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Zur Rolle christlicher Frauen in der Antike – Analyse von Sarkophagen aus dem 4. Jahrhundert

Zeugnisse biblischer Gelehrsamkeit und der Lehrautorität

 Zeugnisse  biblischer Gelehrsamkeit und der Lehrautorität  TED-005
02. Februar 2024

Da der größte Teil der Geschichte auf literarischen Aufzeichnungen beruht, die von Männern verfasst wurden, kann es schwierig sein, zuverlässige historische Daten über frühchristliche Frauen zu finden. Das Christentum stützt sich stark auf das geschriebene Wort als vorrangiges Mittel zum Verständnis seiner Geschichte. Wie Dr. Janet Tulloch in einem 2004 veröffentlichten Artikel feststellt, wurden visuelle Informationen, die aus Kunstwerken wie Fresken, Gemälden und Sarkophagfriesen gewonnen wurden, bis vor kurzem fast ausschließlich Kunsthistorikern und Archäologen überlassen. Obwohl viele Mäzeninnen die Männer in der frühen Kirche finanziell unterstützten (Maria von Magdala, Phoebe, Lydia, Paula, Olympias), ist ihre Präsenz in den literarischen Quellen kaum zu finden. Seit einiger Zeit haben die Wissenschaftler erkannt, dass die Archäologie eine wichtige Quelle für Informationen über frühchristliche Frauen ist.

Bedeutungsvolle Denkmäler

In den ersten vier Jahrhunderten der christlichen Geschichte (und auch heute noch) rechtfertigten Kirchenmänner die Einschränkung der weiblichen Autorität mit der Ermahnung des Ersten Timotheusbriefes, dass Frauen in der Versammlung schweigen und nicht lehren oder Autorität über Männer haben sollen (2,12). Doch die christliche Grabkunst vom späten 3. bis zum frühen 5. Jahrhundert zeigt lehrende oder predigende Frauen. Auf dieses faszinierende Thema kann hier nur kurz eingegangen werden.

Sowohl für die christlichen als auch für die heidnischen Römer war ein Sarkophag nicht nur ein Behältnis für einen Leichnam, sondern ein bedeutungsvolles Denkmal. Die römische Grabkunst sollte die Identität des Verstorbenen darstellen und an seine Werte und Tugenden erinnern. Nur die Wohlhabenden konnten sich ein solch teures Grabmal leisten, und die Planung, wie man in Erinnerung bleiben wollte, war ein wichtiger Prozess. Die Darstellung mit einer Schriftrolle, einer »capsa« (Korb für Schriftrollen) oder einem »codex« (Buch) war ein unmittelbarer Hinweis auf die Gelehrsamkeit, den Status und den Reichtum des Verstorbenen.

Christliche Frauen und Männer wurden in Erinnerung behalten und idealisiert als Menschen mit Status, Autorität, Gelehrsamkeit und Frömmigkeit. Wenn das Grabporträt der verstorbenen Person mit einer Schrift-rolle oder einer »capsa« in unmittelbarer Nähe zu biblischen Szenen abgebildet war, signalisierte dies auch Gelehrsamkeit in Bezug auf die hebräischen und christlichen Schriften.

Über einen Zeitraum von drei Jahren habe ich 2.119 Bilder und Beschreibungen von Sarkophagen und Fragmenten aus dem 3. bis frühen 5. Jahrhundert analysiert, die alle öffentlich zugänglichen Bilder christlicher Sarkophage umfassen. Eine eingehende Analyse ausgewählter ikonographischer Motive ergab, dass vieler frühchristlicher Frauen als Personen mit Status, Einfluss und Autorität innerhalb ihrer Gemeinschaften gedacht wurde. Ein sehr wichtiges Ergebnis ist, dass es dreimal so viele Einzelporträts von christlichen Frauen wie von christlichen Männern gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei diesem Ergebnis um einen Zufall handelt, liegt bei weniger als eins zu 1000.

Viele Sarkophagreliefs zeigen verstorbene Frauen, die von biblischen Szenen umgeben sind, ihre Hände in einer Sprechgeste halten und Schriftrollen oder Kodizes in der Hand haben. Sie sind ein eindrückliches Zeugnis dafür, dass die Frauen des 4. Jahrhunderts die Ermahnungen zum Schweigen nicht beachteten. Ihre Häufigkeit deutet auf die Entstehung einer neuen weiblichen Identität hin, die sich durch biblische Gelehrsamkeit und Lehrautorität auszeichnet. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass weibliche Porträts statistisch gesehen doppelt so häufig von »Apostelfiguren« (oft Petrus und Paulus) flankiert werden, wahrscheinlich um ihre religiöse Autorität zu bestätigen.

Die frühchristliche Sarkophag-Ikonographie legt nahe, dass Christinnen gelehrt, fromm und wohlhabend waren. Nach der Anzahl der Sarkophage mit nur weiblichen Figuren zu urteilen, waren sie auch alleinstehende Frauen oder Witwen, was an die frühen Gemeinschaften von Witwen und Jungfrauen erinnert, die im ersten Artikel dieser Reihe (O.R. dt. Nr. 4, 26.1.2024, S. 6) besprochen wurden. Da viele von ihnen mit Schriftrollen und Sprechgesten inmitten biblischer Szenen dargestellt sind, können wir davon ausgehen, dass sie sich in der Heiligen Schrift gut auskannten und dargestellt werden wollten als Frauen mit dem Glauben an Gottes rettende Kraft und als Lehrerinnen, die das Leben Jesu und seine Heilungswunder erläuterten. Ihre Gemeinschaften idealisierten sie als gelehrte Persönlichkeiten mit der Autorität, die Heilige Schrift zumindest zu verkünden und zu lehren.

Frühe Vorbilder

Es ist plausibel, dass spätere römische »Kirchenmütter« wie Marcella, Paula, Melania die Ältere und Proba diese frühen weiblichen Vorbilder bewunderten und von ihnen dazu inspiriert wurden, die Heilige Schrift zu lieben und sie zu studieren. Die literarischen Quellen über »Kirchenmütter« stimmen mit den archäologischen Funden überein und bestätigen, was heutige Wissenschaftler – einschließlich Papst Benedikt XVI. – schon früher vermutet hatten: Frauen hatten im frühen Christentum wesentlich mehr Einfluss als allgemein anerkannt. Während in den schriftlichen Überlieferungen die Männer überwiegen, weisen die archäologischen Grabporträts auf ein Übergewicht christlicher Frauen hin, an die man sich erinnert, weil sie in ihren Gemeinschaften eine bedeutende kirchliche Autorität ausübten. Wie wir sehen werden, bildeten sich aus den Frauen, die sich um unsere »Kirchenmütter« scharten, einige der frühesten Gemeinschaften weiblichen Ordenslebens.

Eine ausführlichere Behandlung der dreijährigen Studie von Christine Schenk über Sarkophage und Fragmente aus dem 3. bis frühen 5. Jahrhundert ist: »Crispina and Her Sisters: Women and Authority in Early Christianity« (Fortress Press, 2017). Im dritten Artikel der Reihe werden prominente christliche Frauen aus dem 4. Jahrhundert porträtiert, die Klöster gründeten und damit den Grundstein für das heutige Leben von Ordensfrauen legten.

#sistersproject

Von Sr. Christine Schenk CSJ