Abdelaziz Zeriouh war 17, als er die Grenze zwischen Nador in Marokko und der spanischen Stadt Melilla illegal überquerte. Auf seiner Suche nach einer besseren Zukunft wurde er aber bald gestoppt. Da er ein unbegleiteter Minderjähriger war, kam er unter staatliche Vormundschaft. Als er 18 Jahre alt wurde, erhielt er eine Aufenthaltsgenehmigung für Spanien, jedoch ohne Arbeitserlaubnis. Da er nicht die Mittel hatte, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, geschweige denn zu studieren, zog er in verschiedenen Städten der Halbinsel umher. Dort fand er Arbeit, aber nur auf dem Schwarzmarkt. Ohne Arbeitsgenehmigung war er Ausbeutung und prekären Arbeitsbedingungen ausgeliefert.
Eine Lage, die keinesfalls ein Ausnahmefall ist. Im Gegenteil: Sobald jemand ohne vorige Erlaubnis spanisches Hoheitsgebiet betritt oder eine Grenze jenseits eines Kontrollpunkts überschreitet, gilt der- oder diejenige als irregulärer Einwanderer. Gemäß dem Gesetz wird er als solcher des Landes verwiesen, außer die Situation kann legal bereinigt werden, allerdings kann dieses Verfahren zwei bis drei Jahre dauern.
Fehlende Sozialrechte
In der Zwischenzeit haben die Migranten keine sozialen Rechte und die große Mehrheit von ihnen arbeitet illegal. Darüber hinaus gerät ein hoher Prozentsatz der Männer und Frauen in die Fänge der Mafia und ihres Menschenhandels. Sie verdingen die Leute als Haushaltshilfen, zwingen sie zum Betteln auf den Straßen oder zur Prostitution. Abdelaziz musste während der Erntezeit als Obstpflücker hart arbeiten.
Eine Gesetzesänderung vereinfacht die Lage jedoch für Migranten, die seit mehr als zwei Jahren in Spanien sind und eine Lehre machen wollen, so dass sie anschließend einen Arbeitsvertrag bekommen können. Die neue Regelung heißt »Arraigo per formación« – Verwurzelung durch Ausbildung – und hat in den vergangenen zwei Jahren die Vergabe von mehr als 15.000 Aufenthaltsgenehmigungen ermöglicht, wie aus Daten des Ständigen Beobachtungszentrums für Einwanderung in Spanien hervorgeht.
»Wenn sich die Leute verpflichten, eine Ausbildung in einem bestimmten Bereich zu machen, ermöglicht ihnen dies zunächst eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Wer dann in einem zweiten Schritt eine Fortbildung mit einem Diplom abschließt, kann darüber hinaus auch eine Arbeitserlaubnis erhalten, die es ermöglicht, Arbeit in dem spezifischen Bereich zu finden«, erklärt Araceli Navarro, Sozialarbeiterin bei der Stiftung ProLibertas. Die Organisation wird vom Trinitarierorden getragen und betreibt in Algeciras eine Hotelfachschule. Abdelaziz absolvierte dort eine umfassende Ausbildung. Heute, mit 22 Jahren, ist er Kellner mit Festanstellung im »La Esquina«, einem bekannten Fisch- und Meeresfrüchterestaurant der Stadt.
»Ich habe es geschafft, hier ein Praktikum zu machen, und es lief sehr gut, mit dem besten Chef, den ich je hatte, mit den besten Kollegen, im besten Unternehmen, in dem ich je gearbeitet habe«, sagt dankbar Abdelaziz, der nicht der einzige Migrant ist, der im Restaurant arbeitet. Alle haben einen Vertrag und die nötigen Genehmigungen. »Wichtig ist, dass sie arbeiten. Ich versuche, allen zu helfen. Es sind schon acht oder neun Leute hier gewesen, für mich zählt, dass sie sich in der Arbeit engagieren. Das ist alles, was ich verlange«, sagt Juan Moreno, der Besitzer des Restaurants.
Aber es gibt nicht nur gute Nachrichten für diejenigen, die Migranten unterstützen. In diesem Jahr soll in Algeciras ein neues Internierungszentrum für Ausländer (CIE) eröffnet werden, eine riesige Einrichtung, in der die Migranten aus der Region eingesperrt werden sollen, gegen die ein Abschiebeverfahren läuft.
In Spanien gibt es sieben solcher Zentren, in denen Menschen die Freiheit entzogen wird, auch wenn sie kein Verbrechen, sondern nur Ordnungswidrigkeiten begangen haben, weil sie entweder keine Ausweispapiere mit sich führen oder über illegale Wege ins Land gekommen sind. Mehrere Nichtregierungsorganisationen und kirchliche Vereinigungen haben sich gegen diese Einrichtungen ausgesprochen, die unter einem von der Polizei verwalteten Gefängnisregime stehen und in denen Migranten maximal 60 Tage bleiben können. Nach Ablauf der Frist werden sie in der Regel entweder in ihre Heimat abgeschoben oder landen auf der Straße, da die Abschiebungen nicht immer vollzogen werden.
