Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Es ist mir eine Freude, mit euch zusammenzutreffen, knapp fünf Jahre nach dem tatsächlichen Beginn eurer Aktivität als »Einrichtung des internationalen Dienstes für alle Ausdrucksformen der katholischen charismatischen Erneuerung« (Statuten der CHARIS, Art. 1 § 1).
Ich weiß, dass ihr gerade eine Prüfung durchführt, und deshalb ist es angebracht, sich einige Fragen zu stellen: Wie läuft die Arbeit von CHARIS? Wie entwickeln sich die Dienste zur Förderung der Gemeinschaft vor Ort? Welche Botschaften senden sie uns? Wie steht es um die Gesundheit der katholischen charismatischen Erneuerung in der Welt? Wächst sie in ihrer kirchlichen Reife? Letzteres ist in der Tat das Hauptziel eures Dienstes, das ihr immer im Auge behalten müsst, vor allem im Gebet: wachsen in der kirchlichen Reife.
Der Gnadenstrom der charismatischen Erneuerung
All das, was sich in den letzten Jahren auf der Ebene des »Gnadenstroms« – so müssen wir es nennen: einen Gnadenstrom – der katholischen charismatischen Erneuerung entwickelt hat wird von CHARIS angehört und aufgenommen, und so ist dieser Dienst dazu berufen, eine Stimme zu sein, die alle Gemeinschaften begleitet und ihnen einen Weg aufzeigt, den sie vereint gehen können. CHARIS ist sozusagen ein »Fenster« zur weiten und vielfältigen Welt der katholischen charismatischen Erneuerung. Die Menschen, die dort arbeiten, haben die außergewöhnliche Möglichkeit, aus diesem Fenster herauszuschauen und in die Weite zu blicken, über die lokale Erfahrung hinauszugehen und den Reichtum dessen kennenzulernen, was der Heilige Geist überall, in ganz unterschiedlichen kulturellen, sozialen und kirchlichen Kontexten, weckt. Auch dank der Unterscheidung und des Austauschs dieser vielfältigen Erfahrungen und Kenntnisse kann CHARIS seinen Dienst tun und einzelnen Gruppen helfen, aus einer gewissen begrenzten Sichtweise herauszukommen und ihnen einen breiteren charismatischen und kirchlichen Horizont zu geben. Was diese begrenzte Sichtweise angeht, so hat mir eine heilige Ordensfrau einmal gesagt, dass manche Katholiken wie Pferde sind, die Scheuklappen tragen und weder in die eine noch in die andere Richtung schauen können. Diese eingeschränkte Sicht habt ihr gottlob überwunden und kämpft dagegen an, und das gefällt mir.
Ein Ziel, das ihr euch setzt und zu dem ich euch ermutigt habe, ist die Ausbreitung der sogenannten Seminare »Neues Leben« überall und für jeden. Es handelt sich um Momente der sehr kerygmatischen »Erstverkündigung«, die den Menschen die Möglichkeit einer Begegnung mit dem lebendigen Jesus, mit seinem Wort, mit seinem Geist, mit seiner Kirche gibt, die als einladendes Umfeld, als Ort der Gnade, der Versöhnung, der Neugeburt erlebt wird. Daher habe ich euch aufgefordert, diese Seminare in möglichst breiter Weise anzubieten. Und so frage ich euch heute: Werden die Seminare »Neues Leben« in den verschiedenen kirchlichen Kontexten, auch in den kleinsten und entferntesten, auch bei den Armen und in den Peripherien angeboten? Jeder möge in seinem Herzen antworten. Ein Hindernis könnte sein, dass man meint, nur die großen Strukturen und bekanntesten Leiter könnten diese Seminare halten, während sie in Wirklichkeit auch von kleinen Pfarrgruppen und örtlichen Verantwortlichen organisiert und den Menschen in ihrem Gebiet angeboten werden können.
Mit dem Heiligen Geist
im Dienst an der ganzen Kirche
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die »Neues Leben«-Seminare von den Menschen häufig als überwältigende Erfahrung erlebt werden, die eine echte Kehrtwende in ihrem Leben bewirken. Kehrtwende: Nach einem Seminar ändern die Menschen ihren Kurs! Doch sind sie ein Beginn, ein Feuer, das entzündet wird, sehr intensiv, aber es besteht die Gefahr, dass es schwächer wird, wenn es nicht weiter angefacht wird. Deswegen sind nach den Seminaren entsprechende Wege der Ausbildung und Formung notwendig, die eine Hilfe sind, die empfangene Gnade lebendig zu erhalten, und die einen gradualen Prozess des Wachsens im Glauben, im Gebetsleben, im moralischen Handeln, in der Teilnahme an den Sakramenten, an der Nächstenliebe und an der Sendung der Kirche unterstützen.
