Eminenz,
liebe Brüder in Christus,
guten Tag und herzlich willkommen!
Ich danke euch aufrichtig für eure Anwesenheit. Ich bin unserem geliebten Bruder, Seiner Heiligkeit Bartholomaios, und dem Heiligen Synod des Ökumenischen Patriarchats dankbar, dass sie auch in diesem Jahr wieder eine Delegation entsandt haben, um mit uns am Fest der Schutzpatrone der Kirche von Rom, der Apostel Petrus und Paulus, teilzunehmen, die in dieser Stadt ihren Glauben an Jesus Christus bis hin zum Martyrium bezeugt haben. Euer Kommen an diesem Jahrestag sowie die Entsendung einer Delegation von mir zum Phanar am Fest des Apostels Andreas, des Bruders von Petrus, bieten die Gelegenheit, die Freude der brüderlichen Begegnung zu erleben und die tiefen Bande zu bezeugen, die die Schwesterkirchen von Rom und Konstantinopel verbinden, mit dem fes-ten Entschluss, gemeinsam voranzuschreiten auf dem Weg zur Wiederherstellung der Einheit, zu der nur der Heilige Geist uns führen kann, nämlich der Gemeinschaft in berechtigter Vielfalt.
Dieser Weg der Annäherung und des Friedensprozesses erhielt neuen Auftrieb durch die Begegnung zwischen dem heiligen Papst Paul VI. und dem heiligen Ökumenischen Patriarchen Athenagoras vor 60 Jahren in Jerusalem. Nach Jahrhunderten der gegenseitigen Entfremdung war dieses Treffen ein Zeichen großer Hoffnung, das immer noch die Herzen und den Verstand so vieler Männer und Frauen inspiriert, die sich heute danach sehnen, mit Gottes Hilfe den Tag zu erreichen, an dem wir gemeinsam am eucharistischen Mahl teilnehmen können. Vor zehn Jahren, im Mai 2014, pilgerten der Ökumenische
Patriarch, Seine Heiligkeit Bartholomaios, und ich nach Jerusalem, um den 50. Jahrestag dieses historischen Ereignisses zu begehen. Dort, wo unser Herr Jesus Christus starb, von den Toten auferstand und in den Himmel auffuhr und wo der Heilige Geist zum ersten Mal über die Jünger ausgegossen wurde, bekräftigten wir unsere Verpflichtung, weiterhin gemeinsam auf die Einheit zuzugehen, wegen der Christus, der Herr, zum Vater gebetet hat: »alle sollen eins seien« (Joh 17,21). Ich behalte die Erinnerung an diesen gemeinsamen Pilgerweg mit Seiner Heiligkeit Bartholomaios in dankbarer Erinnerung und danke Gott, dem barmherzigen Vater, für die brüderliche Freundschaft, die sich in diesen Jahren zwischen uns entwickelt hat. Sie wurde durch viele Begegnungen gestärkt, bei vielen Gelegenheiten konkreter Zusammen-arbeit zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche in Fragen von großer Bedeutung für die Kirchen und für die Welt, wie die Bewahrung der Schöpfung, die Verteidigung der Menschenwürde, den Frieden.
In der Gewissheit, dass ich auch die Absichten meines geliebten Bruders um Ausdruck bringe, möchte ich wiederholen, was wir bei dieser Gelegenheit gemeinsam bekräftigt haben: Der Dialog zwischen unseren Kirchen birgt keinerlei Risiko für die Unversehrtheit des Glaubens; im Gegenteil, er ist ein Erfordernis, das sich aus der Treue zum Herrn ergibt und uns durch den Austausch der Gaben unter der Führung des Heiligen Geistes zur ganzen Wahrheit führt (vgl. Gemeinsame Erklärung von Papst Franziskus und dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus, Jerusalem, 25. Mai 2014). Daher ermutige ich die Arbeit der Gemeinsamen Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche, die sich mit der Untersuchung sensibler historischer und theologischer Fragen befasst hat. Ich hoffe, dass die Hirten und Theologen, die an diesem Prozess beteiligt sind, über die rein akademischen Diskussionen hinausgehen und bereit sind, auf das zu hören, was der Heilige Geist zum Leben der Kirche sagt, und dass das, was bereits untersucht und vereinbart wurde, in unseren Gemeinschaften und Ausbildungsstätten volle Akzeptanz findet. Es wird immer und überall Widerstand dagegen geben, aber wir müssen mutig voranschreiten.
