Von »Nihil obstat« bis zum negativen Urteil: Der Vatikan hat am Freitag, 17. Mai, die Normen für die Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene aktualisiert.
Der Text hält einige Neuerungen bereit. So werden künftig schnellere Stellungnahmen zum Bereich der Volksfrömmigkeit möglich sein. Andererseits wird die kirchliche Autorität in der Regel die Übernatürlichkeit eines Phänomens nicht mehr offiziell erklären. Eine weitere Neuerung: die ausdrücklichere Einbeziehung des Dikasteriums für die Glaubenslehre. Es muss künftig die endgültige Entscheidung des Bischofs genehmigen und bekommt zudem die Befugnis, jederzeit auf eigene Ini-tiative (motu proprio) einzugreifen.
In vielen Fällen der letzten Jahrzehnte, in denen sich einzelne Bischöfe geäußert haben, war das frühere »Heilige Offizium« durchaus involviert – aber fast immer im Hintergrund. Die ausdrückliche Einbeziehung des Dikasteriums liegt auch in der Schwierigkeit begründet, auf rein lokaler Ebene mit Phänomenen umzugehen, die in einigen Fällen nationale oder sogar globale Dimensionen erreichen. Das heute veröffentlichte Regelwerk weist in diesem Zusammenhang darauf hin, »dass eine Entscheidung, die eine Diözese betrifft, auch anderswo Auswirkungen hat«.
Pastorale Antworten
zum Wohl der Gläubigen
Dass der Vatikan sich zum Erstellen solcher Normen veranlasst sieht, hat mit gewissen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts zu tun. Da habe es Fälle gegeben, in denen der Ortsbischof sehr schnell die Übernatürlichkeit eines Phänomens erklärte, das Heilige Offizium dann aber zu anders akzentuierten Urteilen kam. Oder Fälle, in denen sich zum selben Phänomen ein Bischof auf die eine Weise, sein Nachfolger hingegen auf die entgegengesetzte Weise äußerte. Ein weiterer Grund sind die langen Zeiträume, die nötig sind, um alle Elemente zu bewerten und zu einer Entscheidung über die Übernatürlichkeit oder Nicht-Übernatürlichkeit eines Phä-nomens zu gelangen. Zeiträume, die manchmal mit der Dringlichkeit kollidieren, pastorale Antworten zum Wohle der Gläubigen zu geben.
In einer Hinführung erläutert Kardinalpräfekt Víctor Manuel Fernández: »Oft haben diese Ereignisse einen großen Reichtum an geistlichen Früchten, an Wachstum im Glauben, an Frömmigkeit und Geschwisterlichkeit und Dienstbereitschaft hervorgebracht, und in einigen Fällen sind dadurch verschiedene Wallfahrtsorte über die ganze Welt verstreut entstanden, die heute zu einem Kernteil der Volksfrömmigkeit vieler Völker geworden sind.«
Aber andererseits könnten »in einigen Fällen von Ereignissen, die mutmaßlichen übernatürlichen Ursprungs sind, sehr ernste Probleme zum Schaden der Gläubigen auftreten«. Etwa, wenn solche mutmaßlichen Phänomene »zur Erlangung von Profit, Macht, Ruhm, gesellschaftlicher Berühmtheit, persönlichen Interessen« dienten. Oder sogar »als Mittel oder Vorwand, um Menschen zu beherrschen oder Missbrauch zu begehen«. Außerdem könne es »bei solchen Ereignissen zu Irrtümern in der Glaubenslehre, zu einer unangemessenen Verkürzung der Botschaft des Evangeliums, zur Verbreitung eines sektiererischen Geistes usw. kommen«.
Nicht zuletzt warnt Kardinal Fernández in diesem Zusammenhang vor der Gefahr, »dass die Gläubigen in den Bann eines einer göttlichen Initiative zugeschrieben Ereignisses geraten«, das in Wirklichkeit auf Phantasie beruht, auf »Mythomanie«, auf der »Neigung zur Verfälschung«.
Die sechs
möglichen Urteile
Das Dokument aus dem Vatikan stellt klar, »dass auf ordentlichem Wege keine positive Anerkennung des göttlichen Ursprungs
mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene
durch die kirchliche Autorität zu erwarten ist« (I, 11). Daher werden »weder der Diözesanbischof noch die Bischofskonferenzen, noch das Dikasterium in der Regel erklären, dass diese Phänomene übernatürlichen Ursprungs sind«; nur der Papst könne »ein diesbezügliches Verfahren genehmigen« (I, 23).
Das Regelwerk legt eine Liste von sechs möglichen Urteilen vor, die am Ende einer Untersuchung stehen können.
Nihil Obstat: Keine Gewissheit über die übernatürliche Echtheit, aber doch Anzeichen für ein Wirken des Heiligen Geistes. Der Bischof wird ermutigt, den pastoralen Wert zu würdigen und für die Verbreitung des Phänomens, einschließlich der Wallfahrten, zu sorgen.
Prae oculis habeatur: Wichtige positive Zeichen, aber auch Elemente der Verwirrung oder mögliche Risiken, die eine sorgfältige Entscheidung und Dialog mit den Empfängern (zum Beispiel Sehern) bestimmter geistlicher Erfahrungen erfordern.
Curatur: Kritische Elemente, aber eine weite Verbreitung des Phänomens mit nachweisbaren geistlichen Früchten. Von einem Verbot, das die Gläubigen verwirren könnte, wird abgeraten, aber der Bischof wird aufgefordert, das Phänomen nicht zu fördern.
Sub mandato: Kritische Punkte, die sich nicht auf das Phänomen selbst beziehen, sondern auf den Missbrauch durch Einzelne oder Gruppen. Der Heilige Stuhl betraut den Bischof oder einen Delegierten mit der pastoralen Leitung des Ortes.
Prohibetur et obstruatur: Trotz einiger positiver Elemente sind die kritischen Aspekte und Risiken schwerwiegend. Der Bischof soll öffentlich erklären, dass das Festhalten an diesem Phänomen nicht zulässig ist.
Declaratio de non supernaturalitate: Der Bischof wird ermächtigt, auf der Grundlage konkreter Beweise (wie das Eingeständnis eines angeblichen Sehers) zu erklären, dass das Phänomen nicht als übernatürlich zu betrachten ist.
(Vatican News)