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Im Jahr 1855 machen sich die Vinzentinerinnen auf den Weg an die Krimfront

Gefährliche Mission der Nächstenliebe

 Gefährliche Mission der Nächstenliebe   TED-038
22. September 2023

Die schrecklichen Bilder vom Krieg in der Ukraine lassen uns an einen anderen blutigen Krieg auf der Krim zurückdenken. Man schrieb das Jahr 1855. Das kleine Königreich Sardinien-Piemont war kurz zuvor im ersten italienischen Unabhängigkeitskrieg von Österreich besiegt worden, beschloss aber dennoch, in der großen Außenpolitik mitzumischen. König Viktor Emanuel II. von Savoyen schickte auf Anraten seines zuverlässigsten Ministers, des Grafen Cavour, an der Seite der Engländer und Franzosen ein Expeditionskorps an das Schwarze Meer, um dem schwächelnden Osmanischen Reich gegen den russischen Expansionismus zu Hilfe zu kommen.

Zur Glorifizierung dieses Unternehmens wünschte der König eine angemessene Propaganda. So kam es, dass der Maler und Soldat Gerolamo Induno den Auftrag zu einem epischen Gemälde mit dem Titel »Schlacht an der Tschernaja« erhielt. Indunos gewaltiges Gemälde wurde 1859 im gerade zurückeroberten Mailand ausgestellt, und in ehrfürchtigem Schweigen zog eine für die Ideale des Risorgimento entflammte riesige Menschenmenge daran vorbei. Das Werk war Kunst, vor allem aber ein politisches Manifest. Wenn man das Gemälde genauer betrachtet, fallen inmitten von Soldaten, Pferden, Kanonen und Staub die Trachten zweier Ordensfrauen auf, die sich um einen verwundeten Soldaten kümmern. Sie tragen einen grauen Habit und eine große weiße Haube, die damals charakteristisch war für die Vinzentinerinnen (Töchter der christlichen Liebe). Ganz klar stehen die beiden Ordensfrauen ebenso im Mittelpunkt der Szene wie die Soldaten. Eine keineswegs zufällige Hommage: Sie stehen symbolisch für die einmütige Anstrengung eines Landes, das nach nationaler Einheit und Modernität strebte, die Katholiken inbegriffen.

Harte Prüfung
für mutige Schwestern

Für die sardisch-piemontesische Armee, die sich ebenbürtig mit den französischen und englischen Heeren wie auch mit dem russischen Feind maß, war der Krimkrieg des Jahres 1855 eine harte Prüfung. Aber dasselbe galt für die Vinzentinerinnen. Auf Anweisung ihres geistlichen Vaters, des seligen Marco Antonio Durando, hatte nämlich eine Gruppe mutiger Vinzentinerinnen San Salverio am Stadtrand von Turin, der Hauptstadt des Königreiches, verlassen, um sich dem Sanitätsdienst zu widmen. In der offiziellen Geschichte der Kongregation ist zu lesen: »Die Regierung bat die Töchter der christlichen Nächstenliebe, sich des aus 15.000 Soldaten bestehenden Expeditionskorps anzunehmen, das auf die Krim geschickt wurde, um gegen Russland zu kämpfen. Sr. Cordero, Schatzmeisterin der Ordens-provinz, meldete sich für diese gefährliche Mission und reiste mit 70 Schwestern an die Ufer des Bosporus, um die verwundeten Soldaten, vor allem aber die an Cholera Erkrankten zu pflegen. Viele der Schwestern haben dort ihr Leben gelassen.«

Es war keine einfache Entscheidung. In einem vom Verband der Pflegeberufe herausgegebenen Buch über Florence Nightingale und Italien wird von der Sitzung des Provinzrats vom 22. Februar 1855 berichtet, in der die Aussendung einiger Ordensfrauen beschlossen wurde. Der Generalobere, P. Étienne, der der Sitzung beiwohnte, habe die Bedeutung dieser Mission ebenso betont wie die Notwendigkeit, die fraglichen Schwestern mit Bedacht auszuwählen, da sie eine heikle Aufgabe zu erfüllen hätten. Die Schwestern sollten der ihnen zugewiesenen Aufgabe auch gewachsen sein. P. Étienne betonte, wie wichtig es sei, dass in den Krankenwagen jeweils eine Schwester präsent sei und dass ein Mitglied des Provinzrats an der Expedition teilnehme.

Es war eine schwierige Mission im Ausland und mitten in einem Krieg. Aber der Beistand für die Armen und Kranken entsprach der Berufung dieser berühmten Schwestern, deren Geschichte ihre Wurzeln im 17. Jahrhundert in Paris hat. Die Vinzentinerinnen waren die ersten, die die Klausurmauern verließen und in die Welt hinausgingen. Wie wiederum die offizielle Geschichte der Kongregation berichtet, »gründeten Louise de Marillac und Vinzenz von Paul die innovative Gemeinschaft – keine ›Ordensgemeinschaft‹ – der Töchter der christlichen Nächstenliebe. Der heilige Vinzenz wollte nicht, dass sie in Klausur lebten. Er wollte für sie weder Gelübde noch Tracht, weder Gitter noch Besuchszimmer. Sie sollten ein einfaches Leben führen.«

Von Frankreich aus waren die Vinzentinerinnen 1837 nach Turin gelangt und kümmerten sich dort um Kranke. Zunächst suchten sie diese in ihren Häusern auf, ab 1839 führten sie ein eigenes Krankenhaus. Auf dem Gemälde verewigte Induno zwei Schwes-tern, die mit den Truppen auf die Krim gekommen waren, um 400 Krankenschwestern und 100 Militärärzte zu unterstützen. In erster Linie koordinierten sie die Arbeit der männlichen Krankenpfleger in den Krankenhäusern, wobei sie die Aufgaben einer Oberschwester in einem modernen Krankenhaus ausübten. Sie beaufsichtigten die Essensverteilung, die Wäscherei, die Küchen, die Putzarbeiten und die Arzneien.

