Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Heute war die Generalaudienz auf dem Petersplatz vorgesehen, aber wegen des Regens wurde sie nach hier drinnen verlegt. Es stimmt, dass es etwas eng wird für euch, aber wenigstens werden wir nicht nass! Danke für eure Geduld.
Letzten Sonntag haben wir die Leidens-geschichte des Herrn gehört. Auf das Leiden, das ihm zugefügt wird, antwortet Jesus mit einer Tugend, die zwar nicht als eine der traditionellen Tugenden betrachtet wird, die aber sehr wichtig ist: die Tugend der Geduld. Es geht darum zu ertragen, was man erleidet: Nicht zufällig hat Geduld [ital. »pazienza«] dieselbe Wurzel wie »Passion«. Und gerade in der Passion kommt die Geduld Christi
zum Ausdruck, der sich mit Milde und
Sanftmut gefangen nehmen, ins Gesicht schlagen und zu Unrecht verurteilen lässt; vor Pilatus beklagt er sich nicht; er erträgt die Schmähungen, das Spucken und die Geißelung der Soldaten; er trägt die Last des Kreuzes; er vergibt denen, die ihn ans Holz nageln, und am Kreuz antwortet er nicht auf die Provokationen, sondern bietet Barmherzigkeit an. Das ist die Geduld Jesu. All das sagt uns, dass die Geduld Jesu nicht in einem stoischen Widerstand im Leiden besteht, sondern Frucht einer größeren Liebe ist.
Böses mit Gutem vergelten
Der Apostel Paulus verbindet im sogenannten »Hohelied der Liebe« (vgl. 1 Kor 13,47) Liebe und Geduld eng miteinander. Denn als er die erste Eigenschaft der Liebe beschreibt, benutzt er ein Wort, das mit »langmütig«, »geduldig« übersetzt wird. Die Liebe ist langmütig, sie ist geduldig. Es bringt ein überraschendes Konzept zum Ausdruck, das in der Bibel oft zu finden ist: Angesichts unserer Untreue erweist Gott sich als »langmütig« (vgl. Ex 34,6; vgl. Num 14,18): Statt seine Abscheu gegen das Böse und die Sünde des Menschen zu äußern, erweist er sich als größer, ist er immer wieder bereit, von vorne zu beginnen mit unendlicher Geduld. Das ist für Paulus der erste Wesenszug der Liebe Gottes, der angesichts der Sünde die Vergebung anbietet. Aber nicht nur das: Es ist der erste Wesenszug jeder großen Liebe, dass sie das Böse mit Gu-tem zu vergelten weiß, dass sie sich nicht in Zorn und Kummer verschließt, sondern beharrlich ist und immer wieder neu beginnt. Die Geduld, die neu beginnt. An der Wurzel der Geduld liegt also die Liebe, wie der heilige Augustinus sagt: »Der Mensch ist desto stärker, alles Schlechte zu ertragen, je größer die Liebe Gottes in ihm ist« (De patientia, XVII).
Man könnte also sagen, dass es kein besseres Zeugnis von der Liebe Jesu gibt, als einem geduldigen Christen zu begegnen. Denken wir aber auch daran, wie viele Mütter und Väter, Arbeiter, Ärzte und Pflegepersonal, Kranke jeden Tag, im Verborgenen, die Welt schöner machen mit einer heiligen Geduld! Wie es in der Schrift heißt: »Besser ein Langmütiger als ein Kriegsheld« (Spr 16,32). Trotzdem müssen wir ehrlich sein: Es mangelt uns oft an Geduld. Im Alltag sind wir ungeduldig, alle. Wir brauchen sie wie ein unerlässliches Vitamin«, um voranzugehen, aber instinktiv werden wir ungeduldig und vergelten Böses mit Bösem: Es ist schwer, ruhig zu bleiben, den Instinkt unter Kontrolle zu halten, böse Antworten zurückzuhalten, Streit und Konflikte in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der christlichen Gemeinde zu entschärfen. Sofort kommt die Antwort, wir sind nicht in der Lage, geduldig zu sein.
