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Schwelle der Barmherzigkeit und der Vergebung

 Schwelle der Barmherzigkeit  und der Vergebung  TED-024
14. Juni 2024

»Ich kann dir die Tropaia der Apostel zeigen. Denn wenn du zum Vatikan gehen willst oder auf die Straße nach Ostia, wirst du die Tropaia derer finden, die diese Kirche gegründet haben« (Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, II,25,6-7).

Mit diesen Worten, die von Eusebius, Bischof von Caesarea, überliefert wurden, lud der Priester Gaius um 200 n. Chr. während des Pontifikats von Papst Zephyrinus den Häretiker Proklus ein, neben dem Paulusgrab auch das Grab des heiligen Petrus im Vatikan zu besuchen. Dort befand sich ein kleines Denkmal – auf Griechisch tropaion, das heißt »Siegeszeichen«, genannt, denn es handelt sich um ein Denkmal für einen Menschen, der durch das Glaubensbekenntnis und das Martyrium den Tod besiegt hat. Gemeint ist hier allerdings lediglich eine kleine Grabädikula, die 100 Jahre nach dem Tod des heiligen Petrus an eine rot verputzte Mauer angebaut wurde. Auf diese Mauer hatte ein Pilger die bedeutsamen griechischen Worte geschrieben: Pétros enì (Petrus ist hier) oder Pétros enì[réne] (Petrus in Frieden), was ebenfalls auf die Anwesenheit des heiligen Petrus an diesem Ort hinweisen würde. Diese Ädikula war also bereits im 2. Jahrhundert das ersehnte Ziel der ersten Pilger, die nach Rom zum Grab des Apostels Petrus im Vatikan kamen.

Seit jener Zeit riss der Pilgerstrom ad limina Petri nicht mehr ab, sondern nahm vor allem aus Anlass der Jubiläumsjahre immer mehr zu. Einhundert Jahre nach dem Bau des von Gaius erwähnten »Tropaion« wurde hinter der Ädikula ein kleiner, der Verehrung des heiligen Petrus gewidmeter Ort geschaffen. Dort ritzten Pilger Ende des 3., Anfang des 4. Jahrhunderts auf Latein ihre Namen in den Putz ein, verbunden mit dem Christogramm und den Petrusinitialen. Die sogenannte »Graffiti-Mauer«, die heute noch unter dem Hochaltar zu sehen ist, ist ein beredtes Zeugnis für diesen Brauch, der mit der Pilgerreise und der Verehrung des heiligen Petrus verbunden war.

Im Lauf der Zeit kamen immer mehr Gläubige nach Rom, um am einfachen Grab des heiligen Petrus zu beten, nicht weit entfernt vom vatikanischen Circus, wo er im zehnten Jahr von Neros Prinzipat das Martyrium erlitten hatte. Und so wurden die
Grabädikula aus dem 2. Jahrhundert und die Graffiti-Mauer über dem verehrten Petrusgrab von Kaiser Konstantin in ein mit wertvollem Marmor geschmücktes Grabmonument eingeschlossen, das teilweise erhalten ist und von Eusebius von Caesarea im Jahr 333 mit den folgenden Worten beschrieben wurde: »ein prachtvolles Grab vor der Stadt, ein Grab, zu dem Scharen aus allen Teilen des Römischen Reiches herbeieilen wie
zu einem großen Heiligtum und Tempel Gottes« (Eusebius von Caesarea, Theophania, 47).

Über dem verehrten Apostelgrab errichteten Kaiser Konstantin und Papst Sylvester eine prächtige fünfschiffige Basilika mit 88 Säulen: das größte Gotteshaus jener Zeit. Es wurde über einem künstlich aufgeschütteten, zwei Hektar großen Terrain erbaut, für das enorme Erdmengen bewegt werden mussten, wobei eine zu dieser Zeit noch genutzte Nekropole zugeschüttet und mächtige Grundmauern errichtet wurden. Es handelte sich in der Tat um ein außerordentliches Bauunternehmen.

