile ziehen, sage ich erneut: Haltet inne! Haltet inne, weil Gewalt nie zu Frieden führen wird. Es ist dringend notwendig, das Feuer einzustellen, einander zu begegnen und miteinander zu sprechen, um das Zusammenleben verschiedener Völker zu ermöglichen, als den einzigen Weg zu einer stabilen Zukunft. Mit dem Krieg dagegen, einem sinnlosen und vergeblichen Unterfangen, wird keiner Sieger sein: Alle werden besiegt sein, denn der Krieg ist von Anfang an bereits eine Niederlage, immer. Schenken wir denen Gehör, die unter seinen Folgen leiden, wie den Opfern und den Bedürftigen, aber hören wir auch den Schrei der jungen Menschen, der einfachen Bevölkerung und der Völker, die der kriegstreiberischen Rhetorik, der unfruchtbaren Litaneien müde sind, die immer den anderen die Schuld geben und die Welt in Gute und Böse aufteilen, die der Regierenden müde sind, die sich schwertun, sich an einen Tisch zu setzen, um Vermittlungen und Lösungen zu finden.
Ich denke auch an das tragische Drama der gemarterten Ukraine, für die ich bete und nicht müde werde, zum Gebet aufzufordern: Mögen sich Lichtblicke des Friedens für die geliebte Bevölkerung öffnen, mögen die Kriegsgefangenen entlassen werden und die Kinder wieder in die Heimat zurückkehren können. Den Frieden zu fördern und die Gefangenen zu entlassen, sind Merkmale des christlichen Glaubens (vgl. Mt 5,9; Lk 4,18), der nicht auf ein Machtmittel reduziert werden darf. In diesen Tagen habt ihr euch auch mit der humanitären Lage der Vertriebenen in der Region Bergkarabach befasst: Danke für alles, was getan wurde und noch getan werden wird, um den Leidenden zu Hilfe zu kommen. Ich möchte Seiner Exzellenz Gevork Saroyan von der Armenisch-Apostolischen Kirche für seine Anwesenheit in diesen Tagen danken; wenn Sie nach Hause zurückkehren, bitte ich Sie, Seiner Heiligkeit Karekin II. und dem geliebten Volk von Armenien meinen brüderlichen Gruß zu überbringen. Ich habe die beiden Karekin, den ersten und den zweiten, in Buenos Aires kennengelernt.
Heute sind viele orientalische Christen, vielleicht so viele wie nie zuvor, auf der Flucht vor Konflikten oder wandern aus auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen: Sehr viele leben daher in der Diaspora. Ich weiß, dass ihr über die Seelsorge der Orientalen, die außerhalb ihres eigenen Landes leben, nachgedacht habt. Es ist ein aktuelles und wichtiges Thema: Einige Kirchen verzeichnen den größten Teil der Gläubigen außerhalb ihres traditionellen Gebiets, und dort ist die Seelsorge oft dürftig aufgrund des Mangels an Priestern, an Strukturen und an angemessenen Kenntnissen. Und so droht jeder, der bereits seine Heimat verlassen musste, auch in der religiösen Identität zu verarmen; und im Laufe der Generationen geht das orientalische geistliche Erbe, ein unverzichtbarer Reichtum für die Katholische Kirche, verloren. Ich bin den lateinischen Diözesen dankbar, die orientalische Gläubige aufnehmen und ihre Traditionen achten; ich lade dazu ein, sich ihrer anzunehmen, damit diese Brüder und Schwestern ihre Riten lebendig und stark erhalten können. Und ich ermutige das Dikasterium, an diesem Aspekt zu arbeiten, auch indem es Prinzipien und Normen aufstellt, die den lateinischen Hirten helfen, die orientalischen Katholiken der Diaspora zu unterstützen. Danke für alles, was ihr diesbezüglich tun könnt.
Und danke für eure Anwesenheit! Ich bitte euch, für mich zu beten. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 27.6.24)