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Redebeitrag des Generalrelators der Synode, Kardinal Jean-Claude Hollerich, bei der 4. Generalkongregation am 9. Oktober

Alle sind eingeladen, Teil der Kirche zu sein

 Alle sind eingeladen, Teil der Kirche zu sein  TED-041
13. Oktober 2023

Guten Morgen Ihnen allen und herzlich willkommen zurück in unserer Aula nach der Pause, die es uns ermöglicht hat, den Sonntag zu feiern. Mit der heiligen Messe von heute Morgen konnten wir den Reichtum eines der Riten unserer einen und vielfältigen Kirche auskosten, und so sind wir in das zweite Modul unserer Arbeit eingetreten, das mit Abschnitt B1 des Instrumentum laboris verbunden ist.

Im ersten Modul knüpften wir an die Erfahrung des »gemeinsamen Unterwegsseins« des Volkes Gottes in den vergangenen zwei Jahren an. Wir haben daran gearbeitet, die synodale Kirche als umfassende Vision schärfer in den Blick zu bringen. Mit dem zweiten Modul befassen wir uns mit der ersten der drei Fragen, die sich aus dem Hören auf das Volk Gottes ergeben haben und zu denen diese Versammlung aufgerufen ist, ihre Unterscheidung zu treffen. Aber wir sollten das erste Modul nicht vergessen. Um den Sinn unseres Tuns nicht zu verlieren, müssen wir die Arbeit der nächsten Tage – die uns zur Auseinandersetzung mit spezifischen und konkreten Fragen führen wird – in den Horizont der zwischen letztem Mittwoch und Samstag geleisteten Arbeit stellen. Wir nehmen aus dem ersten Modul eine zweite Frucht mit, die ebenso wichtig ist. Wir haben Erfahrung in der Anwendung der Methodik des Gesprächs im Geist gesammelt und fühlen uns dadurch wohler in einer Art und Weise des gemeinsamen Gehens, die wir weiter praktizieren werden. Vor allem aber haben wir begonnen, Beziehungen zu knüpfen und Bindungen aufzubauen. Wir haben begonnen, vom »Ich« zum »Wir« überzugehen. In diesem Modul ändert sich die Zusammensetzung der Circuli Minores, aber wir sind eingeladen, die kollaborative Atmosphäre der letzten Tage mit uns zu tragen. Ich danke den Moderatoren nochmals für ihren Einsatz.

In dieser Einleitung zum zweiten Modul kommen mehrere Stimmen zu Wort: Gleich werde ich das Wort an Pater Timothy Radcliffe OP und Professorin Anna Rowlands übergeben, die uns einen Überblick über das Thema von Modul 2 aus biblisch-spiritueller bzw. theologischer Sicht geben werden. Ich danke ihnen für ihre Bereitschaft, mir zu helfen, die Arbeit der nächsten Tage zu beginnen. Es werden drei Zeugnisse von Vollversammlungsmitgliedern folgen: Sie werden von den Erfahrungen ihrer Ortskirchen berichten, die mit dem Thema unseres Moduls zusammenhängen.

Doch nun ist es an der Zeit, sich mit dem Thema von Modul 2 zu befassen. Wenn es Ihnen so geht wie mir, wenn Sie die vielen Fragen in den Arbeitsblättern von Abschnitt B1 des Instrumentum laboris lesen, dann könnte es hilfreich sein, sich zunächst auf den Titel »Eine Gemeinschaft, die ausstrahlt« zu konzentrieren, und noch mehr auf die Frage, die unmittelbar darauf folgt: »Wie können wir noch stärker zu einem Zeichen und Werkzeug der Vereinigung mit Gott und der Einheit der ganzen Menschen werden?« Dies ist die vorrangige Frage, die sich aus dem Syn-odenprozess ergibt und die uns helfen kann, uns in unseren Diskussionen in Modul 2 zu orientieren.

