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Zwei Bürgermilizen im Kirchenstaat: die »Milizia Urbana« und die »Guardia Civica«

Angetreten zum Schutz des Papstes und der Ewigen Stadt

 Angetreten zum Schutz des Papstes und der Ewigen Stadt  TED-046
17. November 2023

In Rom, zu Zeiten des alten Kirchenstaates, fanden sich Katholiken aus allen sozialen Schichten ein, um den Papst und die Ewige Stadt vor inneren und äußeren Bedrohungen zu schützen. Zwei bewaffnete Korps, die sich dieser Aufgabe verpflichtet fühlten, wurden vornehmlich vom Bürgertum gestellt: die Milizia Urbana und die Guardia Civica.

Die Milizia Urbana

Die Geschichte der Milizia Urbana geht bis in das Pontifikat Gregors XIII. (1572-1585) zurück. Der Papst hatte mit der Bulle Urbem Romam vom 23. Juni 1580 die Verwaltung der Ewigen Stadt neu geordnet und somit auch eine kommunale Miliz begründet. Wer in die Miliz eintreten wollte, musste Römer aus einem bürgerlichen Umfeld sein und ein Mindestalter von fünfzehn Jahren aufweisen. Das Korps besaß eine Stärke von 300 Mann, verteilt auf die dreizehn Stadtviertel; jeweils 20 Milizionäre waren einem »Rione« zugeteilt, die großen Viertel Monti, Colonna, Ponte und Tras-tevere durften über 30 Mann verfügen.

Die Mitglieder der Miliz wurden comites stabiles, constabili und contestabili genannt, die Offiziere in späterer Zeit Capotauri oder Capotori. Allgemein wird vermutet, dass die letzteren Bezeichnungen auf das caput aureus, den vergoldeten Helm, zurückzuführen ist, der Teil der Gala-Uniform war. Doch die militärische Gewandung der Miliz kam erst spät auf, ursprünglich trug man den abito di città (Straßengewand) mit Degen und Mantel. Für das Korps waren unterschiedliche Bezeichnungen in Gebrauch: Milizia Urbana, Milizia Capitolina, Milizia Urbana del Popolo di Roma, Guardie del Popolo Romano und Guardie del Senato. Schließlich verwendete man für die ganze Miliz oft die Titulierung »Capotori«.

Der Milizia Urbana wurde im Jahre 1790 eine neue Organisation gegeben; Modell stand hierbei die päpstliche Linieninfanterie. Die Miliz verblieb nach der Okkupation der Päpstlichen Staaten durch Frankreich weiterhin im Dienst, jedoch einverleibt in die Truppen der Invasoren. Als Papst Pius VII. (1800-1823) am 3. Juli 1800 nach Rom zurückkehrte, stand das Korps bereit, die Kutsche des Pontifex zu eskortieren; beim Apostolischen Palast des Quirinals war es mit seinem Oberst zum Schutz des Papstes angetreten. Da die Schweizergarde und das Korps der adeligen Cavalleggeri aufgelöst waren, übertrug ein Billet vom 9. August 1800, unterzeichnet vom Majordomus Seiner Heiligkeit, der Miliz den Dienst in der jeweiligen Anticamera (päpstliche Vorzimmer) der Apostolischen Paläste in Rom.

Während der neuerlichen Besetzung und Annexion der Päpstlichen Staaten und der Gefangennahme des Papstes durch Frankreich (1809-1814) war die Milizia Urbana aufgehoben. Nach der Rückkehr des Papstes in die Ewige Stadt wurde sie mit einem Dekret vom 19. April 1814 als eine der päpstlichen Palastgarden bestimmt. In der Anticamera Pontificia erhielt sie an Audienztagen ihren Platz im ersten Vorzimmer, ihr höherer Offizier seinen im dritten Vorzimmer, der Sala dei Bussolanti, zugewiesen. Für diesen Dienst erhielt das Korps monatlich 50 Scudi als Entlohnung. Im Jahre 1839 versah Papst Gregor XVI. (1831-1846) die Miliz auf Kosten des Staates mit neuen Uniformen und stattete sie mit einer modernen Bewaffnung aus.

Die Guardia Civica

Die revolutionären Entwicklungen in Frankreich gegen Ende des 18. Jahrhunderts zwangen die Päpstlichen Staaten, neue Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu erwägen. Durch die Errichtung einer neuen Bürgergarde wurden verstärkt Römer in das neue Sicherheitskonzept eingebunden. Diese Guardia Civica sollte das Interesse der Bevölkerung Roms auf ein gesichertes und geordnetes Leben in der Stadt lenken. So bot die Zusammensetzung des Korps einen Spiegel der sozialen Schichtung der Ewigen Stadt: Die höheren Ränge der Offiziere waren von Angehörigen des römischen Adels besetzt, die übrigen Offiziersstellen nahm der bürgerliche Mittelstand (»commercianti e imprenditori – Geschäftsleute und Gewerbetreibende«) ein, als Unteroffiziere und Truppe fungierten Mitglieder des einfachen, aber finanziell und gesellschaftlich abgesicherten Volkes (»elementi popolari più elevati«).