Zu allen Zeiten strömten Gläubige aus allen Teilen der Welt zum Grab Petri, wie dies die fast 2000 Münzen belegen, die im Rahmen der Erforschung des Bereichs unter der Confessio des Petersdoms gefunden wurden. Es handelt sich um bescheidene Spenden anonymer Pilger, unter ihnen wahrscheinlich Gäste der Herbergen und »scholae peregrinorum« (Pilgerhospize), die sich im Mittelalter in der Nähe der antiken Basilika angesiedelt hatten. Die »Schola Saxorum«, später »Schola Anglorum« genannt; die »Schola Francorum«, die »Schola Longobardorum«, die »Schola Frisonum« und später die »Schola Ungarorum«. Ein Zeugnis für diese »scholae« ist bis heute an der »Piazza dei Protomartiri Romani« im Vatikan erhalten, das kirchliche Hospiz des »Camposanto Teutonico« mit dem Friedhof der deutschsprachigen Katholiken im Schatten der mächtigen Kuppel des Petersdoms, die sich genau über dem Grab des heiligen Apostels erhebt.

Die erste Petrusbasilika des 4. Jahrhunderts wurde groß gebaut, sicherlich größer als es in jener Zeit notwendig zu sein
schien, aber dies geschah im Hinblick auf eine »Berufung zum freundlichen Empfang«, die auch die Päpste der Renaissance beim Neubau des Petersdoms inspirierte. Der heutige Bau erstreckt sich über eine Fläche von mehr als zwei Hektar – 22.000 Quadratmeter, um genau zu sein – und verzeichnet einen Zustrom von Pilgern und Besuchern, die sich immer häufiger der Zahl von 50.000 pro Tag nähert oder dies sogar überschreitet. So wurde die alte wie auch die neue Basilika von Anfang an in großen Dimensionen gedacht, um die »unzähligen Scharen aus allen Teilen der Welt« zu empfangen, wie bereits Eusebius von Caesarea geschrieben hat.

Ein Empfang, der allen bereitet wird, Menschen jeden Alters und jeder Herkunft, Gläubigen aller Religionen wie Nichtreligiösen. Ein Empfang, den Papst Alexander VII. (1655-1667) durch die Gestaltung des Petersplatzes als symbolische Umarmung zum Ausdruck bringen wollte. Die halbkreisförmigen Kolonnaden, die sich Urbi et Orbi (Rom und der Welt) öffnen, sind die Umarmung der Kirche, an deren Spitze der Papst als Nachfolger Petri steht. Aber sie sind auch eine Einladung, die Basilika zu betreten, welche die erwählte Schar der 140 Heiligen, deren über drei Meter hohe Statuen auf den Kolonnaden stehen, an einen jeden von uns richtet. Die Kolonnaden wiederum bestehen aus 284 Säulen, angeordnet in vier Reihen und 16 Meter hoch, fast so hoch wie ein fünfstöckiges Haus. Es ist eine Einladung, das »Haus des Petrus« zu betreten, die »heilige Wohnstatt des Apostels, Mutter, Glanz und Ruhm aller Kirchen«, wie in der Inschrift zu lesen war, die Papst Innozenz III. (1198-1216) für das neue Mosaik in der Apsis der antiken Basilika verfasste. Aber es ist auch eine Aufforderung, »lebendige Steine« der Kirche Christi zu werden und einen inneren Weg zu gehen, um das eigene Leben im Einklang mit dem Evangelium und nach dem Beispiel der Heiligen zu leben.

Aber vor allem ist es die Haupteingangs-tür, durch die man schließlich den Petersdom betritt, die einen weiteren expliziten Aufruf zum Empfang aller Menschen enthält. Auf dem über acht Meter hohen Bronzeportal aus dem 15. Jahrhundert, das bereits in das Mittelschiff der alten Basilika führte, sehen wir die Apostel Petrus und Paulus, die unter der Tunika orientalische Kleidung tragen und von Inschriften auf Latein, Arabisch, Hebräisch und Armenisch umgeben sind. Dies soll zum Ausdruck bringen, dass die alte und die neue Basilika seit jeher Ort der Aufnahme für alle Völker der Erde war.

