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Generalaudienz auf dem Petersplatz am 3. April

Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden

 Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden  TED-015
12. April 2024

Liebe Brüder und Schwestern,

frohe Ostern und guten Tag!

Wir kommen jetzt zur zweiten der Kardinaltugenden: Heute sprechen wir über die Gerechtigkeit. Sie ist die soziale Tugend schlechthin. Der Katechismus der Katholischen Kirche definiert sie so: »Die Gerechtigkeit als sittliche Tugend ist der beständige, feste Wille, Gott und dem Nächsten zu geben, was ihm gebührt« (Nr. 1807). Das ist die Gerechtigkeit. Oft zitiert man, wenn man die Gerechtigkeit erwähnt, auch das Motto, das für sie steht: »unicuique suum«, also »jedem das Seine«. Es ist die Tugend des Rechts, die sich bemüht, die Beziehungen zwischen den Menschen ausgewogen zu regeln.

Gutes Zusammenleben
der Menschen

Sie wird allegorisch von der Waage dargestellt, weil es ihr Anliegen ist, zwischen den Menschen »die Rechnungen auszugleichen«, vor allem dann, wenn sie von irgendeinem Ungleichgewicht verfälscht zu werden drohen. Ihr Ziel ist es, dass in einer Gesellschaft jeder seiner Würde gemäß behandelt wird. Bereits die alten Meister lehrten jedoch, dass es dafür noch weiterer tugendhafter Haltungen bedarf, wie Wohlwollen, Achtung, Dankbarkeit, Liebenswürdigkeit, Ehrlichkeit: Tugenden, die zum guten Zusammenleben der Menschen beitragen. Die Gerechtigkeit ist eine Tugend für das gute Zusammenleben der Menschen.

Wir alle verstehen, dass die Gerechtigkeit grundlegend ist für das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft: Eine Welt ohne Gesetze, die die Rechte achten, wäre eine Welt, in der es unmöglich ist zu leben, sie würde einem Dschungel gleichen. Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Denn wenn die Gerechtigkeit nicht geachtet wird, entstehen Konflikte. Ohne Gerechtigkeit wird das Gesetz der Unterdrückung der Schwachen durch den Starken in Kraft gesetzt, und das ist nicht gerecht.

Gerechtigkeit ist jedoch eine Tugend, die sowohl im Großen als auch im Kleinen wirkt: Sie betrifft nicht nur die Gerichtshöfe, sondern auch die Ethik, die unser tägliches Leben auszeichnet. Sie stellt aufrichtige Beziehungen zu den anderen her: Sie verwirklicht das Gebot des Evangeliums, nach dem die Rede des Christen sein soll: »Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen« (Mt 5,37). Halbwahrheiten, Spitzfindigkeiten, die den Nächsten an der Nase herumführen sollen, Heimlichkeiten, die die wahren Absichten verbergen, sind keine Haltungen, die mit der Gerechtigkeit übereinstimmen. Der gerechte Mensch ist aufrichtig, einfach und geradeheraus, er trägt keine Masken, er zeigt sich so wie er ist, sein Reden ist wahrhaftig. Aus seinem Mund hört man oft das Wort »danke«: Er weiß, dass wir, so sehr wir uns auch bemühen, großherzig zu sein, immer Schuldner gegenüber dem Nächsten bleiben. Wenn wir lieben, dann auch deshalb, weil wir zuerst geliebt worden sind.

In der Überlieferung finden sich zahlreiche Beschreibungen des gerechten Menschen. Betrachten wir einige davon. Der gerechte Mensch hat Ehrfurcht vor den Gesetzen und achtet sie, im Wissen, dass sie eine Grenze darstellen, die die Schwachen vor der Anmaßung der Mächtigen schützt. Der gerechte Mensch achtet nicht nur auf das eigene persönliche Wohlergehen, sondern will das Wohl der ganzen Gesellschaft. Daher erliegt er nicht der Versuchung, nur an sich selbst zu denken und sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, so rechtmäßig sie auch sein mögen, so als wären sie das Einzige, was es auf der Welt gibt. Die Tugend der Gerechtigkeit macht deutlich – und legt das Bedürfnis ins Herz –, dass es kein wahres Wohl für mich geben kann ohne das Wohl aller.

Daher wacht der gerechte Mensch über das eigene Verhalten, damit er anderen nicht schadet: Wenn er einen Fehler macht, entschuldigt er sich. Der gerechte Mensch entschuldigt sich immer. In manchen Situationen opfert er sogar ein persönliches Gut, um es der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Er wünscht eine geordnete Gesellschaft, wo es die Menschen sind, die den Ämtern Glanz verleihen, und nicht die Ämter, die den Menschen Glanz verleihen. Seilschaften sind ihm ein Gräuel und er betreibt keine Günstlingswirtschaft. Er liebt Verantwortung und ist vorbildlich darin, die Legalität zu leben und zu fördern. Denn sie ist der Weg der Gerechtigkeit, das Gegenmittel gegen die Korruption: Wie wichtig ist es, die Menschen, insbesondere die jungen Menschen, zur Kultur der Legalität zu erziehen! Sie ist der Weg, um dem Krebsgeschwür der Korruption vorzubeugen und die Kriminalität zu bezwingen, indem man ihr den Boden unter den Füßen entzieht.

Sehnsucht nach
universaler Geschwisterlichkeit

Auch vermeidet der Gerechte schädliche Verhaltensweisen wie üble Nachrede, falsches Zeugnis, Betrug, Wucher, Verhöhnung, Unehrlichkeit. Der Gerechte hält das gegebene Wort, erstattet das Geliehene zurück, erkennt allen Arbeitern den rechten Lohn zu – ein Mensch, der den Arbeitern nicht den rechten Lohn zuerkennt, ist nicht gerecht, sondern ungerecht –, er hütet sich, rücksichtslose Urteile über den Nächsten zu fällen, er verteidigt den Ruf und den guten Namen anderer.

Keiner von uns weiß, ob die gerechten Menschen in unserer Welt zahlreich oder selten wie kostbare Perlen sind. Aber es sind Menschen, die Gnade und Segen sowohl auf sich als auch auf die Welt, in der sie leben, ziehen. Sie sind keine Verlierer gegenüber denen, die »gerissen und verschlagen« sind, denn, wie es in der Schrift heißt, »wer nach Gerechtigkeit und Güte strebt, findet Leben, Gerechtigkeit und Ehre« (Spr 21,21). Die Gerechten sind keine Moralisten, die das Gewand des Sittenrichters tragen, sondern aufrichtige Menschen, die »hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit« (Mt 5,6), Träumer, die im Herzen die Sehnsucht nach einer universalen Geschwisterlichkeit bewahren. Und diesen Traum brauchen wir alle sehr, besonders in der heutigen Zeit. Wir müssen gerechte Männer und Frauen sein, und das wird uns glücklich machen.

(Orig. ital. in O.R. 3.4.2024)