Die Bürgergarde war dem Senator von Rom unterstellt. Das Korps bestand aus fünf Bataillonen, die sich ihrerseits aus fünf bis sieben Kompanien zusammensetzten. Jedem Bataillon waren zwei bis drei Stadtviertel zugeteilt worden; jedes Stadtviertel verfügte über zwei Kompanien, mit Ausnahme der Viertel Monti, Campomarzio und Trastevere, die aufgrund ihrer territorialen Größe oder Bevölkerungsdichte jeweils drei Kompanien besaßen. Insgesamt gab es damit in Rom 31 Kompanien, deren Angehörige in der gleichen Anzahl von Quartieren untergebracht waren. Die Guardia Civica nahm am 17. November 1796 ihren Dienst auf. Die Gardisten wachten über die Stadt auf festgelegten Patrouillengängen, die bei Tag und Nacht erfolgten. Der Dienst in der Guardia Civica ge-schah auf freiwilliger Basis. Er sollte so abgeleistet werden können, dass die normale Tätigkeit des Alltags darunter nicht allzusehr
litt: so trat der normale Gardist ebenso wie der Offizier alle fünf Tage seinen Dienst für einen Tag an.

Nach der Invasion der französischen Armee in die Päpstlichen Staaten und der Besetzung Roms wurde die Garde am 6. März 1798 mit einen Dekret der »Konsuln« der »Römischen Republik« aufgelöst und in den Corpo della Guardia Nazionale (»Korps der Nationalgarde«) umgewandelt. 1814 erfolgte mit Blick auf die Rückkehr des Papstes nach Rom die Wiedererrichtung der Bürgergarde unter dem Namen »Guardia Civica Pontificia«, doch bereits am 26. Januar 1815 wurde sie durch Edikt des Commisario per le Armi, dem das Kriegsministerium anvertraut war, erneut aufgehoben und in die Linieninfanterie eingegliedert. Am 27. Dezember 1815 berief sie dann Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi wieder in ihren ursprünglichen Dienst, um in der Ewigen Stadt Sicherheit und Ruhe zu garantieren.

1817 wird eine Kompanie des 1. Bataillons der Guardia Civica – die I. Compagnia Granatiera Scelta – damit beauftragt, in der Anticamera Pontificia den Posten unmittelbar nach der Nobelgarde einzunehmen und dort den Ehrendienst zu versehen. Für diesen Dienst erhielt die Kompanie Quartiere im Quirinal und im Vatikan. Die von einem Hauptmann befehligte Compagnia Granatiera Scelta unterstand dem Majordomus und dem Maestro di Camera (Obersthofkämmerer). Sie nahm auch Verpflichtungen bei
den Feierlichkeiten der Päpstlichen Kapelle und anderen Zeremonien in Anwesenheit
des Papstes wahr. Während der Pontifikate Leos XII. (1823-1829), Pius’ VIII. (1829-1830) und Gregors XVI. (1831-1846) leistete sie in Treue und Pflichterfüllung ihren Dienst.

Das Generalkommando der Guardia Civica teilte im Ordine del Giorno (Tagesbefehl) vom 4. September 1847 mit, dass die Compagnia Scelta von nun an die Bezeichnung »Compagnia Palatina« trage; vier Tage später verkündet ein weiterer Tagesbefehl, dass der Heilige Vater die Entscheidung getroffen habe, die Kompanie in
Guardia Palatina di Sua Santità umzubenennen. Als 1848 in Rom die Revolution ausbrach, bezeugte die Kompanie ihre Treue zum Papst, während die übrige Guardia Civica in den dramatischen Tagen des Novembers, als Pius IX. (1846-1878) im Apostolischen Palast des Quirinals belagert wurde, eine unrühmliche Rolle spielte.

Nach der Niederschlagung der Revolution schien eine Neuordnung des päpstlichen Militär- und Milizwesens vonnöten Am 14. Dezember 1850 gab Kardinalstaatssekretär Giacomo Antonelli daher bekannt, dass aus der Guardia Civica und der Milizia Urbana ein neues Korps gebildet werde, die Guardia Palatina, die »Palatingarde«.

Gut 120 Jahre später, im September 1970, entschied Papst Paul VI. (1963-1978), alle päpstlichen militärischen Korps mit Ausnahme der Schweizergarde aufzuheben. Damit war auch der letzten Bürgermiliz unter der Fahne des Papstes ein Ende gesetzt.

Von Ulrich Nersinger