Liebe Brüder und Schwestern,
frohe Ostern!
Heute erklingt in der ganzen Welt die Botschaft, die vor zweitausend Jahren von Jerusalem ausging: »Jesus von Nazaret, der Gekreuzigte, ist auferstanden!« (vgl. Mk 16,6).
Die Kirche erlebt erneut das Staunen der Frauen, die im Morgengrauen des ersten Tages der Woche zum Grab gingen. Das Grab Jesu war mit einem großen Stein verschlossen; und so verschließen auch heute noch schwere, allzu schwere Felsblöcke die Hoffnungen der Menschheit: der Fels des Krieges, der Fels der humanitären Krisen, der Fels der Menschenrechtsverletzungen, der Fels des Menschenhandels und andere mehr. Auch wir fragen uns, so wie die Jüngerinnen Jesu: »Wer könnte uns diese Steine wegwälzen?« (vgl. Mk 16,3).
Und dann die Entdeckung des Ostermorgens: Der Stein, dieser große Stein, ist bereits weggewälzt worden. Das Staunen der Frauen ist unser Staunen: Das Grab Jesu ist offen und es ist leer! Von hier aus nimmt alles seinen Anfang. Durch dieses leere Grab hindurch führt der neue Weg, der Weg, den niemand außer Gott allein eröffnen konnte: der Weg des Lebens inmitten des Todes, der Weg des Friedens inmitten des Krieges, der Weg der Versöhnung inmitten des Hasses, der Weg der Geschwisterlichkeit inmitten der Feindschaft.
Brüder und Schwestern, Jesus Christus ist auferstanden, und er allein ist fähig, die Steine wegzuwälzen, die den Weg zum Leben versperren. Ja, er selbst, der Lebendige, ist der Weg: der Weg des Lebens, des Friedens, der Versöhnung, der Geschwisterlichkeit. Er eröffnet uns den menschlich gesehen un-möglichen Weg, denn nur er nimmt die Sünde der Welt hinweg und vergibt unsere Sünden. Und ohne die Vergebung Gottes kann jener Stein nicht weggeräumt werden. Ohne die Vergebung der Sünden kommt man nicht aus Verschlossenheit, Vorurteilen, gegenseitigen Verdächtigungen und Selbstgerechtigkeiten heraus, die dazu führen, dass man immer sich selbst freispricht und andere anklagt. Allein der auferstandene Christus, der uns die Vergebung der Sünden schenkt, macht den Weg frei für eine erneuerte Welt.
Er allein öffnet uns die Türen zum Leben, Türen, die wir mit den in der Welt aufkommenden Kriegen ständig schließen. Heute richten wir unseren Blick vor allem auf die Heilige Stadt Jerusalem, die Zeugin des Geheimnisses von Jesu Leiden, Tod und Auferstehung, und auf alle christlichen Gemeinschaften des Heiligen Landes.
Meine Gedanken sind vor allem bei den Opfern der vielen aktuellen Konflikte in der Welt, angefangen bei denen in Israel und Palästina und in der Ukraine. Der auferstandene Christus eröffne den leidtragenden Bevölkerungsgruppen in diesen Regionen einen Weg des Friedens. Ich rufe zur Achtung der Grundsätze des Völkerrechts auf und hoffe auf einen umfassenden Austausch aller Gefangenen zwischen Russland und der Ukraine: alle für alle!
Darüber hinaus fordere ich erneut einen garantierten Zugang für humanitäre Hilfe nach Gaza sowie die sofortige Freilassung der am 7. Oktober entführten Geiseln und einen sofortigen Waffenstillstand im Gaza-Streifen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die anhaltenden Kampfhandlungen die erschöpfte Zivilbevölkerung, insbesondere die Kinder, weiterhin so schwer treffen. Wie viel Leid sehen wir in den Augen der Kinder: Diese Kinder in den Kriegsgebieten haben vergessen, wie man lächelt. Ihre Blicke fragen uns: Warum? Warum so viel Tod? Warum so viel Zerstörung? Der Krieg ist immer eine Absurdität und der Krieg ist immer eine Niederlage! Lassen wir nicht zu, dass immer stärker werdende Winde des Krieges über Europa und den Mittelmeerraum wehen. Erliegen wir nicht der Logik der Waffen und der Aufrüs-tung. Frieden wird niemals mit Waffen geschaffen, sondern indem man die Hände ausstreckt und die Herzen öffnet.
Und Brüder und Schwestern, vergessen wir nicht Syrien, das seit dreizehn Jahren unter den Folgen eines langen, verheerenden Krieges leidet. So viele Tote, vermisste Menschen, so viel Armut und Zerstörung warten auf Antworten vonseiten aller, auch von der internationalen Gemeinschaft.
