· Vatikanstadt ·

Audienz für die Teilnehmer an der Vollversammlung der Päpstlichen Bibelkommission

Schmerz und Krankheit im Licht des Glaubens sehen

 Schmerz und Krankheit im Licht des Glaubens sehen  TED-017
26. April 2024

Es ist mir eine Freude, euch zum Abschluss eurer jährlichen Vollversammlung zu empfangen, in der ihr euch die Vertiefung eines existentiellen, sehr existentiellen Themas vorgenommen hattet: »Krankheit und Leid in der Bibel«. Diese Untersuchung betrifft alle Menschen, da jeder Krankheit, Schwachheit, dem Tod unterworfen ist. Denn unsere verletzte Menschennatur ist auch von der Wirklichkeit der Begrenztheit und Endlichkeit geprägt und leidet unter den Widersprüchlichkeiten des Übels und des Schmerzes.

Das Thema liegt mir sehr am Herzen: Leid und Krankheit sind Widrigkeiten, mit denen man sich auseinandersetzen muss, aber es ist wichtig, dies auf eine dem Menschen würdige Art und Weise zu tun, sagen wir auf menschliche Weise: sie auszublenden, sie zu einem Tabu zu machen, über das man besser nicht spricht – vielleicht weil sie jenes Bild der Effizienz um jeden Preis beeinträchtigen, das nützlich ist für Verkauf und Profit –, das ist sicherlich keine Lösung. Wir alle wanken unter der Last dieser Erfahrungen, und wir müssen einander helfen, durch sie hindurchzugehen, indem wir sie in Beziehung erleben, ohne uns auf uns selbst zurückzuziehen und ohne, dass die legitime Auflehnung dagegen sich in Isolierung, Verlassenheit oder Verzweiflung verwandelt.

Durch das Zeugnis vieler Brüder und Schwestern wissen wir auch, dass Schmerz und Krankheit im Licht des Glaubens entscheidende Faktoren für einen Weg des Wachsens werden können: Das »Aussieben durch das Leid« erlaubt in der Tat, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Aber vor allem ist es das Beispiel Jesu, das uns den Weg weist. Er ermahnt uns, uns um diejenigen zu kümmern, die in Situationen der Krankheit leben, mit der Entschlossenheit, die Krankheit zu besiegen. Zugleich lädt er uns sanft ein, unsere Leiden mit seiner heilbringenden Hingabe zu vereinen, als Same, der Frucht bringt. Aus der Sicht des Glaubens möchte ich euch einige Anregungen zum Nachdenken mitgeben, die sich um zwei entscheidende Worte gruppieren: Mitleid und Inklusion.

Das erste Wort, Mitleid, verweist auf die immer wiederkehrende charakteristische Haltung des Herrn gegenüber den schwachen und bedürftigen Menschen, denen er begegnet. Wenn er die Gesichter so vieler Menschen sieht, die wie Schafe ohne Hirten sind, die Mühe haben, sich im Leben zu orientieren (vgl. Mk 6,34), dann ist Jesus betroffen. Er hat Mitleid mit der hungrigen, ermüdeten Menge (vgl. Mk 8,2) und empfängt unermüdlich Kranke (vgl. Mk 1,32), deren Bitten er erhört: Denken wir an die Blinden, die ihn anflehen (vgl.
Mk 20,34), und an die vielen Kranken, die um Heilung bitten (vgl.
Lk
17,11-19). Er wird angesichts der Witwe, die ihrem einzigen Sohn das Grabgeleit gibt, von Mitleid erfasst, so sagt das Evangelium (vgl. Lk 7,13). Großes Mitleid. Seine Nähe ist Ausdruck seines Mitleids, das Jesus auch dazu führt, sich mit den Leidenden zu identifizieren: »Ich war krank und ihr habt mich besucht« (Mt 25,36). Mitleid, das zur Nähe führt.

