· Vatikanstadt ·

Das Kolosseum zwischen antiken Spektakeln und christlicher Gedenkstätte (Teil 1)

Gladiatoren in der Arena

 Gladiatoren in der Arena  TED-004
26. Januar 2024

Der 2017 als Institution des italienischen Kulturministeriums mit weitgehender Autonomie gegründete Parco Archeologico del Colosseo mit der Aufgabe von Verwaltung, Schutz und Aufwertung der archäologischen Areale Kolosseum, Forum Romanum, Palatin, Kaiserforen und Neros Domus Aurea hat sich seitdem um diverse durchgreifende Restaurierungen und Wiederöffnungen von dem Publikum bisher verschlossenen Monumenten verdient gemacht, wie jüngst von Sälen der Domus Tiberiana am Palatin.

Dazu gehört auch die Restaurierung und teilweise Erschließung des von Kaiser Domi-tian (81-96) angelegten unterirdischen Ganges, Kryptoportikus, welcher das 72-80 erbaute Kolosseum mit den zugehörigen Nutzbauten im Osten verband: in erster Linie mit dem Ludus Magnus, der größten der in der Nähe befindlichen vier Kasernen, Ausbildungs- und Trainingsstätten für die Gladiatoren, welche im nahen Amphitheatrum Flavium zum Zweikampf antraten.

Denn dies war der eigentliche Name, nach der kaiserlichen Dynastie der Flavier, des riesigen aus 100.000 Kubikmeter Travertin errichteten Baues. Die erst frühmittelalterliche Benennung leitet sich von der einst in der Nähe aufgestellten Kolossalstatue des Kaisers Nero aus vergoldeter Bronze in Gestalt des Sonnengottes Helios ab. Die Skulptur stand im Vestibül seines Palastes Domus Aurea (64-68 n. Chr.).

Suggestive Ausstellung

Der Verbindungsgang zum Ludus Magnus war im 19. Jahrhundert durch den Einbau eines Abwassersammlers für den Stadtteil Esquilin unterbrochen worden. Die Öffnung des Korridors, in dem noch das originale Ziegelpaviment in Fischgrätmuster (opus spinatum) erhalten ist, ab der Mauer des Kollektors bis zum Kolosseum gab Anlass zu einer suggestiven Ausstellung: eine raffinierte multimediale holografische Videoprojektion, welche auch nach der Schau erhalten bleiben wird, durchbricht virtuell die Mauer, und dreidimensionale Figuren der Gladiatoren schreiten auf den staunenden Betrachter zu.

In den angrenzenden unterirdischen Kammern sind in Vitrinen ihre diversen Rüstungen und Waffen in treuen Nachbildungen zu sehen. Denn unter den Gladiatoren gab es verschiedene Kategorien, je nach Herkunft, Kampfweise, Kleidung und verwendeten Waffen. Neben den Rekonstruktionen finden sich auch originale antike Darstellungen von Gladiatoren auf Reliefs, Tonlampen (einem beliebten Souvenir), Ritzzeichnungen/Graffiti aus dem Kolosseum selbst, sowie zwei beeindruckende Bronzehelme des 1. Jh.s n. Chr. mit reliefverzierten Kalotten aus Pompeji im Archäologischen Museum Neapel. Die Namen der insgesamt 16 Klassen bezogen sich ursprünglich auf die Feinde der Römer mit ihren typischen Waffen: Samniter, Gallier, Thraker – der älteste Samnes, gefolgt von Gallus und Thraex. Der wohl zur Zeit Cäsars entstandene Typus Gallus änderte seinen Namen am Ende des 1. Jh.s v. Chr. in Murmillo (nach mormora, Marmorbrasse auf dem Helm) mit charakteristischem Helm mit Visier und Ohrenschutz, langem Schwert und großem rechteckigen Schild. Die Gladiatoren traten in festgelegten Paaren auf, der Murmillo mit dem Thraex oder Hoplomachus; der gefürchtete Retiarius, bewaffnet mit Netz, Dolch und Dreizack, mit dem Secutor (»Verfolger«), der einen glatten Helm gegen das Netz sowie ein Kurzschwert besaß.