Gegen den Strom schwimmen
Denken wir jedoch daran, dass die Geduld nicht nur eine Notwendigkeit ist, sondern ein Aufruf: Wenn Christus geduldig ist, dann ist der Christ aufgerufen, geduldig zu sein. Und das verlangt, gegen den Strom zu schwimmen angesichts der heute verbreiteten Denkweise, in der die Eile und »alles, und zwar sofort« vorherrschen; wo man die Menschen auspresst und erwartet, dass sie sich sofort ändern, statt darauf zu warten, dass die Situationen heranreifen. Vergessen wir nicht, dass Eile und Ungeduld Feindinnen des geistlichen Lebens sind. Warum? Gott ist Liebe, und wer liebt, wird nicht müde, ist nicht aufbrausend, stellt kein Ultimatum, Gott ist geduldig, Gott versteht zu warten. Denken wir an die Erzählung vom barmherzigen Vater, der auf den Sohn wartet, der von zuhause weggegangen ist: Er leidet mit Geduld und ist nur ungeduldig, ihn zu umarmen, als er ihn zurückkehren sieht (vgl. Lk 15,21). Oder denken wir an das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen, mit dem Herrn, der keine Eile hat, das Schlechte vorzeitig auszureißen, damit nichts verloren geht (vgl. Mt 13,29-30). Die Geduld lässt uns alles retten.
Aber, Brüder und Schwestern, wie kann man die Geduld wachsen lassen? Da sie, wie der heilige Paulus lehrt, eine Frucht des Heiligen Geistes ist (vgl. Gal 5,22), muss man den Geist Christi darum bitten. Er schenkt uns die sanfte Kraft der Geduld – die Geduld ist eine sanfte Kraft –, denn »es ist der christlichen Tugend zu eigen, nicht nur das Gute zu wirken, sondern auch das Schlechte zu ertragen« (Augustinus, Sermones 46,13). Besonders in diesen Tagen wird es uns guttun, den Gekreuzigten zu betrachten, um sich seine Geduld zu eigen zu machen. Eine schöne Übung besteht auch darin, die lästigsten Menschen vor ihn zu bringen und um die Gnade zu bitten, ihnen gegenüber jenes Werk der Barmherzigkeit zu üben, das gleichermaßen bekannt ist und missachtet wird: lästige Menschen geduldig zu ertragen. Und das ist nicht leicht. Denken wir darüber nach, ob wir das tun: lästige Menschen geduldig ertragen. Man beginnt mit der Bitte, sie mit Mitgefühl zu betrachten, mit dem Blick Got-tes, indem man ihr Gesicht von ihren Fehlern unterscheidet. Wir sind es gewohnt, die Menschen nach den Fehlern einzuordnen, die sie machen. Nein, das ist nicht gut. Suchen wir die Menschen aufgrund ihres Gesichts, aufgrund ihres Herzens und nicht aufgrund ihrer Fehler!
Um die Geduld – die Tugend, die dem Leben Atem schenkt – zu pflegen, ist es ab-schließend gut, den Blick zu erweitern. Zum Beispiel, indem wir die Welt nicht auf unser eigenes Unglück einengen, wie die Nachfolge Christi uns ermahnt: »Du sollst also die größeren Leiden anderer Menschen dir zu Gemüte führen, damit du deine geringen Leiden leichter tragen lernst.« Sie erinnert uns: »Denn das geringste Leiden, das ein Mensch um seines Gottes willen duldet, wird ein großer Edelstein in der Krone des Dulders« (III, 19). Und wenn wir fühlen, dass die Prüfung uns fest im Griff hat, dann ist es – wie Ijob lehrt – gut, sich hoffnungsvoll gegenüber der Neuheit Gottes zu öffnen, im festen Vertrauen darauf, dass er unsere Erwartungen nicht enttäuscht. Geduld ist, das Schlechte ertragen zu können.
Und hier sind heute, in dieser Audienz, zwei Personen, zwei Väter: ein Israeli und ein Araber. Beide haben ihre Töchter in diesem Krieg verloren, und beide sind Freunde. Sie blicken nicht auf die Feindschaft des Krieges, sondern sie blicken auf die Freundschaft zweier Menschen, die einander gernhaben und die durch dieselbe Kreuzigung gegangen sind. Denken wir an dieses so schöne Zeugnis dieser beiden Menschen, die in ihren Töchtern den Krieg im Heiligen Land erlitten haben. Liebe Brüder, danke für euer Zeugnis!
Vor dem Schlusssegen erneuerte der Papst seinen Friedensappell:
Brüder und Schwestern, beten wir für den Frieden. Der Herr schenke uns Frieden in der gequälten Ukraine, die so sehr unter den Bombardierungen leidet; auch in Israel und Palästina, dass Frieden herrschen möge im Heiligen Land. Der Herr schenke allen den Frieden, als Geschenk seines Pascha!
(Orig. ital. in O.R. 27.3.2024)