Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag und willkommen!
Die Zusammenarbeit des Toniolo-Instituts mit den Dikasterien der Römischen Kurie und mit den Päpstlichen Vertretungen, die sich im Umfeld der Vereinten Nationen engagieren, geht bereits ins zehnte Jahr und sie ist sehr kostbar. Danke also für euren Dienst und euer Engagement, und ein Dank an all jene, die ihn fördern und unterstützen. Ich weiß, dass sich seit Kurzem auch die Stiftung »Arvedi« an diesem grundlegend wichtigen Projekt beteiligt und es so möglich macht, die Zahl der Stipendiaten zu erhöhen. Danke!
Es ist schön, dass ihr alle durch die Arbeit mit den internationalen Institutionen eine Erfahrung im Kontakt mit dem Petrusamt machen und so auch Erfahrungen des gelebten Glaubens sammeln könnt, des christlichen Lebens, das sich den aktuellen Herausforderungen der Welt stellt. Eure Anwesenheit tut aber auch unseren Institutionen sehr gut, in die ihr einen frischen Wind bringt sowie die Fähigkeit zu träumen und den Wunsch, den Blick in die Ferne zu richten.
In der heutigen Zeit scheint sich dagegen das zu verbreiten, was einige als »kurzes Denken« bezeichnen: ein Gedanke, der aus wenigen Buchstaben besteht und schnell verfliegt; ein Gedanke, der nicht nach oben und nach vorne schaut, sondern nur das Hier und Jetzt sieht und Resultat momentaner Bedürfnisse ist; ein Gedanke, der nicht auf die Geschichte blickt, der kein historisches Erbe in sich trägt; ein Gedanke, der sich instinktiv bewegt und sich am Augenblick misst; der, aus Emotionen bestehend und in wenige Worte gepresst, an die Stelle des bereits »schwachen« Denkens der Postmoderne zu treten scheint. Und genau das ist das Drama der Postmoderne: das schwache Denken. Angesichts der Komplexität des Lebens und der Welt führt dieses »kurze« Denken dazu, zu verallgemeinern und zu kritisieren, die Realität zu vereinfachen und zu manipulieren, während man die eigenen unmittelbaren Interessen verfolgt und nicht das Wohl der anderen und die Zukunft aller im Blick hat. Ich bin besorgt, wenn ich von jungen Menschen höre, die sich hinter einem Bildschirm verbarrikadieren, deren Augen künstliches Licht reflektieren, anstatt ihre Kreativität erstrahlen zu lassen. Ja, denn jung zu sein bedeutet nicht, zu meinen, die Welt in den Händen zu halten, sondern sich die Hände für die Welt schmutzig zu machen. Es bedeutet, ein Leben vor sich zu haben, das man einsetzen und nicht für sich bewahren oder archivieren soll.
Ich sehe euch und glaube, dass eure Leidenschaft und euer Einsatz ein Gegenmittel gegen das kurze Denken sind, denn ihr gebt der Versuchung nicht nach, euch an das Vergängliche anzupassen, sondern ihr habt vor, den Blick nach oben zu kultivieren, der Sterne sucht, nicht den Staub. Das ist der wahre Blick der jungen Menschen. Aber viele von ihnen scheinen, gestattet mir den Ausdruck, »ausgepresst« zu sein: Da von ihnen immer höhere Leistungen gefordert werden, besteht für sie die Gefahr, dass der Lebenssaft austrocknet, jenes unruhige Träumen, das aus ihren Herzen hervorbrechen will. Unruhiges Träumen. Ich frage euch, aber antwortet nicht laut: Träumt ihr? Gibt es in eurem Denken, in eurem Herzen eine Unruhe? Seid ihr unruhig oder seid ihr junge Menschen, die bereits in Rente sind? Vergesst das nicht: unruhiges Träumen.
Es ist traurig zu sehen, wie junge Menschen antriebslos und betäubt auf dem Sofa liegen, anstatt sich in den Schulen und auf den Straßen zu engagieren, über ihre Bildschirme gebeugt statt über ein Buch oder einen Bruder in Not. Das ist traurig. Junge Menschen, die nach außen professionell und innerlich ausgebrannt sind, die von der Pflicht ausgepresst werden, flüchten sich in die Suche nach Vergnügen. Wir alle brauchen die Kreativität und den Schwung, den nur ihr jungen Menschen uns geben könnt – in euren Händen liegen Kreativität und Schwung –, euren Durst nach Wahrheit, euren Schrei nach Frieden, euer Gespür für die Zukunft, euer hoffnungsvolles Lächeln. Wir brauchen das! Ich möchte euch sagen: Tragt dies dorthin, wo ihr tätig seid, und engagiert euch ohne Angst. Denn junge Menschen sind die Hebel, die die Systeme erneuern, und nicht die Rädchen, die sie am Leben erhalten müssen.