Das neue CIE in Algeciras wird mit EU-Mitteln gebaut, nach offiziellen Angaben mehr als 26 Millionen Euro. Es wurde als vorbildliches Haftzentrum für Migranten präsentiert, da es über Erholungsbereiche sowie eine ständige medizinische und soziale Betreuung verfügen soll. Doch nichts kann solch eine unangemessene und völlig unnötige Einrichtung menschlich machen, wie Rechtsanwalt Jesús Mancilla, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Stiftung »Algeciras Acoge« (Willkommen in Algeciras), sagt.
»In der Praxis funktionieren die CIE wie ein Gefängnis, in dem die Leute eine feste Zeit in der Zelle zubringen, Zeiten für Freigang im Hof haben, Essenszeiten und dann Rückkehr in die Zelle. Dabei dürfen CIE eigentlich ihrer Definition nach keinen gefängnisähnlichen Charakter haben. Die Leute müssen wissen, dass die CIE Gefängnisse für Migranten sind!«, meint Mancilla. Daher setzt sich seine Organisation gemeinsam mit weiteren dafür ein, dass die Inbetriebnahme des Gebäudes, das zudem in der Nähe des Gefängnisses von Botafuegos liegt, nicht genehmigt wird.
Assoziation Gefängnis
»Ein Gebäude, das sich neben einem Gefängnis befindet, ist negativ abgestempelt. Dieser Symbolismus macht daraus ein echtes Gefängnis. Für die öffentliche Meinung ist es schwierig, das CIE dann nicht mit einem Gefängnis zu assoziieren, in dem Leute sind, die etwas Schlimmes getan haben, während es in Wirklichkeit um Menschen geht, die einfach nur ausgewandert sind auf der Suche nach einem besseren Leben«, stellt der Anwalt fest.
Derzeit gibt es bereits ein weiteres CIE in Algeciras, und zwar in der früheren Haftanstalt La Piñera, einem Gefängnis, das aufgrund des prekären Bauzustands geschlossen worden war. Obwohl dort Platz für 60 Leute wäre, waren laut Mancilla nie mehr als 30 Migranten gleichzeitig untergebracht. Daher ist man sehr besorgt über die Eröffnung eines neuen Zentrums, das bis zu 500 Menschen aufnehmen kann. Laut Mancilla könnten sich die Behörden gezwungen sehen, es auch zu füllen, um die Investitionen in Millionenhöhe zu rechtfertigen, was wiederum eine Welle an Fremdenfeindlichkeit auslösen könnte.
Die Sorgen teilt auch der Seelsorger des CIE von Algeciras, Pater Livio Pegoraro, Koordinator der Migrantenseelsorge für die Regionen Campo de Gibraltar und Ceuta. Der Scalabrini-Missionar bietet wöchentlich im baufälligen Innenhof des früheren Gefängnisses für die internierten Migranten eine Gesprächszeit an. Das ganze religionsunabhängig; die Mehrheit ist muslimischen Glaubens.
»Diese Menschen sind oft traumatisiert, weil sie in einer Art Gefängnis leben, getrennt von ihren Familien, ohne Arbeit und ein Zukunftsprojekt. Aus bürokratischen Gründen werden sie in ihr Land zurückgeschickt. Unter ihnen sind Menschen, die seit mehr als 30 Jahren in Spanien leben. Was bedeutet es also für sie, in ihre Heimat zurückzukehren?«, fragt Pegoraro.
Der Seelsorger hält es daher auch für falsch, die CIE als ein Mittel zur Regulierung des Migrantenstroms anzusehen. Migranten würden so »kriminalisiert, einfach nur, weil sie Migranten sind, obwohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vorsieht, dass sich jeder frei bewegen kann«, erinnert er.
Der Ordensmann bleibt jedoch optimistisch und hofft weiter auf bessere Lösungen. Er sieht die große moralische, geistliche und menschliche Ausdauer der Migranten, die sie durchhalten lässt. »Weder Dekrete noch Diskussionen oder Vorurteile werden die Lage ändern. Das Leben ist stärker, als alles andere«, sagt Pater Livio, der kurz zuvor mit großer Professionalität vom Kellner Abdelaziz Zeriouh in dem Restaurant in Algeciras bedient wurde.
* Vatican-News-Korrespondent in
Algeciras, Spanien (#voicesofmigrants)
Von Felipe Herrera-Espaliat*