»Der Primat muss synodal ausgeübt werden, und die Synodalität erfordert den Primat.« Mit diesen Worten fasst Kardinal Kurt Koch, Präfekt des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen, einen der wichtigsten Punkte des ökumenischen Dokuments »Der Bischof von Rom« zusammen.
Eminenz, können Sie uns zunächst erklären, worum es sich bei diesem Dokument handelt, wie es zustande kam und welchen Zweck es verfolgt?
Kardinal Koch: Das Dokument mit dem Titel Der Bischof von Rom ist ein Studientext, der eine Synthese der jüngsten ökumenischen Entwicklungen zum Thema Primat und Synodalität bietet. Seine Entstehung geht zurück auf die von Johannes Paul II. an alle Christen gerichtete Einladung in Ut unum sint, »ganz offensichtlich miteinander« die Formen zu finden, in denen das Amt des Bischofs von Rom »einen Dienst der Liebe zu verwirklichen mag, der von den einen und den anderen anerkannt wird«. Diese Einladung wurde mehrfach von Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus bekräftigt. Das Dokument fasst etwa dreißig Antworten auf diese Einladung und etwa fünfzig Texte von ökumenischen Dialogen zu diesem Thema zusammen. Im Jahr 2020 nahm das Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen den 25. Jahrestag der Enzyklika Ut unum sint zum Anlass, eine Bilanz der Diskussion zu ziehen. Die Einberufung einer Synode zur Synodalität bestätigte die Relevanz dieses Projekts als Beitrag zur ökumenischen Dimension des synodalen Prozesses.
Welche Methodik wurde bei der Erstellung des Dokuments angewandt?
Kardinal Koch: Das Dokument ist das Ergebnis einer echten ökumenischen und synodalen Arbeit. An seiner Erstellung waren nicht nur die Mitarbeiter des Dikasteriums beteiligt, sondern auch dessen Mitglieder und Konsultore, die es in zwei Vollversammlungen diskutierten. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Ökumenische Studien beim Angelicum wurden zahlreiche katholische Experten und Gelehrte aus verschiedenen christlichen Traditionen in Ost und West konsultiert. Schließlich wurde der Text an verschiedene Dikasterien der Römischen Kurie und an das Generalsekretariat der Synode gesandt. Insgesamt wurden mehr als fünfzig Stellungnahmen und Beiträge berücksichtigt. Unser Dokument berücksichtigt auch die jüngsten Beiträge im Rahmen des synodalen Prozesses.
In seiner Enzyklika »Ut unum sint« (1995) erklärte sich Johannes Paul II. bereit, über Formen der Ausübung des Primats des Bischofs von Rom zu diskutieren. Welcher Weg ist in diesen drei Jahrzehnten zurückgelegt worden?
Kardinal Koch: Die Frage des Primats ist in den letzten Jahrzehnten in fast allen ökumenischen Kontexten intensiv diskutiert worden. Unser Dokument berichtet über die Fortschritte und hebt die Tatsache hervor, dass die theologischen Dialoge und die Reaktionen auf die Enzyklika von einem neuen und positiven ökumenischen Geist in der Diskussion zeugen. Dieses neue Klima ist ein Indiz für die guten Beziehungen zwischen den christlichen Gemeinschaften, für die »wiederentdeckte Geschwisterlichkeit«, von der Ut unum sint spricht. Man kann sagen, dass sich die ökumenischen Dialoge als geeigneter Rahmen für die Erörterung dieses sensiblen Themas erwiesen haben. In einer Zeit, in der die Ergebnisse des ökumenischen Engagements oft als dürftig oder unbedeutend angesehen werden, zeigen die Resultate der theologischen Dialoge den Wert ihrer Methodik, das heißt der »ganz offensichtlich miteinander« durchgeführten Reflexion.
Bei der Lektüre des Dokuments fällt zunächst der wachsende Konsens auf, der in den verschiedenen ökumenischen Dialogen über die Notwendigkeit des Primats besteht. Bedeutet dies, dass die Rolle des Bischofs von Rom von den anderen christlichen Kirchen nicht mehr nur als ein Hindernis für die Einheit wahrgenommen wird?
Kardinal Koch: 1967 stellte Paul VI. fest, dass »der Papst […] zweifellos das größte Hindernis auf dem Weg der Ökumene« sei. Fünfzig Jahre später bezeugt die Lektüre der Dialogdokumente und der Antworten auf Ut unum sint jedoch, dass die Frage des Primats für die ganze Kirche – und insbesondere des Amtes des Bischofs von Rom – nicht mehr nur als Problem, sondern vielmehr als Chance für eine gemeinsame Reflexion über das Wesen der Kirche und ihre Sendung in der Welt gesehen wird. Außerdem wächst in unserer globalisierten Welt zweifellos das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Dienstes der Einheit auf universaler Ebene. Die Frage, die sich stellt, ist, wie dieser Dienst, der von Johannes Paul II. als »Dienst der Liebe« definiert wurde, ausgeübt werden soll.
Wie hat sich die Art und Weise der Aus-übung des Primats in den zwei Jahrtausenden der Kirchengeschichte verändert? Und welche Entwicklung könnte es geben, um diese Ausübung auch für andere Kirchen annehmbar zu machen, die heute nicht in voller Gemeinschaft mit Rom stehen?