Seit 2300 Jahren – der erste römische Gladiatorenkampf ist 264 v. Chr. bezeugt – üben die Spiele (Munera) und ihre todesmutigen Protagonisten ungebrochen ihre Faszination aus, dokumentiert in Kunst, Literatur bis zum Film. Gladiatoren – der Name kommt vom lateinischen »gladus«, Schwert – waren Publikums-Lieblinge, selbst bis Nordafrika in Mosaiken von höchster Qualität verewigt. Die Munera hatten einen religiösen Ursprung, nämlich im gesamten Mittelmeerraum übliche rituelle Kämpfe bei Begräbnisfeierlichkeiten zu Ehren der Verstorbenen, in Italien in Grabmalereien des 4. Jh.s v. Chr. in Paestum bezeugt.

Sämtliche Spiele (»Ludi«) fanden in einem Amphitheater statt. Sie bestanden aus dem festlichen Einzug aller Teilnehmer und den Kämpfen gegen Tiere oder von Tieren gegeneinander (»Venationes«, lateinisch »Jagd«) vormittags. Um die Mittagszeit wurden zum Tode verurteilte Verbrecher wilden Tieren vorgeworfen (»Damnatio ad bestias«). Höhepunkt waren die Gladiatoren-Duelle (»Munera«) am Nachmittag,

Die Spiele waren für die Besucher gratis, aber für den Veranstalter, Editor oder Mu-nerarius, äußerst kostspielig aufgrund der Gagen an den Lanista, Besitzer oder Verwalter der Gladiatoren, und der Tier-Importe. Sie wurden meist vom Kaiser finanziert, in der Provinz vornehmlich von Magistraten, die nach Stimmen für die kommende Wahl heischten.

Die römischen Ludi im größten Amphitheater der Welt waren verständlicherweise die pompösesten, angefangen bei den 100 Tage dauernden zur Einweihung, dem Triumph Kaiser Trajans 106 n. Chr. über die Daker bis zu den Säkularfeiern und Zeremonien anlässlich des tausendjährigen Bestehen Roms 247-248. Das Kolosseum fasste 50.000 Sitzplätze, im Stehen bis 70.000/80.000 Besucher. Das lateinische »Arena« bedeutet Sand, der runde oder ovale Schauplatz der Spiele war mit Sand bedeckt.

Zu den geopferten Tieren zählen nicht nur Löwen, sondern auch Elefanten, Giraffen, Tiger, Nilpferde, Nashörner, Krokodile, Bären, bis zu weniger exotischen Wildpferden, Stieren, Wildschweinen, Hirschen und Straußenvögeln. Dies ist nicht nur durch antike Autoren wie Martial, Cassius Dio und Sueton, sondern auch von Knochenfunden belegt.

Die »Venationes« spielten sich im Rahmen aufwendiger Kulissen mit Bäumen ab, welche das Ambiente der jeweiligen Tiere nachahmten, Wüste, Steppe, Wald oder Dschungel. Diese aufwendigen Zeremonien und Bühnen-Maschinerien sowie der Transport der Tiere, die Aufbewahrung der Utensilien und Käfige bedurften natürlich eines reibungslosen Ablaufes, zu diesem Zweck einer funktionellen Architektur.

Dieses Ziel war in den unterirdischen Teilen des Kolosseums, unter der Arena und den Gängen zum westlichen Triumph- und dem gegenüber befindlichen Todestor, perfekt gelöst. Entlang von sieben geradlinigen und acht gekurvten Korridoren befanden sich Kammern als Magazine, in den Korridoren selbst die raffinierten technischen Vorrichtungen zur Organisation der Spiele, die seit 1996 in einem Forschungsprojekt des Deutschen Archäologischen Instituts Rom (Heinz-Jürgen Beste) untersucht werden. In den zentralen Gängen gab es 16 bewegliche Holz-Plattformen mit Gegengewichten im Korridor daneben; als leicht ansteigende Rampen brachten sie die Bühneneinrichtungen, Personal und große Tiere an die Oberfläche, wo sie aus Falltüren in der Arena erschienen. Dagegen standen im Hauptkorridor entlang der Ellipse 28 Lastenaufzüge in Form von Käfigen, in denen die Tiere bis zu einer Rampe knapp unter dem Niveau der Arena befördert wurden. Die Lifte funktionierten durch von Sklaven betriebene Winden, wobei für alle 220 Personen zur Betreibung nötig waren.

