· Vatikanstadt ·

Generalaudienz auf dem Petersplatz am 12. Juni

Der Grundton der Heiligen Schrift ist die Liebe Gottes

 Der Grundton der Heiligen Schrift ist die Liebe Gottes  TED-025
22. Juni 2024

Liebe Brüder und Schwestern,

guten Tag, herzlich willkommen!

Wir setzen die Katechesen über den Heiligen Geist fort, der die Kirche zu Christus, unserer Hoffnung, führt. Er ist es, der führt. Beim letzten Mal haben wir über das Wirken des Geistes in der Schöpfung nachgedacht; heute sehen wir ihn in der Offenbarung, deren von Gott inspiriertes und maßgebliches Zeugnis die Heilige Schrift ist.

Im Zweiten Brief des heiligen Paulus an Timotheus ist folgende Aussage enthalten: »Jede Schrift ist […] von Gott eingegeben« (3,16). Und in einem anderen Abschnitt des Neuen Testaments heißt es: »Vom Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Auftrag Gottes geredet« (2 Petr 1,21). Das ist die Lehre von der göttlichen Inspiration der Schrift, die wir als Glaubensartikel im Credo verkünden, wenn wir sagen, dass der Heilige Geist »gesprochen hat durch die Propheten«. Die göttliche Inspiration der Bibel.

Inspiriert und inspirierend

Der Heilige Geist, der die Schriften inspiriert hat, ist es auch, der sie erläutert und auf ewig lebendig und wirksam macht. Von inspiriert macht er sie zu inspirierend. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt, dass die Heiligen Schriften »von Gott eingegeben und ein für alle Male niedergeschrieben, das Wort Gottes selbst unwandelbar vermitteln und in den Worten der Propheten und der Apostel die Stimme des Heiligen Geistes vernehmen lassen« (Dogmatische Konstitution Dei Verbum, Nr. 21). Auf diese Weise setzt der Heilige Geist in der Kirche das Wirken des auferstandenen Jesus fort, der nach Ostern den Sinn der Jünger für das Verständnis der Schriften öffnete (vgl. Lk 24,45).

Denn es kann vorkommen, dass wir einen bestimmten Abschnitt der Schrift, den wir viele Male ohne besondere innere Regung gelesen haben, eines Tages in einer Atmosphäre des Glaubens und des Gebetes lesen und dieser Text dann plötzlich klar wird, zu uns spricht, Licht auf ein Problem wirft, das wir gerade haben, den Willen Gottes für uns in einer bestimmten Situation deutlich macht. Woher kommt diese Veränderung, wenn nicht durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes? Die Worte der Schrifz werden unter dem Wirken des Geistes mit Licht erfüllt; und in diesen Fällen erfährt man am eigenen Leib, wie wahr das ist, was der Brief an die Hebräer sagt: »Lebendig ist das Wort Gottes, wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert« (4,12).

Brüder und Schwestern, die Kirche nährt sich von der geistlichen Lesung der Heiligen Schrift, also von der Lesung unter der Leitung des Heiligen Geistes, der sie inspiriert hat. In ihrem Mittelpunkt steht wie ein Leuchtfeuer, das alles erhellt, das Ereignis des Todes und der Auferstehung Christi, der den Heilsplan vollbringt, alle Gestalten und Prophezeiungen verwirklicht, alle verborgenen Geheimnisse offenbart und uns den wahren Schlüssel zum Verständnis der ganzen Bibel schenkt. Der Tod und die Auferstehung Christi sind das Leuchtfeuer, das die ganze Bibel erhellt, und es erhellt auch unser Leben. Die Offenbarung beschreibt all das mit dem Bild des Lammes, das die Siegel der Buchrolle zerbricht, die »innen und auf der Rückseite beschrieben und mit sieben Siegeln versiegelt« war (5,1), die Schrift des Alten Testaments. Die Kirche, die Braut Christi, ist die autorisierte Auslegerin des Textes der inspirierten Schrift, die Kirche ist die Mittlerin ihrer echten Verkündigung. Denn die Kirche ist mit dem Heiligen Geist beschenkt – darum ist sie Auslegerin –, sie ist »Säule und Fundament der Wahrheit« (1 Tim 3,15). Warum? Weil sie inspiriert ist, gefestigt vom Heiligen Geist. Und Aufgabe der Kirche ist es, den Gläubigen und allen, die die Wahrheit suchen, zu helfen, die biblischen Texte richtig auszulegen.