Aber die piemontesischen Schwestern waren nicht allein. Auch die Franzosen hatten sich an die Schwestern der christlichen Nächstenliebe gewandt, um sie im Gefolge der Truppen zu haben. Die Russen versuchten, für ihre Truppen etwas Vergleichbares zu organisieren: »Der Aufbruch der Schwes-tern der christlichen Nächstenliebe ins Feld«, so liest man in La Civiltà Cattolica (1858), »hatte in Russland eine ungeheure Wirkung. Zunächst rief er Erstaunen und auch Verwunderung hervor; und da man den Franzosen in nichts nachstehen wollte, verbreitete sich auch bei den Russen der Wunsch, zu wissen, was sie auch ihrerseits tun konnten.« Die Engländer schließlich, die auf keine katholischen Schwestern zählen konnten, baten die Barmherzigen Damen in London, die Damen vom Institute for the Care of Sick Gentlewomen, um Hilfe. So brach eine Gruppe dem Laienstand angehöriger Krankenschwestern auf, unter der Führung von Florence Nightingale, die gerade in diesem Krieg zu Ruhm gelangen sollte. The Times veröffentlichte einen berühmten Artikel über sie, The Lady with the Lamp (Die Dame mit der Lampe), weil sie die Schlachtfelder abging, um Verwundete zu bergen. Auch ihr wurde die Apotheose eines großartigen Gemäldes zuteil: Die Mission der Nächstenliebe: Florence Nightingale empfängt die Verwundeten in Scutari von Jerry Barrett.

Erneuerung des Krankenpflegeberufs

Nightingale spielte eine außergewöhnliche Rolle bei der Erneuerung des Krankenpflegeberufs. Ihr Bild als Berufstätige und Frau, die sich ungeachtet der Nationalität um jeden Verwundeten kümmerte, wurde als Inspiration für die Gründung des Internationalen Roten Kreuzes angesehen, die kurz darauf dank des Schweizers Henri Dunant erfolgte. Aber es wäre kleinlich, das Beispiel zu verschweigen, das katholische Ordensfrauen als allererste gegeben hatten. In ihrem Buch Notes on Nursing, das ein Weltbestseller wurde, schrieb Nightingale über die piemontesischen Schwestern: »Meine Meinung, die auf persönlicher Erfahrung beruht, lautet, dass die italienische Frau mit einer besonderen Begabung für die Pflege der Kranken ausgestattet ist. Diese meine Meinung geht darauf zurück, dass ich die italienischen Schwestern des heiligen Vinzenz von Paul am Werk gesehen habe, die an die sardischen Truppen auf der Krim angeschlossen waren. Die Oberin der italienischen Schwestern auf der Krim ist eine der bedeutendsten Frauen, der ich in unserer Berufung je begegnet bin.«

Das ist vielleicht die schönste Hommage, die Sr. Cordero und ihren Mitschwestern zuteil wurde. Man hat auch eine von General Durando unterzeichnete Depesche vom
17. Dezember 1855 wiedergefunden, in der es heißt: »Miss Nightingale hat die piemontesischen Krankenhäuser am Bosporus besucht und hat deren Struktur sehr bewundert. Sie war bestens mit den Ordensfrauen befreundet, von denen sie eine hohe Meinung hatte.«

Nach dem Krieg kehrten die Truppen in ihre Heimat zurück. Das Unternehmen erwies sich als verheerend. Mehr noch als die Kugeln hatte die Cholera ein Gemetzel unter den Soldaten angerichtet. Die Vinzentinerinnen gingen wieder nach Turin, um sich dort den Armen und Kranken zu widmen. Aber die Erinnerung an den Einsatz auf der Krim ging nicht verloren. Darauf spielte Graf Cavour in einer Parlamentsrede an: »Die Aufhebung [des Ordens] der Töchter der christlichen Nächstenliebe wäre der allergrößte Fehler. Ich halte diese Institution für eine von jenen, die der Religion, dem Katholizismus, ja der Zivilisation schlechthin am meisten Ehre machen. Ich habe viele Jahre lang in evangelischen Ländern gelebt, ich habe Beziehungen zu den liberalsten Vertretern dieser Religion gepflegt, und ich habe sie mehrfach mit lauter Stimme den Katholizismus um die
Institution der Schwestern der christlichen Nächstenliebe beneiden hören.«

Und Jahre später, im Februar 1868, als das italienische Parlament erneut über die Entfernung der Vinzentinerinnen aus den Krankenhäusern debattierte, erhob der ehemalige General La Marmora Einspruch: »All denen, die sie auf der Krim ihren Dienst auf den Schlachtfeldern und in den Lazaretten leisten sahen, bleiben der Mut und die Ausdauer dieser guten Frauen unvergesslich, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um einen Verwundeten aus der Frontlinie zu holen, und dann Nacht für Nacht ihren Schlaf opferten, um an seinem Krankenbett zu wachen. Nach alledem, was sie geleistet haben und immer noch leisten, wäre es wahrer Undank, die Ordensfrauen jetzt wegzujagen.«

*Journalist der Tageszeitung La Stampa

(Orig. ital. in Frauen-Kirche-Welt)

Von Francesco Grignetti*