Kämpfe auf Leben und Tod

Der »Ludus Magnus«, die größte Gladiatoren-Kaserne und -Schule stand unter dem Kommando eines »Lanista«, dem Besitzer des Ludus und der Gladiatoren, falls sie Sklaven waren, oder ihr absoluter Herr bei Freigelassenen oder freien Römern.

Nach den Anfängen, als die Gladiatoren aus Sklaven und Kriegsgefangenen aus den römischen Eroberungskriegen während der Republik bestanden, waren sie zu einen gu-ten Teil Freigelassene oder freie Bürger, die sich aber mit dem Schwur des Auctoramentum dem Lanista total unterwarfen. Gleichzeitig aber verdienten auch die Sklaven bei Siegen kräftig an den Prämien, konnten sich freikaufen – ein Paradox der von der Skla-verei geprägten römischen Wirtschaftsform.

Ein Vorurteil sieht bei jedem Gladiatoren-
Duell den Tod des Unterlegenen. Augustus verbot sogar tödlich endende Duelle »sine missione«, ohne Begnadigung des Verlierers. Trotzdem fanden sie weiter statt, vor allem in der Spätzeit des 3. bis 5. Jahrhunderts. Aber generell fand auch der unterlegene Gladiator nicht den Tod, vor allem wenn er tapfer gekämpft hatte; aus mehreren Gründen: die Gunst des Publikums, vor allem die abschreckenden finanziellen Verluste für Lanis-ta und Editor. Ausbildung und Erhaltung eines Gladiators, der von Arena zu Arena reiste und sich bestens nährte, waren sehr teuer, und der veranstaltende Editor musste dem Lanista für einen getöteten Gladiator eine hohe Entschädigung zahlen.

Die Gladiatorenkämpfe verloren bereits in der 2. Hälfte des 3. Jh.s n. Chr. an Bedeutung. Gründe liegen in finanziellen Krisen des Römischen Reiches, abnehmender Beliebtheit, aber auch in der wachsenden Zahl der Christen, deren ethische Werte den grausamen Munera widersprachen. 325 erließ Konstantin d. Gr. in den östlichen Provinzen eine Konstitution, in der er verbot, Verbrecher als Gladiatoren anzuheuern; stattdessen sollten sie ohne Blutvergießen in Bergwerken arbeiten. Die Duelle wurden trotzdem das ganze 4. Jh. weitergeführt.

399 schloss Kaiser Honorius die Gladiatoren-Schulen im Weströmischen Reich und verbot vor Ende seiner Regierungszeit 423 die Kämpfe (nach anderen Kaiser Valentinian, 438).

523 wurde auch den Tierkämpfen ein Ende gesetzt. Das Kolosseum erlebte einen langsamen doch unaufhaltsamen Niedergang, wurde gleichsam als Steinbruch für Travertin und Marmor ausgebeutet.

1386, bald nach der Rückkehr der Päpste aus Avignon, nehmen der kapitolinische Senat, die Apostolische Kammer und die Bruderschaft SS. Salvatore ad Sancta Sanctorum Besitz vom einst kaiserlichen Amphitheatrum Flavium. Historische Fakten aber auch greifbare bauliche Zeichen zeugen von einem Phänomen, das man als »Christianisierung des Kolosseums« bezeichnen könnte, auf die in einem weiteren Teil dieses Beitrags eingegangen wird.

Gladiatoren in der Arena. Zwischen Kolosseum und Ludus Magnus. Ausstellung bis 10. Februar, Installation im »Underground« permanent. Täglich mit Ticket »Full Experience Arena e Sotterranei« – Die Vorträge namhafter Experten im Rahmen der Ausstellung »Gladiatori nell’Arena« sind zu
sehen auf www.youtube.com/@ParcoColosseo und www.facebook.com/parcocolosseo.

Von Brigitte Kuhn-Forte