Haltet also das Gute, das ihr seid, nicht zurück. Habt keine Angst, etwas zu riskieren. Bitte, riskiert etwas! Wenn ihr es nicht tut, wer wird es dann tun? Denn indem ihr euch zu einer Gabe macht, entdeckt ihr, dass ihr eine Gabe seid, einzigartig und kostbar. Im Westen leben wir umgeben von Gaben und Geschenken, von so vielen oft nutzlosen Dingen; wir versinken in den vom Menschen hergestellten Produkten, die uns das Staunen über die uns umgebende Schönheit verlieren lassen. Denkt einmal darüber nach: Habe ich die Fähigkeit zu staunen verloren? Das Staunen… Wenn ein junger Mensch die Fähigkeit zu staunen verliert, ist er bereits in Rente! Die Schöpfung lädt uns vielmehr dazu ein, selbst Schöpfer von Harmonie und Schönheit zu sein, uns aus der Abhängigkeit vom Virtuellen zu lösen – von der hypnotisierenden Welt der sozialen Netzwerke, die die Seele betäubt –, um anderen etwas Neues und Schönes zu schenken. Eine Suche, die euch fasziniert, ein Gebet, das von Herzen kommt, eine Umfrage, die euch erschüttert, eine Erfahrung, die ihr anderen schenkt, ein Traum, der verwirklicht werden soll, eine Geste der Liebe für diejenigen, die dies nicht erwidern können… Das bedeutet, schöpferisch zu sein, das bedeutet, sich den Stil anzueignen, mit dem Gott die Welt geschaffen hat, den Stil der Unentgeltlichkeit, der dich aus der Logik des »Ich tue das, um etwas zu bekommen« und des »Ich arbeite, um zu verdienen« herausführt. Schöpferisch sein, damit Neues aufbrechen kann in einer Welt, die sich mit dem Profit zufriedengibt. Auf diese Weise werdet ihr revolutionär sein.
Das Leben will gegeben und nicht verwaltet werden. Dabei kann euch das Zeugnis des seligen Giuseppe Toniolo helfen, der die Schönheit des Lebens aus dem Glauben schöpfte und sich furchtlos den Problemen seiner Zeit stellte, um der Wirtschaft ein menschliches Gesicht zu geben. Es ist schön, dass auch ihr euch von der Wirklichkeit herausfordern lasst, um den Glauben neu zu entdecken und zu überdenken und daraus neue Reichtümer für eine bessere Zukunft zu schöpfen.
Ich möchte diese Ideen in Bezug auf ein wichtiges Thema konkretisieren: den Frieden. Blickt man auf die heutige Zeit, scheint das Streben nach dem Guten, nach Eintracht, nach einem friedlichen Zusammenleben der Völker, für das die Diplomatie seit jeher ein Mittel war, in weite Ferne gerückt zu sein. Doch scheint ein großer Teil der Diplomatie vergessen zu haben, dass es ihr Wesen und ihre Berufung ist, ein Mittel zur Überbrückung der immer tiefer werdenden Kluft in den Beziehungen zwischen den Nationen zu sein. Wir sehen, wie sie den Tatsachen hinterherjagt, ohne jene Präventivkraft, jenes Träumen, Miteinander-Sprechen, Riskieren für den Frieden, das dem Einsatz von Waffen entgegenwirkt. Und so sind Kriege das Ergebnis langwieriger Machtverhältnisse, ohne einen genau bestimmbaren Anfang und ohne ein bestimmtes Ende. Aber wo sind die kühnen Unternehmungen, die mutigen Visionen? Wo sind sie? Diese Politik – sagen wir es einmal so – der Zerstörung, die Politik des Krieges… Stellen wir die Frage: Wo sind die kühnen Unternehmungen, die mutigen Visionen? Und woher können sie kommen, wenn nicht von jungen und furchtlosen Herzen, die das Gute in sich aufnehmen und das Evangelium so festhalten, wie es ist, um ein neues Kapitel der Brüderlichkeit und der Hoffnung zu schreiben? Das ist euer Beruf, eure Berufung.
Wie viele andere Bereiche, zum Beispiel die Wirtschaft, der Kampf gegen den Hunger, gegen Waffenproduktion und Waffenhandel – das ist schlimm! –, das Klimaproblem, die Kommunikation, die Arbeitswelt und viele mehr, brauchen Erneuerung und Kreativität! Ich vertraue euch diese Träume an als Mann in vorgerücktem Alter, der sich freut, eure jungen Gesichter zu sehen. Und ich denke daran, wie viel mehr sich Jesus freut, euch zu sehen, der immer ein junges Herz hat und der junge Menschen gerufen hat, ihm nachzufolgen. In Ihm danke ich euch erneut für euren Dienst und segne euch. Und ich bitte euch, für mich zu beten, für mich und nicht gegen mich! Danke.
(Orig. ital. in O.R. 12.1.2024)