Fernsehinterview von Papst Franziskus in der Sendung »Che tempo che fa«

Die Kirche braucht eine Reform der Herzen

 Die Kirche braucht eine Reform der Herzen  TED-003
19. Januar 2024

Segnungen für alle, auch für »irreguläre« Paare, Nachahmung Gottes, der »gut« und kein »Strafender« ist und der »alle, alle, alle segnet«; die »Angst« vor einer Eskalation des Krieges und vor der Fähigkeit der Menschheit zur »Selbstzerstörung«; die Bestätigung, dass er nicht die Absicht hat, zurückzutreten, und die Ankündigung von zwei Reisen: nach Polynesien im August und in seine Heimat Argentinien Ende des Jahres. Dies sind einige der Themen, über die der Papst in seinem Interview mit dem Journalisten Fabio Fazio für die italienische Sendung »Che tempo che fa« sprach, die am 14. Januar auf Kanal NOVE ausgestrahlt wurde. Bereits 2021 hatte Franziskus der gleichen populären Sendung (damals auf RAI ausgestrahlt) ein Interview gegeben. Nun folgte ein neues, knapp einstündiges Interview, in dem er über Themen im Zusammenhang mit den aktuellen Geschehnissen, den Herausforderungen der Welt, der Kirche und dem Pontifikat nachdenkt.

Segnungen für »alle, alle, alle«

Der Papst antwortete auf eine Frage zum Dokument des Dikasteriums für die Glaubenslehre, »Fiducia supplicans«, das die Mög-lichkeit eröffnet, Paare in mit Bezug auf die katholische Moral »irregulären« Situationen zu segnen, einschließlich gleichgeschlechtlicher Paare. Ein Dokument, das verschiedene, auch gegensätzliche Reaktionen hervorgerufen hat. Franziskus räumte ein, dass »manchmal Entscheidungen nicht akzeptiert werden«, aber oft »weil man sie nicht kennt«; dann bekräftigte er den Grundsatz »todos, todos, todos«, den er bereits beim Weltjugendtag in Lissabon zum Ausdruck gebracht hatte: »Der Herr segnet alle, alle, alle, die kommen. Der Herr segnet alle, die getauft werden können, das heißt alle Menschen. Aber dann müssen sich die Menschen mit dem Segen des Herrn auseinandersetzen und sehen, was der Weg ist, den der Herr ihnen vorschlägt. Aber wir müssen sie an die Hand nehmen und ihnen helfen, diesen Weg zu gehen, und sie nicht von vornherein verurteilen.«

Beichtväter sollen alles verzeihen

Dies sei »der pastorale Dienst der Kirche« und eine »sehr wichtige« Aufgabe für die Beichtväter, an die Franziskus wieder die Aufforderung richtet, »alles zu vergeben« und die Menschen »mit viel Güte« zu behandeln. Er selbst, so verrät er, hat in 54 Jahren Priestertum nur ein einziges Mal die Vergebung verweigert, »wegen der Heuchelei der Person«: »Ich habe immer alles vergeben, aber auch mit dem Bewusstsein, dass diese Person vielleicht rückfällig wird, aber der Herr vergibt uns und hilft, nicht rückfällig zu werden oder weniger rückfällig zu werden, aber man muss immer vergeben.«

Der Herr »ist nicht schockiert über unsere Sünden, denn er ist Vater und er begleitet uns«, sagte Papst Franziskus und gestand, dass er hoffen möchte, dass die Hölle leer sei.

Risiko der Kriege

Einmal mehr, wie in diesen 100 Tagen des Konflikts im Nahen Osten und in diesen fast zwei Jahren der Aggression gegen die Ukraine, stigmatisiert der Papst den Schrecken des Krieges: »Es ist wahr, dass es riskant ist, Frieden zu schließen, aber es ist noch riskanter, Krieg zu führen«, sagt er. Und er berichtet von einem Treffen, das er vor Kurzem mit einer Delegation von Kindern aus der Ukraine hatte: »Keines von ihnen hat gelächelt. Kinder lächeln spontan, ich habe ihnen Schokolade geschenkt und sie haben nicht gelächelt. Sie hatten vergessen zu lächeln, und wenn ein Kind vergisst zu lächeln, ist das kriminell. Das ist es, was der Krieg bewirkt: Er verhindert, dass man träumt.«