Wir stehen zunächst in Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Die Heilige Dreifaltigkeit ist die Grundlage aller Gemeinschaften. Der dreieinige Gott hat die Menschheit, jeden Menschen geschaffen; und dieser Gott, der Liebe ist, liebt die ganze Schöpfung, jedes einzelne Geschöpf und jeden Menschen in besonderer Weise. Gottes Liebe ist so groß, dass seine rettende Macht die Art und Weise ist, wie sich seine Liebe manifestiert. Als Kirche, als Volk Gottes, stehen wir in dieser Dynamik des Heils. Und in dieser Dynamik liegen die Grundlagen der Einheit der Menschheit.

Die persönliche Geschichte eines jeden und die Vielfalt unserer menschlichen Erfahrungen, die auf synodale Weise zusammengetragen werden, helfen uns, die Fragen, die Abschnitt B1 des Instrumentum laboris aufwirft, besser zu verstehen und zu versuchen, Antworten zu finden.

Erlauben Sie mir, eine solche Erfahrung zu teilen. Ich hörte zufällig die Geschichte einer Familie, die aus Afrika in ein europäisches Land gezogen war. Sie fanden es sehr schwierig, eine Gemeinde zu finden, in der sie ihren Glauben leben konnten. Die katholische Gemeinde, die sie zuerst besuchten, war eine Gemeinde von Kirchgängern, aber die Gemeinschaft bot kein tieferes Gefühl der Gemeinschaft. Sie wurden verpönt, weil sie andere religiöse Bräuche hatten. Sie fühlten sich ausgeschlossen. Sie fanden eine methodistische Gemeinde, in der sie willkommen waren und konkrete Hilfe bei ihren ersten Schritten in ihrem neuen Land erhielten. Vor allem wurden sie als Brüder und Schwestern aufgenommen, nicht als Objekte der Nächs-tenliebe, sie waren nicht einfach ein Mittel für Menschen, die Gutes tun wollten. Sie wurden als Mitmenschen akzeptiert, die gemeinsam unterwegs sind. Als ich dieses Zeugnis hörte, dachte ich an mein eigenes Land, an meine eigene Kirche. Wahrscheinlich wäre das Gleiche passiert, nur dass wir keine methodistische Kirche haben, die sie aufnimmt.

Alle sind eingeladen, Teil der Kirche zu sein. Beim Weltjugendtag in Lissabon wiederholte Papst Franziskus die Worte »todos… todos«. Und in seiner Predigt bei der Eröffnungsmesse unserer Vollversammlung: »tutti… tutti«. In tiefer Gemeinschaft mit seinem Vater durch den Heiligen Geist hat Jesus diese Gemeinschaft auf alle Sünder ausgedehnt. Sind wir bereit, das Gleiche zu tun? Sind wir bereit, dies mit Gruppen zu tun, die uns irritieren könnten, weil ihre Art zu sein unsere Identität zu bedrohen scheint? »Todos…«, »tutti…« Wenn wir wie Jesus handeln, werden wir Gottes Liebe zur Welt bezeugen. Wenn wir das nicht tun, sehen wir aus wie ein identitärer Verein.

Was bedeutet das für die Ökumene? Wie können wir unseren katholischen Glauben so leben, dass die tiefe Gemeinschaft, die wir bei der Gebetswache vor unseren Exerzitien gespürt haben, keine schöne Ausnahme ist, sondern alltägliche Realität wird? Wie können wir unseren Glauben tief in unserer eigenen Kultur leben, ohne Menschen aus anderen Kulturen auszuschließen? Wie können wir uns gemeinsam mit Frauen und Männern anderer Glaubenstraditionen für Gerechtigkeit, Frieden und integrale Ökologie einsetzen?

Dies ist ein Beispiel dafür, worum es in Modul 2 geht. Wir müssen nachdenken, wir müssen reflektieren, aber unsere Reflexion sollte nicht die Form einer theologischen oder soziologischen Abhandlung annehmen. Wir müssen von konkreten Erfahrungen ausgehen, von unseren eigenen persönlichen und vor allem von den kollektiven Erfahrungen des Volkes Gottes, das in der Phase des Zuhörens gesprochen hat.