Kardinal Koch: Sicherlich hat sich die Art und Weise der Ausübung des Petrusamtes im Laufe der Zeit verändert, je nach den historischen Umständen und neuen Herausforderungen. Für viele theologische Dialoge bleiben jedoch die Prinzipien und Modelle der Gemeinschaft, die im ersten Jahrtausend geschätzt wurden, paradigmatisch für eine zukünftige Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft. Bestimmte Kriterien des ersten Jahrtausends wurden als Bezugspunkte und Inspirationsquellen für die Ausübung eines universal anerkannten Dienstes der Einheit identifiziert. Obwohl das erste Jahrtausend entscheidend ist, wird in vielen Dialogen anerkannt, dass es weder idealisiert noch einfach nachgebildet werden sollte, weil die Entwicklungen des zweiten Jahrtausends nicht ignoriert werden können und auch weil ein Primat auf universaler Ebene auf die heutigen Herausforderungen reagieren sollte. In jedem Fall muss eine erneuerte Ausübung des Primats letztlich auf den Dienst, die diakonia, ausgerichtet sein. Autorität und Dienst sind eng miteinander verbunden.
Ist es möglich, für die Zukunft eine gemeinsame Form der Ausübung des Petrusprimats über die gesamte Christenheit ins Auge zu fassen, die von der Jurisdiktion des Papstes über die lateinische Kirche getrennt ist?
Kardinal Koch: In der Tat schlagen einige ökumenische Dialoge, zum Beispiel das letzte Dokument des katholisch-orthodoxen Dialogs im Jahre 2023, eine klarere Unterscheidung zwischen den verschiedenen Verantwortlichkeiten des Bischofs von Rom vor, insbesondere zwischen dem, was man das patriarchale Amt des Papstes innerhalb der westlichen oder lateinischen Kirche nennen könnte, und seinem primatialen Dienst an der Einheit in der Gemeinschaft aller Kirchen, sowohl der westlichen als auch der östlichen. Darüber hinaus betonen sie die Notwendigkeit, die patriarchale und die primatiale Rolle des Bischofs von Rom von seiner Funktion als Staatsoberhaupt zu unterscheiden. Die Betonung der Ausübung des Papstamtes in seiner Teilkirche, der Diözese Rom, die Papst Franziskus besonders hervorgehoben hat, trägt dazu bei, sein bischöfliches Amt zu unterstreichen, das er mit seinen Mitbrüdern, den Bischöfen, teilt.
Dieses Dokument wird veröffentlicht, während die katholische Kirche einen synodalen Prozess durchläuft, bei dem das Thema Synodalität im Mittelpunkt steht. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Synodalität und Primat?
Kardinal Koch: Die meisten Antworten und Dialogdokumente sind sich einig über die Interdependenz von Primat und Synodalität auf allen Ebenen der Kirche: auf lokaler, regionaler und auch auf universaler Ebene. Folglich muss der Primat auf synodale Weise ausgeübt werden, und die Synodalität erfordert den Primat. Zu all diesen Aspekten hat unser Dikasterium auch Konferenzen mit dem Titel »Auf den Osten hören« und »Auf den Westen hören« organisiert, um die verschiedenen christlichen Traditionen in Bezug auf Synodalität und Primat zu hören und so einen Beitrag zum synodalen Prozess zu leisten.
Ein entscheidender Schritt in Bezug auf den Primat war die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Bischofs von Rom, wenn er ex cathedra spricht, und seiner Jurisdiktionsgewalt über die Kirche. Können Sie uns sagen, ob und wie eine neue Lesart und ein neues Verständnis des Ersten Vatikanischen Konzils im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils und der auf dem ökumenischen Weg unternommenen Schritte möglich ist?
Kardinal Koch: Gewiss haben sich einige Dialoge bemüht, das Erste Vatikanische Konzil im Lichte seines historischen Kontextes, seiner Zielsetzung und seiner Rezeption zu interpretieren. Da die dogmatischen Definitionen des Konzils zutiefst von den historischen Umständen geprägt waren, schlagen sie vor, dass die katholische Kirche nach neuen Ausdrucksformen und einem neuen Vokabular sucht, das der ursprünglichen Intention treu bleibt, sie in eine Ekklesiologie der Communio integriert und sie dem aktuellen kulturellen und ökumenischen Kontext angleicht. Man spricht daher von einer »Re-Rezeption« oder sogar »Reformulierung« der Lehren des Ersten Vatikanums.
Was sind die nächsten Schritte, um die gemeinsame Reflexion der Kirchen über den Primat fortzusetzen?
Kardinal Koch: Die Studie schließt mit einem kurzen Vorschlag der Vollversammlung des Dikasteriums mit dem Titel »Auf dem Weg zur Ausübung des Primats im 21. Jahrhundert«, in dem die wichtigsten Anregungen aus den verschiedenen Antworten und Dialogen für eine erneuerte Ausübung des Dienstes der Einheit des Bischofs von Rom aufgeführt sind. Unser Dikasterium möchte diesen Vorschlag zusammen mit dem Studiendokument an die verschiedenen christlichen Gemeinschaften weiterleiten und sie um ihre Gedanken zu diesem Thema bitten. Wir hoffen, auf diese Weise die »ganz offensichtlich miteinander« geführte Diskussion fortsetzen zu können, im Hinblick auf ein »von allen Seiten anerkanntes« Einheitsamt des Bischofs von Rom.
(Vatican News – mg)
Von Andrea Tornielli