Im Portikus, das heißt am Übergang von der Umarmung durch die Kolonnaden in den weiten Raum der Basilika, befindet sich eine in die Wand eingemauerte Inschrift: Es handelt sich um die Ausrufung des ersten Heiligen Jahres der Geschichte, ein Jubiläumsjahr, das in einer Zeit religiösen Eifers und eines zunehmenden Pilgerstroms stattfand. Die Inschrift trägt das Datum vom
22. Februar 1300, Fest der Kathedra Petri:
An jenem Tag verkündete Papst Bonifatius VIII. (1294-1303) im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes in der Vatikanbasilika den vollkommenen Ablass. In der Inschrift heißt es: »In diesem eben begonnenen 1300. Jahr seit der Geburt unseres Herrn Jesus Christus und in jedem weiteren hundertsten Jahr sollen alle […], die diese Kirchen (des heiligen Petrus und des heiligen Paulus) ehrfürchtig besuchen und dabei wahrhaftig Buße tun und ihre Sünden bekennen oder dies später tun, nicht nur die volle und sehr reiche, sondern die vollkommene Vergebung ihrer Sünden erhalten.«

Nach wenigen Jahrzehnten wurde der Abstand zwischen den Heiligen Jahren von Papst Clemens IV. (1342-1352) auf 50 Jahre herabgesetzt, Urban VI. (1378-1389) legte 33 Jahre fest, im Gedenken an die Lebensjahre Christi, aber bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts setzte sich die dann 1470 von Papst Paul II. (1464-1471) offiziell bestätigte Tradition durch, alle 25 Jahre ein Heiliges Jahr zu feiern, was auch heute noch gilt. Im Jahr 1500 wünschte Papst Alexander VI. (1492-1503), dass die Heiligen Pforten aller vier Basiliken gleichzeitig geöffnet werden sollten und behielt sich selbst die Öffnung der von ihm erneuerten Pforte im Petersdom vor.

Aber wann genau wurde die Heilige Pforte in der Vatikanbasilika eingeführt?

Schon Giacomo Grimaldi (1568-1623), Benefiziat und Archivar des Petersdomkapitels, räumte im 17. Jahrhundert mit Bedauern ein, dass es ihm nicht gelungen war, diesbezügliche Dokumente ausfindig zu machen. Jüngste wissenschaftlich fundierte Studien von Antonella Ballardini führen die Einrichtung einer Heiligen Pforte im Petersdom auf Nikolaus IV. (1447-1455) zurück, den gelehrten und findigen Papst, der das Heilige Jahr 1450 feierte. Damals fügte man in der Fassade der alten Basilika eine sechste Tür hinzu, eine kleine (»parvula«) und vergoldete (»aurea«) Tür, zugemauert und ohne Türflügel, die nur in den Heiligen Jahren geöffnet wurde. Diese Tür führte in das nördliche Seitenschiff der alten Basilika, und zwar in das Oratorium Johannes VII. (705-707), wo sich der Altar der Muttergottes (Theotokos) und der des sehr verehrten »Heiligen Antlitzes« (Schweißtuch der Veronika) befand. Die kleine, vergoldete Tür ist in der Nikolauskapelle auf einem Fresko von Fra Angelico zu sehen. 1499 wurde sie durch eine neue Heilige Pforte ersetzt; diese befand sich an der Stelle des erwähnten Muttergottes-Altars, der vor dem Jubiläum von 1475 von Papst Sixtus IV. (1471-1484) entfernt worden war.

In der neuen Basilika wurde der Standort der Heiligen Pforte an der Innenfassade, am nördlichen Ende des Atriums, beibehalten. Wie in der Antike ist diese letzte, nur für den Eingang und nicht für den Ausgang bestimmte Tür bewusst kleiner und schmaler: »Geht durch das enge Tor! Denn weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt …« (Mt 7,13-14; vgl. Lk 13,23-24; Ps 118,20).

Der Tradition folgend wird diese Pforte weiterhin am Ende jedes Heiligen Jahres zugemauert: sowohl am Ende des ordentlichen Heiligen Jahres, das heißt alle 25 Jahre, als auch eines außerordentlichen Heiligen Jahres, das zusätzlich ausgerufen werden kann, zum Beispiel zu besonderen Gedenktagen oder zu bestimmten Themen.

