Während das Volk auf das Heil vom Herrn wartete, kündigten die Propheten sein Kommen an, wie der Prophet Maleachi sagt: »Dann kommt plötzlich zu seinem Tempel der Herr, den ihr sucht, und der Bote des Bundes, den ihr herbeiwünscht. Seht, er kommt!« (3,1). Simeon und Hanna sind Abbild und Gestalt dieser Erwartung. Sie sehen, wie der Herr in seinen Tempel eintritt, und erkennen ihn, erleuchtet vom Heiligen Geist, in dem Kind, das Maria auf dem Arm trägt. Sie hatten ihr ganzes Leben lang auf ihn gewartet: Simeon »war gerecht und fromm und wartete auf den Trost Israels« (Lk 2,25);
Hanna »hielt sich ständig im Tempel auf«
(Lk 2,37).
Es tut uns gut, auf diese beiden älteren Menschen zu blicken, die geduldig warten, wachsam im Geist und beharrlich im Gebet. Ihr Herz ist wach geblieben, wie eine stets brennende Fackel. Sie sind im fortgeschrittenen Alter, besitzen aber ein junges Herz; sie werden von den Tagen nicht aufgezehrt, denn ihre Augen bleiben erwartungsvoll auf Gott gerichtet (vgl. Ps 145,15). Erwartungsvoll auf Gott gerichtet, immer in Erwartung. Auf ihrem Lebensweg haben sie Schwierigkeiten und Enttäuschungen erlebt, aber sie haben nicht der Niedergeschlagenheit nachgegeben: Sie haben die Hoffnung nicht »in den Ruhestand geschickt«. Und so erkennen sie bei der Betrachtung des Kindes, dass die Zeit erfüllt ist, dass sich die Prophetie bewahrheitet hat, dass derjenige gekommen ist, den sie gesucht und ersehnt haben, der Messias der Völker. Indem sie die Erwartung des Herrn wach halten, werden sie fähig, ihn in der Neuheit seines Kommens aufzunehmen.
Brüder und Schwestern, die Erwartung Gottes ist auch für uns wichtig, für unseren Glaubensweg. Jeden Tag sucht uns der Herr auf, spricht zu uns, offenbart sich auf unerwartete Weise und am Ende des Lebens und der Zeit wird er kommen. Deshalb ermahnt er selbst uns, wach zu bleiben, wachsam zu sein und in der Erwartung beharrlich zu sein. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, in den »Schlaf des Geistes« abzugleiten: das Herz einzuschläfern, die Seele zu betäuben, die Hoffnung in die dunklen Ecken der Enttäuschung und der Resignation wegzuräumen.
Ich denke an euch, gottgeweihte Schwes-tern und Brüder, und an das Geschenk, das ihr seid; ich denke an jeden einzelnen von uns Christen heute: Sind wir noch fähig, in Erwartung zu leben? Sind wir nicht manchmal zu sehr von uns selbst eingenommen, von den Dingen und dem intensiven Ablauf eines jeden Tages, so dass wir Gott vergessen, der immer kommt? Sind wir nicht zu sehr von unseren Werken für das Gute vereinnahmt und laufen Gefahr, selbst das Ordensleben und das christliche Leben in »die vielen Dinge, die zu tun sind«, zu verwandeln und dabei die tägliche Suche nach dem Herrn hintanzustellen? Laufen wir nicht manchmal Gefahr, unser persönliches Leben und das gemeinschaftliche Leben zu gestalten, indem wir uns unsere Erfolgschancen ausrechnen, statt den kleinen Samen, der uns anvertraut worden ist, mit Freude und Demut zu kultivieren, mit der Geduld derer, die säen, ohne etwas zu verlangen, und die es verstehen, auf Gottes Zeiten und Überraschungen zu warten? Wir müssen zugeben, dass wir manchmal diese Fähigkeit des Wartens verloren haben. Dies ist auf verschiedene Hindernisse zurückzuführen, von denen ich zwei hervorheben möchte.
Das erste Hindernis, das uns die Fähigkeit des Wartens verlieren lässt, ist die Vernachlässigung des inneren Lebens. Das passiert, wenn die Müdigkeit über das Staunen siegt, wenn die Gewohnheit an die Stelle des Enthusiasmus tritt, wenn wir die Beharrlichkeit auf dem geistlichen Weg verlieren, wenn negative Erfahrungen, Konflikte oder ausbleibende Ergebnisse uns zu bitteren und verbitterten Menschen machen. Es tut nicht gut, sich von der Bitterkeit erfassen zu lassen, denn in einer Ordensfamilie – so wie in jeder Gemeinschaft und Familie – belasten Menschen, die verbittert sind und ein »finsteres Gesicht« machen, die Atmosphäre; diese Personen, die den Eindruck erwecken, als würden sie Essig im Herzen haben. Es ist also nötig, die verlorene Gnade wiederzuerlangen: zurückzugehen und durch ein intensives inneres Leben zum Geist freudiger Demut und stiller Dankbarkeit zurückzukehren. Und dies wird durch die Anbetung genährt, durch den Einsatz der Knie und des Herzens, durch das konkrete Gebet, das ringt und Fürsprache einlegt und in der Lage ist, die Sehnsucht nach Gott, die Liebe von einst, das Staunen des ersten Tages, die Freude an der Erwartung neu zu wecken.