Erlauben Sie mir noch eine Minute, um kurz auf die Schritte in diesem Modul einzugehen. Heute Nachmittag und morgen Vormittag werden wir in den Circuli Minores nach der Methode der gemeinsamen Unterscheidung arbeiten, die vom Gespräch im Geist inspiriert ist und die wir bereits geübt haben. Wir hören einander zu, wir hören auf den Geist, wir werden beginnen, den Bericht der Gruppe zu verfassen und die Rede vorzubereiten, die der Berichterstatter in der Versammlung vorlesen wird, wobei wir uns auf die Punkte konzentrieren werden, die eure Gruppe der Versammlung vorlegen möchte, um in einer gemeinsamen Unterscheidung tiefer zu gehen.

Es gibt auch etwas Neues: Die Zusammensetzung der Gruppen hat sich geändert. Das haben Sie gleich gemerkt, als Sie sich an Ihren Tisch gesetzt haben. Dieses Mal werden die Gruppen sowohl nach sprachlichen als auch nach thematischen Präferenzen gebildet. Wir haben uns so weit wie möglich an die von Ihnen getroffenen Auswahlen gehalten. Anders als beim ersten Modul folgen die Gruppen nicht alle demselben Weg, sondern jede Gruppe bearbeitet nur eines der fünf Arbeitsblätter, die das Instrumentum laboris in Abschnitt B1 vorgibt. Wir leben jedoch nicht auf verschiedenen Planeten. Wie das Instrumentum laboris selbst erklärt, »gibt es offensichtliche Berührungspunkte und einige Überschneidungen zwischen den Arbeitsblättern. […] dies verdeutlicht das reichhaltige Netz von Verbindungen zwischen den behandelten Themen.« So können wir uns die fünf Arbeitsblätter als verschiedene Perspektiven vorstellen, aus denen wir uns der Grundfrage unseres Moduls nähern, der Frage, die ich eingangs erwähnt habe: »Wie können wir mehr und mehr ein Zeichen und ein Werkzeug der Einheit mit Gott und der Einheit der ganzen Menschheit sein?«

In verschiedenen Kontexten hat diese Frage unterschiedliche Resonanz. Die Pluralität der Spuren trägt dazu bei, diese Resonanzen an die Oberfläche zu bringen und ermöglicht es jedem von uns, einen Beitrag zu leisten, der in der besonderen Perspektive der Ortskirche, aus der er kommt, verwurzelt ist. Darüber hinaus findet die Vielfalt der lokalen Kontexte auch in den einzelnen Arbeitsblättern ihren Platz. Im Mittelpunkt steht jeweils eine »Frage zur Unterscheidung«, mit der sich die Gruppe auseinandersetzen sollte. Die anderen Fragen, die Sie auf dem Arbeitsblatt finden, basieren auf dem, was in der Zuhörphase gesammelt wurde. Sie bringen die konkreten Bereiche zum Ausdruck, in denen die Frage nach der Unterscheidung in verschiedenen Regionen Gestalt annimmt. Das hilft uns, nicht nur in Allgemeinplätzen zu sprechen. Sie tragen das Bild und die Anliegen des Volkes Gottes in sich. Das Ziel der Gruppenarbeit besteht jedoch nicht darin, jede dieser detaillierteren Fragen einzeln zu behandeln. Die Vielfalt, die sich aus den verschiedenen Überlegungen zu den Arbeitsblättern ergibt, und die Besonderheit jeder Gruppe werden unseren Austausch im Plenum noch reicher machen. Aus diesem Grund werden wir in Modul 2, wie auch in den anderen Teilen von Abschnitt B, die folgen werden, drei Generalkongregationen haben, das heißt drei halbe Tage, und nicht nur zwei, um die Mitteilungen der Circuli Minores zu hören und freie Beiträge einzubringen.

Ich bitte nun Pater Timothy Radcliffe OP und anschließend Professorin Anna Rowlands, das Wort zu ergreifen. Die Schweigepause, die auf jeden ihrer Beiträge folgen wird, soll uns zum meditativen Zuhören anregen. Wir bitten sie nicht um Vorschläge oder vorgefertigte Antworten, und wir bitten sie auch nicht darum, die Arbeit für uns zu erledigen. Vielmehr erwarten wir von ihnen, dass sie den spirituellen und theologischen Horizont beleuchten, in dem sich die Fragen befinden, mit denen wir uns befassen sollen, und dass sie uns einige Anregungen geben, die uns helfen, die Sprache zu finden, mit der wir sie angehen können.