All dies offenbart einen wichtigen Aspekt: Jesus erklärt das Leid nicht, sondern beugt sich zu den Leidenden hinab. Er begegnet dem Schmerz nicht mit ermutigenden Flos-keln oder sterilen Trostworten, sondern er nimmt dessen Drama an und lässt sich davon berühren. Die Heilige Schrift ist in dieser Hinsicht erhellend: sie gibt uns weder ein Handbuch mit guten Worten noch eine Rezeptsammlung für Haltungen und Gefühle, sondern sie zeigt uns Gesichter, Begegnungen, konkrete Geschichten. Denken wir an Ijob mit der Versuchung seiner Freunde: sie stellen religiöse Theorien auf, die das Leid mit göttlicher Strafe in Verbindung bringen, aber diese zerschellen an der Realität des Schmerzes, vom Leben Ijobs bezeugt. So ist die Antwort Jesu lebenswichtig, sie besteht aus Mitleid, das annimmt und das durch diese Annahme den Menschen rettet und seinen Schmerz verwandelt. Christus hat unser Leid verwandelt, indem er es bis ins Äußerste auf sich nahm, es durchlebte, erlitt und als Gabe der Liebe aufopferte. Er hat keine einfachen Antworten auf unsere »Warum-Fragen« gegeben, aber am Kreuz hat er sich unser großes »Warum« zu eigen gemacht (vgl. Mk 15,34). Wer sich die Worte der Heiligen Schrift zu eigen macht, reinigt seine religiösen Vorstellungen von falschen Haltungen und lernt, dem von Jesus gewiesenen Weg zu folgen: das menschliche Leid zu berühren, mit Demut, Milde, Zuversicht, um im Namen des fleischgewordenen Gottes die Nähe einer heilenden, konkreten Unterstützung zu bringen. Konkret berühren, nicht theoretisch, mit den Händen.

Und das führt uns zum zweiten Wort: Inklusion. Auch wenn es kein biblischer Begriff ist, bringt es ein Merkmal des Stils Jesu gut zum Ausdruck: dass er sich auf die Suche macht nach dem Sünder, dem Verirrten, dem Ausgegrenzten, dem Stigmatisierten, damit sie alle im Haus des Vaters Aufnahme finden (vgl. Lk 15). Denken wir an die Leprakranken: bei Jesus darf niemand vom Heil Gottes ausgeschlossen werden (vgl. Mk 1,40-42). Aber die Inklusion umfasst noch einen weiteren Aspekt: Der Herr möchte, dass die ganze Person – Geist, Seele und Leib – geheilt wird (vgl. 1 Thess 5,23). Wenig nützen würde in der Tat eine körperliche Heilung vom Übel ohne eine Gesundung des Herzens von der Sünde (vgl. Mk 2,17; Mt 10,28-29). Es ist eine vollkommene Heilung: Leib, Seele und Geist.

Diese Perspektive der Inklusion führt uns zu Haltungen des Teilens: Christus, der in seinem Leben unter den Menschen Gutes getan und Kranke geheilt hat, hat seinen Jüngern aufgetragen, sich um die Kranken zu kümmern und sie in seinem Namen zu segnen (vgl. Mt 10,8; Lk 10,9), so hat er seine Sendung des Trostes mit ihnen geteilt (vgl.
Lk 4, 18-19). Die Erfahrung von Leid und Schwachheit ist für uns als Kirche ein Aufruf, in christlicher und menschlicher Solidarität an der Seite aller zu sein und im Namen der uns allen gemeinsamen Schwachheit Möglichkeiten des Dialogs und der Hoffnung zu eröffnen. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter »zeigt uns, mit welchen Initiativen man eine Gemeinschaft erneuern kann, ausgehend von Männern und Frauen, die sich der Zerbrechlichkeit der anderen annehmen. Sie lassen nicht zu, dass eine von Exklusion geprägte Gesellschaft errichtet wird, sondern kommen dem gefallenen Menschen nahe, richten ihn auf und helfen ihm zu laufen, damit das Gute allen zukommt« (Enzyklika Fratelli tutti, 67).

Liebe Brüder und Schwestern, während ich euch diese Anregungen mitgebe, möchte ich euch danken für euren Dienst und euch ermutigen, mit kritischer Strenge und in brüderlichem Geist die Themen zu vertiefen, die ihr derzeit untersucht, um mit dem Licht der Heiligen Schrift die schwierigen Aspekte zu erhellen, die alle betreffen. Gottes Wort ist ein wirksames Gegenmittel gegen jede Verschlossenheit, Abstraktion und Ideologisierung des Glaubens: Wenn es in dem Geist gelesen wird, in dem es geschrieben wurde,
lässt es die Leidenschaft für Gott und für den Menschen wachsen, entzündet die Liebe und stärkt den apostolischen Eifer. Daher besteht für die Kirche die beständige Notwendigkeit, aus den Quellen des göttlichen Wortes zu trinken. Ich segne euch und eure Sendung, bei der ihr den Durst des heiligen Got-tesvolkes mit den frischen Wassern des Heiligen Geistes stillen sollt. Und ich bitte euch, für mich zu beten. Danke.

(Orig. ital. in O.R. 11.4.2024)