»Hinter den Kriegen«, so der Bischof von Rom, »steht der Waffenhandel. Ein Wirtschaftswissenschaftler hat mir gesagt, dass die Waffenfabriken im Moment die Investitionen sind, die die meisten Zinsen und das meiste Geld einbringen. Investieren, um zu töten.«

Angst vor der
Eskalation des Krieges

Dann bringt Jorge Mario Bergoglio eine persönliche Befürchtung zum Ausdruck: »Diese Eskalation des Krieges macht mir Angst, denn diese Weiterführung von kriegerischen Schritten in der Welt, da fragt man sich, wie das enden wird. Mit den Atomwaffen heutzutage, die alles zerstören. Wie werden wir enden. Wie die Arche Noah? Das macht mir Angst. Die Fähigkeit zur Selbstzerstörung, die die Menschheit heute hat.«

So viel Grausamkeit
gegenüber Migranten

In dem Interview wurde auch dem ihm am Herzen liegenden Thema der Migranten Raum gegeben, mit der Erinnerung an seine Umarmung von Pato, dem jungen Kameruner, der letztes Jahr in der Wüste zwischen Tunesien und Libyen seine Frau und seine sechsjährige Tochter durch Hunger, Hitze und Durst verloren hat. Franziskus empfing ihn im November in Santa Marta. »Es gibt so viel Grausamkeit im Umgang mit diesen Migranten von dem Moment an, in dem sie ihre Heimat verlassen, bis sie hier in Europa ankommen«, sagte er und erinnerte an die dramatische Situation so vieler Menschen in libyschen Lagern und an die Tragödie vom Februar 2022 in Cutro, an der Küste Kalabriens. »Es ist wahr, dass jeder das Recht hat, in seiner Heimat zu bleiben und zu migrieren«, so der Papst, aber »bitte schließen wir nicht die Türen.« Nötig sei eine »gut durchdachte« Migrationspolitik, die dazu beitrage, »das Migrantenproblem in den Griff zu bekommen« und »all diese Mafias zu beseitigen, die die Migranten ausbeuten.«

Reformen

Der Papst lenkt dann den Blick auf die Kirche und spricht von Reformen. Die erste, die durchgeführt werden muss, ist »eine Reform der Herzen«, dann geht man zu den Strukturen über, die »dem Zweck entsprechend bewahrt, verändert, reformiert werden müssen«. Aber als erstes muss »sich das Herz ver-ändern«, um es von Bosheit und Neid zu reinigen, »dem gelben Laster, das alle Beziehungen zerstört«.

Nein zur Amtsniederlegung,
ja zu Reisen nach Polynesien und Argentinien

Schließlich fehlt auch nicht die Frage nach seinem möglichen Rücktritt vom Papstamt: »Das ist weder ein Gedanke noch eine Sorge, nicht einmal ein Wunsch. Es ist eine Möglichkeit, die allen Päpsten offen steht, aber im Moment steht sie nicht im Zentrum meiner Gedanken und Sorgen, meiner Gefühle.« Franziskus bestätigte diese Worte, indem er die beiden Reisen ankündigte, die in früheren Interviews als Hypothesen geäußert wurden: Polynesien und Argentinien. Nach Argentinien – wohin er offiziell mit einem Brief des neuen Präsidenten Javier Milei eingeladen wurde – könnte der Papst Ende des Jahres reisen: »Die Menschen leiden dort so sehr. Es ist ein schwieriger Moment für das Land. Die Möglichkeit einer Reise in der zweiten Jahreshälfte ist in Planung, denn jetzt gibt es einen Regierungswechsel, es gibt neue Dinge... Im August werde ich nach Polynesien reisen, das ist weit weg, und danach würden wir die Reise nach Argentinien machen, wenn das möglich ist. Ich möchte dorthin reisen. Zehn Jahre sind gut, das ist in Ordnung, ich kann dorthin fahren.«

Salvatore Cernuzio,
Vatican News