· Vatikanstadt ·

Audienz für die Teilnehmer an der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben

Kreativität verantwortungsvoll ausüben

 Kreativität verantwortungsvoll ausüben  TED-010
08. März 2024

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich begrüße Erzbischof Paglia, Eure Exzellenzen, Seine Eminenz und den neuen Erz-bischof von Santiago de Chile und danke euch für euer Engagement auf dem Gebiet der Forschung im Bereich der Wissenschaften über das Leben, die Gesundheit und das Heilen; ein Engagement, das die Päpstliche Akademie für das Leben seit dreißig Jahren leistet.

Breiterer Sinnhorizont

Die Frage, mit der ihr euch in dieser Generalversammlung beschäftigt, ist von größter Bedeutung: die Frage, wie wir begreifen können, was das menschliche Wesen auszeichnet. Es handelt sich um eine uralte und immer wieder neue Frage, die sich dank der beeindruckenden Möglichkeiten der neuen Technologien in einer noch komplexeren Form stellt. Der Beitrag der Gelehrten hat uns schon immer vermittelt, dass es nicht möglich ist, a priori »für« oder »gegen« Maschinen und Technologien zu sein, weil diese Alternative, bezogen auf die menschliche Erfahrung, keinen Sinn ergibt. Und auch heute ist es nicht plausibel, nur auf die Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Prozessen zurückzugreifen und die ersteren als authentisch menschlich und die letzteren als wesensfremd oder gar dem menschlichen Wesen widersprechend zu betrachten: Das geht nicht. Vielmehr gilt es, das wissenschaftliche und technologische Wissen in einen breiteren Sinnhorizont einzuschreiben und so die technokratische Hegemonie abzuwehren (vgl. Enzyklika Laudato si’, 108).

Man denke beispielsweise an den Versuch, den Menschen mit den Mitteln und der Logik der Technik zu reproduzieren. Ein solcher Ansatz beinhaltet die Reduzierung des Menschen auf eine Summe reproduzierbarer Leis-tungen einer digitalen Programmiersprache, die den Anspruch erhebt, alle Arten von Informationen durch Zahlencodes auszudrücken. Die deutliche Parallele zum biblischen Bericht über den Turmbau zu Babel (vgl. Gen 11,1-11) zeigt, dass der Wunsch, sich eine eigene Sprache zu geben, in die Geschichte der Menschheit eingeschrieben ist; und das Eingreifen Gottes, das vorschnell als rein destruktive Strafe verstanden wird, enthält stattdessen einen zielgerichteten Segen. Tatsächlich zeigt sich darin der Versuch, das Abdriften zu einem »Einheitsdenken« durch die Vielfalt der Sprachen zu korrigieren. Der Mensch wird so mit der Begrenztheit und Verletzlichkeit konfrontiert und dazu aufgerufen, das Anderssein zu respektieren und für-einander zu sorgen.

Die wachsenden Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik führen freilich den Menschen dazu, sich als Protagonist eines schöpferischen Aktes, dem göttlichen ähnlich, zu fühlen, der das Bild und Abbild des menschlichen Lebens hervorbringt, ein-schließlich der Fähigkeit zur Sprache, mit der die »sprechenden Maschinen« ausgestattet zu sein scheinen. Könnte es also in der Macht des Menschen liegen, der unbelebten Materie Geist einzuhauchen? Die Versuchung ist verlockend. Wir sind daher aufgefordert, zu unterscheiden, wie die dem Menschen anvertraute Kreativität verantwortungsvoll ausgeübt werden kann. Es geht darum, die erhaltenen Talente so einzusetzen, dass verhindert wird, dass der Mensch entstellt wird und die konstitutiven Unterschiede, die dem Kosmos seine Ordnung verleihen, beseitigt werden (vgl. Gen 1-3).