Bei der Erinnerung an das Treffen in Jerusalem richten sich unsere Gedanken auf die heutige dramatische Situation im Heiligen Land. Gerade als Ergebnis dieser Pilgerreise haben Seine Heiligkeit Bartholomaios und ich am 8. Juni 2014, auch in Anwesenheit des griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem, Seiner Seligkeit Theophilos III., den inzwischen verstorbenen Präsidenten des Staates Israel und den Präsidenten des Staates Palästina in den Vatikanischen Gärten empfangen, um zum Frieden im Heiligen Land, im Nahen Osten und in der ganzen Welt aufzurufen. Zehn Jahre später zeigt uns die aktuelle Geschichte auf tragische Weise, wie notwendig und dringlich es ist, gemeinsam für den Frieden zu beten, damit dieser Krieg ein Ende findet, die Staatsoberhäupter und die Konfliktparteien zur Eintracht zurückfinden und alle einander als Geschwister anerkennen. Dieser Aufruf zum Frieden bezieht sich natürlich auf alle aktuellen Konflikte, insbesondere auf den Krieg in der gemarterten Ukraine.
In einer Zeit, in der so viele Männer und Frauen in der Angst vor der Zukunft gefangen sind, haben unsere Kirchen den
Auftrag, Jesus Christus, »unserer Hoffnung« (1 Tim 1,1), immer, überall und allen zu verkünden. Aus diesem Grund habe ich einer alten Tradition der katholischen Kirche folgend, nach der der Bischof von Rom alle
25 Jahre ein Jubiläumsjahr ausruft, beschlossen, das ordentliche Heilige Jahr im nächsten Jahr unter das Motto »Pilger der Hoffnung« zu stellen. Ich wäre euch dankbar, wenn ihr und die Kirche, die ihr vertretet, dieses Gnadenjahr mit eurem Gebet begleiten und unterstützen würdet, damit es reiche geistliche Früchte tragen kann. Auch mit eurer Anwesenheit, das wäre sehr schön.
Und im Jahr 2025 wird ja auch der 1700. Jahrestag des Ersten Ökumenischen Konzils von Nizäa begangen. Ich hoffe, dass das Gedenken an dieses überaus wichtige Ereignis in allen Gläubigen an Christus, den Herrn, den Willen stärken wird, gemeinsam den Glauben zu bezeugen, sowie die Sehnsucht nach größerer Gemeinschaft. Besonders freue ich mich, dass das Ökumenische Patriarchat und das Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen begonnen haben, darüber nachzudenken, wie sie diesen Jahrestag gemeinsam begehen können; und ich danke Seiner Heiligkeit Bartholomaios für die Einladung, ihn in der Nähe des Ortes zu begehen, an dem das Konzil tagte. Das ist eine Reise, die ich aus ganzem Herzen unternehmen möchte.
Meine Lieben, vertrauen wir unsere Kirchen der Fürsprache der heiligen Brüder Petrus und Andreas an, damit der Herr uns gewähre, den Weg zu gehen, den er uns aufzeigt, der immer der Weg der Liebe, der Versöhnung und der Barmherzigkeit ist. Ich danke euch nochmals für euren Besuch und bitte euch, für mich zu beten!
Und ich erinnere mich an eine Episode des verstorbenen Zizioulas: Er war ironisch, aber er war gut, ich mochte ihn. Er scherzte: »Ich weiß, wann der Tag der vollen Einheit da sein wird: am Tag des Jüngsten Gerichts. Aber bis dahin lasst uns gemeinsam gehen, gemeinsam beten und gemeinsam arbeiten.« Und das ist weise. Danke, danke vielmals.
Nun wäre es schön, wenn gemeinsam das Vaterunser beten könnten, bevor wir schließen, jeder in seiner eigenen Sprache: Vater unser...
(Orig. ital. in O.R. 28.6.2024)