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Päpste und Pferde (Teil 2)

Päpstliche Abenteuer auf dem Rücken der Pferde

 Päpstliche Abenteuer auf dem Rücken der Pferde  TED-011
15. März 2024

Die Oberhirten der Kirche traten nicht nur bei zeremoniellen Anlässen zu Pferde auf. Auch im Alltag sah man sie hoch zu Ross.

Vor allem die Päpste der Renaissance waren gut zu Pferde. Für manche Papstkritiker zu gut. In einem deutschen Luther-Film von 2004 sieht man Julius II. (1503-1513) in goldener Rüs-tung durch die Straßen der Ewigen Stadt galoppieren. Heute wissen wir, dass »il Terribile – der Schreckliche« einen derartigen Harnisch nie getragen hat, auch wenn das Arsenal der Engelsburg eine sogenannte »goldene Rüstung« des Della-Rovere-Papstes aufweist. Imposant aber war die Kleidung schon, die der kriegerische Papst bei der Belagerung von Mirandola im Januar des Jahres 1511 trug, »über der Rüstung ein weißer Mantel mit breitem dunkelbraunem Pelzkragen, auf dem Kopf gleich einer Sturmhaube eine gewaltige Kappe aus weißem Schafspelz« (Ludwig von Pastor).

Trotz einer schweren Erkrankung hatte sich der Pontifex für die entscheidende Schlacht aufs Pferd geschwungen. »Man soll es in alle Geschichtsbücher eintragen«, sagte der venezianische Gesandte zu einem Kardinal, »dass ein Papst ins Feld zog, kaum genesen, im Januar, bei soviel Schnee und Kälte«. Nicht zuletzt dank der persönlichen Anwesenheit, ja Führung des Papstes, siegte das päpstliche Heer.

Eindrucksvolle Jagdszenen

Leo X. (1513-1521) galt als guter und besonnener Reiter. Zu Pferde machte er bella figura, bestach durch angeborene Eleganz. Im Gegensatz zu Julius II. war ihm ein forscher, ungezähmter Ritt zuwider. Die Humanisten feierten und bejubelten Leo X. als Förderer der Künste und Wissenschaften; »die Poeten Roms verkündigten den Anbruch des goldenen Zeitalters« (Ferdinand Gregorovius). Auf dem Possessritt zum Lateran konnte der Medici-Papst in Anspielung auf seine beiden Vorgänger – Alexander VI. und Julius II. – und auf seine eigene Person an einem Triumph-bogen die in goldenen Lettern geschriebenen Worte lesen: »Einst hat Venus geherrscht, dann kam an die Reihe der Kriegsgott, nun beginnet der Tag, hehre Minerva, für dich.«

In dem schon erwähnten Film Luther wird der Zuschauer mit einer eindrucksvollen päpstlichen Jagdszene konfrontiert. Leo X., dargestellt von Uwe Ochsenknecht, reitet in ziviler Reitkluft munter einher; hoch zu
Ross erledigt er in wildem Ritt einen Eber. Fakt oder Fiktion? Paride de Grassi, der Zeremonien-meister des Papstes, berichtet in seinen Tagebüchern, dass der Heilige Vater bei seinen Reitausflügen zwar nicht ganz korrekt bekleidet gewesen sei, aber er habe dennoch stets ein weißes Gewand getragen – »albo insignis amictu«. Ein wilder Jagdritt war Leo X. nicht möglich. Körperliche Unzulänglichkeiten hinderten ihn daran. Anstrengungen riefen beim Papst heftige Schweißausbrüche hervor; die Dienerschaft führte, wann immer Leo sich über sein normales Maß bewegte, eine Unmenge von »fazzoletti – Taschentüchern« mit sich. »Ohne sie wäre der Papst ertrunken«, vertraute De Grassi seinen Tagebüchern an.

Auch um die Sehkraft Seiner Heiligkeit hatte es nicht gut gestanden. Antonio de Beatia schrieb am 1. Mai 1518 vom päpstlichen Jagdschloss Magliana aus an die Markgräfin Isabella von Mantua: »Hier tötete er einen überaus großen Hirsch, den man zuvor in Netzen gefangen hatte; der Papst näherte sich ihm zu Fuß, in der einen Hand den Speer, in der anderen die Augengläser.«

In den folgenden Jahrhunderten standen die Päpste nicht mehr an der Spitze eines Heeres, oder nahmen an blutigen Schlachten oder »wilden« Jagden teil. In bedrohliche Situationen gerieten sie dennoch. »Unser Herr der Papst hat sich heute nach Castel Gandolfo begeben. Auch dieses Mal hegen wir wieder die schlimmsten Befürchtungen«, schrieb Domenico Paoli, der Agent der Republik Lucca am Päpstlichen Hof, im Sommer des Jahres 1771 an die Staatskanzlei seiner Regierung. Auf dem Stuhl Petri saß damals Klemens XIV. (1769-1774).

Was bewog den Gesandten Luccas zu diesen beängstigenden Worten, was drohte so Furchtbares in der päpstlichen Sommer-residenz? Am Abend des 30. September 1771 lag über der Residenz der Päpste in den Albaner Bergen der Verdacht der Verschwörung. In der Sala del Biliardo, dem prachtvoll ausgestatteten Billardsaal des päpstlichen Palastes, hatte sich eine illustre Gesellschaft eingefunden. Es waren die Würdenträger des Hofstaates, der dem Heiligen Vater in die Sommerfrische zu folgen pflegte. Man stand in kleinen Gruppen beieinander, steckte die Köpfe zusammen und sprach mit unterdrückter Stimme.