Das zweite Hindernis ist die Anpassung an den Stil der Welt, der schließlich an die Stelle des Evangeliums tritt. Und unsere Welt verändert sich oft rasant, sie verherrlicht das Motto »Alles und Sofort«, sie reibt sich im Aktivismus auf und versucht, die Ängste und Bedrängnisse des Lebens durch die heidnischen Konsumtempel oder durch die Vergnügung um jeden Preis zu vertreiben. In einem solchen Kontext, in dem die Stille verbannt und verlorengegangen ist, ist die Erwartung nicht einfach, denn sie erfordert eine Haltung gesunder Passivität, den Mut, das Tempo zu reduzieren, uns nicht von Aktivitäten überwältigen zu lassen, um in uns selbst Raum für Gottes Handeln zu schaffen, so wie es die christliche Mystik lehrt. Passen wir also auf, dass der Geist der Welt nicht in unsere Ordensgemeinschaften, in das Leben der Kirche und in den Glaubensweg eines jeden von uns eindringt, sonst werden wir keine Früchte hervorbringen. Das christliche Leben und die Sendung zum Apostolat brauchen eine im Gebet und in der täglichen Treue gereifte Erwartung, die uns vom Mythos der Effizienz, von der Leistungsbesessenheit und vor allem von der Anmaßung befreit, Gott in unsere Kategorien einzuschließen, denn er kommt immer unvorhersehbar, er kommt immer zu Zeiten, die nicht die unseren sind, und in Weisen, die nicht die sind, die wir erwarten.
Wie die französische Mystikerin und Philosophin Simone Weil sagt, sind wir die Braut, die in der Nacht auf die Ankunft des Bräutigams wartet, und »die Aufgabe der zukünftigen Braut ist die Erwartung […]. Gott zu begehren und auf alles andere zu verzichten: Darin allein besteht das Heil« (S. Weil , Attesa di Dio, Milano 1991, 152). Schwestern und Brüder, pflegen wir im Gebet die Erwartung des Herrn und erlernen wir die gute »Passivität des Geistes«: Auf diese Weise werden wir in der Lage sein, uns für die Neuheit Gottes zu öffnen.
Nehmen wir wie Simeon das Kind in die Arme, welches der Gott der Neuheit und der Überraschungen ist. Indem wir den Herrn aufnehmen, öffnet sich die Vergangenheit für die Zukunft, öffnet sich das Alte in uns für das Neue, das er erweckt. Dies ist nicht leicht – das wissen wir – denn im Ordensleben wie auch im Leben eines jeden Christen ist es schwierig, sich der »Macht des Alten« zu widersetzen: »Es fällt dem alten Menschen in uns nämlich nicht leicht, das Kind, das Neue, anzunehmen – das Neue anzunehmen, in unserem Alter das Neue anzunehmen – […]. Die Neuheit Gottes erscheint als Kind und wir stehen mit all unseren Gewohnheiten, Ängsten, unserem Neid – denken wir an den Neid! – und den Sorgen diesem Kind gegenüber. Werden wir es umarmen, es willkommen heißen, ihm Raum geben? Wird diese Neuheit wirklich in unser Leben eintreten, oder werden wir vielmehr versuchen, Altes und Neues zusammenzubringen und uns bemühen, uns so wenig wie möglich von der Anwesenheit der Neuheit Gottes stören zu lassen?« (C.M. Martini , Qualcosa di così personale. Meditazioni sulla preghiera, Milano 2009, 32-33).
Brüder und Schwestern, diese Fragen richten sich an uns, an einen jeden von uns, sie richten sich an unsere Gemeinschaften, sie richten sich an die Kirche. Lassen wir uns in Unruhe versetzen, lassen wir uns vom Geist bewegen, so wie Simeon und Hanna. Wenn wir die Erwartung wie sie leben, indem wir das innere Leben pflegen und in Einklang mit dem Stil des Evangeliums leben, wenn wir wie sie so die Erwartung leben, dann werden wir Jesus umarmen, der das Licht und die Hoffnung des Lebens ist.