Die Hauptaufgabe stellt sich also auf der anthropologischen Ebene und erfordert die Entwicklung einer Kultur, die durch die Integration der wissenschaftlichen und technischen Ressourcen in der Lage ist, den Menschen in seiner einzigartigen Besonderheit zu erkennen und zu fördern. Es gilt zu erforschen, ob diese Besonderheit nicht bereits vor der Sprache zu finden ist, in der Sphäre des Empfindens und der Emotionen, des Begehrens und der Intentionalität, die nur der Mensch erkennen, schätzen und in einen relationalen Sinn zugunsten der anderen umwandeln kann, und zwar mit Hilfe der Gnade des Schöpfers. Eine kulturelle Aufgabe also, weil die Kultur die spontanen Kräfte des Lebens und der sozialen Praktiken formt und ausrichtet.

Liebe Freunde, so herausfordernd das Thema ist, das ihr ansprecht, so herausfordernd sind auch die beiden Wege, auf denen ihr es angehen wollt. Erstens, weil ich bei euch das Bemühen sehe, einen effektiven Dialog zustande zu bringen, einen transdisziplinären Austausch, die Veritatis gaudium als jene Form beschreibt, »bei der alles Wissen in den Raum des ›Lichts und Lebens‹, den die von der Offenbarung herkommende Weisheit bietet, gestellt wird und von diesem durchdrungen wird« (Nr. 4c).

Kulturelles Laboratorium

Ich schätze es, dass eure Überlegungen in der Logik eines echten »kulturellen Laboratoriums« stattfinden, »in dem die Kirche jene performative Interpretation der Wirklichkeit ausübt, die dem Christus-ereignis entspringt und sich aus den Gaben der Weisheit und der Wissenschaft speist, durch die der Heilige Geist [...] das ganze Volk Gottes bereichert« (ebd., 3). Aus diesem Grund ermutige ich zu dieser Form des Dialogs, und in diesem Dialog kann jeder seine eigenen Überlegungen darlegen und mit den anderen in einen gegenseitigen Austausch treten. Dies ist der Weg, um über die bloße Aneinanderreihung von Fachwissen hinauszugehen und durch gegenseitiges Zuhören und kritische Reflexion eine Überarbeitung des Wissens in Gang zu setzen.

Zweitens sieht man in der Dynamik eurer Tagung eine synodale Vorgehensweise, die richtigerweise auf die Themen zugeschnitten ist, die im Mittelpunkt des Auftrags der Akademie stehen. Es ist ein anspruchsvoller Forschungsstil, denn er erfordert Aufmerksamkeit und Geistesfreiheit, Offenheit, sich auf noch unerforschte und unbekannte Wege zu begeben und sich von jeder Art von steriler »Rückwärtsgewandtheit« zu befreien. Für diejenigen, die sich einer ernsthaften und evangeliumsgemäßen Erneuerung des Denkens verschrieben haben, ist es unabdingbar, auch bestehende Meinungen und Annahmen zu hinterfragen, die nicht kritisch geprüft wurden.

In diesem Sinne hat das Christentum immer wichtige Beiträge geleistet, indem es aus jeder Kultur, in die es sich eingebracht hat, Sinntraditionen aufgenommen hat, die es dort vorfand: Es hat sie im Lichte der Beziehung zum Herrn, der sich im Evangelium offenbart, neu interpretiert und sich der sprachlichen und begrifflichen Mittel bedient, die in den jeweiligen Kontexten vorhanden waren. Dies ist ein langer Weg der Erarbeitung, der immer wieder von neuem begonnen werden muss und ein Denken erfordert, das mehrere Generationen umfassen kann: wie das eines Menschen, der Bäume pflanzt, deren Früchte seine Kinder essen werden, oder eines Menschen, der Kathedralen baut, die von seinen Enkeln vollendet werden.

Es ist diese offene und verantwortungsvolle Haltung, dem Geist gefügig, der wie der Wind ist: man weiss nicht, »woher er kommt und wohin er geht« (Joh 3,8), die ich vom Herrn für euch alle erbitten möchte, indem ich euch eine fruchtbare und ertragreiche Arbeit wünsche. Von Herzen segne ich euch. Und ich bitte euch, auch für mich zu beten. Danke.

(Orig. ital. in O.R. 12.2.2024)