Nun möchte ich auf zwei Aspekte hinweisen, die in den Statuten von CHARIS enthalten sind. Der erste: die Wichtigkeit, »die Ausübung der Charismen nicht nur in der katholischen charismatischen Erneuerung zu fördern, sondern auch in der ganzen Kirche« (Art. 3 § b). Der Dienst, den CHARIS leisten kann, ist genau dies: die Charismen zu fördern und dazu zu ermutigen, sie in den Dienst der ganzen Kirche zu stellen. Fördern: nicht die Charismen kontrollieren. Und dafür, um das Charisma zu fördern, müssen wir dem folgen, der der Meister in Bezug auf die Förderung des Charismas ist: dem Heiligen Geist. Denken wir an den Morgen des Pfingsttags, man verstand nichts, ein großes Durcheinander. Aber er ist es, der in jener großen Vielfalt Harmonie bewirkt. Und er ist der Meister, der uns lehrt, wie man die Charismen fördert. Besonders wertgeschätzt werden müssen die Charismen, die der Evangelisierung, der missionarischen Aktivität dienen, vor allem bei denen, die Jesus Christus noch nicht kennen.
Der zweite Aspekt ist, »die Menschen, die die Erfahrung der Taufe im Heiligen Geist machen, zur geistlichen Vertiefung und zur Heiligkeit zu ermutigen« (Art. 3 § c). Man darf es nicht als selbstverständlich voraussetzen, dass man schon ganz Christ ist, nachdem man die Taufe im Geist empfangen hat. Der Weg der Heiligkeit muss immer Fortschritte machen in der persönlichen Umkehr und in der großherzigen Selbsthingabe, Hingabe an Christus und die anderen, und nicht nur im Hinblick auf das »geistliche Wohlbefinden«.
Liebe Freunde, ich danke euch für euren Dienst. Vergesst nicht, dass es nicht eure Aufgabe ist, zu beurteilen, wer »echt charismatisch« ist und wer nicht, das steht nicht euch zu. Das ist eine Versuchung für die Kirche, von Anfang an: »Ich halte zu Paulus – ich zu Apollos – ich zu Petrus« (vgl. 1 Kor 1,12). Nein, so geht das nicht. Ihr seid vielmehr aufgerufen, den Hirten Rat und Stütze anzubieten, um alle Gruppen und die vielfältigen Wirklichkeiten zu begleiten, die sich auf die charismatische Erneuerung beziehen. Und wenn mich jemand fragt: »Aber nenne mir ein Zeichen dafür, was das wahre Leben der Erneuerung in einem Menschen bewirkt!« Was mir dazu einfällt, ist, dass die Menschen, die die Erneuerung tief leben, zu lächeln wissen. Sie können lächeln. Und dieses Lächeln wird euch helfen, wachsam zu sein, um nicht den Versuchungen der Machtspiele und Kämpfe um Einfluss nachzugeben und dem Wunsch zu widerstehen, sich hervorzutun und Anweisungen zu geben. Die wahre Aufgabe ist das Dienen. Es ist gut, den jungen Generationen der Verantwortlichen Raum zu geben und sich kontinuierlich für die Ausbildung und Formung der jungen Menschen einzusetzen, aus denen die zukünftigen Führungspersönlichkeiten hervorgehen werden.
Bei unserem ersten Treffen im Juni 2019 – es sind bereits einige Jahre vergangen! – haben wir einen Moment der Stille gehalten, um für den Frieden zu beten, in Erinnerung an das Treffen der Präsidenten des Staates Palästina und des Staates Israel im Vatikan. Brüder und Schwestern, der Krieg zerstört auch die Erinnerung an die in Richtung des Friedens bereits zurückgelegten Schritte. Blicken wir auf dieses Orchester, das sich so sehr für den Frieden einsetzt. Blicken wir auf diesen Olivenbaum hier, ein Zeichen des Friedens. Der Krieg zerstört alles, alles. Er raubt die Menschlichkeit. Vorgestern, am 2. November, habe ich auf dem Militärfriedhof des Commonwealth die heilige Messe gefeiert. Beim Betreten habe ich auf den Grabsteinen das Alter der Gefallenen gesehen. Sie waren alle jung, zwischen 20 und 30 Jahre alt. Der Krieg zerstört die Jugend, er weiß nichts Anderes zu sagen als »zerstören«. Bitte, kämpfen wir für den Frieden! Lassen wir uns nicht diese Erinnerung an den Frieden rauben! Jetzt lade ich euch ein, in der Stille für den Frieden zu beten.
Danke. Die Muttergottes bewahre euch in der Freude des Dienens. Danke.
(Orig. ital. in O.R. 6.11.2023)