Ungestümer Reitstil

Wer nicht in die Gespräche eingeweiht war, hätte eine weitreichende Konspiration vermuten können. Und er wäre nicht einmal im Unrecht gewesen. Die Anwesenden hatten sich in der Tat verschworen – gegen den Papst. Es ging jedoch nicht um schwerwiegende theologische Differenzen oder um die politischen Belange des Kirchenstaates. Die »Intrige«, die der Hofstaat zu spinnen begonnen hatte, lag in einer Leidenschaft des Paps-tes begründet: Klemens XIV. liebte das Reiten, schnelles und ungestümes Reiten – und war bei einem Ausritt schwer gestürzt.

Der Heilige Vater, der vor seiner Wahl zum Nachfolger Petri dem Orden der Franziskaner-Konventualen angehört hatte, galt als ruhig, bescheiden, fromm und sittenstreng. Ludwig von Pastor spricht in seiner Papst-geschichte von »der großen Einfachheit der Lebensweise« Klemens’ XVI. Wenn sich der Papst jedoch in Castel Gandolfo befand, konnte er sich zwei – an sich harmlose – Vergnügungen nicht versagen, das Billardspiel und das Reiten. Bei seinen morgendlichen Ausritten in die Umgebung verließ den Papst sein sonst so »ruhiges Naturell« (Ludwig von Pastor). Im Reiten verschaffte sich Klemens einen willkommenen Ausgleich zu der unendlichen Geduld, die er in Kirchengeschäften und bei Audienzen an den Tag zu legen hatte und auch legte.

Das Getuschel in der Sala del Biliardo war verstummt, als der Leibarzt des Papstes den Saal betreten hatte. Er konnte den Hofstaat beruhigen. Der Pontifex, so teilte er mit, habe sich nur eine leichte Schulterverletzung zugezogen, die übrigen Blessuren seien eher oberflächlicher Art, kaum erwähnenswert.

Den Vertrauten des Papstes gelang es, den Heiligen Vater mit großer Anstrengung davon zu überzeugen, sich für die noch verbleibende Zeit des Aufenthalts einer geschlossenen Sänfte oder eines Maulesels zu bedienen. Doch jeder in der Umgebung Klemens’ XIV. wusste, dass dieses päpstliche Zugeständnis nur bis zur Genesung dauern würde.

Der ungestüme Reitstil des Papstes war schon wenige Monate nach seiner Wahl erkennbar geworden. Domenico Paoli schrieb seiner Regierung erstmals am 21. Oktober 1769, die Art des Reitens erwecke bei der Umgebung des Papstes große Furcht; weder die Kürassiere noch die Leichte Reiterei, die den Heiligen Vater bei seinen Ausritten in Cas-tel Gandolfo zu begleiten hätten, könnten mit der Schnelligkeit Klemens’ XIV. mithalten. Der Papst galoppiere seiner Eskorte oft davon. Wenn man mit der Landbevölkerung spreche, wisse man nicht, was bei dieser überwiege, die Bewunderung für den Heiligen Vater oder die Sorge um sein Wohlergehen.

Die Reitlust des Pontifex führte zu einer weiteren bemerkenswerten Fußnote in seiner Biographie. Der Ganganelli-Papst trat als »Modeschöpfer« an. Kardinal De Bernis teilte im Herbst 1769 dem Herzog von Choiseul in einem Brief mit, der Papst trage bei seinen Ausritten in Castel Gandolfo ein gänzlich weißes, mit weißen Knöpfen besetztes Gewand, dazu einen roten Hut. Ein Gemälde im Billardzimmer des Apostolischen Palastes zeigt die vom vorgeschriebenen Zeremoniell abweichende Kleidung. Das Bild wurde 2004 einem größeren Publikum vorgestellt – auf einer Briefmarke der Post des Vatikanstaates.

Der letzte Papst, der durch seine Reitkünste von sich Reden gemacht hatte, war der selige Pius IX. (1846-1878) gewesen. »Einmal ritt er bis nach Monte Cavo hinauf, von den Kardinälen Mattei und Altieri begleitet. Ein anderes Mal durchquerte er, von Nemi kommend, den ganzen Faiola-Wald, der ein Schlupfwinkel von Räubern sein sollte, und machte sich über die Besorgtheit seines Gefolges lustig«, berichtet Silvio Negro. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte man in den Weinlokalen der Albaner Berge alte Männer von den Reitkünsten Pio Nonos schwärmen hören; mit Begeisterung erzählten sie, wie der Heilige Vater unter dem Applaus der Landbevölkerung seinem Hofstaat davongaloppierte – »avanti, avanti«, habe der Pontifex seiner erlauchten Begleitung belus-tigt zugerufen.

Erst in der zweiten Hälfte seines Pontifikates hatte Pius IX. zu einem gemütlicheren Reitstil gefunden. Seinem Vorgänger waren vom Herrscher des Osmanischen Reiches sechs prächtige Araberhengste zum Geschenk gemacht worden; bis auf einen, den er für sich behielt, hatte der Papst sie Würdenträgern seines Hofs überlassen. Dieses edle Ross wurde Tag für Tag in den Vatikanischen Gärten herumgeführt. Im verschwiegenen Schatten der Bäume stieg der selige Papst Pius IX., der in der Kutsche angekommen war, in den Sattel und durchritt im Schritt die Wege, während ein Reitknecht den Zaum des nicht mehr eben feurigen Pferdes lenkte.

Von Ulrich Nersinger