Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Vor 800 Jahren, zu Weihnachten 1223, gestaltete der heilige Franziskus in Greccio die lebende Krippe. Während in den Häusern und an vielen anderen Orten die Krippe aufgebaut oder gerade vollendet wird, tut es uns gut, ihren Ursprung neu zu entdecken.
Wie ist die Krippe entstanden? Welche Absicht hatte der heilige Franziskus? Er sagte: »Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Betlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen« (Thomas von Celano, Erste Lebensbeschreibung, 84: Franziskus-Quellen (FQ), 250).
Staunen über Gottes Demut
Franziskus will kein schönes Kunstwerk gestalten, sondern durch die Krippe das Staunen über die äußerste Demut des Herrn erwecken, über die Not, die er erlitten hat, aus Liebe zu uns, in der armseligen Grotte von Betlehem. Der Biograf des Heiligen von Assisi schreibt nämlich: »Zu Ehren kommt da die Einfalt, die Armut wird erhöht, die Demut gepriesen, und aus Greccio wird gleichsam ein neues Bethlehem« (ebd., 85, FQ, 251). Ich habe ein Wort hervorgehoben: das Staunen. Und das ist wichtig. Wenn wir Christen die Krippe als etwas Schönes, als etwas Historisches, auch Religiöses betrachten und beten, dann genügt das nicht. Vor dem Geheimnis der Menschwerdung des Wortes, vor der Geburt Jesu bedarf es jener religiösen Haltung des Staunens. Wenn ich vor den Geheimnissen nicht zu diesem Staunen gelange, dann ist mein Glaube einfach nur oberflächlich; ein Glaube mit gespeicherten Daten »wie in der Informatik«. Vergesst das nicht.
Und ein Merkmal der Krippe ist, dass sie als Schule der Nüchternheit entsteht. Und das hat uns heute viel zu sagen. Denn heute ist die Gefahr groß, das zu verlieren, was im Leben zählt, und paradoxerweise nimmt sie gerade vor Weihnachten zu – das Weih-nachtsempfinden ändert sich –, eingetaucht in einen Konsumismus, der seine Bedeutung zerfrisst. Der Weihnachtskonsumismus. Na-türlich möchte man Geschenke machen, das ist in Ordnung, es ist eine Weise, aber jene Hektik, Einkaufen zu gehen, das zieht die Aufmerksamkeit woanders hin, und jene Nüchternheit von Weihnachten ist nicht da. Betrachten wir die Krippe: jenes Staunen vor der Krippe. Manchmal gibt es keinen inneren Raum für das Staunen, sondern nur dafür, die Festtage zu organisieren, die Festtage zu feiern.
Und die Krippe entsteht, um uns zu dem zurückzuführen, was zählt: zu Gott, der kommt, um unter uns zu wohnen. Darum ist es wichtig, die Krippe zu betrachten, weil sie uns hilft, das zu verstehen, was zählt, und auch die gesellschaftlichen Beziehungen Jesu in jenem Augenblick, die Familie, Josef und Maria und die geliebten Menschen, die Hirten. Die Menschen vor den Dingen. Und oft stellen wir die Dinge vor die Menschen. Das funktioniert nicht.
Die Krippe von Greccio lässt uns jedoch nicht nur die Nüchternheit sehen, sondern sie spricht auch zu uns von der Freude, denn die Freude ist etwas Anderes als das Vergnügen. Sich zu vergnügen ist jedoch nichts Schlechtes, wenn man es auf guten Wegen tut; es ist nichts Schlechtes, es ist etwas Menschliches. Aber die Freude ist noch tiefer, noch menschlicher. Und manchmal gibt es die Versuchung, sich ohne Freude zu ver-gnügen; sich zu vergnügen, indem man Lärm macht, aber ohne jegliche Freude. Es ist ein wenig wie die Gestalt des Clowns, der lacht und lacht und andere zum Lachen bringt, aber das Herz ist traurig. Die Freude ist die Wurzel eines guten Weihnachtsver-gnügens. Und über die Freude sagt der Bericht von damals: »Es nahte aber der Tag der Freude, die Zeit des Jubels kam heran. […] Franziskus […] freute sich. […] Die Leute eilen herbei und werden bei dem neuen Geheimnis mit neuer Freude erfüllt […] Ein jeder kehrt in seliger Freude nach Hause zurück« (ebd., 85-86; FQ 251-252). Die Nüchternheit, das Staunen bringt dich zur Freude, zur wahren Freude, nicht zur künstlichen Freude.
Lebendiges Evangelium
Woher aber kam diese Weihnachtsfreude? Gewiss nicht daher, Geschenke nach Hause gebracht zu haben oder prunkvolle Feiern erlebt zu haben. Nein, es war die Freude, die aus dem Herzen überfließt, wenn man die Nähe Jesu mit Händen greifen kann, die Zärtlichkeit Gottes, der uns nicht allein lässt, sondern tröstet. Nähe, Zärtlichkeit und Mitgefühl, so sind die drei Haltungen Gottes. Und wenn wir die Krippe betrachten, vor der Krippe beten, können wir diese Dinge des Herrn spüren, die uns im täglichen Leben helfen.
Liebe Brüder und Schwestern, die Krippe ist gleichsam ein kleiner Brunnen, aus dem man die Nähe Gottes schöpft, Quell der Hoffnung und der Freude. Die Krippe ist gleichsam ein lebendiges Evangelium, ein häusliches Evangelium. Sie ist wie der Brunnen in der Bibel, sie ist der Ort der Begegnung, wo man die Erwartungen und die Sorgen des Lebens zu Jesus bringt, wie es die Hirten von Betlehem und die Menschen von Greccio getan haben. Wenn wir Jesus vor der Krippe das anvertrauen, was uns am Herzen liegt, werden auch wir »von sehr großer Freude erfüllt« (Mt 2,10), einer Freude, die aus der Betrachtung kommt, aus dem Geist des Staunens, mit dem ich hingehe, um diese Geheimnisse zu betrachten. Gehen wir vor die Krippe. Jeder möge sie betrachten und zulassen, dass das Herz etwas fühlt.
(Orig. ital. in O.R. 20.12.2023)