Eine Weise, das Wort Gottes geistlich zu lesen, ist das, was als »lectio divina« bezeichnet wird – ein Wort, von dem wir vielleicht nicht verstehen, was es bedeutet. Sie besteht darin, am Tag eine gewisse Zeit der persönlichen betrachtenden Lektüre eines Abschnittes der Schrift zu widmen. Und das ist sehr wichtig: Nimm dir jeden Tag etwas Zeit, um einen Abschnitt der Schrift zu hören, zu betrachten, zu lesen. Und dafür empfehle ich euch: Habt immer ein Taschenevangelium bei euch in der Tasche, in der Hosentasche… Also wenn ihr unterwegs seid oder etwas Freizeit habt, nehmt ihr es zur Hand und lest darin… Das ist sehr wichtig für das Leben. Nehmt ein Taschenevangelium und lest tagsüber ein- oder zweimal darin, wenn es gerade passt. Aber die geistliche Lesung der Schrift schlechthin ist die gemeinschaftliche Lesung, die in der Liturgie, in der Messe stattfindet. Dort sehen wir, wie ein Ereignis oder eine Lehre, von denen im Alten Testament die Rede ist, ihre ganze Erfüllung im Evangelium Christi finden. Und die Predigt, der Kommentar, den der Zelebrant macht, soll dabei helfen, das Wort Gottes aus dem Buch ins Leben zu übertragen. Aber dafür muss die Predigt kurz sein: ein Bild, ein Gedanke und eine Empfindung. Die Predigt darf acht Minuten nicht überschreiten, denn danach verliert man mit der Zeit an Aufmerksamkeit, und die Menschen schlafen ein, und sie haben Recht. So muss eine Predigt sein. Und das will ich den Priestern sagen, die oftmals viel reden, und man versteht nicht, wovon sie reden. Kurze Predigt: ein Gedanke, eine Empfindung und eine Anregung für das Handeln, was man tun soll. Nicht mehr als acht Minuten. Denn die Predigt muss dabei helfen, das Wort Gottes vom Buch ins Leben zu übertragen. Und unter den vielen Worten Gottes, die wir jeden Tag in der Messe oder im Stundengebet hören, gibt es immer eines, das insbesondere für uns bestimmt ist. Etwas, das das Herz berührt. Im Herzen aufgenommen, kann es unseren Tag erhellen, unser Gebet beseelen. Es geht darum, es nicht ins Leere fallen zu lassen!

Tägliche Lektüre der Bibel

Schließen wir mit einem Gedanken, der dazu beitragen kann, dass wir uns in das Wort Gottes verlieben. Wie bestimmte Musikstücke, so hat auch die Heilige Schrift einen Grundton, der sie von Anfang bis Ende begleitet, und dieser Ton ist die Liebe Gottes. »Die ganze Bibel« – sagt der heilige Augustinus – »erzählt von nichts anderem als von der Liebe Gottes«1. Und der heilige Gregor der Große bezeichnet die Schrift als »einen Brief des allmächtigen Gottes an seine Schöpfung«, wie ein Brief des Bräutigams an die Braut, und er mahnt, »zu lernen, das Herz Gottes in den Worten Gottes zu erkennen«2. »In dieser Offenbarung«, so das Zweite Vatikanum erneut – »redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen« (Dei Verbum, 2).

Liebe Brüder und Schwestern, vorwärts mit der Lektüre der Bibel! Vergesst jedoch nicht das Taschenevangelium: Tragt es in der Tasche, in den Hosentaschen und lest in irgendeinem Moment des Tages einen Abschnitt daraus. Und das wird euch dem Heiligen Geist, der im Wort Gottes ist, sehr nahe sein lassen. Der Heilige Geist, der die Schriften inspiriert hat und jetzt aus den Schriften ausströmt, möge uns helfen, diese Liebe Gottes in den konkreten Situationen des Lebens anzunehmen. Danke.

Fußnoten

1 De catechizandis rudibus, I, 8, 4: PL 40, 319.

2 Registrum Epistolarum, V, 46 (Hrsg. Ewald-Hartmann, S. 345-346).

Am Ende der Generalaudienz, vor dem Schlusssegen, mahnte der Papst erneut zum Frieden in der Welt:

Und vergessen wir nicht die gequälte Ukraine, vergessen wir nicht Palästina, Israel. Vergessen wir nicht Myanmar und sie vielen Länder, die im Krieg sind. Beten wir für den Frieden, heute brauchen wir Frieden. Der Krieg ist immer, vom ersten Tag an, eine Niederlage. Beten wir für den Frieden. Dass der Herr uns die Kraft gebe, immer für den Frieden zu kämpfen.

(Orig. ital. in O.R. 12.6.2024)