Erst zum Jubiläumsjahr 1950 wurde beschlossen, zwei Bronzetürflügel anzufertigen, um den Zugang nachts versperren zu können. Der heilige Papst Paul VI. legte fest, dass nach dem Heiligen Jahr 1975 die Bronzetürflügel, die wir heute sehen können, dauerhaft die Heilige Pforte verschließen sollten, wenn kein Heiliges Jahr stattfand. Damit änderte er auch den Ritus des Öffnens und Schließens der Heiligen Pforte: nicht mehr das Einreißen oder Hochziehen der Mauer standen im Mittelpunkt, sondern die symbolische Geste des Öffnens und Schließens der Pforte durch den Papst.

Früher war im Ritus der Öffnung der Heiligen Pforte das Niederreißen der Mauer vorgesehen, die aus Hunderten von ohne Mörtel aufgeschichteten Backsteinen bestand. Diese waren mit dem Wappen der Dombauhütte St. Peter, dem Datum und dem Namen des Papstes versehen, der die Heilige Pforte verschlossen hatte. Nach drei symbolischen Hammerschlägen des Papstes auf die Außenseite der Mauer, wurde diese durch die geschickten Handgriffe der Sanpietrini »eingerissen«, die die Mauer zu diesem Zweck zuvor mit einer besonderen Holzstruktur versehen hatten.

Die ersten Pläne für die Bronzetüren zur Verschließung der Heiligen Pforte gehen in die Zeit zurück, als 1947 ein Wettbewerb für die drei Haupttüren des Petersdoms ausgeschrieben wurde, so wie es der 1943 verstorbene Kanoniker der Basilika, Prinz Georg von Bayern, in seinem Testament – verbunden mit einer Schenkung – gewünscht hatte. Damals waren die großen Türen der Basilika, mit Ausnahme des von Filarete geschaffenen Portals, noch aus Holz und von sehr bescheidener Ausführung. Die Prüfungskommission unter dem Vorsitz des Kardinalerzpriesters der Basilika hielt jedoch keinen der achtzig eingereichten Entwürfe für geeignet und beschloss, den zwölf Künstlern, die sich in dieser ersten Phase des Wettbewerbs hervorgetan hatten, eine Goldmedaille zu verleihen und sie gleichzeitig zu einer zweiten Runde einzuladen. In dieser Zeit zwischen der ersten und der zweiten Phase des Wettbewerbs entschied Prälat Ludwig Kaas, Sekretär und Ökonom der Dombauhütte sowie Sekretär der Wettbewerbskommission, einen der Künstler, die am Wettbewerb teilnahmen, den Sieneser Bildhauer Vico Consorti (1902-1979), mit zwei neuen Bronzeflügeln für die Heilige Pforte zu beauftragen, allerdings als direkten Auftrag außerhalb des Wettbewerbs.

Prälat Kaas war es auch, der das Thema der Pforte und die auf den einzelnen Tafeln darzustellenden Szenen auswählte, inspiriert von den Worten des Gebets Pius’ XII. für das Heilige Jahr: »Gewähre mir, o Herr, dass dieses Heilige Jahr das Jahr der großen Rückkehr und der großen Vergebung sein möge« und unterstützt von einigen Ratgebern, besonders von Msgr. Arthur Wynen.

Die 1949 in neunmonatiger, ununterbrochener und anspruchsvoller Arbeit, auch in der Gießerei Fernando Marinelli, hergestellte Tür besteht aus 16 vergoldeten Bronzere-liefs. Auf ihnen sind mit Inschriften versehene Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament zu sehen sowie zwölf Tafeln mit den Wappen der Päpste, in deren Pontifikat ein Jubiläumsjahr gefeiert wurde: von Bonifatius VIII. bis zu Papst Franziskus.

Die Tür vermag, wie Kardinal Angelo Comastri geschrieben hat, durch die wundervollen Reliefs zu den Menschen zu »sprechen«: »Die Szenen ›fotografieren‹ die Geschichte der Barmherzigkeit Gottes, der immer wieder auf uns zugeht. Denn die Heilige Pforte ist ein Symbol, das die Worte Jesu sichtbar werden lässt: ›Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden‹ (Joh 10,9).«

* Verantwortlicher für die Nekropolen und die Kunstwerke der Dombauhütte St. Peter

(Orig. ital. in O.R. 28.5.2024)

Von Pietro Zander*