Mein Blick richtet sich heute in besonderer Weise auf den Libanon, der seit langem unter einer Blockade im institutionellen Bereich und einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise leidet, die jetzt durch die Auseinandersetzungen an der Grenze zu Israel noch verschärft wird. Der Auferstandene trös-te das geliebte libanesische Volk und unterstütze das ganze Land in seiner Bestimmung, ein Land der Begegnung, des Miteinanders und des Pluralismus zu sein.
Mein besonderer Gedanke gilt der Region des westlichen Balkans, in der bedeutende Schritte zur Integration in das europäische Projekt unternommen werden: Mögen die ethnischen, kulturellen und konfessionellen Unterschiede nicht die Ursache für Spaltung sein, sondern zu einer Quelle der Bereicherung für ganz Europa und die Welt werden.
Ebenso begrüße ich die Gespräche zwischen Armenien und Aserbaidschan, auf dass sie mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft den Dialog fortsetzen, den Flüchtlingen helfen, die Kultstätten der verschiedenen Konfessionen respektieren und so bald wie möglich zu einem endgültigen Friedensabkommen gelangen können.
Der auferstandene Christus eröffne einen Weg der Hoffnung für die Menschen in den übrigen Teilen der Welt, die unter Gewalt, Konflikten, Ernährungsunsicherheit und den Auswirkungen des Klimawandels leiden. Der Herr schenke den Opfern aller Formen des Terrorismus Trost. Wir beten für alle, die ihr Leben verloren haben, und beten um Reue und Umkehr der Täter.
Der auferstandene Herr stehe dem haitianischen Volk bei, damit die Gewalt, die das Land zerreißt und zu Blutvergießen führt, so schnell wie möglich endet und das Land auf dem Weg der Demokratie und der Geschwis-terlichkeit Fortschritte machen kann.
Er möge den Rohingya, die von einer schweren humanitären Krise betroffen sind, Trost spenden und den Weg der Versöhnung in Myanmar, das von jahrelangen internen Konflikten zerrissen ist, eröffnen, damit jede Logik der Gewalt endgültig überwunden werden kann.
Möge der Herr Wege des Friedens auf dem afrikanischen Kontinent eröffnen, insbesondere für die leidgeprüfte Bevölkerung im Sudan und in der gesamten Sahelzone, am Horn von Afrika, in der Region Kivu in der Demokratischen Republik Kongo und in der Provinz Capo Delgado in Mosambik; und möge er der anhaltenden Dürre ein Ende setzen, die weite Gebiete betrifft und Not und Hunger verursacht.
Möge der auferstandene Herr den Migranten und denjenigen, die in wirtschaftlicher Not sind, sein Licht leuchten lassen und ihnen in der Zeit ihrer Not Trost und Hoffnung spenden. Möge Christus alle Menschen gu-ten Willens dazu bewegen, sich solidarisch zu vereinen, um gemeinsam die vielen Herausforderungen zu bewältigen, denen sich die ärmsten Familien auf ihrer Suche nach einem besseren Leben und Glück gegenübersehen.
An diesem Tag, an dem wir das Leben feiern, das uns durch die Auferstehung des Sohnes geschenkt wurde, wollen wir uns an die unendliche Liebe Gottes zu jedem von uns erinnern: eine Liebe, die jede Begrenztheit und jede Unzulänglichkeit übersteigt. Doch wie oft wird das kostbare Geschenk des Lebens missachtet. Wie viele Kinder dürfen nicht einmal das Licht der Welt erblicken? Wie viele verhungern oder erhalten keine lebensnotwendige Versorgung oder werden Opfer von Missbrauch und Gewalt? Wie viele Leben werden durch den zunehmenden Menschenhandel zur Ware?
Brüder und Schwestern, an dem Tag, an dem Christus uns aus der Knechtschaft des Todes befreit hat, fordere ich die politisch Verantwortlichen auf, keine Mühen zu scheuen, um die Geißel des Menschenhandels zu bekämpfen, und sich unermüdlich dafür einzusetzen, ausbeuterische Strukturen zu zerschlagen und die Opfer zu befreien. Der Herr tröste ihre Familien, insbesondere diejenigen, die mit Bangen auf Nachrichten von ihren Angehörigen warten, und schenke ihnen Kraft und Hoffnung.
Möge das Licht der Auferstehung unseren Geist erleuchten und unser Herz bekehren, damit wir uns des Wertes eines jeden Menschenlebens bewusstwerden, das stets angenommen, geschützt und geliebt werden muss.
Ich wünsche allen ein gesegnetes Osterfest!