Liebe Freunde, guten Tag!
Ich heiße euch willkommen als Vertreter der Gruppe DIALOP, die sich seit vielen Jahren durch den Dialog zwischen Sozialis-ten/Marxisten und Christen für die Förderung des Gemeinwohls einsetzt. Ein schönes Programm!
Ein lateinamerikanischer Schriftsteller hat gesagt, dass die Menschen zwei Augen haben, aber eines aus Fleisch und das andere aus Glas. Mit dem ersten sehen sie, was sie betrachten, mit dem anderen das, was sie erträumen. Verliert nicht die Fähigkeit zu träumen! In der heutigen durch Kriege und Polarisierungen gespaltenen Welt besteht die Gefahr, dass wir die Fähigkeit des Träumens verlieren.
Nicht aufgeben
Aber wir Argentinier pflegen zu sagen: »No te arrugues«, ein Ausdruck, der bedeutet: »Nicht einknicken!« Und das ist auch meine Einladung an euch: Nicht einknicken! Gebt nicht auf, hört nicht auf, von einer besseren Welt zu träumen! Denn in der Vorstellungskraft kommen Intelligenz, Intuition, Erfahrung und historisches Gedächtnis zusammen, um kreativ zu sein, etwas zu wagen und zu riskieren. Wie oft waren es im Lauf der Jahrhunderte gerade die großen Träume von Freiheit und Gleichheit, von Würde und Geschwisterlichkeit, ein Spiegelbild des Traumes Gottes, die entscheidende Wendungen und Fortschritte bewirkt haben. In dieser Hinsicht möchte ich euch drei Haltungen ans Herz legen, die ich als wesentlich für euer Engagement erachte: den Mut, mit alten Schemata zu brechen; die Aufmerksamkeit für die Schwachen und die Förderung der Legalität.
Erstens: Den Mut haben, mit alten Schemata zu brechen, um im Dialog offen zu sein für neue Wege. In einer Zeit, die auf verschiedenen Ebenen von Konflikten und Spaltungen geprägt ist, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, was man noch tun kann, um einen anderen Kurs einzuschlagen. Auf politischer, sozialer und religiöser Ebene muss man den starren und trennenden Herangehensweisen entgegenwirken durch den Austausch und das Hören mit einem offenen Herzen, wobei wir niemanden ausschließen, damit der Beitrag eines jeden in seiner konkreten Besonderheit positiv in die Veränderungsprozesse einfließen kann, von denen unsere Zukunft abhängt.
Zweitens: Die Aufmerksamkeit für die Schwachen. Der Maßstab für eine Zivilisation ist, wie die Schwächsten behandelt werden. Vergessen wir nicht, dass die großen Diktaturen – denken wir an den Nationalsozialismus – die Schwachen ausgegrenzt, getötet, ausgesondert haben: Arme, Arbeitslose, Obdachlose, Immigranten, Ausgebeutete und all jene, die die Wegwerfkultur ausrangiert. Und das ist etwas, das zum Schlimmsten gehört.
Im Dienst des Menschen
Eine wirklich im Dienst des Menschen stehende Politik darf sich weder von der Finanz noch von den Marktmechanismen gängeln lassen. Nein. Solidarität ist nicht nur eine moralische Tugend, sondern darüber hinaus auch ein Gebot der Gerechtigkeit, die es erforderlich macht, Verzerrungen zu korrigieren und die Zielrichtungen ungerechter Systeme zu läutern, und dies auch durch radikale Veränderungen der Perspektive bei der gemeinsamen Bewältigung von Herausforderungen und im Teilen der Ressourcen zwischen Menschen und Völkern. Daher nenne ich diejenigen, die sich in diesem Bereich engagieren, gerne »soziale Poeten«, denn Poesie bedeutet Kreativität, und hier geht es darum, die Kreativität in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, damit sie menschlicher und geschwisterlicher wird. Habt keine Angst vor der Poesie, Poesie ist Kreativität. Vergessen wir nicht diese Fähigkeit zu träumen!
Schließlich die Legalität. Das bisher Gesagte schließt den Einsatz ein, die Geißel der Korruption, des Machtmissbrauchs und der Illegalität zu bekämpfen. Denn nur mit Ehrlichkeit können gesunde Beziehungen geknüpft werden und kann man vertrauensvoll und effektiv beim Aufbau einer besseren Zukunft zusammenarbeiten.
Liebe Freunde, ich danke euch für euren Einsatz im Dialog. Dialog ist immer dringend notwendig, habt keine Angst! Ich bete für euch und wünsche euch Weisheit und Mut bei eurer Arbeit für eine gerechtere und friedlichere Welt. Das Evangelium Jesu Christi möge euch stets inspirieren und euer Suchen und Handeln erleuchten. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 10.1.2024)